Der Langenscheidt Verlag suchte während des Sommerlochs wieder das Jugendwort des Jahres — und will es am Sonntag nach Juryauswahl und Publikumsabstimmung gefunden haben. Yolo, was für you only live once (‚Du lebst nur einmal‘) steht und laut Jury als „Aufforderung, eine Chance zu nutzen“ interpretiert wird. Weitere Nominierungen waren (in abwertender Reihenfolge): FU!, yalla, wulffen und Komasutra.
Irgendwie ist yolo sogar fast pfiffig und sprachwissenschaftlich als Diskursmarker beinahe interessant — zumindest, wenn sich der Anspruch die Gewinnerworte der letzten beiden Jahre, Niveaulimbo (2010) und Swag (2011), von unten ansieht.
Was aber genau die focussierte Jury aus Spießern von Welt dazu bewogen hat, wulffen zu nominieren, das als guttenbergen bereits im letzten Jahr erkennbar schlecht als Unfug getarnt war, wird ihr Geheimnis bleiben. Genau wie übrigens die Nominierungs- und Auswahlprozesse. Zwar kann jede/r Vorschläge einsenden, aber schon das wortkarge 358-seitige Forum auf der Wahl-Seite lässt Zweifel daran aufkommen, woher Kandidaten und Publikumsbarometer genau kommen.
(Zu FU! möchte ich mich zum Beispiel gar nicht äußern (lolrofllol).)
In Ordnung. Die Jury kämpft vermutlich noch mehr als wir beim Anglizismus des Jahres damit, die Aktualität und den tatsächlichen Sprachgebrauch der Kandidaten präzise zu bestimmen und einzugrenzen (ehrlicher Versuch vorausgesetzt). Googles zeitliche Zuverlässigkeit ist derzeit hundsmiserabel — selbst wenn man die Treffer nach dem 20. Juli rausfiltert, an welchem Langenscheidt die Kandidaten bekanntgab, erhält man überwiegend Pressemitteilungen vom Anfang der Woche. Sei’s drum. Aber ob beispielsweise Komasutra so neu ist? Schnell und oberflächlich recherchiert: komasutra.de ist eine seit April 2007 konnektierte Domain mit versteckten Partybildern. Naja, bleiben wir fair: ein kreativer Hamburger macht ja noch kein kamasutrös schiefgelaufenes Besäufnis.
Zumindest bei der Einhaltung des Nominierungskriteriums „Kreativität“ hat man sich möglicherweise Mühe gegeben: zwar ist yolo formal ein stinknormales Akronym (sowas wie Laser). Aber immerhin: sollte yolo tatsächlich im Sinne „eines Lebensgefühls“ verwendet werden, würde ich an dieser Stelle ganz ergriffen nicken wollen. Aber es liegt kaum ein brauchbarer Beleg aus dem deutschsprachigen Raum vor — vielleicht verstecken sie sich auch einfach viel zu gut im leeren Rund einer internetophoben Generation. Doch selbst meine beiden InformantInnen (15 & 18) mochten dieses Wohlwollen mit „ach, diese amerikanische Verarsche pseudointellektueller Hipsterscheiße?“ auch nicht so recht auslösen.
Bei der Beurteilung der Verbreitung im Sprachgebrauch der Zielgruppe begnügt sich die Jury dementsprechend auch dieses Jahr mit Klickzahlen eines Videos eines möglicherweise bekannten Duos (hier: Drake feat. Lil Wayne — it’s in the name, wayne!). Diesen Beleg aber mit einer „nicht mehr wegzudenken[den]“ Verbreitung eines Wortes gleichzusetzen wäre in etwa so, als behaupte man, wir verstünden „Rettungsschirm“ als Ausdruck einer hippen Nonchalance, weil 82 Millionen Mitglieder der Sprachgemeinschaft bei einer bundesregierenden Neujahrsansprache die Fernbedienung nicht rechtzeitig gefunden haben.
Vielleicht hat die Jury aber auch einfach ganz großartigen Humor.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass auch als ich selbst Jugendliche war (also in die Gruppe 15–18 fiel), beim “Jugendwort des Jahres” auch nur ein Wort nominiert wurde, das mir auch nur bekannt wäre.
Ich habe eine 13-jährige Schwester, die ich mal spaßeshalber mit “Yolo” konfrontiert habe. Sie kannte es auch nicht.
Wonach genau also ausgewählt wird, weiß ich nicht… nach tatsächlichem Sprachgebrauch gewiss nicht.
Hm, eigentlich könnte man “Yolo” doch als modernes “Carpe diem!” verstehen, oder?
Schon interessant, dass Horaz 2000 Jahre später wieder modern wird *G*
Ich mache mir gerade den Spass, alle meine Klassen mit der Top15 zu konfrontieren. Meistens kennen die Jugendlichen 5–7, benutzen 1 oder 2 mit auch nur halber Häufigkeit.
Ich würde “YOLO” eher als Unwort des Jahres betiteln, zumindest, wenn man sich auf die ganzen Posts der letzten Wochen und Monate bspw. auf 9gag.com bezieht 😉
Auf “Carpe diem!” hat sich der Spiegel gestern oder vorgestern übrigens auch schon bezogen.
Dem würde ich aber widersprechen, da “yolo” im Grunde nur als Ausrede für völlig bescheuerte und dumme Aktionen dient, bei denen man sich ohne große Mühe den Hals brechen kann …
Ja, ich glaube, das mit dem Sprachgebrauch ist tatsächlich das größte Problem der Jury. Entweder kennt sie ihn nicht oder versteht ihn nicht (vermutlich beides). “Carpe Diem” — das ist die Interpretation der Jury — also der Eindruck ist, dass falls yolo überhaupt benutzt wird, dann maximal als stark satirisch konnotiertes und kontextbezogenes “Carpe Diem”.
@Julian: Passt da mit rein — Darwin lässt grüßen. Und am Unwort wird sich demnächst eine andere Jury versuchen.
geht vielleicht eher in die Richtung “No Risk No Fun”
@hedwig: Dann würde so Jugendsprache auch noch einen Anglizismus verdrängen. Sappalott.
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