Wenn wir die erste über den Short Messaging Service verschickte Kurznachricht als Geburtsstunde der Technologie ansehen, wird die SMS heute 20 Jahre alt: Wie jede Zeitung und jeder Radio- und Fernsehsender berichtet, schickte der Programmierer Neil Papworth seinem Kollegen Richard Jarvis am 3. Dezember 1992 die erste SMS. Die Technologie, die hinter der SMS steckt, ist allerdings älter, ihre Entwicklung begann 1984. Und erst im Jahr nach Papworths legendärem Weihnachtsgruß kamen die ersten Kund/innen in den Genuss des Kurznachrichtendienstes. So können wir auch im nächsten Jahr noch einmal den zwanzigsten Geburtstag der SMS feiern, und im Jahr darauf sogar den dreißigsten.
Was hat das alles mit Sprache zu tun? Nun ja, keine andere Kommunikationstechnologie wird so häufig für den Sprachverfall nicht nur, aber gerade auch bei jungen Menschen verantwortlich gemacht, wie die kleine, nur 160 Zeichen lange SMS.
Auch im Sprachlog und seinen Vorgängerblogs hat uns dieses Thema immer wieder beschäftigt, das erste Mal im Mai 2007, als eine Studie des irischen Bildungsministeriums zu dem Schluss kam, dass die SMS eine Gefahr für die „traditionelleren Sprachkonventionen“ zu sein scheine, da ja beim Verfassen von Kurznachrichten wenig Wert auf Rechtschreibung und Satzzeichen gelegt werde. Warum das Telegramm, das in dieser Hinsicht ja noch viel radikaler ist, keine solchen Effekte hatte, blieb ebenso offen wie die Frage, ob die Gefahr denn nun nur scheinbar, oder tatsächlich sei.
Ein Jahr später berichteten wir von einer Studie des Sprachwissenschaftlers David Crystal, in der dieser erstens feststellte, dass die so häufig gescholtenen, angeblich für die SMS so typischen Abkürzungen bestenfalls 10% alles ge-sms-ten Textes ausmache und dass diese Abkürzungen keine Gefahr, sondern im Gegenteil eine kreative Erweiterung unserer sprachlichen Möglichkeiten darstelle. Die Abkürzungen sind im Übrigen auch weder neu, noch besonders SMS-typisch. Schon im 19. Jahrhundert vergnügten sich sprachverspielte Menschen mit solchen Abkürzungen, und natürlich finden sie sich sowohl in Briefen, als auch in Chats, Foren, E‑Mails und anderen Formen der schriftlichen Kommunikation.
Wenn tatsächlich einmal Studien durchgefürt werden, die einen Zusammenhang zwischen grammatikalischen und anderen sprachlichen Fähigkeiten auf der einen Seite und der Verwendung von SMS auf der anderen Seite untersuchen, sind die mit schöner Regelmäßigkeit methodisch zweifelhaft oder frei erfunden, oder sie kommen zum Ergebnis, dass ein solcher Zusammenhang nicht besteht – oder vielleicht sogar, dass Sprecher/innen mit höherer Sprachkompetenz in ihren SMS stärker von der Standardsprache abweichen — was aber weder die Autor/innen dieser Studien, noch die Pressestellen ihrer Universitäten, noch die Qualitätsmedien davon abhält, mit großer Selbstgewissheit einen solchen Zusammenhang zu behaupten.
Und so können wir nach 20 Jahren festhalten, dass die SMS alles mögliche verändert hat – z.B. unser Sozialverhalten oder unsere Telefonrechnungen, aber nicht unsere Sprache. Sicher, sie hat, gemeinsam mit anderen schriftlichen Medien, die jahrhundertealte Tradition der Abkürzungen am Leben erhalten, eine Tradition, die uns erheiternde Wörter wie LOL oder ROFLCOPTER geschenkt hat, aber auch ermutigend-besinnliches wie das Jugendwort 2012, Yolo. Aber diese Abkürzungen sind mit überwältigender Mehrheit auf die sprachlichen Erscheinungsformen beschränkt, in denen sie geschaffen wurden. Und manchmal, wie im Falle des Jugendwortes 2012, sind sie sogar weitgehend auf die Vorstellung beschränkt die sich Sprachwortjuryoffliner von diesen sprachlichen Erscheinungsformen gebildet haben, ohne sie sich je genauer anzusehen.
[Nachtrag: Wenn die Hersteller mobiler Telefone nur etwas mutiger wären, könnten SMS natürlich auch ein Werkzeug zur Erweiterung unseres Wortschatzes sein.]
Der Abkürzungs- und vor allem Akronymfimmel amerikanischer Verwaltungs- und Businesssprache ist ja auch nicht erst mit der SMS aufgekommen. Ich habe den Eindruck, da hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg ein inoffizieller Wettbewerb entwickelt, möglichst kreative Namen für möglichst gut sprechbare und originelle Abkürzungen zu entwickeln — durchaus ein hartes, wenn auch spielerisches, Stück Arbeit.
Ich versuche in meinen SMS immer, mich so weit es geht an die Standardsprache zu halten und die Message in 160 Zeichen zu verpacken. Erst wenn das, was ich schreiben will, den Rahmen sprengt, fange ich an, Kommata wegzulassen oder einige Wörter abzukürzen und zu schauen, ob ich dann mit den nötigen Zeichen hinkomme.
Oft ist aber das Gegenteil der Fall und ich formuliere eher aus, setze noch ein “Hallo” vornedran und ein “LG” ans Ende, weil ich mit 160 Zeichen mehr als auskomme.
Wenn die SMS etwas an meiner persönlichen Art zu kommunzieren geändert hat, dann höchstens, dass ich gelernt habe, mich kurz und präzise auszudrücken, statt großartig drumherumzufloskeln.
“Mama, Bus kommt zu spät, bin noch Milch kaufen” wäre eine SMS mit “nur” 47 Zeichen und klingt mit “Hallo Mama” und “Kuss, deine Tochter” schon viel netter, fast wie ein kleiner Brief…
“Lol”, “HDL” und Co dagegen habe ich erst beim Chatten kennengelernt — da kommt es aus anderen Gründen darauf an, sich kurzzufassen: Schreibt man zu lange Texte drumherum, dann sind die anderen Gesprächsteilnehmer vielleicht schon bei einem ganz anderen Thema und man kommt nicht hinterher oder das, was man sagen will, ist längst irrelevant.
Aber das ist bei “normalen” mündlichen Gesprächen in Echtzeit eigentlich kein bisschen anders!
Schon merkwürdig, dass auf das völlig unsinnige zweite “S” in der Abkürzung “SMS” überhaupt nicht hingewiesen wird.
Ich verschicke ja keinen “Service”, sondern ich nutze einen. Ich verschicke also eine SM! Und nutze den SMS.
Dann habe ich auch kein Problem mit der Pluralbildung und könnte locker sagen/schreiben: “Ich habe 20 SMs verschickt”.
In meiner Handy-Rechnung erscheint korrekt die Rubrik: SM, nicht SMS.
Ja; dieses überflüssige “S” macht mich immer sooo wütend! Obwohl das Ganze damit natürlich besser klingt.
Auf der Rechnung und in der Werbung der Firma die SMS “erfunden” hat taucht SMS dafuer praktisch nicht auf. Da ist fast nur von “texts” oder “text messages” die Rede.
Mal wieder beim Denglisch schlecht abgeguckt 😉
Seit geraumer Zeit unterstützen die meisten Handys auch SMS mit mehr als 160 Buchstaben. Technisch gesehen sind das dann eben mehrere Nachrichten. Dank Flatrate kostet das aber nicht mehr. Wieder ein Argument weniger für den Sprachuntergang durch SMS.
Als Computerlinguist bin ich mit dem unumgänglichen T9 oft unglücklich. Da würde ich gerne selbst programmierend eingreifen können. Bisher ist das allerdings noch kein Argument, viele hundert Euro für ein Smartphone auszugeben, zumal sich die SMS-App womöglich gar nicht austauschen lässt.
Vielleicht schwappen viele Meinungen über die SMS aus Frankreich zu uns herüber. Dort ist das Lesen einer “texto” eine kleine Wissenschaft, über die auch schon ganze Bücher vor 10 Jahren geschrieben worden sind.
Aber die Franzosen halten ja auch mit größerer Vehemenz an einer veralteten Standard-Schreibweise fest, die zusätzlich glauben machen will, man schreibe eigentlich Latein und lasse sich nur widerwillig auf die Aussprache des gemeinen Volkes herab.