Sprachbrocken 33/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Die eigene Sprache ist uns ver­traut, fremde Sprachen sind uns fremd — mit dieser Ein­sicht begin­nt ein Artikel auf WELT ONLINE. Triv­ial, aber doch wenig­stens wahr. Aber eine Sprache gebe es, über­rascht uns die Autorin dann, die sei ganz anders: Wer das Glück habe, sie zu hören, erlebe gle­ichzeit­ig Heimat und Ferne. Es geht um das Friesis­che. Nach einem (gar nicht mal so schlechen) Kurzaus­flug in die Geschichte und geo­graphis­che Verteilung dieser Sprache erfahren wir dann, warum die Sprache so ganz anders sein soll als alle anderen Sprachen: Weil wir (also, wir Deutschen) zwar „nicht unbe­d­ingt jedes Wort ver­ste­hen“ (für mich die Untertrei­bung der Woche) aber doch etwas „Ver­trautes“ her­aushören. Katze z.B. heiße kaat und Schiff skeb. Wom­it klar wäre, dass es mit der Einzi­gar­tigkeit des Friesis­chen nicht weit her ist, denn vage Wortähn­lichkeit­en kön­nen wir (also, wir Deutschen) in allen ger­man­is­chen Sprachen, vom Nord­kap bis in die Alpen und vom Harz bis an die West­küste der Vere­inigten Staat­en find­en. Aber der Artikel stellt sich dann ohne­hin als ein befremdlich umweghafter Geburt­stags­gruß an die aus Fries­land stam­mende Ver­lag­seigner­in Friede Springer her­aus, als ver­traulich­es Fish­ing for Com­pli­ments bei der Chefin, also.

Fis­che sind auch der Fluch der europäis­chen Übersetzer/innen in Brüs­sel, berichtet die West­deutsche Zeitung. Sie alle stöh­nen über deren Namens- und tat­säch­liche Vielfalt. Jed­er Fisch würde in jed­er Sprache durch ein eigenes Wort beze­ich­net, berichtet eine Über­set­zerin, dazu noch dialek­tale Vari­a­tion. Warum das nur bei Fis­chen so sein soll, erfahren wir nicht, aber bei der andauern­den Über­fis­chung der Meere wird sich dieses Prob­lem wohl ohne­hin bald von alleine lösen. Auch die aktuelle deutsche Bun­deskan­z­lerin bere­ite den Übersetzer/innen wenig Prob­leme, erfahren wir weit­er. Während Hel­mut Kohl noch frei gesprochen habe (die Älteren unter uns erin­nern sich über diesen Quell unfrei­williger Komik), sei die Kan­z­lerin eine „nor­male Red­ner­in, keine schwere Auf­gabe.“ Obwohl es doch für alter­na­tiv­los sich­er auch in jed­er Sprache ein eigenes Wort geben dürfte.

Nicht nur fremd, son­dern „bizarr“ klingt für die Badis­che Zeitung das Volapük, die Kun­st­sprache des Kon­stanz­er Pfar­rers Johann Mar­tin Schley­er, dessen ein­hun­dert­sten Todestag wir heute feiern kön­nten — wenn wir es denn täten, doch nicht ein­mal die Geburtsstadt des Kun­st­sprach­lers kann sich zu einem offiziellen Gedenken aufraf­fen. Grund dafür dürfte nicht der ange­blich „bizarre“ Klang der Sprache sein (die auch nicht bizarrer klingt als irgen­deine andere natür­liche oder kün­stliche Sprache), son­dern die Tat­sache, dass das Volapük keine inter­na­tionale Fan­base vor­weisen kann (wie etwa das von mir jüngst gescholtene Esperan­to). Selb­st das Klin­go­nis­che, so die Badis­che Zeitung, habe wohl aktuell mehr Sprech­er — ein Argu­ment, das mir befremdlich ver­traut vorkommt.

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

6 Gedanken zu „Sprachbrocken 33/2012

  1. Dilettant

    OT: Link kaputt
    Der Link “Blog-Start­seite” führt nicht mehr auf die Start­seite des Sprachlogs, son­dern auf die Hom­pepage der Scilogs.

  2. Phaeake

    Harz als Sprachgrenze?
    “in allen ger­man­is­chen Sprachen, vom Nord­kap bis in die Alpen und vom Harz bis an die West­küste der Vere­inigten Staat­en finden.”
    Ist das eine kleine Spitze gegen das Deutsch, das östlich des Harzes gesprochen wird?

  3. Pompeius

    Das Prob­lem bei Fis­chen ist, dass die entsprechen­den Worte (ähn­lich wie andere kleine Tiere und Pflanzen) rel­a­tiv sel­ten und selb­st unter Sprech­ern der Sprache häu­fig nicht promi­nent sind.
    Beispiel: Wir sagen: “Gestern gabs Fisch”, und hal­ten das für einen akzept­ablen Satz. Aber nie­mand sagt: “Gestern gabs Säugetier.”
    D.h. auch wenn die Sprache eine genaue Dif­feren­zierung für allerei Grä­ten­tier bere­i­thält, wird dieses nicht stan­dard­mäßig angewen­det. Pflanzen und kleine Tiere sind Fachvokabular.
    Emo­tionale Reak­tio­nen, wenn ein Text viel solch­es Geti­er enthält, kenne ich daher auch aus dem Kollegenkreis.

  4. Opa Hans

    Allein schon die Über­leitung vom ersten zum zweit­en Absatz macht den Text lesenswert!

  5. Alexander

    Dol­metsch­er!
    Wenn wir es mit den Fak­ten schon genau nehmen wollen, dann nota bene:
    Über­set­zen = schriftlich
    Dol­metschen = mündlich
    Wird immer wieder durcheinan­der gebracht.

  6. Statistiker

    Pell­worm
    Friede Springer kommt von Pell­worm. Und wie jed­er Nord­friese weiß: Von dieser Insel ist noch nie was Gutes runtergekommen.…

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