Über den Ursprung menschlicher Sprache(n) lässt sich nur spekulieren: Wir wissen weder, wann unsere Spezies zu sprechen angefangen hat, noch wissen wir, ob Sprache nur einmal entstanden ist, also alle heute existierenden Sprachen von einer einzigen Ursprache abstammen, oder ob Sprache an verschiedenen Orten entstanden ist, nachdem unsere Vorfahren die biologischen Voraussetzungen dafür entwickelt hatten.
Überlegungen dazu müssen nicht völlig im luftleeren Raum stattfinden, sie können sich auf ein paar Rahmendaten stützen. So wissen wir, dass Sprachen ständig im Wandel sind, und dass ein paar Hundert Jahre reichen können, um eine Sprache so stark zu verändern, dass sie kaum wiederzuerkennen ist (was, wie Susanne vorgestern beschrieben hat, manchmal selbst Linguist/innen zu absurden Theorien veleiten kann). Wir wissen auch, dass unsere Spezies seit etwa hunderttausend Jahren in ihrer modernen Form existiert und dass seit etwa vierzig- bis fünfzigtausend Jahren eine Beschleunigung kultureller Innovationen und damit verbunden auch eine Ausdifferenzierung der kulturellen Eigenheiten unterschiedlicher Populationen zu beobachten ist.
Die biologischen Voraussetzungen für Sprache dürften also in den letzten hunderttausend Jahren entstanden sein, es liegt nahe, das Aufkommen von Sprache spätestens mit der Beschleunigung kultureller Innovationen in Zusammenhang zu setzen. Das ergäbe eine Zeitspanne von mindestens vierzigtausend Jahren, mehr als genug, um die gesamte Sprachvielfalt durch natürlichen Sprachwandel aus einer einzigen Ursprache entstehen zu lassen, und so gehen die meisten Sprachwissenschaftler/innen von diesem Szenario aus. ((Wenn Sie sich überhaupt mit der Frage befassen: Die erzwungene Spekulativität des Themas führt dazu, dass es häufig nur Achselzucken hervorruft. De Societé Linguistique de Paris verbot ihren Mitgliedern bei ihrer Gründung 1866 sogar die Beschäftigung damit: „Die Gesellschaft akzeptiert keine Mitteilungen über den Ursprung der Sprache oder die Erstellung (künstlicher) Universalsprachen“, lautet Artikel 2 der Satzung.))
Es gibt aber eine Handvoll Hobbylinguisten, für die dieses Szenario absolut inakzeptabel ist, unter ihnen auch der Australier Carl Wieland und der Niederländer Klaas-Jan Duursma. Als evangelikalische Christen sind die beiden einer wortwörtlichen Interpretation der Bibel verpflichtet. Und die erklärt die Entstehung der heute zu beobachtenden Sprachvielfalt nicht durch natürlichen Sprachwandel, sondern durch göttliche Intervention.
Die Bibel stellt zunächst klar, dass bis zur Sintflut und auch noch einige Zeit danach nur eine Sprache gesprochen wurde: „Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache.“ (1. Mose, 11:1). ((Die Geschichte vom Turmbau zu Babel widerspricht übrigens dem direkt vorangehenden Kapitel des 1. Buch Mose, das zu beschreiben scheint, wie die Nachkommen Noahs sich nach der Sintflut über die Erde ausbreiten und sich dabei in Stämme mit unterschiedlichen Gebräuchen und Sprachen aufteilen — ein Szenario, das besser zu einer Ausdifferenzierung durch natürlichen Sprachwandel passt.)) Sie liefert dann mit der Geschichte vom Turmbau zu Babel eine Erklärung für die heute existierende Sprachvielfalt.
Zunächst beschreibt sie, wie eine Gruppe von Menschen sich im Land Sinear niederlässt und einen schicksalsschweren Plan fasst:
Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, laß uns Ziegel streichen und brennen! und nahmen Ziegel zu Stein und Erdharz zu Kalk und sprachen: Wohlauf, laßt uns eine Stadt und einen Turm bauen, des Spitze bis an den Himmel reiche, daß wir uns einen Namen machen! denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder. (1. Mose, 11:2–4).
An diesem Punkt erkennt der biblische Schöpfer die Konsequenzen, die dieses Bauvorhaben für das Selbstverständnis seiner Kreaturen haben könnte und handelt schnell:
Da fuhr der HERR hernieder, daß er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen, und haben das angefangen zu tun; sie werden nicht ablassen von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. Wohlauf, laßt uns herniederfahren und ihre Sprache daselbst verwirren, daß keiner des andern Sprache verstehe! Also zerstreute sie der HERR von dort alle Länder, daß sie mußten aufhören die Stadt zu bauen. Daher heißt ihr Name Babel, daß der HERR daselbst verwirrt hatte aller Länder Sprache und sie zerstreut von dort in alle Länder. (1. Mose, 11:5–9).
Für diejenigen, die die Bibel als Sammlung von Allegorien betrachten, ist die Geschichte häufig ein Sinnbild für menschlichen Hochmut, obwohl ich sie eher als Sinnbild für das Potenzial einer gemeinsame Sprache und des dadurch ermöglichten freien Austauschs von Ideen sehen würde (und für die Notwendigkeit, diesen freien Austausch zu unterdrücken, wenn man die Kontrolle über die Sprecher/innen behalten will).
Aber für evangelikalische Christen ist es eben eine wörtlich zu nehmende Beschreibung eines historischen Ereignisses. Das kann man respektieren, wie man jede persönliche Überzeugung respektieren kann, und es wäre nicht weiter erwähnenswert. Was es interessant macht, ist, dass einige überzeugte Evangelikale — wie der oben erwähnte Carl Wieland, Vorsitzender der Creation Ministries International und Klaas-Jan Duursma, Pfarrer in einer kreationistischen Kirchengemeinde — es nicht bei einer persönlichen Überzeugung belassen, sondern versuchen, wissenschaftlich anmutende Theorien um die Geschichte vom Turmbau zu Babel herum zu konstruieren. ((Vgl. Wieland, Carl (1999) Towering change. Creation 22(1): 22–26; und Duursma, K.J. (2002) The Tower of Babel account affirmed by linguistics. Journal of Creation 16(3): 27–31.))
Beide beginnen diesen Versuch zunächst damit, anzuerkennen, dass Sprachen sich verändern und dass es Sprachen gibt, die miteinander verwandt sind und aller Wahrscheinlichkeit nach von einer gemeinsamen älteren Sprachstufe abstammen. Das ist klug, denn es lässt sich angesichts offensichtlicher Ähnlichkeiten etwa zwischen dem Deutschen, Englischen und Niederländischen oder dem Spanischen, Italienischen und Französischen schlecht bestreiten. Sie erkennen also Sprachwandel an –– obwohl Wieland sich beeilt, klarzustelen, dass Sprachwandel keine „Evolution“ sei, da er durch menschliche Kreativität und Erfindergeist entstehe, und dass Sprachen außerdem mit der Zeit einfacher, und nicht komplexer würden (beides ist übrigens falsch).
Damit haben sie aber nun das Problem, dass die Bibel keinen Sprachwandel, sondern eben die göttliche Intervention in Babylon für die heutige Sprachvielfalt verantwortlich sei. Für dieses Problem schlagen beide im Prinzip die gleiche Lösung vor; ich konzentriere mich hier auf Duursmas Argumentation, da sie detaillierter ist.
Duursma beschreibt zunächst die Methoden der vergleichenden Sprachrekonstruktion, zwar extrem verkürzt, aber nicht grundsätzlich falsch. Er stellt dann fest, dass sich die Sprachen der Welt mit relativ großer Sicherheit in eine Reihe größerer Sprachfamilien einordnen lassen, für die sich jeweils eine gemeinsame Vorläufersprache rekonstruieren lässt, dass diese Rekonstruktionen aber bestenfalls etwa zehntausend Jahre in die Vergangenheit reichen. Danach wird es unmöglich, mit den Methoden der vergleichenden Sprachrekonstruktion noch belastbare Aussagen darüber zu machen, ob und wie diese Sprachfamilien zusammenhängen (es gibt Sprachwissenschaftler, die es versuchen, sie müssen dabei aber sehr impressionistisch vorgehen und die Ergebnisse sind höchst spekulativ).
Das, so Dursma, passe ja nun hervorragend zur Geschichte vom Turmbau zu Babel, die nach kreationistischer Zeitrechnung keinesfalls vor mehr als zehntausend Jahren stattgefunden haben könne, da die Erde insgesamt nach dieser Zeitrechnung allerhöchstens zehntausend Jahre alt sei. Seiner Meinung nach spricht die Beweislage eindeutig dafür, dass es eine gemeinsame Sprache gab, die zu einem Zeitpunkt kurz nach der Sintflut durch einen göttlichen Akt sehr plötzlich in mehrere Sprachen aufgeteilt wurde, die sich dann jeweils zu einer ganzen Sprachfamilie ausdifferenzierten (siehe Duursmas Grafik, die sogar die Möglichkeit vorsieht, dass vor der Sintflut schon eine Diversifizierung stattgefunden hat, die durch die Auslöschung der Menschheit mit Ausnahme von Noahs Familie aber wieder verschwand).
Dies ist im Prinzip eine Übertragung der pseudobiologischen Theorie des „Intelligenten Designs“ auf die Sprache: Die Intelligentes-Design-Theorie erkennt die Möglichkeit von „Mikroevolution“ innerhalb einer Gattung von Organismen an, nicht aber die Möglichkeit von „Makroevolution“, also die Entstehung neuer Gattungen. Die heutigen Gattungen sind nach dieser Theorie aus den Organismen entstanden, die Noah auf der Arche mitführte. Duursma diskutiert sogar die Eigenschaften von Sprache, die sie seiner Meinung nach als Ergebnis eines bewussten Designs charakterisieren.
Und wie die Theorie des „Intelligenten Designs“ hat auch Duursmas „Theorie“ den Nachteil, dass sie ihr eigenes Gegenargument in sich trägt. Wenn wiele kleine Veränderungen dazu führen können, dass innerhalb einer Gattung oder Sprachfamilie neue Arten oder Sprachen entstehen, dann können solche Veränderungen in einem ausreichend langen Zeitraum auch neue Gattungen oder Sprachfamilien hervorbringen. Wie die Theorie des Intelligenten Designs muss Duursma also die zusätzliche Annahme machen, dass kein ausreichend langer Zeitraum zur Verfügung stand, er muss also einen Junge-Erde-Kreationsismus vertreten.
Außerdem beruht seine Theorie eben grundlegend auf der Tatsache, dass sich Sprachen nur etwa zehntausend Jahre zurück rekonstruieren lassen. Das liegt aber natürlich nicht daran, dass wir dort auf eine magische Grenze, eine Art sprachlichen Urknall stoßen, sondern daran, dass die Methoden umso ungenauer werden, je weiter wir uns von der tatsächlichen Evidenz dokumentierter Sprachen entfernen. Duursmas Theorie ist damit ein Argumentum ad Ignorantiam, ein Argument, das aus der Abwesenheit von Beweisen auf einen Beweis für Abwesenheit (in diesem Fall die Abwesenheit einer langen Entwicklungsgeschichte menschlicher Sprachen) schließt.
Hat schon mal jemand die Migrationswege des Menschen aus Afrika heraus mit dem Verwandschaftsgrad der verschiedenen Sprachen verglichen? Wenn es da viele Überinstimmungen gibt, dann läge ja nahe, dass Sprache vorher entstanden ist und einfach mit exportiert wurde. Das ganze wäre dann aber auch etwas länger her.
@ Rob, etwas entfernt Ähnliches ist schon versucht worden; wie ich hier beschrieben habe, ist das Ergebnis aber nur mittelmäßig überzeugend. Ihren Vorschlag direkt umzusetzen scheitert daran, dass sich die Sprachfamilien eben nur bis bestenfalls 10 000 Jahre zurück rekonstruieren lassen — das ist lange nach der Migration aus Afrika heraus.
Danke für diesen Artikel. Dass sich die (für mich absurden) Ideen des ID sich sogar auf die Sprache erstrecken, wusste ich nicht.
Ich werde diesen Beitrag in meinem Diskussionsforum zum Thema “Religionen” verlinken.
Es gibt allerdings in der Tat intelligent designte Sprachen. Sie wurden beispielsweise von J.R.R. Tolkien erschaffen, als dieser innerhalb von mehr als sieben Tagen Mittelerde schuf :). Er hat meinen allerhöchsten Respekt.
Im Oxford Handbook of Language Evolution gibt es übrigens einen Artikel von Johanna Nichols zu der Frage “ob Sprache nur einmal entstanden ist, also alle heute existierenden Sprachen von einer einzigen Ursprache abstammen, oder ob Sprache an verschiedenen Orten entstanden ist,” — Ihre Antwort, “[P]rinciples of linguistic geography and palaeodemography indicate that language originated gradually over a diverse population of pre-languages and pre-language families. There was no single ancestral language.”
Zur Fußnote 1 ist es interessant anzumerken, dass die Societé Linguistique de Paris das Thema der Sprachevolution laut Yamauchi et al. 2010 nicht etwa wegen der Spekulativität des Themas verbot, sondern aus besonders aus soziopolitischen Gründen, unter anderem weil es ein “heißes Thema” war und sie sich von den Materialisten abgrenzen wollen:
Yamauchi, Hajime, Terrence Deacon and Kazuo Okanoya. 2012. The Myth surrounding the ban by Société de Linguistique de Paris. In T. C. Scott-Phillips, M. Tamariz, E. A. Cartmill und J. R. Hurford (eds.): The Evolution of Language. Proceedings of the 9th Conference on the Evolution of Language. 569–570. Singapore: World Scientific.
So darf man das nicht sehen. Es ist doch offensichtlich, dass man zu Fuß von der Mönckebergstraße zum Jungfernstieg gehen kann (Mikromobilität), dass es aber völlig unmöglich ist, zu Fuß von Hamburg nach Bremen zu gelangen (Makromobilität).
Ähm, ja.
Noch mal was ganz anderes: Gibt es einen Unterschied zwischen evangelikal und evagelikalisch‘?
@ Muriel: Nach Bremen kann man schon gehen, das ist noch Mikromobilität, aber nicht nach London. Da ist eine Gattungsgrenze namens Ärmelkanal dazwischen. Ungefähr so würde man das aus Sicht des ID wahrscheinlich sehen.
@Muriel
der Unterschied zwischen evanglisch (im deutschen Sinne) und evangelikal ist riesig.
Das reicht von so weltlichen Dingen wie der Finanzierung über die Ansichten bezüglich der Bibel (Kreationisten z.B. sind meiner Erfahrung nach eher bei den evangelikalen zu finden) bis hin zu Ansichtn über Menschenrechte, besonders in Bezug auf Kommunisten, Schwule, Ehebrecherinnen usw. … Auch deuten die Evangelikalen, die ich kenne, das Geschehn in ihrem Umfeld viel stärker auf “Das war Gott” und “Das war Satan”, “Das ist Sünde”, so das insgesamt ein sehr starres Weltbild entsteht, welches nicht offen für andere Ansichten und Meinungen ist.
Sicher gibt es solche Extremen Leute auch bei den Evangelischen, aber insgesamt habe ich die als wesentich objektiver und aufgeklärter erlebt.
Das schließt auch ein, dass man anerkennt, dass die heutigen Übersetzungen alter Texte nicht Wort für Wort stimmen müssen
Quote:Noch mal was ganz anderes: Gibt es einen Unterschied zwischen evangelikal und evagelikalisch‘? Outquote
Jep — evangelikal bezeichnet im Volksmund die oftmals radikal-christlichen Strömungen aus den USA. Zu den Evangelikalen zählen u.a. die “Sieben-Tage-Adventisten” und andere religiöse Gruppierungen.
Mit “evangelisch” im Sinne von “Martin Luther” haben diese Gruppen meist nichts oder nur wenig gemeinsam.
@Evanesca Feuerblut: Gut gemeint, aber es ging gar nicht um “evangelisch”, sondern um “evangelikalisch”.
Trotzdem vielen Dank!
“evangelikalisch” gibt es überhaupt nicht, das hat Anatol Stefanowitsch erfunden. Entweder “evangelisch” — im wesentlichen ein Synonym für protestantisch eher lutherischer Prägung — oder “evangelikal” — der Wikipedia-Artikel dazu ist gar nicht übel, wenn auch sehr ausführlich. Es ist halt nicht alles so einfach im Land der Frommen, wie sich das die mediale Öffentlichkeit gerne vorstellt.
@smal grameere: Das ist so nicht ganz richtig. Auf rein quantitativer Basis ist evangelikal deutlich häufiger, als evangelikalisch (Cosmas II: etwa 2,800 zu 1, bei einer sehr oberflächlichen Suche. Wobei das Auftreten ungewöhnlich schief verteilt ist: etwa 90% der Treffer für evangelikal finden sich im Cosmas II in Wikipedia-Artikeln und ‑Diskussionen [Korrektur: es sind sogar 98%, SF]; wasimmer das jetzt heißen mag, lassen wir mal offen).
Vorsicht ist deshalb, aber auch grundsätzlich, bei der Beurteilung ‚erfunden‘ geboten. Denn evangelikalisch kann man auch als Ergebnis eines normalen Wortbildungsmusters interpretieren, bei dem vom Adjektiv evangelikal ein weiteres Adjektiv evangelikal+isch abgeleitet wird, wobei das X-isch etwa die Bedeutung ‚Eigenschaften von X zeigend, ohne unbedingt X im engeren Sinne zu sein‘ haben könnte. Wenn sich evangelikal bereits so lexikalisiert auf eine recht gut eingrenzbare Gruppe anwenden lässt, die gewisse Eigenschaften in sich vereinen, dann könnte man mit evanglikalisch z.B. jene Gruppen charakterisieren, die sich nicht notwendigerweise Evangelikalen im engeren Sinne oder in all ihren Facetten zurechnen lassen (wollen), die aber in der Wahrnehmung der Sprecherin entscheidende Eigenschaften evangelikaler Gruppen aufweisen. (Das wäre eine mögliche Analyse, aber sicherlich nicht die einzige. Dazu wäre eine detailliertere kontextbasierte Recherche zum Muster notwendig, ob man -isch bei noch nicht lexikalisierten Ableitungen also generell in dieser Bedeutung wahrnimmt bzw. wahrnehmen könnte.)
Ob Anatol das im Sinn hatte, müsste er uns selbst sagen — aber frei erfunden hat er es nicht.
Aber wenn ein Wort so verwendet wird, als bezeichne es eine bestimmte Gruppe von Menschen, es aber bislang keine als solche bezeichnet, dann mag es ein nach den Regeln der Sprache gebildetes Wort sein, zeigt aber, das die Person, die es benutzt, von den Gruppen, über die sie schreibt, wenig Ahnung hat.
Anatol würde vermutlich auch schmunzeln, wenn er als “Sprachenwissenschaftler” bezeichnet würde, und diejenige, die sein Berufsbild so nennt, erst mal nicht sehr ernst nehmen.
Evangelikalisch ist eine übliche Variante von evangelikal. Die Form evangelikalisch mag die seltenere sein, sie findet sich aber in allen sprachlichen Registern, einschließlich bildungssprachlicher, und sie findet sich sogar in Fachtexten über fundamentale Christen in den USA. Im Übrigen muss man meine Blogbeiträge schon sehr unaufmerksam bis überhaupt nicht gelesen haben, um zu glauben, dass ich einer präskriptiven Diskussion meines (oder irgendjemandes) Sprachgebrauchs viel abgewinnen könne.
Anatol, genderst du mit Absicht nur manchmal (Linguist/innen, Sprachwissenschaftler/innen vs. Hobbylinguisten, evangelikalische Christen)? Wenn ja, mit welcher?
Ich verwende Doppelformen in generischen Zusammenhängen – im Fall von Linguist/innen, Sprachwissenschaftler/innen sind alle Vertreter/innen dieser Disziplin gemeint. In spezifischen Zusammenhängen verwende ich dagegen die jeweils angemessene Form — Hobbylinguisten und evangelikalische Christen bezieht sich auf spezifische Personen — Wieland und Duursma (und ein paar andere) — die alle Männer sind. Manchmal rutscht mit aber auch ein generisches Maskulinum durch, denn auch ich bin natürlich nicht immun gegen strukturellen Sexismus.
Evangelikalisch ist eine übliche Variante von evangelikal.
Nein, ist es nicht. Bitte her mit den “Fach“artikeln, bei denen die Verwendung des Wortes keinen Übersetzungsfehler darstellt.
http://www.dwds.de/?qu=evangelikalisch&submit_button=Suche&view=1
Oder mal die Google-Suche bemühen, die korrigiert das Wort gleich.
Es ist doch wohl nicht eine Frage der Präskriptivität, wenn ich mir wünsche, dass Fachbegriffe richtig verwendet werden. Sie sind doch an einer Universität, fragen Sie doch eine Theologin.
@smal grameere:
Ich selbst kenne auch nur evangelikal und würde das auch bevorzugen, aber die Frage nach soliden Quellen weckt meinen Rechercheehrgeiz …
Bei GoogleBooks tauchen zwar insgesamt wenige Treffer (62) auf, aber Treffer aus nicht übersetzen Werken scheinen mir z.B. dieser, dieser und dieser zu sein (habe nur die ersten 5 Treffer durchgeschaut). Natürlich wird in allen Fällen Bezug auf die USA genommen, aber ohne Bezug auf die USA hätten wir ja weder die formal mit dem Englischen fast identische Form evangelikal noch das hier so heiß umkämpfte evangelikalisch.
Erweiterungen von Lehnadjektiven auf -al gab es übrigens schon immer, nicht alle haben sich gehalten (sakramentalisch, spezialisch).
Ich zitiere hierzu aus Fleischer/Barz (“Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache”, 3. Aufl., S. 260):
“Als adjektivische Basis sind (…) Fremdwörter anzusehen, neben denen eindeutschende ‑isch-Derivate existieren: antik-isch, autark-isch, hybrid-isch, perfekt-iv-isch. In älterer Zeit waren die ‑isch-Derivate offenbar weiter verbreitet (kollegial — kollegialisch noch “gleich üblich” nach PAUL 1920 §67).”
Dass DWDS nicht für alles Einträge besitzt, ist übrigens nicht weiter verwunderlich.
@ Kristin, du machst dir zu viel Mühe mit jemandem, die kein Interesse an Fakten hat. Fachbegriffe, Theologen fragen, ich denke, das spricht für sich.
@Kristin, es geht doch gar nicht darum, ob das Wort so gebildet werden könnte. Könnte es natürlich, aber niemand, der sich in irgendeiner kenntnisreichen Art mit den verschiedenen Strömungen auseinandersetzt, würde das Wort verwenden — und zwar nicht, weil es der Grammatik oder Wortbildung, nicht einmal der Political Correctness, zuwiderläuft. Sondern, ganz einfach, weil es so nicht verwendet wird. Wer Veganer doof findet, wird trotzdem nicht sagen, dass sie “veganische” Kost doof finden. Täte sie oder er das, läge der Verdacht nahe, dass es aufgrund von Ignoranz geschieht.
@Herr Stefanowitsch, Sie sollten Ihre eigenen Vorurteile mal gründlich überprüfen. Es ist wirklich außerordentlich ärgerlich, wie Sie mit Kritik an unpräziser Sprachverwendung Ihrerseits umgehen — ich habe Sie nach Belegen für Ihre Behauptungen gefragt, und anstatt entweder welche zu liefern, oder halt zuzugeben, dass Sie es nicht genau wissen, diffamieren Sie mich als eine, die an Fakten nicht interessiert sind.
Sie vermuten in mir, so scheint Ihr letzter Absatz zu suggerieren, eine religiöse Spinnerin, die selbst daran glaubt, dass die Erde in sechs Tagen erschaffen wurde, und diffamieren mich gegenüber anderen Postern ebenso. Woher wollen Sie denn das wissen?
Es steht Ihnen ja frei, bestimmte gesellschaftliche Gruppen blöd zu finden oder gar mit Verachtung zu strafen, auch wenn das wie ein Ventil für die sonst so akribisch geübte politische Korrektheit wirkt. Aber bitte, bitte, nennen Sie diese Gruppen doch wenigstens mal beim richtigen Namen und verschwenden Sie vielleicht mal ein paar Minuten auf die Lektüre eines Lexikonartikels, um nicht gar so unbedarft über eine große Anzahl Menschen, die keineswegs alle einheitlich denken, zu reden.
@Anatol: Najaaa, so dramatisch finde ich smal grameeres Einwände zur Sprachverwendung hier nicht. (Und ich selbst finde Nachdenken über Adjektive ja immer spannend, von daher war’s für mich auch persönlich gewinnbringend.)
Aber ja, an diesem Punkt scheint nichts Neues mehr hinzuzukommen.
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