Vor zwei Wochen sorgte ein Artikel im Forschungsmagazin APOLLON der Universität Oslo für kollektives Aufhorchen innerhalb der Sprachwissenschaft. Der norwegische Linguist Jan Terje Faarlund von der Universität Oslo und sein amerikanischer Kollege Joseph Emonds von der Palacký-Universität in Olomouc (Tschechien) behaupten, dass Englisch aufgrund der „fundamental“ ähnlichen Struktur von Englisch und Norwegisch eigentlich eine skandinavische Sprache sei. Damit stellen sie die bisherige Klassifizierung des Englischen als westgermanische Sprache mit Friesisch und Niederländisch als engste „Verwandte“ in Frage.
Potzblitz, das verhallte natürlich nicht unkommentiert. Die amerikanische Linguistin und Expertin für Sprachkontakt, Sally Thomason, stellte letzte Woche im Language Log unter English or Engelsk? dementsprechend treffend fest: „Außergewöhnliche Behauptungen verlangen außergewöhnliche Evidenz“. Wird die uns präsentiert? Ums vorweg zu nehmen: Nein. Und es ist schon reichlich ungewöhnlich, so etwas Grundlegendes in die Welt zu posaunen, ohne gleichzeitig mit einer ausführlichen Studie und einem ganzen Sack voller wirklich guter Belege z.B. in Form einer begutachteten Publikation aufzuwarten.
Der Artikel beginnt mit der etwas banalen Feststellung (wer mag: mit einer Suggestivfrage), dass bzw. warum es für NorwegerInnen sehr leicht sei, Englisch zu lernen. Dass NorwegerInnen gegenüber vielen anderen EuropäerInnen besser Englisch sprechen, ist sicherlich richtig, muss aber nicht notwendigerweise an strukturellen, also sprachinternen Faktoren liegen. Im Gegenteil: diese Beobachtung kann mindestens genauso plausibel mit bzw. auf keinen Fall losgelöst von sprachexternen Umständen erklärt werden. Norwegen ist ein Land mit einer vergleichsweise kleinen Sprachgemeinschaft, für welche eine ausgeprägte Mehrsprachigkeit zur Kommunikation bei enger Nachbarschaft oder im Handel schlicht eine Notwendigkeit ist. So wundert es wenig, dass das Niveau des Englischen (oder der jeweiligen Lingua Franca einer Region) meist umso höher ist, je kleiner die Sprachgemeinschaft ist. Woher das gerade in skandinavischen Ländern kommt, wird oft auch darauf zurückgeführt, dass Kinder und Jugendliche dort durch Film, Funk und Fernsehen bereits sehr früh mit Englisch aufwachsen (gilt in Abstrichen auch z.B. für die Niederlande); zusätzlich ist in einem reichen Land auch die Schulbildung dementsprechend umfang(erfolg)reich, auch bei anderen Sprachen. Aber darum soll’s nicht gehen.
Das Leichtlernargument könnte noch als gewollt laienverständlicher Einstieg in eine komplexe Fachfrage durchgehen. Und trivialerweise lässt sich vorab noch feststellen, dass sich alle germanischen Sprachen strukturell ohnehin sehr ähnlich sind — was kein Wunder ist, da sie (mutmaßlich) auf eine urgermanische Sprache zurückgehen. Problematischer ist die Behauptung aber auf den Analyseebenen, wo halbgare lexikalische, morphologische und syntaktische Argumente ins Feld geführt werden.
Der Reihe nach. Die beiden Forscher werden wie folgt zitiert:
We can show that wherever English differs syntactically from the other Western Germanic languages — German, Dutch, Frisian — it has the same structure as the Scandinavian languages. … The only reasonable explanation then is that English is in fact a Scandinavian language, and a continuation of the Norwegian-Danish language which was used in England during the Middle Ages.
[Wir können zeigen, dass Englisch dort die gleiche Struktur wie die skandinavischen Sprachen aufweist, wo Englisch syntaktisch von den anderen westgermanischen Sprachen — Deutsch, Niederländisch und Friesisch — abweicht. … Die einzige vernünftige Erklärung ist deshalb, dass Englisch tatsächlich eine skandinavische Sprache ist und eine Weiterführung der norwegisch-dänischen Sprache ist, die in England während des Mittelalters gesprochen wurde.]
Die … im Zitat oben stehen etwas sehr verkürzt für eine Reihe wenig überzeugender Beispiele. Lehnwörter? Naja. Diese sind das erste, was im Sprachkontakt geborgt wird und deshalb eher unspektakulär. Personalpronomen? Ja, es ist richtig, dass they, their und them auf das Altnordischen zurückgeführt werden können und somit als entlehntes grammatisches Material auf einen sehr viel intensiveren Sprachkontakt hindeuten, als man durch leaken und Shitstorm je befürchten müsste. Aber Pronomen wie I, you, he, it, we, mine, his, oder her sowie die gesamte Palette an Demonstrativa kommen recht zweifelsfrei aus dem Altenglischen, auch wenn sie nordgermanische Kognate haben (sowas wie lexikalische Cousins und Cousinen). Morphosyntaktische Strukturen? Im Deutschen und Niederländischen kommt das Verb am Ende des Satzes (Ich habe Altenglisch nie richtig gelernt), im Englischen und Norwegischen hingegen nicht (mehr). Naja gut, aber ob das so zwingend ist? Im Irischen Englisch beispielsweise hat sich das sogenannte Medial-Object-Perfect (I have the dinner eaten) aus früheren Sprachstufen des Englischen gehalten.
Aber worum geht’s im Kern genau? Die englische Sprache, so Faarlund, ging nicht aus Altenglisch hervor (das „starb einfach aus“), sondern ist eine direkte Nachfolgerin des Altnordischen unter „starkem Einfluss des Altenglischen“. Es geht also um die hypothetische Bewegung im folgenden Stammbaum:
[NB: Not drawn to chronological scale.]
Die direkte Verbindung zwischen Alt- und Mittelenglisch wird also abgeschwächt bzw. gänzlich wegargumentiert, Englisch wandert in der Abstammung zu Altnordisch, der Sprache der skandinavischen Siedler in Großbritannien im 9. und 10. Jahrhundert. Das ist erstens laaaaange her und zweitens reden wir so nebenbei von ein paar Jahrzehnten lokal begrenzter skandinavischer Herrschaft, nicht von Jahrhunderten.
Stammbäume wie diese sind zwar nicht unproblematisch, aber eigentlich weniger, weil die Klassifikationen in Kern hochumstritten wären, sondern weil sie direkte und „eindimensionale“ Verwandtschaftsbeziehungen (lineages) suggerieren, die aufgrund von Migrationsbewegungen und dem resultierenden Sprachkontakt nicht haltbar sind: der zweifellos massive morphologische Einfluss des Französischen aufs Englische ist bei der Kategorisierung in Germanisch bzw. Romanisch gar nicht abgedeckt (romanische Wortbildungsaffixe wie z.B. de-, re-, mal-, non-, -ment, -ion, -ify, -ity). Aber zur groben Einteilung sind diese Bäumchen weitgehend anerkannt — wären sie es nicht, wäre die Behauptung nicht so außergewöhnlich und dann hörte man jetzt nicht so ein Gegrummel innerhalb der Disziplin.
Denn: Wie kann es sein, dass niemandem aufgefallen ist, dass Englisch in diesem Baum auf der falschen Stelle steht? Jahrhundertelang? Englisch ist schriftsprachlich eine der am besten belegte und sicherlich am ausführlichsten beschriebene Sprache. Natürlich wurde uns die Klassifikation nicht auf Steinplatten gereicht — ist aber eben auch nicht das Ergebnis einer Institutsweihnachtsfeier. Hier sei deshalb noch auf den exzellenten deutschsprachigen Einwurf auf swanrad.ch verwiesen. Auch dort gibt’s Entwarnung: „an der These ist nichts dran“.
Nun ist Englisch vom Altenglischen bis heute vergleichsweise gut dokumentiert — bis auf eine Periode im frühen Mittelenglischen. Denn die der Schriftsprache mächtigen neuen Angehörigen von Administration und Klerus sprachen, nunja, kein Englisch (sondern Französisch, schriftlich war auch Latein eine Option). Wir wissen also nicht unbedingt, was genau am linguistischen Übergang nach 1066 sprachlich so genau alles los war, weil die Dokumentationslage dünn ist; die Einteilung in Alt- zu Mittelenglisch hat deshalb eher gut begründete historisch-kulturelle Gründe (wie vieles im indo-europäischen Sprachstammbaum). Was wir aber beispielsweise wissen, ist, dass späte Texte des Altenglischen und frühe Texte des Mittelenglischen nicht aus denselben Regionen stammen und schon im Altenglischen von starker dialektaler Variation geprägt waren, also auf dieser Ebene methodisch nicht direkt vergleichbar sind (zumindest nicht, wenn man es quasi als Ausschlussbeleg innerhalb eines DNA-Tests heranziehen will). Kein Wunder also, dass die Unterschiede markant sind, was Faarlund aber zu der falschen Annahme verleitet, Altenglisch sei eigentlich ausgestorben und quasi durch Altnordisch „ersetzt“.
Die Unterschiede zwischen Alt- und Mittelenglisch sind, so denn man das so sagen kann und will, aus einem anderen Grund gravierend. Der massive Sprachkontakt zwischen Altenglisch, (normannischem) Französisch und altnordischen Resten (weil sich die Phasen ja auch zeitlich nicht 1:1 überschnitten haben) hat zu einem intensiven Multilingualismus sowie zu massiven Anpassungsmechanismen geführt. Es ist richtig, dass Alt- und Mittelenglisch sich sehr unterscheiden — z.B. wurde fast das komplette Kasus- und Flexionssystem abgebaut. In der unmittelbaren Folge bzw. in Kombination dazu reduzierten sich Wortstellungsoptionen; etwas, was Deutsch nach wie vor mit am deutlichsten vom Englischen unterscheidet. Der Kasusabbau ist aber eine kross-linguistisch robuste Tendenz in vielen Sprachen, ganz besonders — aber nicht nur — in intensiven Sprachkontaktsituationen (Motto: „Verzichte auf das, was der Verständigung in multilingualen Situationen nicht förderlich ist und drücke es anders aus“, z.B. durch Fixierung der Wortstellung). Nichtzuletzt haben auch die skandinavischen Sprachen vom Altnordischen bis in ihre modernen Ableger Norwegisch, Dänisch und Schwedisch ihre Kasus weitgehend verloren. Die enge Verwandtschaft zwischen Deutsch und Niederländisch bezweifelt niemand, weil sich beide Sprache im Fortschrittsstatus beim Kasusabbau von einander abweichen.
Das Problem mit Faarlunds These ist, so stellen Thomason und swanrad.ch fest, dass er weder parallele Entwicklungen, noch vergleichbare, aber voneinander unabhängige Innovationen in strukturell sehr ähnlichen Sprachen in Betracht zieht. (Das können Sie in den jeweiligen Artikeln sehr gut nachlesen.) Und wer vom „Aussterben“ des Altenglischen spricht, lässt nicht gerade die Option zu, dass es sich um eine Art — vereinfacht gesagt — zeitlich und sprachlich vielschichtige Zusammenführung handeln könnte (eher sowas wie „ganz oder gar nicht“). Also mit anderen Worten: Was Faarlund und Kollege hier annehmen, ist ein sprunghafter, sprachintern nicht erklärbarer Sprachwandel bzw. ‑wechsel. Aber auch wenn der Wandel im Englischen ungewöhnlich flott erfolgte, war er trotzdem graduell, motiviert und nicht unerklärbar — und von einem Sprachwechsel zu sprechen ist in der Tat gewagt.
Was in Faarlunds Argumentation zusätzlich keine Beachtung findet, ist erstens die Möglichkeit, dass sich sprachliche Strukturen im Sprachkontakt selbst herausbilden können („kontaktinduzierter Wandel“ [Heine & Kuteva 2005]), sei es auf der Grundlage von Elementen in einer oder mehrerer Gebersprachen oder als tatsächliche Innovation. Dazu gehört beispielsweise das oben genannte Medial-Object Perfect im Irischen Englisch: die Konstruktion könnte auf semantisch-funktionale Äquivalente in beiden Modellsprachen Irisch und Englisch aufbauend eine innovative Entwicklung innerhalb der Kontaktsituation sein (Pietsch 2009).
Faarlund zieht zweitens nicht in Betracht, was nicht im Englischen zu finden ist, worin nordgermanische Sprachen sich aber von westgermanischen unterscheiden. Um aufgrund meiner eingeschränkten Kenntnisse skandinavischer Sprachen nur ein Beispiel zu nennen: suffigierte Definitheitsmarker (dagen, ‚der Tag’) gab es bereits im Altnordischen, sogar distinkt von Artikeln (Faarlund 2004). (Alt-)SkandinavistInnen unter unseren LeserInnen haben da sicherlich noch mehr auf Lager.
Die Feststellung, dass „wannimmer“ (wherever) Englisch von Deutsch und Niederländisch abweicht, im Norwegischen aber Entsprechungen hat, lässt sich auch dann aufrecht erhalten, wenn beispielsweise 9 von 10 Eigenschaften auf westgermanischen Ursprung zurückzuführen wären und eine auf den norwegisch-dänischen. Soll heißen: Das ist eine Argumentation, die beinahe volksetymologische Züge aufweist, erst recht, weil dieser Herleitung auch noch jegliche sprachinterne und ‑externe Systematik fehlt.
Die Behauptung muss nicht per se falsch sein — aber die vorgelegten Belege sind zu schwach, empirisch und/oder numerisch nicht ausreichend untermauert und in der Relation zu den sonstigen sprachlichen und kulturellen Überschneidungen innerhalb der westgermanischen Sprachen zu klein und zu unsystematisch. Vor allem aber kann man sie plausibel mit herkömmlichem Sprachwandel und Sprachdivergenz in der Zwischenzeit erklären — was natürlich den bestens dokumentierten und untersuchten, aber eben gesamtsprachlich gesehen geringen Einfluss des Altnordischen auf die Englische Sprache nicht ausschließt.
Ergo: Wickie kam, sah und siegte (natürlich) — aber nicht sprachlich.
Literatur
Faarlund, Jan Terje. 2004. The Syntax of Old Norse. Oxford.
Heine, Bernd & Tania Kuteva. 2005. Language Contact and Grammatical Change. Cambridge.
Heine, Bernd & Tania Kuteva. 2008. Constraints on Contact-Induced Linguistic Change. Journal of language contact THEMA 2: 57–90.
Pietsch, Lukas. 2009. Hiberno-Englisch medial-object perfects reconsidered: A case of contact-induced grammaticalization. Studies in Language 33: 528–568.
“Um aufgrund meiner eingeschränkten Kenntnisse skandinavischer Sprachen nur ein Beispiel zu nennen: suffigierte Definitheitsmarker (dagen, ‚der Tag’) gab es bereits im Altnordischen, sogar distinkt von Artikeln (Faarlund 2004). (Alt-)SkandinavistInnen unter unseren LeserInnen haben da sicherlich noch mehr auf Lager.”
Da fällt mir als weiteres Beispiel spontan die Adjektivdeklination ein: im Englischen werden Adjektive ja gar nicht (mehr) dekliniert, im Deutschen nur noch attributiv und auch nur noch vor dem Nomen (vgl. “Hänschen klein” usw.). Im Schwedischen und Norwegischen dagegen sowohl prädikativ als auch attributiv (gibt’s im Norwegischen nachgestellte Adjeiktivattribute?). Ist jetzt das Deutsche mit dem Norwegischen direkter verwandt als mit dem Englischen? Ich bin verwirrt! 😉
@Martin: Ja, richtig, ich erinnere mich an eine entsprechende Diskussion im Schwedischkurs bei den Adjektiven. Danke!
„Selten so einen Schwachsinn gelesen“, möchte ich angesichts der Faarlund-Emonds-These fast sagen, wenn mich nicht meine kollegiale Loyalität und die Tatsache daran hindern würden, dass ähnliche Ideen ja immer wieder mal von Leuten geäußert werden, die es eigentlich besser wissen müssten.
So zum Beispiel Bailey und Maroldt (1977), die behaupten, Mittelenglisch sei eigentlich ein Kreol mit einem altfranzösischen Superstratum und einem altenglischen Substratum.
Oder Warner (1982), der dasselbe Szenario mit einem lateinsichen Superstratum annimt.
Oder, im vorliegenden Kontext besonders relevant, Poussa (1982), die Mittelenglisch für ein skandinavisches Kreol hält.
Diese Hypothesen erweisen sich bei näherem Hinsehen natürlich alle als falsch, und alle, die sich mit der Geschichte der englischen Sprache beschäftigt haben, hätten das den jeweiligen Autor/innen auch vorher sagen können. Es besteht eine gut dokumentierte Kontinuität zwischen dem Altenglischen und dem Mittelenglischen — der scheinbare Bruch, den solche Hypothesen erklären sollen, existiert nicht, und das, was an Veränderungen stattgefunden hat, ist plausibel und problemlos als sprachinterner Wandel beschreibbar.
Im Prinzip steckt hinter all diesen Hypothesen immer nur der irrationale Glaube, dass eine Sprache sich in fünfhundert Jahren unmöglich so stark verändern könne, wie es zwischen dem Alt- und dem Mittelenglischen der Fall war. Dabei wird, wie Susanne ja schon schreibt, zusätzlich übersehen, dass es sich beim Alt- und Mittelenglischen nicht nur um zwei Sprachstufen, sondern auch um zwei unterschiedliche regionale Dialekte handelt.
Die Kreolisierungshypothesen haben aber immerhin einen klaren Vorteil gegenüber der reichlich naiven Faarlund-Emonds-Hypothese: Sie nehmen die Art von Sprachvermischung ernst, die bei einem intensiven Sprachkontakt wie dem zwischen Englisch und Dänisch im Danelaw oder Englisch und Französisch während der normannischen Besatzung entstehen kann.
Dass keine „klassische“ Kreolisierung stattgefunden hat, ist inzwischen klar (wie gesagt, die sprachgeschichtliche Kontinuität ist viel zu groß), aber die deutlichen Spuren, die der intensive Sprachkontakt im Englischen hinterlassen hat, ähneln wenigstens prinzipiell dem, was bei einer Superstratum-Substratum-Situation geschieht.
Ein gewisser Grad an Sprachvermischung erklärt auch, warum das Englische ein paar Ähnlichkeiten mit den skandinavischen, aber eben auch viele mit den westgermanischen Sprachen hat. Die Faarlund-Emonds-Hypothese erklärt das nicht: sie beruht ja auf der Behauptung, dass Grammatik nicht entlehnt werden könne, und dass der skandinavische Einfluss deshalb nur durch direkte Abstammung vom Skandinavischen zu erklären sei. Nur: Wenn Grammatik nicht entlehnt werden kann, wie kommen dann die westgermanischen Eigenschaften in das vom Altnordischen abstammende Englisch (auf diesen Widerspruch hat auch Sally Thomason im Language Log hingewiesen).
Es bleibt also nur ein Kopfschütteln und die Frage, ob Faarlund und Emonds überhaupt keine Ahnung von der umfangreichen Literatur zum Sprachkontakt allgemein und zum englisch-skandinavischen Sprachkontakt im Besonderen haben. Ich weiß ja, dass Pressestellen von Universitäten sich über Aufsätze mit spektakulären Behauptungen freuen, aber den Gefallen sollten wir Wissenschaftler/innen ihnen nicht tun, wenn wir ernstgenommen werden wollen.
Literatur
– Bailey, Charles J und Karl Maroldt (1977) The French lineage of English. In Jürgen Meisel (Hg.), Langues en contact – Pidgins – Creoles. Tübingen: Narr, 21–53.
– Poussa, Patricia (1982) The evolution of early standard English: the creolization hypothesis. Studia Anglica Posnaniensia 14: 69–85.
– Warner, Anthony (1982) Complementation in Middle English and the Methodology of Historical Syntax: A Study of the Wyclifite Sermons. London: Croom Helm.
Danke für den sehr ausführlichen Artikel und die Kommentare dazu.
Ich habe das sogleich mit meinen Komilitonen geteilt, mit denen ich englische Syntax belege, da es in der heutigen Sitzung unter anderem um (grammatische) Änderungen im Laufe der Zeiten gehen soll.
Außerdem las ich erst gestern abend in einem englischen Geschichtsbuch sehr viel über die Zeit, auf die hier angesprochen wird und belegte letztes Semester einen Kurs in Altenglisch.
Klar hat das Altenglische viele Gemeinsamkeiten mit skandinavischen Sprachen — aber sogar eine Lehramtsstudentin wie ich erkennt, wie weit hergeholt Faarlunds These ist.
Die Finnen, die sich eher nicht als Skandinavier sehen, können recht gut Englisch. Zumindest die, die ich bisher im universitären Umfeld kennen gelernt habe. Muss wohl daran liegen, dass sich Finnisch und Englisch doch recht… ähnlich sind? Erm. Irgendwas kommt mir komisch vor. 🙂
Ja, mir auch.
Wobei ich einen Punkt gar nicht erwähnt habe, den du anschneidest: Wenn “Angehörige der und der Gesellschaft” besonders gut Englisch sprechen, dann beziehen wir das meist auf Erfahrungen und Begegnungen mit tendenziell sehr gebildeten und/oder weltoffenen Menschen (Reise, Uni, etc.). So gesehen können auch sehr viele Deutsche sehr, sehr gut Englisch. Also je nach dem, wo man so Urlaub zu machen pflegt.
Ich hatte dazu bereits den völlig überspitzten Artikel in der Aftenposten (größte norwegische Zeitung) gelesen. Amüsant finde ich es schon. In Deutschland wird auf “allen” Kanälen über Sprachverfall und Anglizismen gejammert, in Norwegen kategorisiert man einfach die englische Sprache um… 😉
@Fenja: Hast du zu dem Aftenposten-Artikel einen Link? Ich meine, irgendwo in der Kette auch eine Kritik an Anglizismen im Norwegischen ausgemacht zu haben, dass dort auch Menschen über zu viele derselben jammern.
Obwohl ein faszinierender Gedanke, ist der Haken an deiner ‚vermuteten‘ Motivation für Umkategorisierung leider, dass es in der deutschen Debatte ja auch nicht hilft, dass Englisch natürlich eine westgermanische Sprache ist (siehe hier).
Nur ein Detail:
— wannimmer“ (whenever)
— woimmer“ (wherever)
wird doch (mit Leerzeichen) auch im Deutschen verwendet. Mag sein, dass dies eine der bösen Lehnübersetzungen ist — aber sind wir Indoeuropäer nicht sprachlich alle mehr oder weniger verwandt? Who cares?
Es ist im Zweifel eine Übergeneralisierung meinerseits — ich stamme aus einem „wo“-Dialektraum und habe traumatische Erfahrungen außerhalb desselben gemacht. „Woimmer“ kenne ich nicht 🙂 (Deshalb wäre es auch die Frage, ob die wirklich 1:1‑Entsprechungen sind. Was vermutlich berechtigt ist, ist die Kritik an der Zusammenschreibung, aber das wäre wohl eine Lehnorthografie, nehme ich an.)
@Suz: Fenjas Artikel könnte dieser gewesen sein. Scheint eine norwegische Fassung des Apollon-Textes zu sein, die Autorin ist identisch.
Da ich nicht alle hier erwähnten Artikel und alle Diskussionsbeiträge gelesen habe (und dazu jetzt leider auch nicht genug Zeit habe), bin ich mir nicht sicher, ob hier nur der Artikel im Magazin APOLLON analysiert wird, oder ob man sich auch mit einem längeren Text von Faarlung und/oder Emonds auseinandersetzt.
Ohne die Hypothese unterstützen oder bestreiten zu wollen möchte ich auf einen früheren Artikel von Emonds aufmerksam machen, der zu der Debatte wohl mehr Material bietet als die skizzenhafte Darstellung in APOLLON:
Emonds, J. 2011. “English as a North Germanic Language: From the Norman Conquest to the Present” in Theories and Practice: Proceedings of the Second International Conference on English and American Studies, Seiten 13–26. http://conference.uaa.utb.cz/TheoriesAndPractice2010.pdf.
@Jakub: Vielen Dank für den Link! Und nein, der Blogbeitrag befasst sich in der Tat (leider) nur mit dem Artikel in den Zeitungen und Forschungsmagazinen. Die Publikation, die Sie verlinken, ist aber — abgesehen von ein, zwei ganz kurz behandelten ‚spezielleren‘ Phänomenen — im Prinzip nur eine detailliertere Fassung des Artikels bzw. der Argumente in APOLLON. Soll heißen: Die Forderung „außergewöhnliche Behauptungen erfordern außergewöhnliche Belege“ ist erneut nicht erfüllt. Die größte Schwäche ist und bleibt die ausgeprägte Ignoranz gegenüber der gesamten Literatur der Sprachwandel- und Sprachkontaktforschung (s. Link zu Sally Thomasons Artikel). Und die Argumentationsführung ist alles andere als in sich stimmig und überzeugend.