Es ist nicht alles Gold, was Bär

Von Anatol Stefanowitsch

Das Marken­recht macht mich als Sprach­wis­senschaftler schon an ganz nor­malen Tagen trau­rig. Ich bin kein Recht­san­walt (deshalb ja auch „mich als Sprach­wis­senschaftler“), aber so weit ich das beurteilen kann, ermöglicht es Han­del­treiben­den, so gut wie jedes sprach­liche Ele­ment als Beze­ich­nung ihres Pro­duk­ts zu reservieren, solange sie die ersten sind, die es für sich beanspruchen.

So wer­den nicht nur Wörter, Wortkom­bi­na­tio­nen und Satzteile oder ganze Sätze dem all­ge­meinen Sprachge­brauch ent­zo­gen, son­dern auch pro­duk­tive Wort­bil­dung­sprozesse – Volk­swa­gen und Springer haben sich vor eini­gen Jahren darum gestrit­ten, wem Wörter gehören, die mit Volks- begin­nen (auch solche, die noch gar nicht existieren) – oder einzelne Buch­staben (BMW hat ger­ade vom Patent­gericht bescheinigt bekom­men, dass der Buch­stabe M als Beze­ich­nung für ein Auto schutzfähig ist).

Eine Entschei­dung des Landgerichts Köln geht nun einen Schritt weit­er und ver­bi­etet sog­ar Dinge, die uns an Wörter erin­nern kön­nten, die dem all­ge­meinen Sprachge­brauch ent­zo­gen sind.

Goldener Bär mit bunten GoldbärenDie Fir­ma Hari­bo, Inhab­erin der Wort­marke GOLDBÄREN, hat­te gegen die Lindt & Sprüngli AG geklagt, die zu Ostern die Geschäfte mit ihren in Gold­pa­pi­er gewick­el­ten Hasen mit ein­er roten Schleife um den Hals über­flutet, und zu Wei­h­nacht­en nun auch mit einem eben­so in Gold­pa­pi­er gewick­el­ten und rotbeschleiften Ted­dy­bär. Hari­bo sah durch diesen Bären nun seine Wort­marke GOLDBÄR ver­let­zt. Nicht etwa, weil auf dem Lindt-Bären das Wort Gold­bär oder die Wörter Gold und Bär stün­den (stattdessen ste­ht Lindt und Ted­dy darauf), son­dern, weil es eben ein gold­en­er Bär ist.

Wie das Gericht mit­teilt, hat es sich in seinem Urteil

der Auf­fas­sung der Klägerin angeschlossen, wonach die Ver­bre­itung dieses Pro­duk­ts gegen die für sie einge­tra­gene deutsche Wort­marke „GOLDBÄREN“ ver­stoße und die Aus­gestal­tung des „Lindt Ted­dys“ der Beklagten nichts anderes als die bildliche Darstel­lung des Wortes „GOLDBÄR“ darstelle. Der Verkehr stelle bei Anblick eines verkörperten Goldbären mit rot­er Schleife im Süßwarensegment unweiger­lich eine Verbindung zu der Klägerin her. Dies gelte umso mehr, als die Ver­wen­dung der Beze­ich­nung „Goldbär“ für das Pro­dukt der Beklagten auch durch die Beze­ich­nung des im Ostergeschäft durch die Beklagte erfol­gre­ich ver­triebe­nen bekan­nten Schoko­laden­hasens als „Gold­hase“ nahe gelegt werde. [Pressemit­teilung des Landgerichts Köln vom 18.12.2012 (PDF, 90 KB)]

Warum die rote Schleife für die Wort­marke GOLDBÄR rel­e­vant ist, wird aus der Pressemit­teilung nicht klar — auf den Gum­mibärchen­tüten von Hari­bo ist zwar ein Bär mit ein­er roten Schleife abge­bildet, aber um diese (ver­mut­liche) Bild­marke ging es ja in dem Ver­fahren nicht.

Aber wie dem auch sei, was mich als Sprach­wis­senschaftler hier nicht nur trau­rig, son­dern fas­sungs­los macht, ist, dass eine Wort­marke ver­wen­det wird, um den Ver­trieb eines Pro­duk­ts zu ver­bi­eten, dass diese Wort­marke nicht ver­wen­det, son­dern lediglich als „bildliche Darstel­lung“ dieser Wort­marke ver­standen wer­den kön­nte. Hari­bo hat damit nicht nur das alleinige Nutzungsrecht an dem Wort Gold­bär (zumin­d­est für die Pro­duk­tk­lasse Süßwaren), son­dern die Fir­ma hat damit auch das alleinige Recht, Süßwaren in Form gold­en­er Bären herzustellen.

Und warum? Weil wir beim Anblick des Lindt-Bären das Wort Gold­bär denken kön­nten. Hari­bo hat also nicht nur das Recht an dem Wort Gold­bär, son­dern auch an dem neu­rol­o­gis­chen Aktivierungsmuster in unseren Köpfen, das beim Anblick eines gold­e­nen Bären entste­hen könnte.

Gelber Goldbär von Haribo und golden verpackter Schokoladenteddy von Haribo

Früher beste Fre­unde, heute erbit­terte Geg­n­er vor Gericht: ein gel­ber Gold­bär und ein gold­en­er Nicht-Gold­bär (Darstel­lung nicht Maßstabsgerecht)

Nen­nt mich klein­lich, aber das sehe ich als Sprech­er des Deutschen und Besitzer meines Gehirns nicht ein. Es ist schlimm genug, dass ich ein in triv­ial­ster Weise aus ein­er Farbbeze­ich­nung und einem Tier­na­men zusam­menge­set­ztes Kom­posi­tum nicht frei ver­wen­den darf. Aber ich möchte denken dür­fen, was ich will, wenn ich mir die Welt anse­he. Und das schließt Triv­ialkom­posi­ta ((Dieses Kom­posi­tum habe ich eben erfun­den, ich erteile der deutschen Sprachge­mein­schaft hier­mit eine weltweite und unbe­fris­tete Lizenz zu sein­er Nutzung in allen Pro­duk­tk­lassen)) ein. Und so egal mir Her­steller von über­teuert­er Indus­tri­eschoko­lade sind, ich möchte, dass sie Pro­duk­te her­stellen kön­nen, ohne darüber nachzu­denken, ob ich bei deren Anblick ein Kom­posi­tum denke, und wenn ja, welch­es. Ich möchte eigentlich, dass Fir­men sich grund­sät­zlich aus meinem Kopf heraushalten.

Und was echte gold­ene Bären, also Exem­plare der Spezies Ursus arc­tos mit hellem, gold­en glänzenen Fell bet­rifft, die soll­ten auf­passen, dass sie beim Naschen an Bienenkör­ben nicht aus­rutschen und sich den Pelz mit Honig ver­schmieren. Denn obwohl sie schon im 19. Jahrhun­dert, also lange vor der Grün­dung der Fir­ma Hari­bo, als Gold­bären beze­ich­net wur­den (z.B. 1824, 1843 und 1853), gehört dieses Wort seit 1967 nun ein­mal Hari­bo, und der honigver­schmierte, und damit zur Süßware mutierte Gold­bär wird damit zu einem marken­rechtlichen Prob­lem­bär, der beseit­igt wer­den muss, bevor er bei einem zufäl­lig vor­beis­pazieren­den Mit­glied der deutschen Sprachge­mein­schaft unlautere Gedanken auslöst.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

10 Gedanken zu „Es ist nicht alles Gold, was Bär

  1. Muriel

    Falls es dich tröstet: Ich finde als Jurist dieses Urteil und die ganze Recht­slage nicht min­der dämlich.
    Aber dass du Lindt disst, das kann ich nicht hin­nehmen. Über­teuert sind diese anderen Möchte­gern-Edel-Schoko­laden von Zot­ter, oder wie sie alle heißen, die wie fet­tiger Dreckt schmeck­en und einem immer einzure­den ver­suchen, man sei ein­fach nicht cool genug, wenn man lieber richtige Schoko­lade wie die von Lindt oder Rit­ter Sport isst. Pah.

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  2. Oliver C

    Die ganze Prämisse, Aus­drücke seien dem all­ge­meinen Sprachge­brauch ent­zo­gen, ist Unsinn: ver­boten wird nur die Benutzung zum Zweck des Verkaufs bes­timmter Pro­duk­te. Damit erübrigt sich der größte Teil des ganzen Kommentars.

    Schade, denn die hin­ter dem Urteil ste­hende Denkweise ist tat­säch­lich bedenkenswert, nein, einige Bedenken wert.

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  3. Erbloggtes

    Dann beanspruche ich hier­mit die Nutzung des Wortes “Triv­ialkom­posi­ta” in der Pro­duk­tk­lasse der Blogs allein für mich. Wenn Du das nicht anmeldest, dann tue ich das eben. Urhe­ber­rechtlich ist das besten­falls kleine Münze. Aber marken­rechtlich werde ich nun alle erledi­gen, die das Wort wider­rechtlich benutzen — oder Triv­ialkom­posi­ta benutzen, die mich oder irgend­je­mand anderen an das Wort Triv­ialkom­posi­ta denken lassen kön­nten. Gold­bär zum Beispiel. In Blogs benutze das jet­zt nur noch ich. Gefälligst.
    Aber aus Nos­tal­gie erteile ich Dir hier­mit eine räum­lich und per­sön­lich beschränk­te Lizenz, das Wort Triv­ialkom­posi­ta bis auf weit­eres in diesem Artikel zu benutzen und auch von Zeit zu Zeit selb­st zu denken.
    Schöne Feiertage!

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  4. gnaddrig

    Müsste es dem­nach nicht allen anderen Gum­mibärchen­her­stellern ver­boten wer­den, gelbe, gelb­o­r­ange und beson­ders goldgelbe Gum­mibärchen herzustellen? Weil: Die erin­nern nicht nur optisch sehr an legit­ime Gold­bären, sie sind ja prak­tisch bau­gle­ich und ste­hen ihnen deshalb inner­halb der Pro­duk­tk­lasse Süßwaren viel näher als die alu­ver­pack­ten Schoko­laden­bären von Lindt & Sprüngli. 

    Dass Hari­bo gegen diese dreis­ten Pla­giate noch nicht geklagt hat…

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  5. Jochen

    Ich kann mich Oliv­er C nur anschliessen. Für die Sprache hat das Urteil keine Auswirkun­gen, da Marken­recht nur eine gewerbliche Nutzung in bes­timmten Warenkat­e­gorien schützt.

    Eben­so ist aber das Urteil dur­chaus bemerkenswert, weil die Gren­ze von Wort­marken aufgewe­icht wird und eine, aus dem geschützten Wort abgeleit­ete, drei­di­men­sion­ale Form plöt­zlich schützbar ist. Das musste man zuvor sep­a­rat schützen.

    Allerd­ings ist das Urteil nicht recht­skräftig, ich gehe davon aus, dass Lindt das Urteil bis vor den BGH zur weit­eren Grund­satzk­lärung brin­gen wird.

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  6. Carsten

    Dis­claimer: IANAL (und auch kein Sprachwissenschaftler)
    Wenn ich den let­zten Satz der Urteils­be­grün­dung da richtig ver­ste­he, dann hält das Gericht es für rel­e­vant, dass der gold­ene Bär qua­si als getarn­ter “Gold­bär” durch die Gegend läuft und nimmt dafür als Grund an, dass der Oster­hase mit Glöckchen dran bei der Fir­ma Lindt auch “Gold­hase” heißt. Daher stammt dann wohl auch die Rel­e­vanz des roten Schleifchens.
    Damit sieht das Gericht den “Bee­in­flus­sungsver­such” des Kun­den als das Prob­lem an. Es han­delt sich also nicht um ein Denkver­bot für poten­tielle Kun­den, son­dern um ein eher um ein Täuschver­bot für den Produzenten.

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  7. Artemis Hertz Inchlog

    Hal­lo,

    möglicher­weise ver­ste­hen Oliv­er C., Jochen und ich Sie falsch oder sind blind für Ihre satirischen For­mulierun­gen. Haben Sie als Sprach­wis­senschaftler tat­säch­lich den Ein­druck, die Wörter Uhu, Mars und Spiegel seien “dem all­ge­meinen Sprachge­brauch ent­zo­gen”? Wie meinen Sie das? Fühlen Sie sich in der Ver­wen­dung Ihres Wortschatzes ern­sthaft eingeschränkt, weil Sie eine neu gegrün­dete Zeitschrift wed­er “die Zeit” noch “konkret” betiteln dürften? Wie meinen Sie die For­mulierung, dem Marken­in­hab­er “gehöre” das Wort? Und welche Rolle spielt der Hin­weis, das Wort Gold­bär sei schon im 19. Jhdt. ver­wen­det worden?

    Wenn ich Sie richtig ver­ste­he, dann unterbindet das Marken­recht Ihrer Mei­n­ung nach bes­timmte “pro­duk­tive Wort­bil­dung­sprozesse”. Machen die Ver­ben flex­en, googeln und fönen Sie als Sprach­wis­senschaftler traurig?

    Und wie meinen Sie diesen Grund­satz, dass sich Fir­men grund­sät­zlich keine Gedanken darüber machen sollen, was in Ihrem Kopf vorge­ht? Jede Menge Fir­men denken sich in unsere Kon­sumentenköpfe hinein, wenn ein Pro­dukt auf den Markt kommt und bewor­ben wird. Ist dieses Ein­denken nicht in gewiss­er Weise sog­ar eine Voraus­set­zung für nüt­zliche Pro­duk­te? Soweit ich Sie und Ihren Blog kenne, ste­hen Sie doch auch gar nicht auf Wer­bung, bei der sich nie­mand Gedanken über ihre Wirkung auf unsere Gedanken gemacht hat, oder? (-;

    Her­zlich grüßt
    Artemis

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  8. gnaddrig

    Inter­es­sant ist, dass der Gold­bären­stre­it zwis­chen Hari­bo und Lindt nicht im luftleeren Raum passiert. Anscheinend ver­sucht Lindt seit Jahren, anderen Fir­men den Verkauf von in Gold­folie ver­pack­ten Oster­hasen gerichtlich ver­bi­eten zu lassen. In Öster­re­ich haben sie sich gegen den Mit­be­wer­ber Hauswirth durchge­set­zt, in Deutsch­land sind sie jet­zt gegen Riegelein unterlegen. 

    Man kön­nte also sagen, es trifft mit Lindt keinen Unschuldigen. Die machen es näm­lich genau­so, was das ganze natür­lich nicht weniger bescheuert macht.

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