Vundo pasas, vorto restas

Von Anatol Stefanowitsch

Nor­maler­weise bekomme ich in den Kom­mentaren ja Gegen­wind nur von Sprach­nör­glern mit schwachen Argu­menten und durch­schaubaren Motiv­en. Aber ich mir neulich in den Sprach­brock­en 24–28 einen Seit­en­hieb gegen das „lei­di­ge, nicht tot zu kriegende Esperan­to“ erlaubt habe, haben mich zur Abwech­slung zwei langjährige und sprach­lich höchst kom­pe­tente Leser/innen zurecht­gewiesen: jgoschler, pro­movierte Sprach­wis­senschaft­lerin, und Bertil Wen­ner­gren, der als Pro­gram­mier­er für die Esper­an­tic Stud­ies Foun­da­tion und das Esperan­to-Lern­por­tal lernu.net gear­beit­et hat. Wen­ner­gren warf mir vor, mich über die Sprache „lustig zu machen“, die er „zuhause jeden Tag mit [s]einer Frau spreche“ und jgoschler wies mich darauf hin, dass das Esperan­to nicht weniger wert sei als andere Sprachen und densel­ben Respekt ver­di­ene, und dass es unangemessen sei, sich über Esperan­to-Sprecher/in­nen „lustig zu machen“. Bei­de fan­den, dass ein solch­es Ver­hal­ten ger­ade von mir als Lin­guist befremdlich sei. Grund genug, meine Worte und meine Mei­n­ung zum Esperan­to etwas genauer zu erläutern.

Zunächst ver­wahre ich mich gegen den Vor­wurf, mich über das Esperan­to oder seine Sprecher/innen lustig gemacht zu haben. Die Sprecher/innen habe ich über­haupt nicht erwäh­nt, und in Bezug auf die Sprache habe ich eben die Worte „lei­dig“ und „nicht tot zu kriegen“ ver­wen­det. Ich habe sie dann allerd­ings mit dem Klin­go­nis­chen ver­glichen – ein­er „außerirdis­chen“ Kun­st­sprache, die der Sprach­wis­senschaftler Marc Okrand für die Star-Trek-Filme und ‑Fernsehse­rien erfun­den hat. Das kön­nte man als „sich lustig machen“ auf­fassen, aber nur, wenn man davon aus­ge­ht, dass das Klin­go­nis­che an sich lächer­lich wäre. Das ist aber nicht der Fall: Das Klin­go­nis­che ist kein biss­chen weniger ernst zu nehmen, als das Esperan­to: Es ist eine voll aus­for­mulierte Kun­st­sprache mit einem großen Wortschatz und ein­er kom­plex­en Gram­matik (gegen die das Esperan­to, als bewusst „ein­fach“ kon­stru­ierte Sprache, übri­gens etwas alt aussieht). Zusam­men mit dem Esperan­to ist es eine der nur 20 Kun­st­sprachen, der im ISO-Stan­dard 639 ein eigen­er Code zugewiesen istepo für Esperan­to, tlh für Klin­go­nisch (weit­ere Beispiele sind vol für die „Welthil­f­sprache“ Volapük, qya für die „Elben­sprache“ Quenya aus J.R.R. Tolkiens Herr der Ringe und ldn für die „Frauen­sprache“ Láadan aus Suzette Haden Elgins Native-Tongue-Trilo­gie. Und wie das Esperan­to wird auch das Klin­go­nis­che von ein­er weltweit­en Fange­meinde von Enthusiast/innen geliebt, gepflegt und gesprochen. Wer Esperan­to ern­sthaft für eine poten­zielle Welthil­f­ssprache hält, muss deshalb auch dem Klin­go­nis­chen die Möglichkeit ein­räu­men, einen Anspruch anzumelden.

Und damit sind wir bei mein­er eigentlichen Kri­tik am Esperan­to: Ich habe es im Kon­text der Diskus­sion um eine „Welthil­f­ssprache“ — eigentlich um eine Welt­sprache — als „lei­dig und nicht totzukriegen“ beze­ich­net. Ich meinte damit, dass die Idee „lei­dig und nicht totzukriegen“ ist, das Esperan­to sei in irgen­dein­er Weise beson­ders gut dazu geeignet, die Rolle ein­er solchen Welt­sprache zu übernehmen (tat­säch­lich liegt mir auch am Esperan­to selb­st nicht viel, aber dazu gle­ich noch mehr).

Das Esperan­to – 1887 von dem Sprach­lehrer Lud­wig Zamen­hof erfun­den (der Wikipedia-Artikel bietet Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen) – leit­et seinen Anspruch auf die Rolle ein­er Welt­sprache aus zwei Tat­sachen ab: erstens, dass es ein ein­fach­es Regel­sys­tem ohne Aus­nah­men besitzt, und zweit­ens, das es sich um eine neu­trale Sprache han­dele, die sozusagen keinen poli­tis­chen und kul­turellen Bal­last mit sich bringe. Bei­de Behaup­tun­gen kann man stark infrage stellen, aber mir ging es bei meinem „lei­dig und nicht tot zu kriegen“ um die Tat­sache, dass es ganz offen­sichtlich keinen Bedarf an ein­er solchen Welt­sprache gibt, und dass diese Tat­sache von Esperan­to-Fans seit mit­tler­weile einein­vier­tel Jahrhun­derten geflissentlich ignori­ert wird.

Bei mein­er ständi­gen Suche nach The­men fürs Sprachlog stoße ich fast wöchentlich auf Artikel, in denen das Esperan­to mit allen möglichen Argu­menten zur Welt­sprache stil­isiert (oder bess­er: mythisiert) wird. So z.B. kür­zlich auf heute.de, wo die Autorin Brit­ta Wag­n­er unter dem Titel 125 Jahre Esperan­to — Das Lin­ux der Sprachen erst die Behaup­tun­gen von der Ein­fach­heit und Neu­tral­ität wieder­holt, und dann die absurde Behaup­tung auf­stellt, das Esperan­to sei „Open Source“ gewe­sen, „bevor es Open Source gab“:

In der Broschüre war Platz für eigenes Vok­ab­u­lar, das der Lern­er selb­st entwick­eln sollte. Und Zamen­hof erk­lärte, er gebe die Rechte an sein­er Erfind­ung ab – eine Sprache sollte schließlich den Sprech­ern gehören. Heute würde man das Open Source nennen.

Passender­weise sind inzwis­chen viele Open-Source- und Inter­net-Pro­jek­te auf Esperan­to ver­füg­bar – zum Beispiel das freie Betrieb­ssys­tem Lin­ux, der Brows­er Fire­fox oder Googles Online-Übersetzungs-Service.

Das Inter­net ist ger­adezu für Esperan­to erfun­den“, meint auch Louis von Wun­sch-Rol­shoven vom Vere­in „Esperan­toland“. Mails, Foren und soziale Net­zw­erke brächt­en Sprech­er aus aller Welt zusam­men, und das Netz mache Pro­jek­te wie die Unter­titelung von Fil­men über­haupt erst möglich.

Diese Behaup­tung ist deshalb absurd, weil alle Sprachen in diesem Sinne „Open Source“ sind. Jede Sprache „gehört“ ihren Sprecher/innen, nie­mand besitzt die Rechte an irgen­dein­er natür­lichen Sprache, und in allen Sprachen wird das Vok­ab­u­lar durch die Sprecher/innen weit­er­en­twick­elt (allerd­ings, wie Dierk Haa­sis ein­mal schön anmerk­te, ist die Frage immer, „ob die anderen Entwick­ler deine Änderun­gen annehmen oder nicht“). Auch dass Open-Source-Pro­jek­te auf Esperan­to ver­füg­bar sind, unter­schei­det das Esperan­to von kein­er der Dutzen­den bis Hun­derten ander­er Sprachen, in denen es Sprach­dateien für die genan­nten Pro­jek­te gibt (das Klin­go­nis­che kann sog­ar mit ein­er eige­nen Pro­gram­mier­sprache dienen). Und dass das Inter­net ver­streute Men­schen mit einem gemein­samen Hob­by zusam­men­bringt, ist auch nichts neues. Zu behaupten, das Inter­net sei für Esperan­to erfun­den, ist unge­fähr so aus­sagekräftig wie die Behaup­tung, das Inter­net sei für Katzen­bilder oder Met­tigel erfunden.

Solche Artikel sind schade, denn sie pos­tulieren ein Prob­lem, das es nicht gibt (die Notwendigkeit ein­er kün­stlichen Welt­sprache), sie zeich­nen durch ihren Fokus auf die ange­blich wün­schenswerte ange­bliche „Ein­fach­heit“ des Esperan­to ein Zer­rbild der Funk­tion­sweise natür­lich­er Sprachen und sie lenken von den 6 500 wun­der­baren, kom­plex­en, kul­turell aufge­lade­nen natür­lichen Sprachen ab, die derzeit noch gesprochen wer­den, von denen aber jede Woche ein bis zwei für immer ausster­ben. Deshalb ärg­ere ich mich, ger­ade als Sprach­wis­senschaftler, über die lei­di­ge, nicht totzukriegende Esperanto-als-Weltsprache-Diskussion.

Wer Esperan­to sprechen will, soll es tun ohne Angst zu haben, dass ich mich über ihn oder sie lustig mache. Aber wenn das Esperan­to mor­gen ver­schwände, wäre wed­er die Men­schheit, noch die Sprach­wis­senschaft auch nur ein Stück ärmer. Die kün­stliche „Ein­fach­heit“ des Esperan­to garantiert, dass man es jed­erzeit wieder aufleben lassen kön­nte (das ist bei den natür­lichen Sprachen, die in ras­an­tem Tem­po ausster­ben, nicht der Fall), und sie sorgt dafür, dass Esperan­to die Sprach­wis­senschaft unge­fähr so inter­es­sant ist, wie ein Zement­garten für die Ökologie*.

 

* Will heißen: Weit­ge­hend unin­ter­es­sant, außer vielle­icht dort, wo die Natur in die kün­stliche Ord­nung eindringt

** Der Titel dieses Beitrags ist ein Esperan­to-Sprich­wort: Wun­den verge­hen, Worte beste­hen.

 

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

Dieser Beitrag wurde unter Altes Sprachlog abgelegt am von .

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

48 Gedanken zu „Vundo pasas, vorto restas

  1. Dierk

    Esperan­tos Regelwerk
    Esperan­to hat ein ein­fach­es Regel­sys­tem ohne Aus­nah­men. Gle­ichzeit­ig ist es — ich übernehme diesen unglück­lichen Ver­gle­ich mal — Open Source, darf also von jedem nach seinen Ansprüchen verän­dert wer­den. Oder dür­fen nur Wörter hinzuge­fügt, keine Regeln geschaf­fen, Aus­nah­men einge­führt werden?

  2. impala

    Ich finde die Diskus­sion über Esperan­to als Welthil­f­ssprache auch ziem­lich lei­dig. Was mich daran vor allem stört ist nicht nur die Tat­sache, dass ignori­ert wird, dass das Englis­che bere­its als Welthil­f­ssprache fungiert, son­dern auch, dass viele Esperan­to-Enthu­si­as­ten behaupten, Esperan­to sei geeigneter als das Englis­che. Esperan­to ist dabei auch extrem eurozen­trisch in sein­er Konzep­tion und was das Vok­ab­u­lar bet­rifft für nicht-indoeu­ropäis­che Mut­ter­sprach­ler auch nicht ein­fach­er zu ler­nen als das Englis­che. Was die Gram­matik bet­rifft, bin ich mir auch nicht­mal sich­er, ob Esperan­to so viel ein­fach­er im L2-Erwerb ist als das Englische.

  3. Nick der Bösewicht

    Vun­doj pasas…
    …soll was eigentlich bedeuten? Wie ein­fach Esperan­to auch immer sein mag, für den Google-Über­set­zer ist es so kom­pliziert, dass er “Ver­let­zun­gen passieren, sind Worte” daraus macht.

  4. Cthulhux

    Sie haben da…
    … einen Kom­mafehler am Ende, zwis­chen “wed­er” und “noch” set­zt man keines.
    Gern geschehen.

  5. Marc B.

    Esperan­to ist ein Hobby
    Esperan­to ist weniger eine Sprache, als ein Hob­by. Zur Kom­mu­nika­tion unter Gle­ich­gesin­nten ist es natür­lich geeignet, aber über diesen Kreis wird es nie hinauskommen.
    Beson­ders deut­lich zeigt sich das daran, dass mir noch nie ein deutsch­er Esper­an­tist untergekom­men ist, der nicht fließend Englisch spricht und zumeist auch noch min­destens eine roman­is­che Sprache. Daher han­delt es sich ein­fach um ein Hob­bypro­jekt von beson­ders Sprach­in­ter­essierten, was ja völ­lig in Ord­nung ist. Brief­marken­sam­meln ist ja auch ein schönes Hob­by, bei dem man Inter­esse an frem­den Län­dern entwick­eln kann.
    Aber als lin­gua fran­ca ist Esperan­to umbrauchbar.

  6. impala

    Müsste es nicht vun­doj pasas, vor­toj restas heißen?

    Dann ist es halt “eine Wunde verge­ht, ein Wort beste­ht”. Sin­gu­lar oder Plur­al, was macht das schon aus. Open Source!

  7. Phaeake

    Open-Source-Ver­gle­ich wirk­lich absurd?
    Ich zweifele, ob der Hin­weis auf eine Ver­gle­ich­barkeit von Esparan­to mit Open source wirk­lich so völ­lig absurd ist,
    “weil alle Sprachen in diesem Sinne „Open Source“ sind.”
    alle natür­lichen Sprachen vielle­icht. Aber hin­sichtlich Kun­st­sprachen ist das ger­ade nicht selb­stver­ständlich. So beanspruchte Johann Mar­tin Schley­er als Erfind­er der Kun­st­sprache Volapük für sich ein Vetorecht bei der Ein­führung neuer Vok­a­beln. Auch die Filmge­sellschaft Para­mount behauptet für sich ein Urhe­ber­recht an dem Wörter­buch und der kanon­is­chen Sprachbeschrei­bung (was immer das genau sein mag) des Klingonischen.
    Zamen­hof erkan­nte im Gegen­satz zu Schley­er und Para­mount, dass solche pro­pri­etären Ansätze der Ver­bre­itung ein­er Kun­st­sprache als Umgangssprache eher hin­der­lich sind, und ver­fol­gte aus­drück­lich für die Weit­er­en­twick­lung “sein­er” Kun­st­sprache die Offen­heit für Verän­derun­gen durch alle Sprech­er. Damit vol­l­zog er natür­lich nur nach, was bei natür­lichen Sprachen ohne­hin schon gilt, aber die haben ja auch keinen “Erfind­er”. Zamen­wald als den Linus Tor­valds unter den Spracherfind­ern zu beze­ich­nen, wäre daher wohl richtiger.

  8. Peer

    Ein biss­chen kurz ..
    … der Artikel — ich als nicht Esperan­to-Ken­ner hat­te mich auf eine Ein­schätzung gefreut wie ein­fach und vor allem “bal­last­frei” Esperan­to denn nun wirk­lich ist.
    🙂

  9. Kunar

    Zum Bal­last
    @Peer:
    “Wie leicht ist Esperan­to?” unter
    http://www.esperanto.de/…moj/demandoj/lingvo.php
    Da wird (für den Laien) kurz erk­lärt, was man nicht pauken muss — und was doch. “Von alleine” kom­men auch keine Esperantokenntnisse.

  10. Foo

    Sprach­nör­gler
    Gegen­wind kommt also prinzip­iell nur von schwachen Geis­tern? Schöne Leserbeschimp­fung, Danke.

  11. David

    @Foo
    Sie haben sich ver­lesen; wo “nor­maler­weise” ste­ht, lasen Sie “prinzip­iell” (wom­it der erste Satz des Posts in sich selb­st wider­sprüch­lich würde).

  12. Pechmarie

    eine Frage zum Sprachensterben
    Ich habe das mal kurz durchgerech­net: zurzeit ster­ben also im Jahr ca. 75 Sprachen für immer aus, d.h. wenn sich diese Entwick­lung in der gle­ichen Geschwindigkeit fort­set­zt, müssten ja in ca. 87 Jahren alle Sprachen (bis auf eine ver­mut­lich) aus­gestor­ben sein, was ich aber für unwahrschein­lich halte (Bauchge­fühl, keine lin­guis­tis­che Sachkenntnis).
    Meine Frage ist also: Gibt es Unter­suchun­gen zur Geschwindigkeit des Sprachen­ster­bens? Gab es vor 100 Jahren dop­pelt so viele Sprachen wie heute oder hat sich der Prozess erst in jün­ger­er Zeit beschleunigt?

  13. André M.

    Eine (etwas) andere Sicht auf die Dinge
    Als Lin­guis­tik­stu­dent (ich arbeite zurzeit an mein­er Mag­is­ter­ar­beit), Esperan­tosprech­er seit knapp 10 Jahren und jemand, der sich auch mit dem Klin­go­nis­chen mal beschäftigt hat, würde ich auch gerne meine Sicht auf die Dinge schreiben.
    Als “lei­dig und nicht totzukriegen” empfinde ich auch als aktives Mit­glied der Sprecherge­mein­schaft ver­mut­lich in ähn­lich­er Weise das Durch­box­en der Ide­olo­gie: Esperan­to könne in so stark­er Weise zum Welt­frieden beitra­gen oder wäre DIE Lösung schlechthin für allemöglichen Prob­leme. Man müsse Esperan­to nur über­all durch­set­zen, und die inter­na­tionalen Schwierigkeit­en täten sich von selb­st lösen, weil die Sprache ja so neu­tral sei. Das sind natür­lich völ­lig utopis­che Vorstel­lun­gen, die auch nur von einem eher kleinen Teil der Sprecherge­mein­schaft geteilt wer­den. Natür­lich ist das durch die Medi­en ger­ade die am häu­fig­sten ver­bre­it­ete Mei­n­ung, schließlich sind das rel­a­tiv extreme, pro­voka­tive Mei­n­un­gen (oft auch gegen das Englis­che als Welt­sprache), ein gefun­denes Fressen also für die Medi­en oder um die Leser zu polar­isieren. Und die ide­ol­o­gisieren­den Weltverbesser­er unter den Esper­an­tis­ten meinen so, eine gute Wer­bung machen zu kön­nen, was ja dur­chaus auch manch­mal klappt. So gewin­nt man als außen­ste­hen­der Betra­chter ver­mut­lich leicht den Ein­druck, jed­er Esperan­tosprech­er sei so eine Art Per­son: Grund­hal­tung gegen Englisch, Ziel ist die Ver­bre­itung von Esperan­to als Zweit­sprache auf der ganzen Welt (“Fina Venko”, ich wage das mal nicht wörtlich zu über­set­zen) und der damit ver­bun­dene Welt­frieden, jemand der mit Worten für seine Ide­ale kämpft. Wie gesagt, solche gibt es, aber solche “Extrem­is­ten” (nur in Anführungsze­ichen, da sie ja keinen Schaden anricht­en oder schlimme Maß­nah­men ergreifen) sind nicht die Mehrheit. Oft sind es lustiger­weise auch begeis­terte Nicht­sprech­er (darunter eben auch Jour­nal­is­ten), die Esperan­to grandios find­en, über die Idee schreiben, aber selb­st keine Erfahrun­gen haben und die Sprache nie ler­nen. In deren Artikeln find­et man meist ähn­lich viele Falschaus­sagen wie in Artikeln, die sich gegen das Esperan­to aussprechen. Naja.
    Die meis­ten Esperan­tosprech­er sind eher die Leute, die Esperan­to als eine “gute Idee” beze­ich­nen wür­den, die Esperan­to tat­säch­lich als ein Hob­by (oder etwas mehr) betreiben, damit leicht inter­na­tionale Kon­tak­te knüpfen usw. Brief­marken­sam­meln ist kein sehr gelun­gener Ver­gle­ich, da das eigentlich kaum etwas mit Kom­mu­nika­tion zu tun hat, und Esperan­to selb­st sowohl Mit­tel als auch Iden­ti­fika­tion (bzw. eine Kul­tur, auch wenn einige den Begriff ablehnen wür­den) ist. Mir fällt offenge­sagt kein ähn­lich­es “Hob­by” ein, das vom Ver­gle­ich her passt.
    Ich denke, es ist wichtig, hier zwis­chen der Ide­olo­gievorstel­lung und der tat­säch­lichen Sit­u­a­tion (nicht des Ziels) zu unter­schei­den. Die Sprache funk­tion­iert als Kom­mu­nika­tion­s­medi­um wie jede andere Sprache der Welt auch, auf­grund einiger sprach­in­tern­er Gründe ist sie als Zweit­sprache dur­chaus schneller und effek­tiv­er lern­bar für einen großen Sprecherkreis, was natür­lich auch auf natür­liche Sprachen zutrifft (z.B. Englisch, Tok Pisin, evtl. Türkisch und Indone­sisch erfüllen einige dieser Kri­te­rien). Der Grund für die schwache und langsame Ver­bre­itung sind eben keine sprach­in­ter­nen Gründe (wie das manch­mal im Artikel und eini­gen Kom­mentaren hier anklang), son­dern die Ein­stel­lung der Masse gegen eine kün­stliche Sprache, aber natür­lich auch die Ver­bre­itungs­fak­toren (deswe­gen find­en kleine natür­liche nicht­na­tionale Sprachen ja auch keinen so großen Ansturm — leider).
    Der Ver­gle­ich mit dem Klin­go­nis­chen ist schon inter­es­sant, aber hinkt an manchen Stellen. Ich kenne tat­säch­lich einige fließende Sprech­er des Klin­go­nis­chen (es gibt davon vielle­icht 1~2 Dutzend auf der Welt, also nicht viele), aber die Sprache wurde auch für einen völ­lig anderen Zweck kreiert, daher finde ich die Aus­sage, Esperan­to sähe im Ver­gle­ich mit der kom­plex­en klin­go­nis­chen Gram­matik alt aus, ziem­lich unpassend. Das gram­matikalis­che Sys­tem des Klin­go­nis­chen macht die Sprache recht erfol­gre­ich exo­tisch, während das des Esperan­to die Sprache logisch, ver­traut und schnell zu durch­schauen macht. Trotz­dem man­gelt es da nicht an Kom­plex­ität, wie die 700 Seit­en starke Esperan­to-Gram­matik (“PMEG”, auch online ver­füg­bar) von Bertil Wen­ner­gren ja zeigt. Da kann nun wieder Klin­go­nisch nicht mithal­ten. Möchte es auch gar nicht. Das Klin­go­nisch sieht sich ja nicht ein­mal als Welthil­f­ssprache an, es erhebt diesen Anspruch nicht. Ein Buch, in dem bei­de Sprachen recht gut dargestellt wer­den, ist übri­gens “In the Land of Invent­ed Lan­guages” von Lin­guistin Ari­ka Okrent, die mit Inter­esse, aber ohne Eifer mehrere Plansprachen betra­chtet und auch die Com­mu­ni­tys selb­st ken­nen­gel­ernt hat (und trotz­dem keine Esper­an­tistin gewor­den ist, also keine Angst vor Pro­pa­gan­da). Kann ich also als Lek­türe empfehlen.
    Als Sprach­wis­senschaftler (aber vor allem als Esperan­tosprech­er) ärg­ere ich mich eben auch über die Esperan­to-als-Welt­sprache-Diskus­sio­nen, ärg­ere mich aber eben­so darüber, dass von der Idee auf die Sprache gess­chlossen wird. Viele Sprach­nör­gler wür­den sich sich­er freuen, wenn das Deutsche DIE Welt­sprache wer­den und Englisch ver­drän­gen würde. Ich finde das absurd, unnötig und utopisch, halte dafür aber nicht die deutsche Sprache für lei­dig, schlecht oder gescheit­ert. Die ursprüngliche Idee mag scheit­ern, die Sprache funk­tion­iert aber weit­er­hin für die Sprech­er sehr gut. Es muss ja einen Grund geben, warum die Sprech­er das gle­iche, was sie mit Esperan­to tun, nicht ein­fach auf Englisch erledi­gen (es stimmt, dass die meis­ten Esperan­tosprech­er in Deutsch­land zumin­d­est auch ziem­lich gutes Englisch sprechen; das ist aber nicht über­all der Fall).
    Übri­gens haben sich auch einige andere bekan­nte Sprach­wis­senschaftler mal mit Esperan­to befasst, und die Ergeb­nisse sind nicht immer neg­a­tiv. So gibt es ein paar Artikel von Bernard Com­rie und Mar­tin Haspel­math, einen inter­es­san­ten Beitrag von Jouko Lind­st­edt über die mögliche Kre­olisierung durch Mut­ter­sprach­ler (auf Englisch, ver­füg­bar hier: http://www.linguistics.fi/K60.1.5.LINDSTEDT.pdf), das dur­chaus auch für die Spracher­werb­s­forschung und andere Bere­iche der Lin­guis­tik rel­e­vant ist, und nicht nur für die Beschäf­ti­gung mit Esperan­to an sich. Auch Wim Jansen hat ein nieder­ländis­ches Buch über den Satzbau des Esperan­to geschrieben (“Woord­vol­go­rde in het Esperan­to”), ein klein­er Teil­bere­ich, näm­lich die sog. Inter­lin­guis­tik beschäftigt sich mit der Rolle von Esperan­to, Englisch und anderen Kan­di­dat­en im inter­na­tionalen Diskurs und es erscheinen dort auch Artikel zum The­ma. Eventuell ist auch Marc van Oos­t­en­dorp bekan­nt. Also es gibt dur­chaus auch wis­senschaftliche Arbeit­en dazu, die nicht ein­fach ihrer selb­st Willen ent­standen sind.
    Und um noch mal den Faden vom Anfang aufzu­greifen: es ist wirk­lich lei­dig und nervig, schlecht begrün­dete und über­schwängliche Pro­pa­gan­da für Esperan­to zu lesen — kein Widerspruch.
    Eben­so lei­dig ist es aber, schlecht recher­chierte Artikel in Zeitun­gen oder im Inter­net zu lesen, die z.B. oft behaupten, Esperan­to sei bere­its tot oder an sich nicht lebens­fähig, erlaube nur sehr eigeschränk­te ein­fache Kom­mu­nika­tion oder habe keine Kul­tur oder hätte eben immer diese Utopie als Ziel im Hin­terkopf jedes Sprech­ers. Das liest man lei­der etwa genau­so oft.
    Ich denke, von neu­traleren und objek­tiv­en Stel­lung­nah­men haben sowohl Esperan­to-Fre­unde wie auch Esperan­to-Geg­n­er (oder Esperan­to-Desin­ter­essierte) mehr. Man muss nicht immer polar­isieren, auch wenn man so auf mehr Res­o­nanz stößt.

  14. Cyril Brosch

    Einige grund­sät­zliche Anmerkungen
    Als Sprach­wis­senschaftler, der sich auch viel mit Esperan­to und Inter­lin­guis­tik beschäftigt, möchte ich auch einen Kom­men­tar zu diesem Blo­gein­trag, wenn ein “Außen­ste­hen­der” schon ein­mal so nett ist, seine Mei­n­ung zu explizieren.
    Mit “außen­ste­hend” fängt schon das Dilem­ma an: Da bei Esperan­to die Sprache und die sog. Esperan­to-Bewe­gung, die beileibe nicht alle Sprech­er umfasst, zumeist gle­ichge­set­zt wer­den (daher die deut­lichen Worte Wen­ner­grens, ich habe “lei­dig” etc. übri­gens lei­der ganz ähn­lich ver­standen), ist man als Sprech­er wis­senschaftlich sozusagen schon a pri­ori dis­qual­i­fiziert (Utopist, Hob­by-Pfleger etc.), ander­er­seits kann man ohne gute Kent­nisse des Esperan­to wed­er seine Geschichte, Bewe­gung und Spez­i­fi­ka im Wortsinne “ver­ste­hen”, noch hat man Zugang zum Großteil der inter­lin­guis­tis­chen Fach­lit­er­atur, der eben in Esperan­to ver­fasst ist.
    Ich werde es trotz­dem ver­suchen, im Bewusst­sein, ein­er völ­lig pres­tigelosen Sache das Wort zu reden.
    André M.s Kom­men­tar hat mir dankenswert­er­weise schon einiges an Schreibar­beit abgenom­men, so dass ich Klin­go­nisch z.B. nicht mehr kom­men­tieren muss. Tat­säch­lich hat es mit Esperan­to nichts gemein außer der Tat­sache, dass seine Anfänge nicht in grauer Vorzeit liegen. Eine Kat­e­gorisierung “Kun­st­sprachen” vs. “natür­liche Sprachen” ist aber ohne Nutzen, da dadurch nichts gewon­nen ist, ähn­lich wie wenn man alle durch kün­stliche Befruch­tung emp­fan­genen Men­schen als “Kun­st­men­schen” den “natür­lichen Men­schen” gegenüber­stellte, es sagt ein­fach nichts über die Indi­viduen aus, die nur ein unwesentlich­es Detail gemein­sam haben. Zudem wer­den die zahlre­ichen planer­ischen Ein­griffe in Eth­nosprachen so verschleiert.
    BTW: KLin­go­nisch, so meine Erfahrung, ist alles andere als beein­druck­end, tat­säch­lich ist es bei etwas weit­er­er Auf­fas­sung von Syn­tax großteils als umgekehrtes Englisch (OVS, wie orig­inell…) anzuse­hen (Belege auf Nachfrage).
    Ich bin auch froh, dass ich mich nicht zu den schrä­gen Vögeln in der Esperan­to-Welt äußern muss. Ja da gibt es einige. Mich ver­wun­dert aber, warum man die Übertrei­bun­gen manch­er Anhänger immer so auf die Gold­waage legt — fast jed­er macht Wer­bung für eine Sache, von der er überzeugt ist, manch­er mehr, manch­er weniger geschickt. Ich sehe es nicht ein, mich für plumpe Pro­pa­gan­da von anderen in Sip­pen­haft nehmen zu lassen, bei anderen The­men würde das auch nicht passieren.
    Ich möchte nicht auf Detailäußerun­gen, son­dern auf zwei Kern­punk­te des Blogs, sowie einen Hin­weis geben.
    Zunächst der Hin­weis, der auch erk­lärt, warum ich nicht im Detail alles durch­sprechen muss:
    Die Artikel, über die sich Ste­fanow­itsch ärg­ert, stam­men zu 99% nicht von Esper­an­tis­ten, son­dern sind durch den Fleis­chwolf der Jour­nal­is­ten gegan­gen (jed­er, der damit schon Erfahrung hat­te, weiß, wie das läuft). In aller Regel geben sie nur ein “Zer­rbild”* oder besten­falls einen ten­den­z­iösen Auss­chnitt der Wirk­lichkeit wider, mal im Pos­i­tiv­en, mal im Neg­a­tiv­en. Als Sprach­wis­senschaftler sollte man seine Aus­sagen doch bitte auf Fach­lit­er­atur begrün­den (Hin­weis: http://www.interlinguistik-gil.de), nicht auf der Sonnntags­beilage vom Greven­broich­er Anzeiger. Ich per­sön­lich habe aufge­hört, Presseartikel zu Esperan­to zu lesen. Sie sind entwed­er ein Ärg­er­nis oder enthal­ten nur Infor­ma­tio­nen, die ich schon kenne.
    Nun aber zu den Aus­sagen der bei­den let­zten Abschnitte:
    Ste­fanow­itsch hält zum Einen die “die Notwendigkeit ein­er kün­stlichen Welt­sprache” für nicht gegeben. Ich inter­pretiere das so, dass man dur­chaus eine Welt­sprache haben kön­nte, aber eben keine “kün­stliche” (also eine Plansprache). Dafür hätte ich gerne eine Begrün­dung. Die Entwick­lung der Men­schheit hat zu ein­er bish­er nie dagewe­se­nen Sit­u­a­tion geführt, dass Men­schen mit hun­derten von ver­schiede­nen Mut­ter­sprachen das Bedürf­nis der Kom­mu­nika­tion miteinan­der haben, während bish­er Mehrsprachigkeit zwar ver­bre­it­et, aber auf gewöhn­lich zwei-drei Sprachen beschränkt war. Lin­gua-Fran­ca-Kom­mu­nika­tion ist eine Folge der Glob­al­isierung**, und es gibt a pri­ori keinen Grund davon auszuge­hen, dass eine Eth­nosprache dafür alleine oder auch nur beson­ders geeignet ist, beson­ders wenn man bedenkt, dass Fremd­sprachenken­nt­nisse anders als in klas­sis­chen mehrsprachi­gen Gesellschaften heute erst nach der Kindeit erwor­ben wer­den. Sprache hat zwar auch andere Funk­tio­nen (Iden­tität usw.), aber den­noch ist sie ger­ade auch ein Werkzeug um zu kom­mu­nizieren. Warum sollte man es nicht unternehmen zu ver­suchen, ein Werkzeug zu schaf­fen, das für diese spez­i­fis­che neue Sit­u­a­tion der Lin­gua-Fran­ca-Kom­mu­nika­tion beson­ders geeignet ist? Esperan­to ist dafür ent­standen, und den Prax­is­test hat es bestanden — das ist ein ganz prak­tis­ches Fak­tum, das ich mir nicht mit all­ge­meinen Über­legun­gen wegdisku­tieren lasse.
    Zum Zweit­en glaubt Ste­fanow­itsch, dass Esperan­to für die Sprach­wis­senschaft ohne Wert sei. Ich meine im Gegen­teil, dass die Tat­sache, dass ein von einem einzi­gen Men­schen erdacht­es Regel­sys­tem in weni­gen Gen­er­a­tio­nen zu ein­er voll­ständi­gen, funk­tion­al nicht von Eth­nosprachen unter­schei­d­baren Sprache wurde, für jeden Sprach­wis­senschaftler, beson­ders Psy­cholin­guis­ten, Spracher­werb­s­forsch­er und Gen­er­a­tivis­ten, bemerkenswert sein sollte. Über diese all­ge­meine Fak­tum hin­aus sollte man auch nicht die Möglichkeit vergessen, The­o­rien an einem Objekt zu testen oder zu entwick­eln, bei dem kein Wust aus über­lagerten alten und entste­hen­den Sys­te­men (sog. “Aus­nah­men”), prag­ma­tis­chen oder rein zufäl­li­gen Beschränkun­gen die Sicht auf das Wesentliche versper­rt — oder sagen wir, dieser Wust ist bedeu­tend geringer. Um ein prak­tis­ches Beispiel zu geben: Bei der Wort­bil­dung des Deutschen kann man Zusam­men­bil­dun­gen von Kom­posi­ta leicht dadurch auseinan­der­hal­ten, dass es das Hin­ter­glied von ersteren nicht als Lex­em gibt (‘Berg­steiger’, aber kein *‘Steiger’) — im Esperan­to wäre zu entsprechen­dem ‘mont­grim­pan­to’ ein HG ‘grim­pan­to’ eine zuläs­sige Form, ganz egal, ob im Kor­pus belegt oder nicht. Man muss sich also Gedanken machen, ob die Beschrei­bungskat­e­gorien des Deutschen (und zahlre­ich­er ander­er indoger­man­is­ch­er Sprachen) auf das Esperan­to anwend­bar sind.
    Und zum Schluss doch noch eine weit­ere Bemerkung: Ich sehe nicht, wie der Esper­an­tismus von dem bedauer­lichen Ausster­ben von Sprachen “ablenken” sollte. Das sind zwei völ­lig ver­schiedene The­men­bere­iche, und mit ist noch nie untergekom­men, dass Esper­an­tis­ten z.B. unter einem Artikel zu ein­er bedro­ht­en Papua-Sprache Wer­bung machen, da gibt es doch keinen logis­chen Anknüpfungspunkt.
    *Um einen Aus­druck von Ste­fanow­itsch zu ver­wen­den, der mich im Kon­text als Einziges wirk­lich verärg­ert hat: Die Aus­sage, die “ange­bliche „Ein­fach­heit“ des Esperan­to [sei] ein Zer­rbild der Funk­tion­sweise natür­lich­er Sprachen” ist so ein­fach unsub­stan­ti­iert. Ich kenne es ein­fach zu gut, als dass ich das so ste­hen lassen könnte.
    **Die es in kleinerem Rah­men natür­lich schon früher gab, man denke an die ursprüngliche Lin­gua Franca!

  15. Peer

    @Cyril Brosch
    Sie schrieben sin­ngemäß: Warum sollte Esperan­to nicht die Rolle der lingiua ran­ca übernehmen? Und die Antwort ist: Warum machen wir keinen Weltfrieden? 🙂
    Sicher­lich wäre sie dazu geeignet, aber man wird die Wel­r­b­veölkerung kaum dazu brin­gen, Esperan­to zu ler­nen, so lange es nicht die Lin­gua Fran­ca IST — oder ihr zumin­d­est nahekommt.
    Englisch wird deswe­gen über­all gel­ernt (und gelehrt) WEIL man damit im Ver­gle­ich zu anderen Sprachen am weitesten kommt. Das ist halt so — Das Sprachver­hal­ten von 7 Mil­liar­den Leute lässt sich nicht ver­pla­nen, son­dern bildet ein dynamis­ches kom­plex­es System.
    @Kunar: Danke für fden Link. Mit “Bal­last” meinte ich die poli­tis­che Neu­tral­ität — ver­ste­he ich das richtig, dass Vok­a­beln wie “Chemiekeule” in Esperan­to nicht möglich sind? (Man verzei­he mir meine naive Frage, aber ich als Laie ver­ste­he nicht, wie eine Sprache unpoli­tisch bleiben kann, wenn die Sprachge­mein­schaft sie erst ein­nal in Griff bekommt und finde die Möglichkeit — so sie denn existiert — interessant)

  16. Cyril Brosch

    @Peer
    Sin­ngemäß schreibe ich eigentlich eher, dass es keinen Grund gibt, warum Esperan­to nicht Lin­gua Fran­ca sein kön­nte — und ich halte es dafür für beson­ders geeignet, das ist ja auch sein Zweck.
    Die Durch­set­zung ein­er Sprache ist eine ganz andere Sache, und da sind wir uns einig, dass Esperan­to z.Z. keine Chance hat, zum Einen auf­grund von Igno­ranz und psy­chol­o­gisch bed­ingten Vorurteilen, zum Anderen aber beson­ders deswe­gen, weil es keine ökonomis­che, mil­itärische und klul­turelle Macht­ba­sis hat, und bish­er wer­den Welt­sprachen so bes­timmt, ganz egal, ob sie dafür “geeignet” sind oder nicht.
    Es wäre ein kom­plettes Umdenken bezüglich der Sprach­poli­tik nötig, um eine Lin­gua Fran­ca statt nach Macht und Pres­tige nach Ökonomie und Gerechtigkeit auszuwählen.
    Dass das prinzip­iell eine bewusste Entschei­dung sein kann (und eben kein Schick­sal), zeigt sich zum Einen darin, dass sich die Men­schheit in anderen Bere­ichen dur­chaus auf Nor­men aller Art eini­gen kann, zum Anderen fall­en ja auch die L2-Englis­chsprech­er nicht vom Him­mel, son­dern wer­den durch Unter­richt (in Deutsch­land ohne Wahl­frei­heit) gener­iert, das sind bewusste (schul-)politische Entscheidungen.
    Ich bin so frei, Ihre Frage an Kunar zu beantworten:
    Esperan­to kann wie alle anderen Sprachen im Prinzip alles aus­drück­en, im Einzelfall wird es dabei natür­lich nicht möglich sein, einen idioma­tis­chen Aus­druck genau tre­f­fend nachzu­bilden (für “Chemiekeule” gäbe es mehrere Möglichkeit­en, generell sind bei Esperan­tosprech­ern klarere, weniger blu­mige Aus­drücke beliebt).
    Also kurzum: Nein, Esperan­to ist genau­so sehr oder wenig poli­tisch neu­tral wie der­jenige, der es gebraucht.

  17. Wentus

    Flüche im Esperanto?
    Würde ein Esperan­to-Sprech­er zum Fluchen wirk­lich Esperan­to benutzen? Oder müsste er dann auf eine natür­liche Sprache auswe­ichen? Wie ste­ht es mit dem Wortschatz für irgendwelche sex­uellen Schweinereien?
    Mir hat man ger­at­en, erst ein­mal Hoch-Ara­bisch zu ler­nen, die Dialek­te kämen dann “ganz von allein”. Das ist völ­liger Quatsch, auf Hochara­bisch kann man vielle­icht Fernseh-Nachricht­en sprechen, aber nicht das pralle Leben beschreiben.
    Also mal ehrlich: gibt es einen Esper­an­tis­ten, der häu­figer in Esperan­to flucht als in ein­er natür­lichen Sprache?

  18. Cyril Brosch

    @wentus
    Zur Häu­figkeit kann ich nichts sagen, aber bedenken Sie, dass Esperan­to auch in hun­derten Fam­i­lien gesprochen wird und daher alle Funk­tio­nen ein­er eth­nis­chen Sprache erfüllen muss (und dies auch tut).
    Zum tabuis­tis­chen Wortschatz: http://www.aliaflanko.de/artikloj/text/tabu.html (nur in Esperanto).

  19. André M.

    @Wentus
    > “Würde ein Esperan­to-Sprech­er zum Fluchen wirk­lich Esperan­to benutzen?”
    Also ich kenn viele, die das tun. Aber es kommt auf die Per­so­n­en und Sit­u­a­tio­nen an. Reflexar­tige Aus­rufe des Schmerzes oder Schreck­ens wer­den vielle­icht öfter in der Mut­ter­sprache geäußert, während Beschimp­fun­gen und all­ge­meines Fluchen (sich Luft machen) bei den meis­ten kom­pe­ten­ten Sprech­ern auf Esperan­to gehen. Und Flüche, schlimme Aus­drücke, Worte zum Beschimpfen oder auch sex­uelle Aus­drücke gibt’s alles zuhauf. Und wenn man diese Wörter ken­nt, kann man sie auch benutzen.
    > “…auf Hochara­bisch kann man vielle­icht Fernseh-Nachricht­en sprechen, aber nicht das pralle Leben beschreiben.”
    Ich kenn nun das Ara­bis­che nicht, weiß daher nicht, ob die Sit­u­a­tion wirk­lich so ist, wie du sie beschreib­st. Im Esperan­to liegen die Gren­zen eigentlich immer bei den eige­nen Ken­nt­nis­sen. Es gibt keine Sachen, die irgend­wie “nicht sag­bar” wären. In der Hin­sicht unter­schei­det sich Esperan­to nicht von natür­lichen Sprachen. Ich spreche Esperan­to oft im All­t­ag und wenn ich ein Wort nicht finde, liegt’s meist daran, dass ich es nicht kenne oder ein­fach vergessen habe, aber nicht daran, dass es das Wort nicht gibt oder das Konzept auf Esperan­to nicht aus­drück­bar ist. In der Hin­sicht ist Esperan­to mit dem Englis­chen abso­lut deckungsgleich.
    > “…gibt es einen Esper­an­tis­ten, der häu­figer in Esperan­to flucht als in ein­er natür­lichen Sprache?”
    Ich kön­nte genau­so fra­gen: Gibt es einen Englisch-Nicht­mut­ter­sprach­ler, der häu­figer auf Englisch flucht als in sein­er eigentlichen Mut­ter­sprache? Antwort: Ja, natürlich!
    Wenn man von kom­pe­ten­ten fließen­den Sprech­ern auf C1- oder C2-Niveau aus­ge­ht und die betra­chteten Sit­u­a­tio­nen auf Esperan­to-Sit­u­a­tio­nen (Kon­feren­zen, Tre­f­fen, Gespräche mit anderen Esper­an­tis­ten) beschränkt, wo man auch wirk­lich Esperan­to spricht und hört, dann auf alle Fälle ja. Das trifft ver­mut­lich auf die meis­ten zu. Ist man dann wieder unter Land­sleuten, dann eher nicht, man will ja ver­standen wer­den. Ein Aus­ruf, der dem Deutschen “Scheiße!” entspricht, wäre auf Esperan­to übri­gens “Fek!”, das hört man an Flüchen am häufigsten.

  20. impala

    @ Cyril Brosch

    Warum sollte man es nicht unternehmen zu ver­suchen, ein Werkzeug zu schaf­fen, das für diese spez­i­fis­che neue Sit­u­a­tion der Lin­gua-Fran­ca-Kom­mu­nika­tion beson­ders geeignet ist? Esperan­to ist dafür ent­standen, und den Prax­is­test hat es bestanden — das ist ein ganz prak­tis­ches Fak­tum, das ich mir nicht mit all­ge­meinen Über­legun­gen wegdisku­tieren lasse.

    Hät­ten Sie Belege, dass Esperan­to zu diesem Zweck beson­ders geeignet ist? Und was ver­ste­hen Sie darunter? Gibt es Stu­di­en zum L2-Spracher­werb des Esperan­to nicht-indoeu­ropäis­ch­er Mut­ter­sprach­ler im Ver­gle­ich zum Englis­chen? Oder haben Sie dieses Fak­tum ein­fach so postuliert?

  21. phaeake

    @ Cyril Brosch
    Vie­len Dank für den Link zum tabuis­tis­chen (schon das ein schönes Wort) Wortschatz.
    Kann mir lei­der den Pen­näler­witz nicht verkneifen, dass mir die Liste ohne den Hin­weis, dass “GV” “ener­ala vor­taro” heißt, noch etwas tabuis­tis­ch­er vorgekom­men wäre.

  22. Cyril Brosch

    @impala
    Zunächst zu konkreten Stu­di­en: Das ist nicht meine Baustelle, deswe­gen müsste ich da erst recher­chieren, ich kann nur auf eigene Erfahrungswerte bzw. auf die ander­er ver­weisen. Ich habe zum Glück eine Seite gefun­den, wo sich einige Stel­lung­nah­men von Asi­at­en auch in franzö­sis­ch­er Über­set­zung find­en: http://www.bonalingvo.org/…azianoj_pri_Esperanto — lei­der nicht wis­senschaftlich streng, außer­dem scheint die Frage auch die Unter­schei­dung von /l/ und /r/ ange­sprochen zu haben, denn auf dieser Neben­säch­lichkeit reit­en fast alle Befragten herum. Der Tenor ist aber: Esperan­to ist deut­lich leichter zu ler­nen als Englisch oder eine andere europäis­che Sprache.
    All­ge­meine Gründe dafür sind natür­lich die struk­turellen Eigen­schaften des Esperan­to: Ganz über­wiegend agglu­tinierende Mor­pholo­gie, eine pro­duk­tive, ähn­lich wie im Deutschen sehr explizite Wort­bil­dung, generelle Regelmäßigkeit und eine klare Syntax.
    Ich hat­te mal für einen Stu­di­enes­say Esperan­to aus typol­o­gis­ch­er Sicht ver­glichen, tat­säch­lich geht es fast immer nach den typol­o­gisch meistver­bre­it­eten Mod­ellen (recht­sköp­fig, Akkusativ-Sprache, SVO…), es hat allerd­ings ver­gle­ich­sweise viele Kon­so­nan­ten­phoneme (23), die wiederum aber die gute Assim­i­lierung von Inter­na­tion­al­is­men auf der Schrift- und Lautebene erlauben.

  23. impala

    @ Cyril Brosch
    Sie wer­den mir zugeste­hen, dass ich ein­er Seite, die sich bona ling­vo nen­nt, nicht absolute Objek­tiv­ität abnehmen kann. Es wer­den, von den Prob­le­men rund um /l/ und /r/ abge­se­hen, auss­chließlich pos­i­tive Aus­sagen asi­atis­ch­er Ler­nen­der zitiert. Ich nehme den Schreibern gerne ab, dass das alles so stimmt, aber es macht keinen beson­ders repräsen­ta­tiv­en Eindruck.
    Ich habe keine per­sön­liche Agen­da gegen das Esperan­to. Wer seine Zeit damit ver­brin­gen will, möge das gerne tun, aber ich habe bish­er wenig hand­feste Beweise für die uni­versell leichte Erlern­barkeit des Esper­ant gese­hen. Die regelmäßigere Wort­bil­dung scheint mir in der Tat ein Vorteil zu sein, der im Englis­chen so nicht beste­ht. Wobei das Englis­che wiederum die vielfältige Wortkon­ver­sion als Vorteil aufzuweisen hat.
    Wenn dem englis­chsprachi­gen Wikipedia-Artikel zur Esperan­togram­matik zu trauen ist, hat das Esperan­to einige Eigen­schaften, die ten­den­ziell schwierig sind für viele L2-Lern­er. Es hat eben­so wie das Englis­che einen def­i­niten Artikel, der in vie­len Sprachen nicht vorkommt und im L2-Spracher­werb defin­i­tiv ein Prob­lem darstellt. Darüber hin­aus markiert es nom­i­nale Akkusativob­jek­te mor­phol­o­gisch, was viele Sprachen eben­falls nicht tun und das Englis­che auch nicht – hier ist das Englis­che also um eine Fehlerquelle ärmer. Das Tem­pussys­tem erscheint mir auf den ersten Blick ein­fach­er, wobei die zusam­menge­set­zten For­men des Esperan­to die Lage auch verkomplizieren.
    Etwas als uni­versell ein­fach zu beschreiben, erscheint mir jeden­falls nicht richtig. Sprachen sind immer rel­a­tiv zu einan­der ein­fach. Deutsche Mut­ter­sprach­ler ler­nen Nieder­ländisch i.A. schneller als Pol­nisch, Tschechen find­en Pol­nisch hinge­gen meist ein­fach­er als Deutsch usw. Dass dieser Aspekt bei ein­er Plansprache etwas abgeschwächt wird, kann ich ja noch ein­se­hen, aber er fällt halt nicht ein­fach weg.

  24. Bertil Wennergren

    Ganz kurz
    Ich wollte was schreiben, aber das ist jet­zt nicht mehr nötig (glück­licher­weise, weil ich so schlecht auf Deutsch schreibe…), denn André M und Cyril Bosch haben schon alles gesagt, was ich sagen wollte. Danke schön!

  25. gnaddrig

    Schlechte Karten
    Zwei Vorteile, die immer mal für Esperan­to ins Feld geführt wer­den, sind in Wirk­lichkeit gar keine. Oder sie wären es nicht lange, wenn Esperan­to tat­säch­lich Welt­sprache würde: Die Aus­nahm­slosigkeit der Gram­matik und die Einheitlichkeit.
    Ab ein­er gewis­sen Sprecherzahl dürften sich regionale Sprecherge­mein­schaften her­aus­bilden. Bei diesen wür­den sich mit der Zeit Eigen­heit­en im Sprachge­brauch entwick­eln, und irgend­wann würde dies zur Entste­hung von Dialek­ten führen. Par­al­lel dürften auch Sozi­olek­te entste­hen. Nach ein­er gewis­sen Zeit wäre Esperan­to genau­so wenig homogen wie das Spanis­che oder das Englis­che heute, oder es gin­ge sog­ar den Weg des Lateinis­chen, das sich zu ein­er ganzen Sprach­fam­i­lie aus­gewach­sen hat. Und wenn genü­gend Leute Esperan­to als Mut­ter­sprache sprechen, wer­den sie das nicht immer so sauber und ordentlich tun, wie es im Lehrbuch ste­ht. Wieder wer­den sich Verkürzun­gen und Ver­schlei­fun­gen her­aus­bilden, und nicht jede Verän­derung wird von allen Esperan­tosprech­ern mit­gemacht wer­den. Wenn die Sprache sich weit­er­en­twick­elt wer­den die Änderun­gen oft nicht durchgängig real­isiert, wie das in natür­lichen Sprachen auch der Fall ist. Es wer­den Aus­nah­men entste­hen, und spätestens dann hat Esperan­to diese bei­den Vorteile einge­büßt. Und spätestens dann wird Esperan­to auch kul­turell so aufge­laden sein (und zwar nicht über­all auf der Welt in der gle­ichen Art), dass die gern beschworene Neu­tral­ität auch nicht mehr gegeben ist.
    Faz­it: Selb­st wenn eine Kun­st­sprache zunächst als Welthil­f­ssprache geeignet zu sein scheint und einige Vorteile gegenüber natür­lichen Sprachen haben mag – wenn sie tat­säch­lich zur Welt­sprache avanciert, wird sie sich den natür­lichen Sprachen in viel­er Hin­sicht so annäh­ern, dass sie kaum noch als Kun­st­sprache gel­ten kann. Und dann kann man sich die Mühe mit den Kun­st­sprachen auch sparen und gle­ich bei natür­lichen Sprachen bleiben. Zugegeben: Das passiert nicht in hun­dert Jahren, son­dern es braucht län­gere Zeiträume. Trotz­dem ist der Aufwand, so eine Sprache einzuführen, zu groß, und der Nutzen m.E. zu gering.
    Als Hob­by mögen solche Kun­st­sprachen ganz nett sein, aber als ern­sthafte Kan­di­dat­en für eine Lin­gua Fran­ca haben sie eigentlich schlechte Karten.

  26. Cyril Brosch

    Anmerkun­gen zu zwei Beiträ­gen (bzw. 3)
    @Impala
    Hin­ter­grund­in­for­ma­tion: “La bona ling­vo” ist der Name eines Buch­es von Claude Piron aus den 1980-ern, das sich mit dem Span­nungs­feld “Neol­o­gis­men vs. spracheigene Bil­dun­gen” befasst.
    Das ist eigentlich ein sehr schönes Beispiel für einen Esper­an­tismus (im phrase­ol­o­gis­chen Sinne*), den man natür­lich auch falsch ver­ste­hen kann.
    Ich habe bish­er lei­der keine Stu­di­en zum l2-Erwerb durch Esperan­to find­en kön­nen, die wis­senschaftlichen Ansprüchen genü­gen, da mir aus der Ehrfahrung mit Esper­an­tis­ten mit nicht-indoger­man­is­chen Mut­ter­sprachen aber wie gesagt keine Aus­sage, wonach sie eine europäis­che Sprache leichter gel­ernt hät­ten, bekan­nt ist, würde ich das als The­o­rie bis zum Beweis des Gegen­teils formulieren.
    Bitte ver­ste­hen Sie mich genau: Ich sage, Esperan­to ist _relativ_ ein­fach­er zu erler­nen als andere Sprachen, dass es je nach Mut­ter­sprache noch ein­fachere Fälle (Tschechisch ’ Slowakisch) gibt bzw. dass Esperan­to je nach Mut­ter­sprache ver­schieden schnell erwor­ben wer­den kann, ver­ste­ht sich von selbst.
    Das unter­gräbt das prinzip­ielle Argu­ment aber nicht: Durch die weit­ge­hend freie Kom­binier­barkeit unverän­der­lich­er Moprheme bei Abwe­sen­heit funk­tion­al unbe­grün­de­ter Aus­nah­men ist Esperan­to struk­turell leicht zugänglich und daher beson­ders lern­er­fre­undlich. Und das ist dur­chaus ein erhe­blich­er Vorteil.
    Sie sprechen im Weit­eren in der Tat übri­gens zwei häu­fige Fehlerquellen bei Lern­ern an. Der Artikel ist allerd­ings für Anfänger option­al (§1 der verbindlichen Sprach­norm Fun­da­men­ta Gra­matiko). Der mor­phol­o­gisch markierte Objek­tka­sus (der etwas mehr als ein Akkusativ kann) erlaubt im Gegen­zug eine freiere Wort­stel­lung, zudem markieren auch mor­phol­o­gisch reduzierte Akkusativsprachen wie Englisch oder Roman­isch in Teil­bere­ichen (Pronom­i­na) den Akkusativ, und zwar genau­so oblig­a­torisch. Im Esperan­to ist die Regel nur kon­se­quent durchgeführt.
    Esperan­to ken­nt Kon­ver­sion übri­gens auch (durch Änderung des wortkat­e­go­ri­alen Suf­fix­es), sie ist sog­ar durchgängig möglich und damit viel pro­duk­tiv­er als im Englis­chen (tele­fono, tele­fona, tele­fone, tele­foni ‘Tele­fon, Telefon‑, tele­fonisch, telefonieren’)
    @gnaddrig
    Ihre Aus­führun­gen sind in sich logisch, sie ent­behren aber der fak­tis­chen Grund­lage, denn Esperan­to wie ja seit 125 prak­tisch ver­wen­det, ohne dass sich auch nur Ansätze für die von Ihnen skizzierten Entwick­lun­gen find­en ließen. Im Gegen­teil hat sich die Norm des Esperan­to sta­bil­isiert und vere­in­heitlicht, beson­ders z.B. die Aussprachenorm. U.a. Brug­mann und Leskien haben in den Indoger­man­is­chen Forschun­gen von 1906 übi­gens diverse Sprach­wan­del für das Esperan­to voraus­ge­sagt, auf die man bis heute warten darf.
    Man kann natür­lich ein­wer­fen, es fehle an der kri­tis­chen Masse. Ich beteilige mich nicht an den Speku­la­tio­nen, wie viele Esperan­tosprech­er es gibt, aber es ist klar, dass es schon längst genug Sprech­er gibt, dass nicht mehr die Wagen­burg-Men­tal­ität klein­er Bewe­gun­gen gilt, son­dern dass sich eine poli­tisch, kul­turell usw. dif­feren­zierte Gemein­schaft gebildet hat, die m.E. als aus­sagekräftige “Ver­suchs­menge” ausreicht.
    Der Ver­gle­ich mit Englisch, Spanisch (deren Vari­etäten untere­inan­der ver­ständlich sind) und Roman­isch zieht nicht, da es sich um ganz andere Zeit­en und Sit­u­a­tio­nen als eine Lin­gua Fran­ca in der glob­al­isierten Welt handelt.
    Ein wichtiger Grund für die Sta­bil­ität des Esperan­to ist das hohe Norm­be­wusst­sein sein­er Sprech­er, was sich zum Einen auf den beson­deren Kom­mu­nika­tion­ssi­t­u­a­tio­nen (L2-Sprech­er aus ver­schiede­nen Kul­turen mit Ver­ständi­gungswillen) grün­det, zum Anderen auf der Tat­sache, dass Esperan­to als einzige Sprache eine schriftlich fix­ierte Norm für wichtige Teil­bere­iche(!) der Gram­matik besitzt, das sog. Fun­da­men­to, dass die Mor­pholo­gie, syn­tak­tis­che Mod­elle und einen Grund­wortschatz umfasst. Diese Nor­men definieren, was Esperan­to ist, dür­fen aber erweit­ert und ergänzt wer­den, aber nicht geän­dert. (Damit beant­worte ich auch Dierks Frage aus dem 1. Beitrag) Diese Norm wird in der Prax­is auch in allen wesentlichen Bere­ichen einge­hal­ten**. Funk­tio- und Sozi­olek­te bedro­hen m.E. übri­gens die Ein­heitlichkeit ein­er Sprache nicht, son­dern gehören dazu.
    Kurzum: Speku­la­tio­nen zur weit­eren Entwick­lung ein­er Lin­gua Fran­ca ent­behren der Grund­lage, wenn ich über­haupt mit­spekulieren soll, dann scheint mir ein Zer­fall des Englis­chen viel wahrschein­lich­er als des Esperanto.
    *Lesetipp: Sabine Fiedler, “Plansprache und Phrase­olo­gie. Empirische Unter­suchun­gen zu repro­duziertem Sprach­ma­te­r­i­al im Esperan­to”. Frankfurt/M.: Lang, 444 S.
    **Da manch­es nicht ein­deutig oder nur impliz­it geregelt ist, gibt es vere­inzelt Gebrauch­sweisen, die normwidrig sind. Es han­delt sich aber um mar­ginale Phänomene.

  27. Dilettant

    Sprache vs. Rahmenbedingungen
    Hier wird ja munter über die Tauglichkeit des Esperan­to als Welthil­f­ssprache disku­tiert. Mir fällt dabei auf, dass sich die Argu­mente fast nur um die Sprache selb­st drehen (Ein­heitlichkeit, leichte Erlern­barkeit, logis­che Struk­tur etc.). Nach mein­er (in der Lin­guis­tik laien­haften) Sicht der Dinge sind das aber Vari­ablen, die bei der Frage, ob eine Sprache eine bes­timmte gesellschaftliche Bedeu­tung (und sei es die ein­er “Welthil­f­ssprache”) erlangt, besten­falls von unter­ge­ord­neter Bedeu­tung sind. Viel wichtiger erscheinen mir die gesellschaftlichen, poli­tis­chen und ökonomis­chen Rahmenbedingungen.
    Die rel­a­tiv leichte Erlern­barkeit des Englis­chen mag seinen Auf­stieg zur lin­gua fran­ca begün­stig haben — entschei­dend dafür war sie sicher­lich nicht. Viel wichtiger dürfte die lan­gan­hal­tende weltweite Dom­i­nanz englis­chsprachiger Län­der in Poli­tik, Wirtschaft und Wis­senschaft gewe­sen sein. Zur regionalen lin­gua fran­ca sind in der Geschichte schon viele Sprachen aufgestiegen, ganz unab­hängig von ihrer gram­ma­tis­chen Struk­tur und der Schwierigkeit des Erler­nens (Akkadisch, Griechisch, Latein, Sua­he­li, Franzö­sisch etc.). Dass das Englis­che anders als die genan­nten Beispiele weltweite Dom­i­nanz erlangt hat, dürfte vor allem daran liegen, dass sein Auf­stieg mit der Glob­al­isierung der Kom­mu­nika­tion­swege zusammenfiel.
    Die aller­meis­ten Men­schen ler­nen Sprachen nicht aus Inter­esse an der Sprache selb­st, son­dern weil sie müssen (poli­tis­che Rah­menbe­din­gun­gen, vgl. Rus­sis­chunter­richt im Ost­block) oder weil sie sich davon Nutzen ver­sprechen (auf­grund der ökonomisch, sozial und poli­tisch bed­ingten Bedeu­tung dieser Sprache).
    Als reines Lieb­haber­pro­jekt, hin­ter dem keine poli­tis­che, öknomis­che oder gesellschaftliche Macht ste­ht, dürfte Esperan­to, unab­hängig von allen sprachim­ma­nen­ten Fak­toren, keine Chance haben aus sein­er Nis­che herauszukommen.

  28. Cyril Brosch

    @Dilettant
    Ihre Gedanken sind völ­lig richtig, das ist auch das, wom­it sich die Inter­lin­guis­tik (Wis­senschaft von inter­na­tionaler Kom­mu­nika­tion, ins­beson­dere unter Berück­sich­ti­gung der Plansprachen) haupt­säch­lich befassen sollte, aber wie ger­ade diese Diskus­sion zeigt, muss man fast immer wieder bei Adam und Eva anfangen.
    Die Leute ler­nen natür­lich die Sprache, von der sie sich den meis­ten Nutzen erhof­fen. Das ist in Ord­nung so und wird immer so bleiben. Bere­its weit­er oben hat­te ich ja ange­merkt, dass ein Par­a­dig­men­wech­sel notwendig ist in Bezug auf den Mech­a­nis­mus, der bes­timmt, welche Sprache als beson­ders nüt­zlich anzuse­hen ist. Als ratio­naler Men­sch sym­pa­thisiere ich natür­lich mit ein­er Lösung, die auf ökonomis­chen und Gerechtigkeit­süber­legun­gen basiert statt wie bish­er auf Macht.
    Ob und wann ein solch­es Umdenken ein­set­zt, ste­ht in den Sternen.
    Das wis­sen übri­gens auch fast alle Esper­an­tis­ten, deswe­gen betreiben diejeni­gen, denen üner­haupt an der Ver­beitung der Sprache gele­gen ist (es gibt auch genug, denen der per­sön­liche Nutzen jet­zt schon genügt), ja auch nicht Lob­by­poli­tik bei der UNO, son­dern machen Basis­ar­beit oder beto­nen den wohl gegebe­nen propädeutis­chen Wert für das Fremd­sprachen­ler­nen*. Hier ist wirk­lich ein prak­tis­ch­er Ansatz mit konkretem Nutzen zu find­en, ganz unab­hängig von der abstrak­ten Weltsprachen-Debatte.
    *S. z.B. http://www.springboard2languages.org/home.htm

  29. impala

    @ Cyril Brosch

    oder beto­nen den wohl gegebe­nen propädeutis­chen Wert für das Fremdsprachenlernen

    Auf der von Ihnen ver­link­ten Seite man­gelt es an fundierten wis­senschaftlichen Erken­nt­nis­sen zu diesem ange­blichen propädeutis­chen Wert. Das Ganze erin­nert mich ein biss­chen an die Latein-als-Fremd­sprache-Diskus­sion, wonach Latein ja ange­blich auch so extrem hil­fre­ich beim Erler­nen ander­er Sprachen sein soll.
    Was die Schüler durch das Esperan­to ler­nen sollen, kön­nen Sie genau­so gut durch eine x‑beliebige andere Fremd­sprache ler­nen (sin­nvoller­weise Englisch), von denen sie dann auch später noch im echt­en Leben prof­i­tieren. Im Englis­chen (oder Franzö­sis­chen, Spanis­chen, Rus­sis­chen und was son­st noch im deutschsprachi­gen Raum flächen­deck­end unter­richtet wird) gibt es diese Wor­tarten auch alle. Im Rus­sis­chen übri­gens auch oft schön an Endun­gen erkennbar. Vielle­icht nicht ganz so regelmäßig, aber von vorge­gaukel­ter Regelmäßigkeit haben die Kinder ja auch nichts, wenn sie dann fest­stellen müssen, dass diese Regelmäßigkeit in natür­lichen Sprachen halt nicht gegeben ist.
    Und die tollen Vok­a­belübere­in­stim­mungen hat man doch auch in jed­er anderen indoeu­ropäis­chen Fremd­sprache bei so basalen Wörtern. grey/gris und cat/chat/gato sind genau­so hil­fre­ich wie griza und kato.

  30. Cyril

    @Impala
    Ein­er­seits kri­tisieren Sie, es gäbe keine wis­senschaftlichen Stu­di­en zum propädeutis­chen Wert des Esperan­to (haben Sie alle auf der ver­link­ten Seite genan­nten geprüft?), ander­er­seits wer­fen Sie die Behaup­tung in den Raum, jede andere Sprache sei in gle­ich­er Weise geeignet (übri­gens kon­nte ich keine Stu­di­en z.B. zum propädeutis­chen Wert des Rus­sis­chen finden).
    Natür­lich ist klar, dass man nach der 1. Fremd­sprache weit­ere Fremd­sprachen schneller lernt. Aber darum geht es hier nicht, son­dern um ein echt­es Propädeu­tikum, d.h. in der­sel­ben Zeit, in der son­st éine Fremd­sprache gel­ernt wird, wird erst Esperan­to (das man anders als Eth­nosprachen in vielle­icht 200h unter­bringt) und dann z.B. Franzö­sisch erlernt — mit besserem Ergeb­nis als bei den Kindern, die nur Franzö­sisch hatten.
    Wem die bish­erige prak­tis­che Erfahrung nicht gesichert genug ist, der möge doch entsprechende strenge Stu­di­en durch­führen, die Indizien besagen, dass es lohnenswert ist.
    Das ist mein let­zter Beitrag zu dieser Diskus­sion; wer das möchte, kann aus ihr genug Infor­ma­tio­nen ziehen, um seine Vorstel­lung zu Plansprachen und beson­ders zum Esperan­to ggfls. aus dem Bere­ich der Fan­tasie auf den des gesicherten Wis­sens zu brin­gen — und wer nicht, für den muss ich keine weit­ere Tinte aufwenden.

  31. impala

    @ Cyril Brosch
    Ich habe mir in der Tat die Links auf der Seite angeschaut, aber wenn ich etwas überse­hen habe, kön­nen Sie mich gerne darauf hinweisen.
    Ich habe außer­dem nicht die Behaup­tung aufgestellt, dass jede andere Sprache gut als Propädeu­tikum ist. Mir erscheinen Propädeu­ti­ka für den Fremd­sprache­nun­ter­richt über­haupt unsin­nig. Ich habe lediglich ange­führt, dass die Argu­mente, die auf der Seite als Argu­mente für Esperan­to-Propädeu­ti­ka gebraucht wer­den, beina­he willkür­lich auch auf andere indoeu­ropäis­che Sprachen über­trag­bar sind. Ich brauche auch keine Stu­di­en zum Beweis liefern, weil ich nicht der­jenige bin, der Web­seit­en kreiert und propädeutis­che Effek­te verspricht.

  32. Rudolf Fischer

    Zur leichteren Erlern­barkeit des Esperan
    Dass für einen Nicht-Indoeu­ropäer Esperan­to um ein Vielfach­es leichter zu erler­nen ist als Englisch (es geht also um eine _relativ_ leichtere Erlern­barkeit), ist jedem sofort klar, der bei­de Sprachen auf den ver­schiede­nen Ebe­nen miteinan­der vergleicht.
    Das begin­nt mit dem Phone­m­inven­tar, das im Englis­chen umfan­gre­ich­er ist als im Esperan­to, so dass eine exak­te Englisch-Aussprache im L2-Erwerb nur unter Aus­nah­mebe­din­gun­gen (Wech­sel der Mut­ter­sprache) zu erre­ichen ist. Im Esperan­to kann demge­genüber eine gewisse Band­bre­ite der Aussprache einzel­ner Laute akzep­tiert wer­den, weil sie nicht zu Missver­ständ­nis­sen führt, da die meis­ten Phoneme hin­re­ichend dis­tink­te Merk­male aufweisen.
    Der näch­ste Vorteil beste­ht beim Esperan­to darin, dass Laut und Schreib­weise (fast) umkehrbar ein­deutig sind, während die Beziehung zwis­chen Laut und Lautze­ichen im Englis­chen wie bekan­nt weit­ge­hend unregelmäßig ist.
    Bei ein­er englis­chen Vok­a­bel muss man daher 4 Para­me­ter ler­nen: Aussprache, Schreib­weise, Beto­nung, Bedeutung.
    Im Esperan­to sind’s (dank ein­er fes­ten Beto­nung) nur 2: Aussprache (aus der sich die Schreib­weise ergibt) und Bedeutung.
    Hinzu kommt, dass man viele Begriffe im Esperan­to durch Spon­tankom­posi­ta ver­ständlich aus­drück­en kann, während Englisch vor anderen Sprachen durch einen sehr großen Wortschatz spezieller Sim­plizia auf­fällt, die erhe­blichen Vok­a­beller­naufwand erfordern.
    Über Wort­bil­dung und Syn­tax wurde schon gesprochen. Englisch kommt dabei in eini­gen Punk­ten der Sprach­pro­duk­tion ent­ge­gen, da es weniger Mor­pholo­gie (Endun­gen) als Esperan­to aufweist, aber das geht zu Las­ten der Sprachrezep­tion: Im Englis­chen muss man oft einen Satz inhaltlich ver­standen haben, bevor man seine Struk­tur erken­nt. Im Esperan­to ist die Satzstruk­tur grund­sät­zlich erkennbar, so dass Vok­a­bel­lück­en beim L2-Erwerb leichter über­brückt wer­den können.
    Die Regel­haftigkeit des Esperan­to erlaubt auch dem Anfänger das Erschließen ihm bis­lang unbekan­nter For­men per Analo­gie, was im Englis­chen nicht anzu­rat­en ist. Regel­haftigkeit ist übri­gens “natür­lich­er” als char­man­ter sprach­lich­er Wild­wuchs, wie das Phänomen Über­gen­er­al­isierung beim L1-Erwerb zeigt.
    Daraus (aber auch aus der mor­phol­o­gisch sicht­baren Syn­tax) ergibt sich übri­gens der rel­a­tiv größere propädeutis­che Wert des Esperan­to gegenüber anderen Einstiegsfremdsprachen.
    Nicht erwäh­nt wurde bis­lang die Idiomatik. Die Idiomatik ist beim L2-Erwerb im Englis­chen ein end­los­es Gebiet.
    Auch das Esperan­to hat eine gewisse indoeu­ropäis­che Res­tid­iomatik, aber im Ver­gle­ich zum Englis­chen ist das fast nichts.
    Schon dieser kurze Sprachver­gle­ich zeigt, dass es als selb­stver­ständlich gel­ten kann, dass Esperan­to auch für Nicht-Indoeu­ropäer ungle­ich leichter erlern­bar ist als Englisch.
    Es hat dazu einen Schul­ver­such in Ungarn gegeben, bei dem die Esperan­to-Schüler wesentlich weit­er kamen als bei anderen Fremdsprachen.
    Nun sind diese und andere Schul­ver­suche wis­senschaftlich prob­lema­tisch, da sie nicht sta­tis­tisch sauber durchzuführen sind. Wer möchte schon, dass sein Kind per Wür­fel ein­er “Ver­suchs­gruppe” im Fremd­spra­chunter­richt zuge­ord­net wird? Streng sta­tis­tisch gese­hen, kön­nen damit die Voraus­set­zun­gen für ein beweis­na­h­es Ergeb­nis zur Unter­suchung solch­er L2-Erwerb­sver­gle­iche gar nicht geschaf­fen werden.
    (Aber selb­stver­ständlich gel­ten diese Ein­wände für alle Fremdsprachen.)
    Es ist daher nur vernün­ftig, die rel­a­tiv leichtere Erlern­barkeit anstatt mit sta­tis­tis­chen Unter­suchun­gen durch einen sprachebe­nen­be­zo­ge­nen Ver­gle­ich durchzuführen, wie oben angedeutet.
    Es gibt dazu auch einen Aufsatz:
    Sprach­wis­senschaftliche Über­legun­gen zur Frage der leicht­en Erlern­barkeit des Esperan­to / Max Mangold
    Ver­fass­er Man­gold, Max
    Erschienen Saar­brück­en : Saar­ländis­ch­er Esperan­to-Bund, 1976
    Umfang 11 S.
    Darüber hin­aus gibt es auch beliebig viele Sprech­er indoeu­ropäis­ch­er Sprachen, selb­st Deutsche, deren Mut­ter­sprache doch dem Englis­chen so benach­bart ist, die nach rel­a­tiv kurz­er Zeit fließend Esperan­to, aber nie so gut Englisch beherrschen. (Ich bin dafür ein Beispiel.)
    Was brauchen wir da noch Schul­ver­suche? Sowohl der sprachthe­o­retis­che Ver­gle­ich als auch das prak­tis­che Ergeb­nis sprechen eine völ­lig ein­deutige Sprache: Esperan­to ist als L2-Sprache leichter erwerb­bar als Englisch. Weltweit.
    Zum ange­blich dro­hen­den Zer­fall des Esperan­to in Dialekte:
    Esperan­to ist als _internationale_ Sprache gedacht und soll _nicht_ ganze Gebi­ete umfassend _Muttersprache_ wer­den. Bis­lang tauschen sich Esperan­tosprechende in über 100 Län­dern täglich (meist schriftlich) im Esperan­to aus. Es gibt dabei so gut wie keine Ansätze zu Regi­olek­ten (wie denn auch?).
    Gele­gentlich wird ein absichtlich flap­siger Sprachge­brauch Jün­ger­er zu “Esperan­to-Jugend­sprache” hochstil­isiert, aber das ist ein sehr flüchtiges und arbi­träres Phänomen, das natür­lich in Wörter­büch­ern und Gram­matiken keinen Nieder­schlag findet.

  33. impala

    @ Rudolf Fischer
    Was die englis­che Rechtschrei­bung bet­rifft, haben Sie natür­lich Recht. Im Falle der Aussprache ver­gle­ichen Sie aber dann doch Äpfel mit Bir­nen, näm­lich das Englis­che, das wie jede natür­liche Sprache ein bes­timmtes Phone­m­inven­tar hat und eine durch seine weltweite Ver­bre­itung beson­ders große regionale Vari­a­tion aufweist, und Esperan­to, wo man kün­stlich fest­gelegt wurde, dass man mit der Aussprache nicht so genau sein muss und Sprech­er ver­schieden­er Sprachen bes­timmte Laute eben auch unter­schiedlich real­isieren. Nach dieser Gle­ichung hat man im Englis­chen also beina­he immer einen Akzent, das Laut­sys­tem also nicht gemeis­tert, und im Esperan­to beina­he nie. Da macht man sich es Esper­an­tist natür­lich einfach.
    Das ist eigentlich auch der Tenor des Rests Ihres Post­ings. Jede natür­liche Sprache ver­liert natür­lich da, wo das Esperan­to kreativ­en Spiel­raum zulässt, der in natür­lichen Sprachen durch die Sprecherge­mein­schaft per Kon­ven­tion z.B. durch Kol­loka­tio­nen stark eingeschränkt ist.
    Es muss übri­gens nicht zwangsläu­fig ein Ver­gle­ichsver­such ges­tartet wer­den, es würde ja schon reichen, über­haupt mal ein prax­is­na­h­es Forschungsergeb­nis zum L2-Spracher­werb präsen­tiert zu bekom­men. Denn diese gibt es mit­tler­weile für den Erwerb zahlre­ich­er Fremd­sprachen und selb­st eine kurze Auseinan­der­set­zung mit dem The­ma ver­rät, dass oft Bere­iche prob­lema­tisch sind, von denen man dies bei einem the­o­retis­chen Sprachver­gle­ich nicht angenom­men hätte.

  34. Cyril Brosch

    @impala
    Ich wollte mich nicht in Details ver­lieren, melde mich aber doch noch einmal.
    Es geht hier ja bei den the­o­retis­chen Über­legun­gen zu sprach­lichen Gütekri­te­rien nicht um einen Schön­heitswet­tbe­werb, son­dern die Frage, welche Eigen­schaften eine Lin­gua Fran­ca haben soll. Und da macht es Esperan­to nicht sich, son­dern seinen Lern­ern ein­fach. Son­st kön­nte man ja gle­ich Latein nehmen.
    Was die Aussprache ange­ht, so gibt es dur­chaus eine als vor­bild­haft ange­se­hene, die sich im Übri­gen “natür­lich” in den let­zten Jahrzehn­ten etabliert hat, näm­lich in etwa die Aussprache der Kroat­en (ein Bsp.: http://www.ipernity.com/doc/69959/5475106); es ist nur so, dass Esperan­to sowohl in Bezug auf sein Phonem­sys­tem als auch die Hal­tung sein­er Sprech­er mehr Abwe­ichun­gen von diesem Ide­al duldet als andere Sprachen.
    Eine riesige authen­tis­che empirische Samm­lung zum L2-Ler­nen von Esperan­to existiert, näm­lich in dem zu Beginn des Blo­gein­trags erwäh­n­ten http://www.lernu.net, wo tausende online die Sprache gel­ernt haben. Sie kön­nen ja ein­mal im Forum (ger­ade auch eth­nosprach­lich) schauen, manche The­men (Akkusativ, Artikel) kom­men häu­figer, andere sel­tener. Auf­fäl­lig ist, dass die Fra­gen oft schon ver­gle­ich­sweise ela­bori­ert sind und Fein­heit­en ger­ade z.B. der Wort­bil­dung oder passende Über­set­zun­gen für Phrase­ol­o­gis­men betreffen.
    Es müsste sich nur mal jemand hin­set­zen und dieses Mate­r­i­al auswertem, Frei­willige vor, die einen Dok­toran­den bezahlen…

  35. Rudolf Fischer

    Antwort an @impala
    Natür­lich ver­liert jede Eth­nosprache in der Rolle ein­er inter­na­tionalen Kom­mu­nika­tion­ssprache gegen eine Plansprache, die eben zu diesem Zweck geschaf­fen wurde. Das liegt in der Natur der Sache und ist ja eines der Haup­tar­gu­mente für die Nüt­zlichkeit des Esperanto.
    Obwohl jedes Esperan­to-Phonem in sein­er Lau­tung per IPA fest­gelegt ist, kann sich der Sprech­er in der Prax­is eine gewisse Allo­phonie erlauben, ohne unver­ständlich zu wer­den. Beim Eglis­chen muss man sich lei­der eben an der Mut­ter­sprach­ler­norm ori­en­tieren, was im Esperan­to wegfällt. Noch viel mehr gilt dies für die Idiomatik.
    Das soll übri­gens mit dem Argu­ment “Neu­tral­ität” des Esperan­to aus­ge­drückt wer­den: dass die Ver­ständi­gung auf gle­ich­er Augen­höhe geschieht (kein Gesprächspart­ner ist Mut­ter­sprach­ler, an dessen Norm sich der andere ori­en­tieren muss). _Nicht_ gemeint ist mit “Neu­tral­ität” ein gle­ich­er sprach­lich­er Abstand des Esperan­to zu allen Sprachen der Welt, was immer wieder missver­standen wird. Wie man schon längst weiß, ist so eine Sprache gar nicht vorstell­bar. Aber auch in diesem Punkt ist eine Plansprache ex natu­ra _graduell_ allen Eth­nosprachen über­legen. Wer also die “Europalastigkeit” des Esperan­to kri­tisiert, für den müsste Englisch dann ja gar nicht in Frage kommen.
    Zu Forschung zu L2-Lern­ergeb­nis­sen im Esperan­to: Mir ist nicht klar, was da geforscht wer­den soll. Ich gebe seit ca. 40 Jahren Esperan­to-Kurse, habe 3 Kinder zweis­prachig erzo­gen, unter meinen Schüler waren auch viele Nicht­deutsche bis hin zu Asi­at­en. So wie ich kön­nen viele Esperan­tolehrer (auch aus der Schul­prax­is) über Esperan­to-Lehrerfolge bericht­en, Lit­er­atur darüber liegt vor.
    In jüng­ster Zeit hat ein Daniel Keefe in Chi­na Ein­heimis­che und Aus­län­der gemein­sam in frei­willi­gen Wochenkursen (die chi­ne­sis­chen Stu­den­ten haben dafür ihre Semes­ter­fe­rien ver­wen­det) unter­richtet. Ich ver­mit­tele gern den Kontakt.
    Auch mit dem japanis­chen Indus­triellen Etsuo Myoshi, der sich vergebens um Englisch bemüht hat, um dann erfol­gre­ich Esperan­to zu ler­nen (mir per­sön­lich bekannt).

  36. esocom

    Esperan­to — kul­turelle Errungenschaft
    der Menschheit:
    http://www.wienerzeitung.at/…125-Jahre-alt.html.
    Auch wenn die Men­schen­rechte immer noch mit Füßen getreten wer­den, hin­dert mich nie­mand daran, Belei­di­gun­gen zu unter­lassen, oder mich son­st nicht daneben zu benehmen.
    Auch wenn ich als erste Fremd­sprache Englisch ler­nen musste, hat es mir das Esperan­tol­er­nen nicht vergällen kön­nen. Erfol­gser­leb­nisse stell­ten sich rasch ein, so dass ich dabei blieb und seine Vorteile genießen kon­nte. Wer sich die ent­ge­hen lässt, den bemitlei­de ich.
    Natür­lich finde ich treuherzige Behaup­tun­gen über nur 16 Gram­matikregeln stüm­per­haft. Aber das sagt nichts über den wahren Wert des Esperan­to für seine Sprech­er. Wenn es als Hob­by abqual­i­fiziert wird, dass ich mith­il­fe des Esperan­to Fre­unde im Aus­land finde, trifft mich das, denn ich trage aktiv zum Welt­frieden bei: Meine Esperantofre­und­schaften waren ein tra­gen­des Argu­ment für meine Anerken­nung als Kriegs­di­en­stver­weiger­er (vor mehr als 30 Jahren brauchte man noch gute Gründe).
    Mich treibt eher um, dass viele Esperan­tosprech­er sich nur so wenig um die Sprech­fer­tigkeit bemühen, dass sie Esperan­to nicht bess­er als ihr mageres Englisch kön­nen. Ohne im Aus­land zu leben kann man Esperan­to so gut beherrschen ler­nen, als wäre man dort. Eine Fremd­sprache fast so gut wie seine Mut­ter­sprache sprechen zu kön­nen, ist eine äußerst bere­ich­ernde Angele­gen­heit und hat kaum ein Vor­bild, wenn es um Län­der geht, die von Englisch noch nicht erre­icht wur­den. Das kann sich kaum jemand vorstellen, der sich nicht ern­sthaft mit Esperan­to befasst hat.
    In der ganzen Welt fre­und­schaftlich aufgenom­men zu wer­den, ist ein Luxus, den sich mit einem biss­chen guten Willen jed­er Men­sch leis­ten kann. Auch wenn man Esperan­tosprech­er zufäl­lig kaum find­et, so bietet doch die Esperan­tokul­tur etliche Möglichkeit­en für inter­na­tionalen Austausch.
    Wem das Erre­ichte zu bedeu­tungs­los ist, dem pflichte ich bei, denn ich hätte auch gern mehr davon. “Ich lerne auch Esperan­to, wenn es sich durchge­set­zt hat.” Wenn zu viele Men­schen so denken, dann wird die Sache weit­er von den bekrit­tel­ten Enthu­si­as­ten abhängen.
    Es ist nicht nur eine Frage der Bekan­ntheit des Esperan­to, son­dern auch sein­er Attrak­tiv­ität. Die hängt nun wieder von dem Gebaren der Esperan­tosprecherIn­nen ab. Da hätte ich auch noch Wünsche.
    Aber Schlechtre­den von Esperan­to in der Presse, in Blogs und Kom­mentaren demo­tivieren da eher.
    Da die Esperan­tow­elt nicht pub­likum­swirk­sam von ein­er Wer­bein­dus­trie in Szene geset­zt wird, hat sie es natür­lich schw­er, akzep­tiert zu wer­den. Man muss schon zum Trüf­felschwein mutieren, aber dann wird man doch fündig.

  37. Lu Wunsch-Rolshoven

    Bedarf an Esperanto
    Im Blog erläutert Ana­tol Ste­fanow­itsch, es ging ihm bei seinem „lei­dig und nicht tot zu kriegen“ “um die Tat­sache, dass es ganz offen­sichtlich keinen Bedarf an ein­er solchen Welt­sprache” wie Esperan­to gibt.
    Er führt nicht aus, warum es einen solchen Bedarf “offen­sichtlich” nicht gibt. Ich ver­mute mal, es ist die schlichte Tat­sache, dass Esperan­to heute nur “eine schlappe Mil­lion Sprecher/innen” hat. Anzumerken ist, dass Esperan­to vor 125 Jahren wohl nur etwa einen einzi­gen, nicht sehr schlap­pen Sprech­er hat­te, den Ini­tia­tor der Sprache, Lud­wig Zamen­hof, evtl. noch ein paar Fam­i­lien­ange­hörige und Fre­unde, und damit wohl die kle­in­ste Sprachge­mein­schaft unter eini­gen tausend Sprachen der Welt. Irgend­wann um 1900 mag es hun­dert Men­schen gegeben haben, die Esperan­to fließend sprachen — heute gibt es etwa tausend­mal so viele. Esperan­to hat im Ver­gle­ich mit anderen Sprachen nach der Nutzung­shäu­figkeit heute in der Regel einen der vorderen 50 Plätze (in der Wikipedia Platz 27 bzw. nach Seit­e­naufrufen Platz 39, auf den Infor­ma­tion­s­seit­en der chi­ne­sis­chen Regierung http://esperanto.china.org.cn/ eine von zehn Sprachen, in Litauen und in Ungarn Platz 16 unter den von den Ein­wohn­ern beherrscht­en Fremd­sprachen, http://www.nepszamlalas2001.hu/…es/load1_32.html usw.)
    Ver­mut­lich ist Esperan­to mit dieser Ver­tausend­fachung der Sprecherzahl inner­halb von einem Jahrhun­dert die am schnell­sten gewach­sene Sprache der Geschichte. Das deutet nicht unbe­d­ingt auf einen Man­gel an Bedarf an ein­er geplanten Welt­sprache hin — eher darauf, dass Sprachen sich zumeist nun mal rel­a­tiv langsam ver­bre­it­en. Das Englis­che beispiel­sweise ist um das Jahr 500 ent­standen, hat erst um 1500 die britis­chen Inseln (wieder) ver­lassen und erst im 20. Jahrhun­dert die Posi­tion der am meis­ten gel­ern­ten Fremd­sprache erre­icht. Das Zahlen­ver­hält­nis zwis­chen Esperan­to und Englisch hat sich von 1887 bis heute von etwa 1:20.000.000 (wenn wir fünf Sprech­er für 1887 annehmen) auf etwa 1:1000 zu Gun­sten von Esperan­to verändert.
    Manch­mal wird so getan, als sei Esperan­to eine Per­son, die demzu­folge auch nur eine einzige Mei­n­ung hat. Im Blog ist zu lesen: “Das Esperan­to (…) leit­et seinen Anspruch auf die Rolle ein­er Welt­sprache aus zwei Tat­sachen ab (…).” Esperan­to an sich ist eine Sprache und hat somit gar keine Ansprüche — diese haben nur die Sprech­er (und evtl. auch Nicht-Sprech­er). Natür­lich haben diese Sprech­er dur­chaus unter­schiedliche Ansicht­en und Ziele. Es gibt solche, die Esperan­to als Welt­sprache ein­führen wollen, wobei man unter­schei­den kann, ob sie dies über Anord­nun­gen der Regierun­gen oder über Ver­bre­itung unter den Bürg­ern erre­ichen wollen (desupris­mo und desubis­mo). Andere find­en ein­fach Esperan­to als Sprache ein­er inter­na­tionalen Sprachge­mein­schaft gut, kom­mu­nizieren gerne per Inter­net, lesen gerne Büch­er in Esperan­to und fahren gerne zu Esperan­to-Tre­f­fen. Von diesen gibt es einige, die Esperan­to weit­er ver­bre­it­en wollen und dafür Wer­bung machen ohne deshalb gle­ich die Posi­tion ein­er Welt­sprache als Ziel zu haben (kreski­go), andere wollen die esperan­tosprachi­gen Ange­bote verbessern (z.B. in der Wikipedia, bei Tatoe­ba, Über­set­zung von Face­book, von TED-Vorträ­gen oder Unter­titelung von Fil­men betreiben oder Lieder machen, Büch­er schreiben usw.) und die meis­ten lässt das alles ziem­lich kalt, sie sprechen ein­fach Esperan­to und schreiben es und gut ist es. Macht nach meinem Ver­ständ­nis so etwa fünf ver­schiedene Ein­stel­lun­gen der Sprech­er zu Esperanto.
    Ich selb­st fände es dur­chaus vernün­ftig, Esperan­to auf dem Weg zur am meis­ten gel­ern­ten und benutzten inter­na­tionalen Sprache zu fördern. Es gibt dafür so einige Gründe, z.B.:
    — Esperan­to ist rel­a­tiv schnell zu ler­nen. In der Regel reichen z.B. für deutsche Stu­den­ten oder Gym­nasi­as­ten drei Woch­enend­kurse aus, um ein­fache Gespräche zu führen und selb­ständig weit­erzuler­nen. Mehr Kurse wollen die Lern­er in der Regel nicht haben, sie ler­nen dann in der Prax­is weit­er. Bei ein­er Face­book-Umfrage hat die Hälfte erk­lärt, dass sie Esperan­to nach weniger als 20 Stun­den Ler­nen bere­its in Nicht-Lern­si­t­u­a­tio­nen angewen­det haben, http://www.facebook.com/questions/345655878818771/ . (Ja, das ist keine wis­senschaftliche Aus­sage, deckt sich aber mit anderen Befra­gun­gen hierzu.)
    — Esperan­to lässt sich in vie­len Län­dern weit­er­ler­nen — man muss nicht in ein paar bes­timmte Län­der fahren, um Sprach­prax­is zu erlan­gen, es reicht oft das eigene oder ein Nach­bar­land, wo es Esperan­to-Tre­f­fen gibt. Das fördert das Gle­ichgewicht im inter­na­tionalen Austausch.
    — Esperan­to kann weit­ge­hend im Selb­stun­ter­richt gel­ernt wer­den; mehr als die Hälfte der Teil­nehmer ein­er Face­book-Umfrage haben dies so gemacht (Lehrbuch und Inter­net-Kurse), http://www.facebook.com/questions/409467079104317/
    — Die Esperan­to-Sprachge­mein­schaft ist sehr inter­na­tion­al und führt rasch an ein inter­na­tionales Miteinan­der her­an. Das gilt eingeschränkt heute auch für das Englis­che — aber meine Tochter, die als Esperan­to-Mut­ter­sprach­lerin aufgewach­sen ist, hat­te stets weit mehr inter­na­tionale und auch engere, fre­und­schaftliche Kon­tak­te als ihre Klassenkameraden.
    Für den — zunächst mal rein hypo­thetis­chen — Fall ein­er all­ge­meinen Ein­führung von Esperan­to kann man die ersten Punk­te auch in der Erspar­nis staatlich­er Aus­gaben aus­drück­en. Vieles spricht dafür, dass eine bes­timmte Sprachkom­pe­tenz in Esperan­to in einem Drit­tel oder sog­ar in einem Fün­f­tel der Zeit erwor­ben wer­den kann, die für andere Sprachen benötigt wird. Seien wir vor­sichtig, nehmen wir die Hälfte. Das hieße für den Schu­lun­ter­richt, man kön­nte bei ein­er Ein­führung von Esperan­to von z.B. 1000 Schul­stun­den Englisch auf 500 Schul­stun­den Esperan­to überge­hen und etwa die Hälfte der Aus­gaben für den schulis­chen Fremd­sprache­nun­ter­richt eins­paren (wenn man sich mit der Erre­ichung gle­ich­er Sprachkom­pe­tenz beg­nügt). Frankre­ich gab 2004 z.B. etwa 8 Mia. EUR pro Jahr für schulis­chen Fremd­sprache­nun­ter­richt aus, 10 % der Aus­gaben für schulis­chen Unter­richt, etwa 137 EUR pro Bürg­er und Jahr ( http://www.ladocumentationfrancaise.fr/…0000.pdf , S. 87 f.); das dürfte in vie­len anderen EU-Län­dern ähn­lich sein. Eins­paren ließe sich also zumin­d­est die Hälfte, ca. 70 EUR pro Bürg­er und Jahr, 4 Mia. EUR in Frankre­ich und vielle­icht in der EU ins­ge­samt 30 Mia. EUR pro Jahr. Hier­bei ist der son­stige Spra­chunter­richt nicht ein­gerech­net und auch Folge-Effek­te bleiben noch außer Betra­cht (bevor wir die Mach­barkeit behan­delt haben, sind diese Details noch unerheblich).
    Das mag nett klin­gen für den Schüler, Bürg­er und Steuerzahler, hat allerd­ings auch einige “Neben­wirkun­gen”: Der Bedarf an Englisch-Lehrern würde drastisch sinken, eben­so der an Dol­metsch­ern und Über­set­zern. Eben­so der Bedarf an den­jeni­gen, die diese Lehrer, Dol­metsch­er und Über­set­zer aus­bilden, den Englisch-Pro­fes­soren. Das erk­lärt vielle­icht, warum ger­ade diese Beruf­s­grup­pen in aller Regel dem Esperan­to kri­tisch bis sehr kri­tisch gegenüber­ste­hen. Das war schon vor einem Jahrhun­dert so, als sog­ar bezweifelt wurde, ob aus dem Pro­jekt Esperan­to über­haupt eine Sprache wer­den könne, oder später, als in Zweifel gezo­gen wurde, es sei eine.
    Jeden­falls ist mir aufge­fall­en, dass etwa die Hälfte der Dol­metsch­er und Über­set­zer, mit denen ich über Esperan­to gesprochen habe, ziem­lich bald erläutert haben, das wäre für sie ja ungün­stig, weil sie bei ein­er Ein­führung von Esperan­to ja ihren Job ver­lieren wür­den. Und es ist auch bemerkenswert, dass der Bun­deswet­tbe­werb Fremd­sprachen Esperan­to von der Teil­nahme auschließt, http://www.bundeswettbewerb-fremdsprachen.de/…fe . Richtig wun­dern kann es mich mit­tler­weile auch nicht mehr, wenn ein Englisch-Pro­fes­sor erläutert, Esperan­to sei “lei­dig”; ich kann das ver­ste­hen und nachvol­lziehen und sehe bei den Esperan­to-Befür­wortern (speziell denen, die die all­ge­meine Ein­führung anstreben) dur­chaus einen Man­gel darin, dass sie in der Regel die Frage nicht behan­deln, wie sich das auf die Sprach­berufe auswirken wird.
    Bleibt u.a. die Frage, ob eine weit­ere Ver­bre­itung von Esperan­to und die eventuelle all­ge­meine Ein­führung über­haupt denkbar sind und wenn ja, wie das gehen kann. Ich denke, dafür lohnt es sich, die Diszi­plin der “Dif­fu­sion von Inno­va­tio­nen” zu betra­cht­en; dort sitzen schließlich die Fach­leute für den Vor­gang der Ver­bre­itung von neuen Ideen, Pro­duk­ten und Dien­stleis­tun­gen. Auf en.wikipedia.org/wiki/Diffusion_of_innovations wird das etwas vorgestellt. Ich werde dazu wohl ein wenig in einem fol­gen­den Beitrag schreiben.
    (Nur am Rande: Lud­wig Zamen­hof war nicht Sprach­lehrer — das war sein Vater -, son­dern Gym­nasi­ast, als er die erste Esperan­to-Ver­sion entwick­elt hat, Medi­zin­stu­dent, als er es über­ar­beit­et hat, und Arzt, als er es veröf­fentlicht hat.)

  38. Lu Wunsch-Rolshoven

    Dif­fu­sion von Innovationen
    Cyril Brosch schrieb, dass “Esperan­to z.Z. keine Chance hat, zum Einen auf­grund von Igno­ranz und psy­chol­o­gisch bed­ingten Vorurteilen, zum Anderen aber beson­ders deswe­gen, weil es keine ökonomis­che, mil­itärische und klul­turelle Macht­ba­sis hat, und bish­er wer­den Welt­sprachen so bes­timmt, ganz egal, ob sie dafür “geeignet” sind oder nicht. (…)”
    Dieser Ein­schätzung wider­spreche ich. Ich habe den Ein­druck, es lohnt sich, einen Blick auf die Diszi­plin der von mir oben kurz erwäh­n­ten “Dif­fu­sion von Inno­va­tio­nen” (Everett Rogers) zu wer­fen. Dort wird erläutert, dass neue Ideen, Pro­duk­te und Dien­stleis­tun­gen zuerst von ein­er kleinen Teil­gruppe der let­ztlichen Ziel­gruppe aus­pro­biert wer­den, etwa 2 % (“Inno­va­toren” oder “Pio­niere”). Erst wenn diese die Inno­va­tion erfol­gre­ich anwen­den, beste­ht die Chance, dass eine weit­ere Teil­gruppe von etwa 14 % die Inno­va­tion eben­so anwen­den (“ear­ly adopter”). Wenn auch diese zufrieden sind mit der Inno­va­tion, erwägt die Teil­gruppe der “frühen Mehrheit” eine Über­nahme der Inno­va­tion; es fol­gen zwei weit­ere Gruppen.
    Man kann annehmen, dass die let­ztliche Ziel­gruppe für Esperan­to ein großer Teil der­jeni­gen sind, die heute Englisch ler­nen, also z.B. Gym­nasi­as­ten und Stu­den­ten. In der Tat lässt sich fest­stellen, dass an einem Gym­na­si­um so etwa ein bis zwei Prozent der Schüler für eine Esperan­to-Arbeits­ge­mein­schaft zu begeis­tern sind, wenn man denn über Esperan­to so informiert, wie es die Wer­beleute anre­gen — also unter Darstel­lung des Nutzens, unter Ver­wen­dung viel­er Kom­mu­nika­tion­skanäle und so, dass jedes Mit­glied der Ziel­gruppe etwa zehn Mal eine bewusste Infor­ma­tion erhält. Eine solche Infor­ma­tion­sar­beit nach pro­fes­sionellen Stan­dards wird allerd­ings sel­ten geleis­tet und das ist wohl der Grund, warum diese etwa 2 % der Gym­nasi­as­ten von Esperan­to kaum etwas erfahren und sich daher auch prak­tisch nicht entschei­den kön­nen, es zu ler­nen. Das­selbe gilt für die Ziel­gruppe der Stu­den­ten. Fol­glich entste­ht keine solche Anwen­der-Gruppe von 2 % (Pio­niere) der Ziel­gruppe und damit hat die Fol­ge­gruppe der ‘ear­ly adopters’ auch wenig Gele­gen­heit, zu beobacht­en, ob Esperan­to denn auch gut funk­tion­iert, und entschei­det sich daher eher zu einem Abwarten.
    Man kann das ändern, indem man in kleinen Ein­heit­en (eine einzelne Schule, ein paar Uni-Insti­tute) eine sorgfältige und langfristige Infor­ma­tion­sar­beit leis­tet. Das kann auch die heutige Esperan­to-Sprachge­mein­schaft trotz ihrer beschränk­ten Mit­tel leis­ten — wenn denn einzelne Esperan­to-Sprech­er bere­it sind, sich mit den Grund­la­gen von Wer­bung und Mar­ket­ing ver­traut zu machen und diese dann anzuwen­den unter Nutzung der beschei­de­nen, aber immer­hin fließen­den Spendenmittel.
    “Igno­ranz und psy­chol­o­gisch bed­ingte Vorurteile” stören hier­bei nicht — sie find­en sich in der Gruppe der 98 %, die zu Beginn abwarten, stören aber die 2 % nicht daran, eine Inno­va­tion auszupro­bieren, wenn sie denn attrak­tiv ist. Auch eine “ökonomis­che, mil­itärische und kul­turelle Macht­ba­sis” ist erst­mal nicht notwendig, um 1000 Schüler eines Gym­na­si­ums sorgfältig zu informieren, um let­ztlich 20 von ihnen für das Esperan­to-Ler­nen und ‑Anwen­den zu gewin­nen. Auch nicht für mehrere Gym­nasien. Sie ist auch nicht nötig, um eines Tages, wenn die 2 % gewon­nen sind, die näch­sten 14 % zu gewin­nen. Wenn das eines Tages geschehen sollte, bildet sich damit eine gewisse kul­turelle Mach­ba­sis und die Fort­set­zung wird leichter.
    Inter­es­san­ter­weise ist die Ein­führung von Inno­va­tio­nen ein einiger­maßen undemokratisch ausse­hen­der Prozess: Hätte man in der Anfangsphase des Handys eine Abstim­mung gemacht, ob man ein Handy braucht, hätte man die Abstim­mung ver­loren. So läuft das aber nicht. Ein paar Leute fan­den Handys span­nend und haben sie genutzt und dann ein paar mehr und dann noch mehr…
    Insofern wird auch in gewiss­er Weise die Frage des Blogs, ob ein “Bedarf” an Esperan­to beste­ht, der Natur von Dif­fu­sion­sprozessen nicht gerecht. Zur erfol­gre­ichen Dif­fu­sion braucht man nicht etwa die Überzeu­gung ein­er Mehrheit, es beste­he ein “Bedarf”. Man braucht nur ein paar Leute, die die Inno­va­tion nett find­en und sie anwen­den, ein­fach so, aus Spaß an der Freud’, aus Daf­fke oder weil es die Fre­undin macht oder warum auch immer. Und dann noch ein paar. Und noch ein paar. (Einen wirk­lichen “Bedarf” an Wein habe ich im übri­gen auch nicht, trinke ihn aber den­noch gele­gentlich ganz gerne.)
    Was nun Esperan­to anbe­t­rifft, lasse ich mir gerne sagen, das seien ja Träume. Das stimmt. Ich behaupte ja auch nicht, dass es auf diesem Weg möglich ist, Esperan­to auf der Welt als am meis­ten gel­ernte Fremd­sprache einzuführen. Ich habe bloß den Ein­druck, dass in Bezug auf Esperan­to die Erken­nt­nisse der Dif­fu­sion­s­the­o­rie, des Mar­ket­ing und der Wer­bung noch nicht angewen­det wur­den — und damit ste­ht noch in den Ster­nen, ob das klap­pen kön­nte oder nicht. Man muss es ein­fach mal pro­bieren, um die The­o­rie in der Prax­is zu testen.
    In den let­zten 125 Jahren hat die Men­schheit die Erken­nt­nis gewon­nen, dass es möglich ist, eine geplante Sprache zu schaf­fen und zu ver­bre­it­en und eine funk­tion­ierende Sprachge­mein­schaft aufzubauen — trotz aller Unken­rufe. Jet­zt fände ich es span­nend, her­auszukriegen, ob man diese Sprachge­mein­schaft erhe­blich ver­größern kann (ich denke da erst­mal an eine Ver­dop­pelung oder eine Verzehn­fachung). Schon aus wis­senschaftlichem Inter­esse heraus 🙂

  39. Lu Wunsch-Rolshoven

    @Peer: Welt­frieden
    Cyril hat­te gefragt: “Warum sollte Esperan­to nicht die Rolle der lin­gua fran­ca übernehmen?”
    Und Peers Antwort war: “Warum machen wir keinen Weltfrieden? 🙂 ”
    Nach meinem Ver­ständ­nis sind wir auf dem Wege, Welt­frieden zu machen. Bloß ist die Idee, dass Frieden eine sin­nvolle Sache ist, eine Art Inno­va­tion und fol­gt den Regeln der Dif­fu­sion von Inno­va­tio­nen. Das geht also nicht von einem Tag auf den anderen. Zuerst waren in Europa zu Beginn des 20. Jahrhun­derts ein paar Prozent der Intellek­tuellen vom Frieden überzeugt, dann mehr, dann noch mehr. Das Ergeb­nis ist, dass wir in Europa in den let­zten Jahrzehnte weit weniger als eine Mil­lion Kriegstote hat­ten, während der zweite Weltkrieg etwa 55 Mil­lio­nen gefordert hat­te. Auch in Sachen Dritte Welt wird sich — so nehme ich an — die Idee, dass Frieden sin­nvoller ist, aus­bre­it­en. Zumin­d­est dann, wenn die Bil­dung und der Wohl­stand zunehmen, ver­mute ich mal.
    Peer schrieb weit­er, sicher­lich wäre Esperan­to als lin­gua fran­ca geeignet, “aber man wird die Welt­bevölkerung kaum dazu brin­gen, Esperan­to zu ler­nen, so lange es nicht die Lin­gua Fran­ca IST — oder ihr zumin­d­est nahekommt.”
    Dieses Ver­fahren, alles oder nichts, ist nicht der übliche Ver­bre­itung­sprozess von Inno­va­tio­nen. Es kommt darauf, dass eine Inno­va­tion für die erste Ziel­gruppe der muti­gen Pio­niere (2 %) attrak­tiv ist, span­nend, neu. Die Sache geht dann weit­er, wenn die Gruppe der frühen Anwen­der die Inno­va­tion ver­bun­den mit der Tat­sache, dass sie nun von 2 % angewen­det wird, attrak­tiv find­et. Usw. Wir kön­nen nicht wis­sen, ob das so sein wird. Wir kön­nen aber pro­bieren, soweit zu kom­men, wie es geht.

  40. impala

    It’s not gonna hap­pen dudes. Mehr muss ich zur Diskus­sion um Esperan­to als Lin­gua Fran­ca (haha) auch nicht mehr sagen.

    aber meine Tochter, die als Esperan­to-Mut­ter­sprach­lerin aufgewach­sen ist, hat­te stets weit mehr inter­na­tionale und auch engere, fre­und­schaftliche Kon­tak­te als ihre Klassenkameraden.

    Die meis­ten Jugendlichen sind mit Fre­und­schaften im direk­ten Umfeld sehr zufrieden und haben kein über­großes Bedürf­nis, sich mit Jugendlichen aus Puse­muck­el in ein­er kün­stlich geschaf­fe­nen Fremd­sprache auszu­tauschen. Ihre Tochter hat­te wahrschein­lich auch deshalb so viele inter­na­tionale Bekan­ntschaften, weil das eine Möglichkeit war, um in ihrer “Mut­ter­sprache” kom­mu­nizieren zu kön­nen, da unter ihren Klassenkam­er­aden doch kein Hahn nach Esperan­to krähte. Aber gut, what­ev­er floats your boat.

  41. impala

    Im Übri­gen, um das nochmal zu beto­nen: Ich find’s dufte, wenn Schüler sich für eine Esperan­to-AG ein­schreiben, genau­so wie ich The­ater-AGs, Schach-AGs und Golf-AGs gut finde, weil jegliche Inter­es­sen­gruppe unter Schülern unter­stützt wer­den sollte. Gle­ich­gesin­nten sollte immer ein Forum gegeben wer­den, um sich auszuleben und sich auszu­tauschen. Esperan­to als Schul­fach einzuführen ist aber bei alle Liebe nicht der näch­ste logis­che Schritt.

  42. Lu Wunsch-Rolshoven

    @impala: Schaun wir mal!
    impala schrieb:

    It’s not gonna hap­pen dudes.

    Das ist natür­lich ein sorgfältig durch­dachter und wohlbe­grün­de­ter Diskus­sions­beitrag. 😉 So dass ich nicht antworten möchte. Höch­stens eine Anmerkung: Das­selbe wurde ab 1887 über das Pro­jekt geschrieben, aus der dün­nen Grund­lage in dem ersten Esperan­to-Büch­lein von 40 Seit­en eine richtige Sprache zu machen…
    impala schrieb:

    Die meis­ten Jugendlichen sind mit Fre­und­schaften im direk­ten Umfeld sehr zufrieden (…)

    Ich erin­nere mich recht gut an meine Som­mer­fe­rien, bis ich etwa 12 Jahre alt war: Zusam­men­sein mit Fre­un­den war sel­ten — wir waren mit der Fam­i­lie am Meer und da waren Spielka­m­er­aden, die Franzö­sisch sprachen (ich noch nicht), und jedes Jahr andere. Das änderte sich erst, als ich Franzö­sisch lernte, wir regelmäßig an densel­ben Ort fuhren und ich (Ferien-)Nachbarskinder am Ferienort ken­nen­lernte, mit denen ich mich ange­fre­un­det und sehr schöne Zeit ver­bracht habe. So ähn­lich ging es mein­er Tochter, seit sie vier Jahre alt war — an den Esperan­to-Tre­f­fen, zu denen wir fuhren, nah­men zu einem guten Teil stets diesel­ben Fam­i­lien teil, so dass sich Fre­und­schaften unter den Kindern bilde­ten, die diese sehr genossen haben und bis heute schätzen.
    Natür­lich ist das the­o­retisch auch mit gemein­samem Urlaub von befre­un­de­ten Fam­i­lien denkbar; ist aber sel­ten. Außer­dem kommt für mich die inter­na­tionale Kom­po­nente hinzu — ich finde es gut, wenn Kinder frühzeit­ig Kon­takt mit anderen Kindern aus anderen Län­dern haben. Das alles ist sich­er Geschmackssache (und, wie bei der Erläuterung der Dif­fu­sion­s­the­o­rie dargelegt: Im Augen­blick kommt es für Esperan­to nicht darauf an, 98 % der Diskus­sion­spart­ner zu überzeu­gen, son­dern nur 2 %, das reicht derzeit völ­lig aus. Und sog­ar: Wirk­lich wichtig sind prak­tisch nur die Jugendlichen zwis­chen 14 und 25, später wer­den Sprachen und auch Esperan­to nur noch in geringem Maße gelernt.)

  43. Lu Wunsch-Rolshoven

    @impala: Esperan­to fakultativ!
    impala schrieb:

    Ich find’s dufte, wenn Schüler sich für eine Esperan­to-AG ein­schreiben (…). Esperan­to als Schul­fach einzuführen ist aber bei alle Liebe nicht der näch­ste logis­che Schritt.

    Fast völ­lig ein­ver­standen, ich fasse es etwas genauer. In Sachen Esperan­to an Schulen fände ich fol­gen­des sinnvoll:
    — Alle Schüler erhal­ten ein bis zwei Stun­den Unter­richt _über_ Esperan­to — Idee, Ver­wen­dung und Ver­bre­itung heute, ganz kurze sprach­liche Ein­führung. Ver­mut­lich ist das im Alter um 12 bis 14 Jahre sin­nvoll. Man kann das in allen möglichen Fäch­ern machen, Geschichte, Deutsch, Fremd­sprachen (indem man einen fremd­sprach­lichen Text über Esperan­to liest und bespricht). Von mir aus in Reli­gion im Rah­men der baby­lonis­chen Sprachver­wirrung. Jeden­falls halte ich es für sin­nvoll, dass jed­er­mann weiß, was Esperan­to the­o­retisch und prak­tisch ist. Die Wikipedia-Leute scheinen das so ähn­lich zu sehen, Esperan­to ist eine von 19 Sprachen (und eins von 1000 The­men), über die es Artikel in allen Wikipedias geben sollte, http://de.wikipedia.org/…Wikipedias_geben_sollte
    — Wer mag, soll Esperan­to ler­nen kön­nen, dafür sollte man zumin­d­est an Gym­nasien Esperanto-AG’s anbi­eten. Ich fände es gut, wenn die Lehrerstun­den auf die zu leis­ten­den Wochen­stun­den angerech­net wür­den und nicht in der Freizeit zu leis­ten wären. Natür­lich braucht man eine Min­dest­teil­nehmerzahl, das kann schwierig wer­den; bei ein­er Schule von 500 Schülern inter­essieren sich vielle­icht nur 1 %, also nur 5 Schüler dafür, selb­st bei guter Infor­ma­tion; aber vielle­icht kann man ja einen Kurs für Schüler mehrerer Schulen anbi­eten; ein Hal­b­jahr wäre schon mal ein guter Anfang.
    — Die Bemerkung von impala zu “Esperan­to als Schul­fach” bezog sich sich­er auf die Ein­führung als Pflicht­fach für alle Schüler. Das halte ich eben­so wie impala (und viele andere) für ziem­lichen Unsinn und bedauere es sehr, dass das oft die Forderung von Esperan­to-Leuten war und ist.
    So am Rande: In Brasilien ist derzeit ein Geset­ze­spro­jekt auf dem Wege, um Esperan­to als fakul­ta­tive Sprache an Schulen einzuführen, vgl. z.B. http://www.ipernity.com/blog/arno.lagrange/291131 . Die sind aber nicht hastig mit ihrer Gesetzgebung…

  44. Lu Wunsch-Rolshoven

    Das Inter­net ist super für Esperanto.
    Als ich gesagt habe,

    Das Inter­net ist ger­adezu für Esperan­to erfunden“

    (das Wort “ger­adezu” hat hier schon seinen Sinn), meinte ich damit, das Inter­net passe ein­fach her­vor­ra­gend auf die Bedürfnisse der Esperan­tosprech­er. Heute gibt es eine Esperan­to-Wikipedia mit 168.000 Artikeln — vor der Grün­dung der Wikipedia gab es gar keine Esperan­to-Enzyk­lopädie zu all­ge­meinen The­men; die Arbeit wäre ohne Inter­net sehr kom­pliziert gewe­sen und der Druck der Bände sehr teuer. Es gibt auch das “Sätze­buch” Tatoe­ba, http://tatoeba.org/epo/home — dort wird nicht die Über­set­zung von Wörtern, son­dern von ganzen Sätzen ange­boten. Esperan­to ist hier mit 173.000 Sätzen vertreten, macht Platz zwei im Sprachen­ver­gle­ich; denkbar nur, weil Esperan­tosprech­er aus der ganzen Welt leicht daran mitwirken können.
    Das Inter­net bindet auch die Esperan­tosprech­er in Nepal (dort haben etwa tausend Leute Esperan­to gel­ernt), Burun­di (ange­blich Esperan­to-Unter­richt an drei Dutzend Schulen) und anderen entle­ge­nen Orten an die inter­na­tionale Gemein­schaft der Esperan­tosprech­er an — via Mail, Foren, Chat und Skype.
    Außer­dem macht das Inter­net Esperan­to in der Prax­is leichter erforschbar: Man kann z.B. die Textmen­gen im Inter­net abschätzen und so einen real­is­tis­chen Ein­druck von der Größe und Aktiv­ität der Esperan­to-Sprachge­mein­schaft gewinnen.
    Weit­er­hin wer­den die Esperan­to-Aktiv­itäten öffentlich­er — jed­er kann sehen, dass Esperan­to in der Wikipedia benutzt wird oder bei Face­book (und so fällt es den Esperan­to-Geg­n­ern heute auch schw­er­er z.B. zu behaupten, Esperan­to sei eher ein Hob­by von älteren Leuten, weil das Chat­ten der Jugendlichen in Esperan­to ja so offen­sichtlich ist).
    Kurz: Nach der Reisewelle der 60-er Jahre ist das Inter­net ein zweit­er großer Anschub für Esperan­to. Wenn man Esperan­to ken­nt und mag, find­et man das zumeist sehr positiv.

  45. Lu Wunsch-Rolshoven

    Esperan­to: Ein­fach und neutral
    So richtig kann ich nicht nachvol­lziehen, wieso Ana­tol Ste­fanow­itsch von den “Behaup­tun­gen” von der Ein­fach­heit und Neu­tral­ität schreibt statt diese ein­fach anzuerkennen.
    Vielle­icht ist es sin­nvoll, zum Ver­ständ­nis der Ein­fach­heit mal ein Beispiel zu brin­gen. In Esperan­to enden alle Sub­stan­tive auf ‑o, z.B. vun­do (Wunde) und vor­to (Wort). Im Plur­al wird ein ‑j ange­hängt, es heißt dann vun­doj (Wun­den) und vor­toj (Wörter). An den deutschen Über­set­zun­gen sieht man, dass die Plu­ral­bil­dung hier (Wund-en, Wort > Wört-er) schwieriger ist, in Esperan­to ein­fach­er. Die weit­eren Grun­dregeln der For­men- und Sat­zlehre sind in dem ersten Büch­lein von 1887 dargestellt, Fak­sim­i­le auf http://anno.onb.ac.at/…seite=00000043&zoom=4 .
    Dass etwa die Hälfte der Esperan­to-Lern­er bere­its nach höch­stens 20 Lern­stun­den begin­nt, Esperan­to in der Prax­is anzuwen­den, hat­te ich schon erwäh­nt; auch das deutet eher auf Ein­fach­heit hin.
    Was die Neu­tral­ität anbe­t­rifft, habe ich mal ein wenig unter­sucht, aus welchen Län­dern die Autoren der englis­chen und der Esperan­to-Wikipedia kom­men. Bei der englis­chen waren dies zu über 80 % die (im wesentlichen) englis­chsprachi­gen Län­der USA, Großbri­tan­nien, Kana­da und Aus­tralien; das waren die einzi­gen, die mehr als 5 % erre­icht­en. Bei Esperan­to gab es nach mein­er Erin­nerung sechs ver­schieden­sprachige Län­der, die mehr als 5 % erre­icht­en (ich weiß sie nicht mehr, lässt sich aber leicht find­en). Diese Kon­stel­la­tion dürte nach mein­er Ein­schätzung dafür sor­gen, dass die Inhalte der Esperan­to-Wikipedia stärk­er inter­na­tion­al geprägt und auch gegen­ge­le­sen wer­den, was zu ein­er höheren inter­na­tionalen Neu­tral­ität beitra­gen dürfte.
    Ein ander­er Bere­ich sind die Herkun­ftssprachen von Über­set­zun­gen. In Deutsch­land kom­men etwa 50 % der Über­set­zun­gen aus dem Englis­chen, in manchen Län­dern sind es bis zu 80 %. Hier­durch ist das Buchange­bot stark auf die Autoren und Ideen ein­er bes­timmten Sprach- und Län­der­gruppe aus­gerichtet. In Esperan­to kom­men nach ein­er kleinen Unter­suchung von mir nur etwa 20 % der Über­set­zun­gen aus dem Englis­chen, die vier größten Herkun­ftssprachen machen zusam­men etwa 50 % aus. (Lu Wun­sch-Rol­shoven. Büch­er und Über­set­zun­gen in Esperan­to, Deutsch und Englisch. Esperan­to aktuell 5/2005, S. 10; vgl. auch http://sezonoj.ru/2011/03/tradukoj/ ab “… sed ne en Esper­an­tu­jo”; hier wer­den allerd­ings auch Broschüren von unter 49 Seit­en ein­be­zo­gen.) Auch hier sind wir natür­lich weit von ein­er wahren Neu­tral­ität oder von gle­ichen Anteilen ent­fer­nt — die Esperan­to-Lit­er­atur kommt dem aber näher als die ander­er Sprachen.
    Gerne füge ich an, dass das Argu­ment der Neu­tral­ität, so wie es oft von Esperan­to-Vertretern ange­führt wird, für mich keine große Rolle spielt. Wäre das Englis­che so rasch zu erler­nen wie das Esperan­to (und kön­nte man demzu­folge mit bes­timmtem Aufwand auch ein ähn­lich hohes Sprach­niveau erre­ichen, wie es im Esperan­to möglich ist) und wäre nicht diese Über­ma­cht von Inhal­ten aus dem englis­chsprachi­gen Raum, die ich an den Beispie­len der Wikipedia und der Über­set­zun­gen erläutert habe, hätte ich wirk­lich nichts gegen das Englis­che als inter­na­tionale Sprache einzuwen­den. Und ohne­hin: Ich spreche gerne Englisch, auch wenn mein Sprach­niveau spür­bar unter meinem Esperan­to-Niveau liegt.

  46. Lu Wunsch-Rolshoven

    heute.de: Esperan­to in der Praxis
    Bish­er kann ich noch nicht nachvol­lziehen, dass Esperan­to in dem Artikel von Brit­ta Wag­n­er bei heute.de “zur Welt­sprache stil­isiert (oder bess­er: mythisiert)” würde, wie Ana­tol Ste­fanow­itsch andeutet. Ich habe den Artikel nachge­le­sen — Frau Wag­n­er stellt Esperan­to so dar, wie es heute ist; so fängt schon der erste Satz an: “Schnell mal eine Sprache ler­nen — wer hätte das nicht gern.” Das Wort “Welt­sprache” taucht nur in dem fol­gen­den Satz auf: “125 Jahre später ist sie zwar keine Welt­sprache gewor­den, aber im Netz stark vertreten.”
    Ich kann, wie schon geschrieben, gut nachvol­lziehen, dass jemand Esperan­to-Geg­n­er ist — aus per­sön­lichen, emo­tionalen oder beru­flichen Grün­den. Allerd­ings fände ich es wun­der­voll, wenn sich die Argu­mente gegen Esperan­to an den tat­säch­lichen Eigen­schaften des Esperan­to und der Texte über diese Sprache ori­en­tieren wür­den. Esperan­to als Welt­sprache und als Sprache ein­er inter­na­tionalen Sprachge­mein­schaft sind nun mal zwei etwas unter­schiedliche Dinge.
    Meine Diskus­sion hier soll auch keineswegs eine “lei­di­ge, nicht totzukriegende Esperan­to-als-Welt­sprache-Diskus­sion” sein. Wie wir es hinkriegen kön­nten, aus Esperan­to eine Welt­sprache zu machen, das disku­tiere ich lieber mit Esperan­tosprech­ern als mit Esperan­to-Geg­n­ern. (Und es gilt auch hier: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.)
    Nach meinem Ver­ständ­nis kann sich die Unter­stützung der Poli­tik auch auf die Gle­ich­berech­ti­gung des Esperan­to mit anderen Sprachen beschränken, da wäre ich schon zufrieden. So kön­nte ich mir einen Lehrstuhl für Esperan­to-Stu­di­en vorstellen — nicht für die Lin­guis­tik des Esperan­to (das wird schon reich­lich beforscht), son­dern für The­men wie Lit­er­atur, Sozi­olo­gie der Esperan­to-Sprachge­mein­schaft, Unter­richtsmethodik, esperan­tosprachige Wirtschaft (Ver­lage, Touris­mus), Wer­bung, PR u.ä.
    Schön wäre auch ein Engage­ment der Poli­tik für die Zulas­sung des Esperan­to zum Bun­deswet­tbe­werb Fremd­sprachen, der über­wiegend vom Bun­desmin­is­teri­um für Bil­dung und Wis­senschaft finanziert wird und daher Diskri­m­inierung von Sprech­ern bes­timmter Sprachen ver­mei­den müsste. Dies aber nicht tut.

Kommentare sind geschlossen.