Normalerweise bekomme ich in den Kommentaren ja Gegenwind nur von Sprachnörglern mit schwachen Argumenten und durchschaubaren Motiven. Aber ich mir neulich in den Sprachbrocken 24–28 einen Seitenhieb gegen das „leidige, nicht tot zu kriegende Esperanto“ erlaubt habe, haben mich zur Abwechslung zwei langjährige und sprachlich höchst kompetente Leser/innen zurechtgewiesen: jgoschler, promovierte Sprachwissenschaftlerin, und Bertil Wennergren, der als Programmierer für die Esperantic Studies Foundation und das Esperanto-Lernportal lernu.net gearbeitet hat. Wennergren warf mir vor, mich über die Sprache „lustig zu machen“, die er „zuhause jeden Tag mit [s]einer Frau spreche“ und jgoschler wies mich darauf hin, dass das Esperanto nicht weniger wert sei als andere Sprachen und denselben Respekt verdiene, und dass es unangemessen sei, sich über Esperanto-Sprecher/innen „lustig zu machen“. Beide fanden, dass ein solches Verhalten gerade von mir als Linguist befremdlich sei. Grund genug, meine Worte und meine Meinung zum Esperanto etwas genauer zu erläutern.
Zunächst verwahre ich mich gegen den Vorwurf, mich über das Esperanto oder seine Sprecher/innen lustig gemacht zu haben. Die Sprecher/innen habe ich überhaupt nicht erwähnt, und in Bezug auf die Sprache habe ich eben die Worte „leidig“ und „nicht tot zu kriegen“ verwendet. Ich habe sie dann allerdings mit dem Klingonischen verglichen – einer „außerirdischen“ Kunstsprache, die der Sprachwissenschaftler Marc Okrand für die Star-Trek-Filme und ‑Fernsehserien erfunden hat. Das könnte man als „sich lustig machen“ auffassen, aber nur, wenn man davon ausgeht, dass das Klingonische an sich lächerlich wäre. Das ist aber nicht der Fall: Das Klingonische ist kein bisschen weniger ernst zu nehmen, als das Esperanto: Es ist eine voll ausformulierte Kunstsprache mit einem großen Wortschatz und einer komplexen Grammatik (gegen die das Esperanto, als bewusst „einfach“ konstruierte Sprache, übrigens etwas alt aussieht). Zusammen mit dem Esperanto ist es eine der nur 20 Kunstsprachen, der im ISO-Standard 639 ein eigener Code zugewiesen ist — epo für Esperanto, tlh für Klingonisch (weitere Beispiele sind vol für die „Welthilfsprache“ Volapük, qya für die „Elbensprache“ Quenya aus J.R.R. Tolkiens Herr der Ringe und ldn für die „Frauensprache“ Láadan aus Suzette Haden Elgins Native-Tongue-Trilogie. Und wie das Esperanto wird auch das Klingonische von einer weltweiten Fangemeinde von Enthusiast/innen geliebt, gepflegt und gesprochen. Wer Esperanto ernsthaft für eine potenzielle Welthilfssprache hält, muss deshalb auch dem Klingonischen die Möglichkeit einräumen, einen Anspruch anzumelden.
Und damit sind wir bei meiner eigentlichen Kritik am Esperanto: Ich habe es im Kontext der Diskussion um eine „Welthilfssprache“ — eigentlich um eine Weltsprache — als „leidig und nicht totzukriegen“ bezeichnet. Ich meinte damit, dass die Idee „leidig und nicht totzukriegen“ ist, das Esperanto sei in irgendeiner Weise besonders gut dazu geeignet, die Rolle einer solchen Weltsprache zu übernehmen (tatsächlich liegt mir auch am Esperanto selbst nicht viel, aber dazu gleich noch mehr).
Das Esperanto – 1887 von dem Sprachlehrer Ludwig Zamenhof erfunden (der Wikipedia-Artikel bietet Hintergrundinformationen) – leitet seinen Anspruch auf die Rolle einer Weltsprache aus zwei Tatsachen ab: erstens, dass es ein einfaches Regelsystem ohne Ausnahmen besitzt, und zweitens, das es sich um eine neutrale Sprache handele, die sozusagen keinen politischen und kulturellen Ballast mit sich bringe. Beide Behauptungen kann man stark infrage stellen, aber mir ging es bei meinem „leidig und nicht tot zu kriegen“ um die Tatsache, dass es ganz offensichtlich keinen Bedarf an einer solchen Weltsprache gibt, und dass diese Tatsache von Esperanto-Fans seit mittlerweile eineinviertel Jahrhunderten geflissentlich ignoriert wird.
Bei meiner ständigen Suche nach Themen fürs Sprachlog stoße ich fast wöchentlich auf Artikel, in denen das Esperanto mit allen möglichen Argumenten zur Weltsprache stilisiert (oder besser: mythisiert) wird. So z.B. kürzlich auf heute.de, wo die Autorin Britta Wagner unter dem Titel 125 Jahre Esperanto — Das Linux der Sprachen erst die Behauptungen von der Einfachheit und Neutralität wiederholt, und dann die absurde Behauptung aufstellt, das Esperanto sei „Open Source“ gewesen, „bevor es Open Source gab“:
In der Broschüre war Platz für eigenes Vokabular, das der Lerner selbst entwickeln sollte. Und Zamenhof erklärte, er gebe die Rechte an seiner Erfindung ab – eine Sprache sollte schließlich den Sprechern gehören. Heute würde man das Open Source nennen.
Passenderweise sind inzwischen viele Open-Source- und Internet-Projekte auf Esperanto verfügbar – zum Beispiel das freie Betriebssystem Linux, der Browser Firefox oder Googles Online-Übersetzungs-Service.
„Das Internet ist geradezu für Esperanto erfunden“, meint auch Louis von Wunsch-Rolshoven vom Verein „Esperantoland“. Mails, Foren und soziale Netzwerke brächten Sprecher aus aller Welt zusammen, und das Netz mache Projekte wie die Untertitelung von Filmen überhaupt erst möglich.
Diese Behauptung ist deshalb absurd, weil alle Sprachen in diesem Sinne „Open Source“ sind. Jede Sprache „gehört“ ihren Sprecher/innen, niemand besitzt die Rechte an irgendeiner natürlichen Sprache, und in allen Sprachen wird das Vokabular durch die Sprecher/innen weiterentwickelt (allerdings, wie Dierk Haasis einmal schön anmerkte, ist die Frage immer, „ob die anderen Entwickler deine Änderungen annehmen oder nicht“). Auch dass Open-Source-Projekte auf Esperanto verfügbar sind, unterscheidet das Esperanto von keiner der Dutzenden bis Hunderten anderer Sprachen, in denen es Sprachdateien für die genannten Projekte gibt (das Klingonische kann sogar mit einer eigenen Programmiersprache dienen). Und dass das Internet verstreute Menschen mit einem gemeinsamen Hobby zusammenbringt, ist auch nichts neues. Zu behaupten, das Internet sei für Esperanto erfunden, ist ungefähr so aussagekräftig wie die Behauptung, das Internet sei für Katzenbilder oder Mettigel erfunden.
Solche Artikel sind schade, denn sie postulieren ein Problem, das es nicht gibt (die Notwendigkeit einer künstlichen Weltsprache), sie zeichnen durch ihren Fokus auf die angeblich wünschenswerte angebliche „Einfachheit“ des Esperanto ein Zerrbild der Funktionsweise natürlicher Sprachen und sie lenken von den 6 500 wunderbaren, komplexen, kulturell aufgeladenen natürlichen Sprachen ab, die derzeit noch gesprochen werden, von denen aber jede Woche ein bis zwei für immer aussterben. Deshalb ärgere ich mich, gerade als Sprachwissenschaftler, über die leidige, nicht totzukriegende Esperanto-als-Weltsprache-Diskussion.
Wer Esperanto sprechen will, soll es tun ohne Angst zu haben, dass ich mich über ihn oder sie lustig mache. Aber wenn das Esperanto morgen verschwände, wäre weder die Menschheit, noch die Sprachwissenschaft auch nur ein Stück ärmer. Die künstliche „Einfachheit“ des Esperanto garantiert, dass man es jederzeit wieder aufleben lassen könnte (das ist bei den natürlichen Sprachen, die in rasantem Tempo aussterben, nicht der Fall), und sie sorgt dafür, dass Esperanto die Sprachwissenschaft ungefähr so interessant ist, wie ein Zementgarten für die Ökologie*.
* Will heißen: Weitgehend uninteressant, außer vielleicht dort, wo die Natur in die künstliche Ordnung eindringt
** Der Titel dieses Beitrags ist ein Esperanto-Sprichwort: Wunden vergehen, Worte bestehen.
[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Version enthält möglicherweise Korrekturen und Aktualisierungen. Auch die Kommentare wurden möglicherweise nicht vollständig übernommen.]
Esperantos Regelwerk
Esperanto hat ein einfaches Regelsystem ohne Ausnahmen. Gleichzeitig ist es — ich übernehme diesen unglücklichen Vergleich mal — Open Source, darf also von jedem nach seinen Ansprüchen verändert werden. Oder dürfen nur Wörter hinzugefügt, keine Regeln geschaffen, Ausnahmen eingeführt werden?
Ich finde die Diskussion über Esperanto als Welthilfssprache auch ziemlich leidig. Was mich daran vor allem stört ist nicht nur die Tatsache, dass ignoriert wird, dass das Englische bereits als Welthilfssprache fungiert, sondern auch, dass viele Esperanto-Enthusiasten behaupten, Esperanto sei geeigneter als das Englische. Esperanto ist dabei auch extrem eurozentrisch in seiner Konzeption und was das Vokabular betrifft für nicht-indoeuropäische Muttersprachler auch nicht einfacher zu lernen als das Englische. Was die Grammatik betrifft, bin ich mir auch nichtmal sicher, ob Esperanto so viel einfacher im L2-Erwerb ist als das Englische.
Müsste es nicht vundoj pasas, vortoj restas heißen?
Vundoj pasas…
…soll was eigentlich bedeuten? Wie einfach Esperanto auch immer sein mag, für den Google-Übersetzer ist es so kompliziert, dass er “Verletzungen passieren, sind Worte” daraus macht.
Sie haben da…
… einen Kommafehler am Ende, zwischen “weder” und “noch” setzt man keines.
Gern geschehen.
endlich
traut sich mal jemand, das in so klare Worte zu fassen!
Esperanto ist ein Hobby
Esperanto ist weniger eine Sprache, als ein Hobby. Zur Kommunikation unter Gleichgesinnten ist es natürlich geeignet, aber über diesen Kreis wird es nie hinauskommen.
Besonders deutlich zeigt sich das daran, dass mir noch nie ein deutscher Esperantist untergekommen ist, der nicht fließend Englisch spricht und zumeist auch noch mindestens eine romanische Sprache. Daher handelt es sich einfach um ein Hobbyprojekt von besonders Sprachinteressierten, was ja völlig in Ordnung ist. Briefmarkensammeln ist ja auch ein schönes Hobby, bei dem man Interesse an fremden Ländern entwickeln kann.
Aber als lingua franca ist Esperanto umbrauchbar.
Dann ist es halt “eine Wunde vergeht, ein Wort besteht”. Singular oder Plural, was macht das schon aus. Open Source!
Open-Source-Vergleich wirklich absurd?
Ich zweifele, ob der Hinweis auf eine Vergleichbarkeit von Esparanto mit Open source wirklich so völlig absurd ist,
“weil alle Sprachen in diesem Sinne „Open Source“ sind.”
alle natürlichen Sprachen vielleicht. Aber hinsichtlich Kunstsprachen ist das gerade nicht selbstverständlich. So beanspruchte Johann Martin Schleyer als Erfinder der Kunstsprache Volapük für sich ein Vetorecht bei der Einführung neuer Vokabeln. Auch die Filmgesellschaft Paramount behauptet für sich ein Urheberrecht an dem Wörterbuch und der kanonischen Sprachbeschreibung (was immer das genau sein mag) des Klingonischen.
Zamenhof erkannte im Gegensatz zu Schleyer und Paramount, dass solche proprietären Ansätze der Verbreitung einer Kunstsprache als Umgangssprache eher hinderlich sind, und verfolgte ausdrücklich für die Weiterentwicklung “seiner” Kunstsprache die Offenheit für Veränderungen durch alle Sprecher. Damit vollzog er natürlich nur nach, was bei natürlichen Sprachen ohnehin schon gilt, aber die haben ja auch keinen “Erfinder”. Zamenwald als den Linus Torvalds unter den Spracherfindern zu bezeichnen, wäre daher wohl richtiger.
Ein bisschen kurz ..
… der Artikel — ich als nicht Esperanto-Kenner hatte mich auf eine Einschätzung gefreut wie einfach und vor allem “ballastfrei” Esperanto denn nun wirklich ist.
🙂
Zum Ballast
@Peer:
“Wie leicht ist Esperanto?” unter
http://www.esperanto.de/…moj/demandoj/lingvo.php
Da wird (für den Laien) kurz erklärt, was man nicht pauken muss — und was doch. “Von alleine” kommen auch keine Esperantokenntnisse.
Sprachnörgler
Gegenwind kommt also prinzipiell nur von schwachen Geistern? Schöne Leserbeschimpfung, Danke.
@Foo
Sie haben sich verlesen; wo “normalerweise” steht, lasen Sie “prinzipiell” (womit der erste Satz des Posts in sich selbst widersprüchlich würde).
eine Frage zum Sprachensterben
Ich habe das mal kurz durchgerechnet: zurzeit sterben also im Jahr ca. 75 Sprachen für immer aus, d.h. wenn sich diese Entwicklung in der gleichen Geschwindigkeit fortsetzt, müssten ja in ca. 87 Jahren alle Sprachen (bis auf eine vermutlich) ausgestorben sein, was ich aber für unwahrscheinlich halte (Bauchgefühl, keine linguistische Sachkenntnis).
Meine Frage ist also: Gibt es Untersuchungen zur Geschwindigkeit des Sprachensterbens? Gab es vor 100 Jahren doppelt so viele Sprachen wie heute oder hat sich der Prozess erst in jüngerer Zeit beschleunigt?
Eine (etwas) andere Sicht auf die Dinge
Als Linguistikstudent (ich arbeite zurzeit an meiner Magisterarbeit), Esperantosprecher seit knapp 10 Jahren und jemand, der sich auch mit dem Klingonischen mal beschäftigt hat, würde ich auch gerne meine Sicht auf die Dinge schreiben.
Als “leidig und nicht totzukriegen” empfinde ich auch als aktives Mitglied der Sprechergemeinschaft vermutlich in ähnlicher Weise das Durchboxen der Ideologie: Esperanto könne in so starker Weise zum Weltfrieden beitragen oder wäre DIE Lösung schlechthin für allemöglichen Probleme. Man müsse Esperanto nur überall durchsetzen, und die internationalen Schwierigkeiten täten sich von selbst lösen, weil die Sprache ja so neutral sei. Das sind natürlich völlig utopische Vorstellungen, die auch nur von einem eher kleinen Teil der Sprechergemeinschaft geteilt werden. Natürlich ist das durch die Medien gerade die am häufigsten verbreitete Meinung, schließlich sind das relativ extreme, provokative Meinungen (oft auch gegen das Englische als Weltsprache), ein gefundenes Fressen also für die Medien oder um die Leser zu polarisieren. Und die ideologisierenden Weltverbesserer unter den Esperantisten meinen so, eine gute Werbung machen zu können, was ja durchaus auch manchmal klappt. So gewinnt man als außenstehender Betrachter vermutlich leicht den Eindruck, jeder Esperantosprecher sei so eine Art Person: Grundhaltung gegen Englisch, Ziel ist die Verbreitung von Esperanto als Zweitsprache auf der ganzen Welt (“Fina Venko”, ich wage das mal nicht wörtlich zu übersetzen) und der damit verbundene Weltfrieden, jemand der mit Worten für seine Ideale kämpft. Wie gesagt, solche gibt es, aber solche “Extremisten” (nur in Anführungszeichen, da sie ja keinen Schaden anrichten oder schlimme Maßnahmen ergreifen) sind nicht die Mehrheit. Oft sind es lustigerweise auch begeisterte Nichtsprecher (darunter eben auch Journalisten), die Esperanto grandios finden, über die Idee schreiben, aber selbst keine Erfahrungen haben und die Sprache nie lernen. In deren Artikeln findet man meist ähnlich viele Falschaussagen wie in Artikeln, die sich gegen das Esperanto aussprechen. Naja.
Die meisten Esperantosprecher sind eher die Leute, die Esperanto als eine “gute Idee” bezeichnen würden, die Esperanto tatsächlich als ein Hobby (oder etwas mehr) betreiben, damit leicht internationale Kontakte knüpfen usw. Briefmarkensammeln ist kein sehr gelungener Vergleich, da das eigentlich kaum etwas mit Kommunikation zu tun hat, und Esperanto selbst sowohl Mittel als auch Identifikation (bzw. eine Kultur, auch wenn einige den Begriff ablehnen würden) ist. Mir fällt offengesagt kein ähnliches “Hobby” ein, das vom Vergleich her passt.
Ich denke, es ist wichtig, hier zwischen der Ideologievorstellung und der tatsächlichen Situation (nicht des Ziels) zu unterscheiden. Die Sprache funktioniert als Kommunikationsmedium wie jede andere Sprache der Welt auch, aufgrund einiger sprachinterner Gründe ist sie als Zweitsprache durchaus schneller und effektiver lernbar für einen großen Sprecherkreis, was natürlich auch auf natürliche Sprachen zutrifft (z.B. Englisch, Tok Pisin, evtl. Türkisch und Indonesisch erfüllen einige dieser Kriterien). Der Grund für die schwache und langsame Verbreitung sind eben keine sprachinternen Gründe (wie das manchmal im Artikel und einigen Kommentaren hier anklang), sondern die Einstellung der Masse gegen eine künstliche Sprache, aber natürlich auch die Verbreitungsfaktoren (deswegen finden kleine natürliche nichtnationale Sprachen ja auch keinen so großen Ansturm — leider).
Der Vergleich mit dem Klingonischen ist schon interessant, aber hinkt an manchen Stellen. Ich kenne tatsächlich einige fließende Sprecher des Klingonischen (es gibt davon vielleicht 1~2 Dutzend auf der Welt, also nicht viele), aber die Sprache wurde auch für einen völlig anderen Zweck kreiert, daher finde ich die Aussage, Esperanto sähe im Vergleich mit der komplexen klingonischen Grammatik alt aus, ziemlich unpassend. Das grammatikalische System des Klingonischen macht die Sprache recht erfolgreich exotisch, während das des Esperanto die Sprache logisch, vertraut und schnell zu durchschauen macht. Trotzdem mangelt es da nicht an Komplexität, wie die 700 Seiten starke Esperanto-Grammatik (“PMEG”, auch online verfügbar) von Bertil Wennergren ja zeigt. Da kann nun wieder Klingonisch nicht mithalten. Möchte es auch gar nicht. Das Klingonisch sieht sich ja nicht einmal als Welthilfssprache an, es erhebt diesen Anspruch nicht. Ein Buch, in dem beide Sprachen recht gut dargestellt werden, ist übrigens “In the Land of Invented Languages” von Linguistin Arika Okrent, die mit Interesse, aber ohne Eifer mehrere Plansprachen betrachtet und auch die Communitys selbst kennengelernt hat (und trotzdem keine Esperantistin geworden ist, also keine Angst vor Propaganda). Kann ich also als Lektüre empfehlen.
Als Sprachwissenschaftler (aber vor allem als Esperantosprecher) ärgere ich mich eben auch über die Esperanto-als-Weltsprache-Diskussionen, ärgere mich aber ebenso darüber, dass von der Idee auf die Sprache gesschlossen wird. Viele Sprachnörgler würden sich sicher freuen, wenn das Deutsche DIE Weltsprache werden und Englisch verdrängen würde. Ich finde das absurd, unnötig und utopisch, halte dafür aber nicht die deutsche Sprache für leidig, schlecht oder gescheitert. Die ursprüngliche Idee mag scheitern, die Sprache funktioniert aber weiterhin für die Sprecher sehr gut. Es muss ja einen Grund geben, warum die Sprecher das gleiche, was sie mit Esperanto tun, nicht einfach auf Englisch erledigen (es stimmt, dass die meisten Esperantosprecher in Deutschland zumindest auch ziemlich gutes Englisch sprechen; das ist aber nicht überall der Fall).
Übrigens haben sich auch einige andere bekannte Sprachwissenschaftler mal mit Esperanto befasst, und die Ergebnisse sind nicht immer negativ. So gibt es ein paar Artikel von Bernard Comrie und Martin Haspelmath, einen interessanten Beitrag von Jouko Lindstedt über die mögliche Kreolisierung durch Muttersprachler (auf Englisch, verfügbar hier: http://www.linguistics.fi/…K60.1.5.LINDSTEDT.pdf), das durchaus auch für die Spracherwerbsforschung und andere Bereiche der Linguistik relevant ist, und nicht nur für die Beschäftigung mit Esperanto an sich. Auch Wim Jansen hat ein niederländisches Buch über den Satzbau des Esperanto geschrieben (“Woordvolgorde in het Esperanto”), ein kleiner Teilbereich, nämlich die sog. Interlinguistik beschäftigt sich mit der Rolle von Esperanto, Englisch und anderen Kandidaten im internationalen Diskurs und es erscheinen dort auch Artikel zum Thema. Eventuell ist auch Marc van Oostendorp bekannt. Also es gibt durchaus auch wissenschaftliche Arbeiten dazu, die nicht einfach ihrer selbst Willen entstanden sind.
Und um noch mal den Faden vom Anfang aufzugreifen: es ist wirklich leidig und nervig, schlecht begründete und überschwängliche Propaganda für Esperanto zu lesen — kein Widerspruch.
Ebenso leidig ist es aber, schlecht recherchierte Artikel in Zeitungen oder im Internet zu lesen, die z.B. oft behaupten, Esperanto sei bereits tot oder an sich nicht lebensfähig, erlaube nur sehr eigeschränkte einfache Kommunikation oder habe keine Kultur oder hätte eben immer diese Utopie als Ziel im Hinterkopf jedes Sprechers. Das liest man leider etwa genauso oft.
Ich denke, von neutraleren und objektiven Stellungnahmen haben sowohl Esperanto-Freunde wie auch Esperanto-Gegner (oder Esperanto-Desinteressierte) mehr. Man muss nicht immer polarisieren, auch wenn man so auf mehr Resonanz stößt.
Einige grundsätzliche Anmerkungen
Als Sprachwissenschaftler, der sich auch viel mit Esperanto und Interlinguistik beschäftigt, möchte ich auch einen Kommentar zu diesem Blogeintrag, wenn ein “Außenstehender” schon einmal so nett ist, seine Meinung zu explizieren.
Mit “außenstehend” fängt schon das Dilemma an: Da bei Esperanto die Sprache und die sog. Esperanto-Bewegung, die beileibe nicht alle Sprecher umfasst, zumeist gleichgesetzt werden (daher die deutlichen Worte Wennergrens, ich habe “leidig” etc. übrigens leider ganz ähnlich verstanden), ist man als Sprecher wissenschaftlich sozusagen schon a priori disqualifiziert (Utopist, Hobby-Pfleger etc.), andererseits kann man ohne gute Kentnisse des Esperanto weder seine Geschichte, Bewegung und Spezifika im Wortsinne “verstehen”, noch hat man Zugang zum Großteil der interlinguistischen Fachliteratur, der eben in Esperanto verfasst ist.
Ich werde es trotzdem versuchen, im Bewusstsein, einer völlig prestigelosen Sache das Wort zu reden.
André M.s Kommentar hat mir dankenswerterweise schon einiges an Schreibarbeit abgenommen, so dass ich Klingonisch z.B. nicht mehr kommentieren muss. Tatsächlich hat es mit Esperanto nichts gemein außer der Tatsache, dass seine Anfänge nicht in grauer Vorzeit liegen. Eine Kategorisierung “Kunstsprachen” vs. “natürliche Sprachen” ist aber ohne Nutzen, da dadurch nichts gewonnen ist, ähnlich wie wenn man alle durch künstliche Befruchtung empfangenen Menschen als “Kunstmenschen” den “natürlichen Menschen” gegenüberstellte, es sagt einfach nichts über die Individuen aus, die nur ein unwesentliches Detail gemeinsam haben. Zudem werden die zahlreichen planerischen Eingriffe in Ethnosprachen so verschleiert.
BTW: KLingonisch, so meine Erfahrung, ist alles andere als beeindruckend, tatsächlich ist es bei etwas weiterer Auffassung von Syntax großteils als umgekehrtes Englisch (OVS, wie originell…) anzusehen (Belege auf Nachfrage).
Ich bin auch froh, dass ich mich nicht zu den schrägen Vögeln in der Esperanto-Welt äußern muss. Ja da gibt es einige. Mich verwundert aber, warum man die Übertreibungen mancher Anhänger immer so auf die Goldwaage legt — fast jeder macht Werbung für eine Sache, von der er überzeugt ist, mancher mehr, mancher weniger geschickt. Ich sehe es nicht ein, mich für plumpe Propaganda von anderen in Sippenhaft nehmen zu lassen, bei anderen Themen würde das auch nicht passieren.
Ich möchte nicht auf Detailäußerungen, sondern auf zwei Kernpunkte des Blogs, sowie einen Hinweis geben.
Zunächst der Hinweis, der auch erklärt, warum ich nicht im Detail alles durchsprechen muss:
Die Artikel, über die sich Stefanowitsch ärgert, stammen zu 99% nicht von Esperantisten, sondern sind durch den Fleischwolf der Journalisten gegangen (jeder, der damit schon Erfahrung hatte, weiß, wie das läuft). In aller Regel geben sie nur ein “Zerrbild”* oder bestenfalls einen tendenziösen Ausschnitt der Wirklichkeit wider, mal im Positiven, mal im Negativen. Als Sprachwissenschaftler sollte man seine Aussagen doch bitte auf Fachliteratur begründen (Hinweis: http://www.interlinguistik-gil.de), nicht auf der Sonnntagsbeilage vom Grevenbroicher Anzeiger. Ich persönlich habe aufgehört, Presseartikel zu Esperanto zu lesen. Sie sind entweder ein Ärgernis oder enthalten nur Informationen, die ich schon kenne.
Nun aber zu den Aussagen der beiden letzten Abschnitte:
Stefanowitsch hält zum Einen die “die Notwendigkeit einer künstlichen Weltsprache” für nicht gegeben. Ich interpretiere das so, dass man durchaus eine Weltsprache haben könnte, aber eben keine “künstliche” (also eine Plansprache). Dafür hätte ich gerne eine Begründung. Die Entwicklung der Menschheit hat zu einer bisher nie dagewesenen Situation geführt, dass Menschen mit hunderten von verschiedenen Muttersprachen das Bedürfnis der Kommunikation miteinander haben, während bisher Mehrsprachigkeit zwar verbreitet, aber auf gewöhnlich zwei-drei Sprachen beschränkt war. Lingua-Franca-Kommunikation ist eine Folge der Globalisierung**, und es gibt a priori keinen Grund davon auszugehen, dass eine Ethnosprache dafür alleine oder auch nur besonders geeignet ist, besonders wenn man bedenkt, dass Fremdsprachenkenntnisse anders als in klassischen mehrsprachigen Gesellschaften heute erst nach der Kindeit erworben werden. Sprache hat zwar auch andere Funktionen (Identität usw.), aber dennoch ist sie gerade auch ein Werkzeug um zu kommunizieren. Warum sollte man es nicht unternehmen zu versuchen, ein Werkzeug zu schaffen, das für diese spezifische neue Situation der Lingua-Franca-Kommunikation besonders geeignet ist? Esperanto ist dafür entstanden, und den Praxistest hat es bestanden — das ist ein ganz praktisches Faktum, das ich mir nicht mit allgemeinen Überlegungen wegdiskutieren lasse.
Zum Zweiten glaubt Stefanowitsch, dass Esperanto für die Sprachwissenschaft ohne Wert sei. Ich meine im Gegenteil, dass die Tatsache, dass ein von einem einzigen Menschen erdachtes Regelsystem in wenigen Generationen zu einer vollständigen, funktional nicht von Ethnosprachen unterscheidbaren Sprache wurde, für jeden Sprachwissenschaftler, besonders Psycholinguisten, Spracherwerbsforscher und Generativisten, bemerkenswert sein sollte. Über diese allgemeine Faktum hinaus sollte man auch nicht die Möglichkeit vergessen, Theorien an einem Objekt zu testen oder zu entwickeln, bei dem kein Wust aus überlagerten alten und entstehenden Systemen (sog. “Ausnahmen”), pragmatischen oder rein zufälligen Beschränkungen die Sicht auf das Wesentliche versperrt — oder sagen wir, dieser Wust ist bedeutend geringer. Um ein praktisches Beispiel zu geben: Bei der Wortbildung des Deutschen kann man Zusammenbildungen von Komposita leicht dadurch auseinanderhalten, dass es das Hinterglied von ersteren nicht als Lexem gibt (‘Bergsteiger’, aber kein *‘Steiger’) — im Esperanto wäre zu entsprechendem ‘montgrimpanto’ ein HG ‘grimpanto’ eine zulässige Form, ganz egal, ob im Korpus belegt oder nicht. Man muss sich also Gedanken machen, ob die Beschreibungskategorien des Deutschen (und zahlreicher anderer indogermanischer Sprachen) auf das Esperanto anwendbar sind.
Und zum Schluss doch noch eine weitere Bemerkung: Ich sehe nicht, wie der Esperantismus von dem bedauerlichen Aussterben von Sprachen “ablenken” sollte. Das sind zwei völlig verschiedene Themenbereiche, und mit ist noch nie untergekommen, dass Esperantisten z.B. unter einem Artikel zu einer bedrohten Papua-Sprache Werbung machen, da gibt es doch keinen logischen Anknüpfungspunkt.
*Um einen Ausdruck von Stefanowitsch zu verwenden, der mich im Kontext als Einziges wirklich verärgert hat: Die Aussage, die “angebliche „Einfachheit“ des Esperanto [sei] ein Zerrbild der Funktionsweise natürlicher Sprachen” ist so einfach unsubstantiiert. Ich kenne es einfach zu gut, als dass ich das so stehen lassen könnte.
**Die es in kleinerem Rahmen natürlich schon früher gab, man denke an die ursprüngliche Lingua Franca!
@Cyril Brosch
Sie schrieben sinngemäß: Warum sollte Esperanto nicht die Rolle der lingiua ranca übernehmen? Und die Antwort ist: Warum machen wir keinen Weltfrieden? 🙂
Sicherlich wäre sie dazu geeignet, aber man wird die Welrbveölkerung kaum dazu bringen, Esperanto zu lernen, so lange es nicht die Lingua Franca IST — oder ihr zumindest nahekommt.
Englisch wird deswegen überall gelernt (und gelehrt) WEIL man damit im Vergleich zu anderen Sprachen am weitesten kommt. Das ist halt so — Das Sprachverhalten von 7 Milliarden Leute lässt sich nicht verplanen, sondern bildet ein dynamisches komplexes System.
@Kunar: Danke für fden Link. Mit “Ballast” meinte ich die politische Neutralität — verstehe ich das richtig, dass Vokabeln wie “Chemiekeule” in Esperanto nicht möglich sind? (Man verzeihe mir meine naive Frage, aber ich als Laie verstehe nicht, wie eine Sprache unpolitisch bleiben kann, wenn die Sprachgemeinschaft sie erst einnal in Griff bekommt und finde die Möglichkeit — so sie denn existiert — interessant)
@Peer
Sinngemäß schreibe ich eigentlich eher, dass es keinen Grund gibt, warum Esperanto nicht Lingua Franca sein könnte — und ich halte es dafür für besonders geeignet, das ist ja auch sein Zweck.
Die Durchsetzung einer Sprache ist eine ganz andere Sache, und da sind wir uns einig, dass Esperanto z.Z. keine Chance hat, zum Einen aufgrund von Ignoranz und psychologisch bedingten Vorurteilen, zum Anderen aber besonders deswegen, weil es keine ökonomische, militärische und klulturelle Machtbasis hat, und bisher werden Weltsprachen so bestimmt, ganz egal, ob sie dafür “geeignet” sind oder nicht.
Es wäre ein komplettes Umdenken bezüglich der Sprachpolitik nötig, um eine Lingua Franca statt nach Macht und Prestige nach Ökonomie und Gerechtigkeit auszuwählen.
Dass das prinzipiell eine bewusste Entscheidung sein kann (und eben kein Schicksal), zeigt sich zum Einen darin, dass sich die Menschheit in anderen Bereichen durchaus auf Normen aller Art einigen kann, zum Anderen fallen ja auch die L2-Englischsprecher nicht vom Himmel, sondern werden durch Unterricht (in Deutschland ohne Wahlfreiheit) generiert, das sind bewusste (schul-)politische Entscheidungen.
Ich bin so frei, Ihre Frage an Kunar zu beantworten:
Esperanto kann wie alle anderen Sprachen im Prinzip alles ausdrücken, im Einzelfall wird es dabei natürlich nicht möglich sein, einen idiomatischen Ausdruck genau treffend nachzubilden (für “Chemiekeule” gäbe es mehrere Möglichkeiten, generell sind bei Esperantosprechern klarere, weniger blumige Ausdrücke beliebt).
Also kurzum: Nein, Esperanto ist genauso sehr oder wenig politisch neutral wie derjenige, der es gebraucht.
Flüche im Esperanto?
Würde ein Esperanto-Sprecher zum Fluchen wirklich Esperanto benutzen? Oder müsste er dann auf eine natürliche Sprache ausweichen? Wie steht es mit dem Wortschatz für irgendwelche sexuellen Schweinereien?
Mir hat man geraten, erst einmal Hoch-Arabisch zu lernen, die Dialekte kämen dann “ganz von allein”. Das ist völliger Quatsch, auf Hocharabisch kann man vielleicht Fernseh-Nachrichten sprechen, aber nicht das pralle Leben beschreiben.
Also mal ehrlich: gibt es einen Esperantisten, der häufiger in Esperanto flucht als in einer natürlichen Sprache?
@wentus
Zur Häufigkeit kann ich nichts sagen, aber bedenken Sie, dass Esperanto auch in hunderten Familien gesprochen wird und daher alle Funktionen einer ethnischen Sprache erfüllen muss (und dies auch tut).
Zum tabuistischen Wortschatz: http://www.aliaflanko.de/artikloj/text/tabu.html (nur in Esperanto).
@Wentus
> “Würde ein Esperanto-Sprecher zum Fluchen wirklich Esperanto benutzen?”
Also ich kenn viele, die das tun. Aber es kommt auf die Personen und Situationen an. Reflexartige Ausrufe des Schmerzes oder Schreckens werden vielleicht öfter in der Muttersprache geäußert, während Beschimpfungen und allgemeines Fluchen (sich Luft machen) bei den meisten kompetenten Sprechern auf Esperanto gehen. Und Flüche, schlimme Ausdrücke, Worte zum Beschimpfen oder auch sexuelle Ausdrücke gibt’s alles zuhauf. Und wenn man diese Wörter kennt, kann man sie auch benutzen.
> “…auf Hocharabisch kann man vielleicht Fernseh-Nachrichten sprechen, aber nicht das pralle Leben beschreiben.”
Ich kenn nun das Arabische nicht, weiß daher nicht, ob die Situation wirklich so ist, wie du sie beschreibst. Im Esperanto liegen die Grenzen eigentlich immer bei den eigenen Kenntnissen. Es gibt keine Sachen, die irgendwie “nicht sagbar” wären. In der Hinsicht unterscheidet sich Esperanto nicht von natürlichen Sprachen. Ich spreche Esperanto oft im Alltag und wenn ich ein Wort nicht finde, liegt’s meist daran, dass ich es nicht kenne oder einfach vergessen habe, aber nicht daran, dass es das Wort nicht gibt oder das Konzept auf Esperanto nicht ausdrückbar ist. In der Hinsicht ist Esperanto mit dem Englischen absolut deckungsgleich.
> “…gibt es einen Esperantisten, der häufiger in Esperanto flucht als in einer natürlichen Sprache?”
Ich könnte genauso fragen: Gibt es einen Englisch-Nichtmuttersprachler, der häufiger auf Englisch flucht als in seiner eigentlichen Muttersprache? Antwort: Ja, natürlich!
Wenn man von kompetenten fließenden Sprechern auf C1- oder C2-Niveau ausgeht und die betrachteten Situationen auf Esperanto-Situationen (Konferenzen, Treffen, Gespräche mit anderen Esperantisten) beschränkt, wo man auch wirklich Esperanto spricht und hört, dann auf alle Fälle ja. Das trifft vermutlich auf die meisten zu. Ist man dann wieder unter Landsleuten, dann eher nicht, man will ja verstanden werden. Ein Ausruf, der dem Deutschen “Scheiße!” entspricht, wäre auf Esperanto übrigens “Fek!”, das hört man an Flüchen am häufigsten.
@ Cyril Brosch
Hätten Sie Belege, dass Esperanto zu diesem Zweck besonders geeignet ist? Und was verstehen Sie darunter? Gibt es Studien zum L2-Spracherwerb des Esperanto nicht-indoeuropäischer Muttersprachler im Vergleich zum Englischen? Oder haben Sie dieses Faktum einfach so postuliert?
@ Cyril Brosch
Vielen Dank für den Link zum tabuistischen (schon das ein schönes Wort) Wortschatz.
Kann mir leider den Pennälerwitz nicht verkneifen, dass mir die Liste ohne den Hinweis, dass “GV” “enerala vortaro” heißt, noch etwas tabuistischer vorgekommen wäre.
@impala
Zunächst zu konkreten Studien: Das ist nicht meine Baustelle, deswegen müsste ich da erst recherchieren, ich kann nur auf eigene Erfahrungswerte bzw. auf die anderer verweisen. Ich habe zum Glück eine Seite gefunden, wo sich einige Stellungnahmen von Asiaten auch in französischer Übersetzung finden: http://www.bonalingvo.org/…azianoj_pri_Esperanto — leider nicht wissenschaftlich streng, außerdem scheint die Frage auch die Unterscheidung von /l/ und /r/ angesprochen zu haben, denn auf dieser Nebensächlichkeit reiten fast alle Befragten herum. Der Tenor ist aber: Esperanto ist deutlich leichter zu lernen als Englisch oder eine andere europäische Sprache.
Allgemeine Gründe dafür sind natürlich die strukturellen Eigenschaften des Esperanto: Ganz überwiegend agglutinierende Morphologie, eine produktive, ähnlich wie im Deutschen sehr explizite Wortbildung, generelle Regelmäßigkeit und eine klare Syntax.
Ich hatte mal für einen Studienessay Esperanto aus typologischer Sicht verglichen, tatsächlich geht es fast immer nach den typologisch meistverbreiteten Modellen (rechtsköpfig, Akkusativ-Sprache, SVO…), es hat allerdings vergleichsweise viele Konsonantenphoneme (23), die wiederum aber die gute Assimilierung von Internationalismen auf der Schrift- und Lautebene erlauben.
@ Cyril Brosch
Sie werden mir zugestehen, dass ich einer Seite, die sich bona lingvo nennt, nicht absolute Objektivität abnehmen kann. Es werden, von den Problemen rund um /l/ und /r/ abgesehen, ausschließlich positive Aussagen asiatischer Lernender zitiert. Ich nehme den Schreibern gerne ab, dass das alles so stimmt, aber es macht keinen besonders repräsentativen Eindruck.
Ich habe keine persönliche Agenda gegen das Esperanto. Wer seine Zeit damit verbringen will, möge das gerne tun, aber ich habe bisher wenig handfeste Beweise für die universell leichte Erlernbarkeit des Esperant gesehen. Die regelmäßigere Wortbildung scheint mir in der Tat ein Vorteil zu sein, der im Englischen so nicht besteht. Wobei das Englische wiederum die vielfältige Wortkonversion als Vorteil aufzuweisen hat.
Wenn dem englischsprachigen Wikipedia-Artikel zur Esperantogrammatik zu trauen ist, hat das Esperanto einige Eigenschaften, die tendenziell schwierig sind für viele L2-Lerner. Es hat ebenso wie das Englische einen definiten Artikel, der in vielen Sprachen nicht vorkommt und im L2-Spracherwerb definitiv ein Problem darstellt. Darüber hinaus markiert es nominale Akkusativobjekte morphologisch, was viele Sprachen ebenfalls nicht tun und das Englische auch nicht – hier ist das Englische also um eine Fehlerquelle ärmer. Das Tempussystem erscheint mir auf den ersten Blick einfacher, wobei die zusammengesetzten Formen des Esperanto die Lage auch verkomplizieren.
Etwas als universell einfach zu beschreiben, erscheint mir jedenfalls nicht richtig. Sprachen sind immer relativ zu einander einfach. Deutsche Muttersprachler lernen Niederländisch i.A. schneller als Polnisch, Tschechen finden Polnisch hingegen meist einfacher als Deutsch usw. Dass dieser Aspekt bei einer Plansprache etwas abgeschwächt wird, kann ich ja noch einsehen, aber er fällt halt nicht einfach weg.
Ganz kurz
Ich wollte was schreiben, aber das ist jetzt nicht mehr nötig (glücklicherweise, weil ich so schlecht auf Deutsch schreibe…), denn André M und Cyril Bosch haben schon alles gesagt, was ich sagen wollte. Danke schön!
Schlechte Karten
Zwei Vorteile, die immer mal für Esperanto ins Feld geführt werden, sind in Wirklichkeit gar keine. Oder sie wären es nicht lange, wenn Esperanto tatsächlich Weltsprache würde: Die Ausnahmslosigkeit der Grammatik und die Einheitlichkeit.
Ab einer gewissen Sprecherzahl dürften sich regionale Sprechergemeinschaften herausbilden. Bei diesen würden sich mit der Zeit Eigenheiten im Sprachgebrauch entwickeln, und irgendwann würde dies zur Entstehung von Dialekten führen. Parallel dürften auch Soziolekte entstehen. Nach einer gewissen Zeit wäre Esperanto genauso wenig homogen wie das Spanische oder das Englische heute, oder es ginge sogar den Weg des Lateinischen, das sich zu einer ganzen Sprachfamilie ausgewachsen hat. Und wenn genügend Leute Esperanto als Muttersprache sprechen, werden sie das nicht immer so sauber und ordentlich tun, wie es im Lehrbuch steht. Wieder werden sich Verkürzungen und Verschleifungen herausbilden, und nicht jede Veränderung wird von allen Esperantosprechern mitgemacht werden. Wenn die Sprache sich weiterentwickelt werden die Änderungen oft nicht durchgängig realisiert, wie das in natürlichen Sprachen auch der Fall ist. Es werden Ausnahmen entstehen, und spätestens dann hat Esperanto diese beiden Vorteile eingebüßt. Und spätestens dann wird Esperanto auch kulturell so aufgeladen sein (und zwar nicht überall auf der Welt in der gleichen Art), dass die gern beschworene Neutralität auch nicht mehr gegeben ist.
Fazit: Selbst wenn eine Kunstsprache zunächst als Welthilfssprache geeignet zu sein scheint und einige Vorteile gegenüber natürlichen Sprachen haben mag – wenn sie tatsächlich zur Weltsprache avanciert, wird sie sich den natürlichen Sprachen in vieler Hinsicht so annähern, dass sie kaum noch als Kunstsprache gelten kann. Und dann kann man sich die Mühe mit den Kunstsprachen auch sparen und gleich bei natürlichen Sprachen bleiben. Zugegeben: Das passiert nicht in hundert Jahren, sondern es braucht längere Zeiträume. Trotzdem ist der Aufwand, so eine Sprache einzuführen, zu groß, und der Nutzen m.E. zu gering.
Als Hobby mögen solche Kunstsprachen ganz nett sein, aber als ernsthafte Kandidaten für eine Lingua Franca haben sie eigentlich schlechte Karten.
Anmerkungen zu zwei Beiträgen (bzw. 3)
@Impala
Hintergrundinformation: “La bona lingvo” ist der Name eines Buches von Claude Piron aus den 1980-ern, das sich mit dem Spannungsfeld “Neologismen vs. spracheigene Bildungen” befasst.
Das ist eigentlich ein sehr schönes Beispiel für einen Esperantismus (im phraseologischen Sinne*), den man natürlich auch falsch verstehen kann.
Ich habe bisher leider keine Studien zum l2-Erwerb durch Esperanto finden können, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, da mir aus der Ehrfahrung mit Esperantisten mit nicht-indogermanischen Muttersprachen aber wie gesagt keine Aussage, wonach sie eine europäische Sprache leichter gelernt hätten, bekannt ist, würde ich das als Theorie bis zum Beweis des Gegenteils formulieren.
Bitte verstehen Sie mich genau: Ich sage, Esperanto ist _relativ_ einfacher zu erlernen als andere Sprachen, dass es je nach Muttersprache noch einfachere Fälle (Tschechisch ’ Slowakisch) gibt bzw. dass Esperanto je nach Muttersprache verschieden schnell erworben werden kann, versteht sich von selbst.
Das untergräbt das prinzipielle Argument aber nicht: Durch die weitgehend freie Kombinierbarkeit unveränderlicher Moprheme bei Abwesenheit funktional unbegründeter Ausnahmen ist Esperanto strukturell leicht zugänglich und daher besonders lernerfreundlich. Und das ist durchaus ein erheblicher Vorteil.
Sie sprechen im Weiteren in der Tat übrigens zwei häufige Fehlerquellen bei Lernern an. Der Artikel ist allerdings für Anfänger optional (§1 der verbindlichen Sprachnorm Fundamenta Gramatiko). Der morphologisch markierte Objektkasus (der etwas mehr als ein Akkusativ kann) erlaubt im Gegenzug eine freiere Wortstellung, zudem markieren auch morphologisch reduzierte Akkusativsprachen wie Englisch oder Romanisch in Teilbereichen (Pronomina) den Akkusativ, und zwar genauso obligatorisch. Im Esperanto ist die Regel nur konsequent durchgeführt.
Esperanto kennt Konversion übrigens auch (durch Änderung des wortkategorialen Suffixes), sie ist sogar durchgängig möglich und damit viel produktiver als im Englischen (telefono, telefona, telefone, telefoni ‘Telefon, Telefon‑, telefonisch, telefonieren’)
@gnaddrig
Ihre Ausführungen sind in sich logisch, sie entbehren aber der faktischen Grundlage, denn Esperanto wie ja seit 125 praktisch verwendet, ohne dass sich auch nur Ansätze für die von Ihnen skizzierten Entwicklungen finden ließen. Im Gegenteil hat sich die Norm des Esperanto stabilisiert und vereinheitlicht, besonders z.B. die Aussprachenorm. U.a. Brugmann und Leskien haben in den Indogermanischen Forschungen von 1906 übigens diverse Sprachwandel für das Esperanto vorausgesagt, auf die man bis heute warten darf.
Man kann natürlich einwerfen, es fehle an der kritischen Masse. Ich beteilige mich nicht an den Spekulationen, wie viele Esperantosprecher es gibt, aber es ist klar, dass es schon längst genug Sprecher gibt, dass nicht mehr die Wagenburg-Mentalität kleiner Bewegungen gilt, sondern dass sich eine politisch, kulturell usw. differenzierte Gemeinschaft gebildet hat, die m.E. als aussagekräftige “Versuchsmenge” ausreicht.
Der Vergleich mit Englisch, Spanisch (deren Varietäten untereinander verständlich sind) und Romanisch zieht nicht, da es sich um ganz andere Zeiten und Situationen als eine Lingua Franca in der globalisierten Welt handelt.
Ein wichtiger Grund für die Stabilität des Esperanto ist das hohe Normbewusstsein seiner Sprecher, was sich zum Einen auf den besonderen Kommunikationssituationen (L2-Sprecher aus verschiedenen Kulturen mit Verständigungswillen) gründet, zum Anderen auf der Tatsache, dass Esperanto als einzige Sprache eine schriftlich fixierte Norm für wichtige Teilbereiche(!) der Grammatik besitzt, das sog. Fundamento, dass die Morphologie, syntaktische Modelle und einen Grundwortschatz umfasst. Diese Normen definieren, was Esperanto ist, dürfen aber erweitert und ergänzt werden, aber nicht geändert. (Damit beantworte ich auch Dierks Frage aus dem 1. Beitrag) Diese Norm wird in der Praxis auch in allen wesentlichen Bereichen eingehalten**. Funktio- und Soziolekte bedrohen m.E. übrigens die Einheitlichkeit einer Sprache nicht, sondern gehören dazu.
Kurzum: Spekulationen zur weiteren Entwicklung einer Lingua Franca entbehren der Grundlage, wenn ich überhaupt mitspekulieren soll, dann scheint mir ein Zerfall des Englischen viel wahrscheinlicher als des Esperanto.
*Lesetipp: Sabine Fiedler, “Plansprache und Phraseologie. Empirische Untersuchungen zu reproduziertem Sprachmaterial im Esperanto”. Frankfurt/M.: Lang, 444 S.
**Da manches nicht eindeutig oder nur implizit geregelt ist, gibt es vereinzelt Gebrauchsweisen, die normwidrig sind. Es handelt sich aber um marginale Phänomene.
Sprache vs. Rahmenbedingungen
Hier wird ja munter über die Tauglichkeit des Esperanto als Welthilfssprache diskutiert. Mir fällt dabei auf, dass sich die Argumente fast nur um die Sprache selbst drehen (Einheitlichkeit, leichte Erlernbarkeit, logische Struktur etc.). Nach meiner (in der Linguistik laienhaften) Sicht der Dinge sind das aber Variablen, die bei der Frage, ob eine Sprache eine bestimmte gesellschaftliche Bedeutung (und sei es die einer “Welthilfssprache”) erlangt, bestenfalls von untergeordneter Bedeutung sind. Viel wichtiger erscheinen mir die gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen.
Die relativ leichte Erlernbarkeit des Englischen mag seinen Aufstieg zur lingua franca begünstig haben — entscheidend dafür war sie sicherlich nicht. Viel wichtiger dürfte die langanhaltende weltweite Dominanz englischsprachiger Länder in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft gewesen sein. Zur regionalen lingua franca sind in der Geschichte schon viele Sprachen aufgestiegen, ganz unabhängig von ihrer grammatischen Struktur und der Schwierigkeit des Erlernens (Akkadisch, Griechisch, Latein, Suaheli, Französisch etc.). Dass das Englische anders als die genannten Beispiele weltweite Dominanz erlangt hat, dürfte vor allem daran liegen, dass sein Aufstieg mit der Globalisierung der Kommunikationswege zusammenfiel.
Die allermeisten Menschen lernen Sprachen nicht aus Interesse an der Sprache selbst, sondern weil sie müssen (politische Rahmenbedingungen, vgl. Russischunterricht im Ostblock) oder weil sie sich davon Nutzen versprechen (aufgrund der ökonomisch, sozial und politisch bedingten Bedeutung dieser Sprache).
Als reines Liebhaberprojekt, hinter dem keine politische, öknomische oder gesellschaftliche Macht steht, dürfte Esperanto, unabhängig von allen sprachimmanenten Faktoren, keine Chance haben aus seiner Nische herauszukommen.
@Dilettant
Ihre Gedanken sind völlig richtig, das ist auch das, womit sich die Interlinguistik (Wissenschaft von internationaler Kommunikation, insbesondere unter Berücksichtigung der Plansprachen) hauptsächlich befassen sollte, aber wie gerade diese Diskussion zeigt, muss man fast immer wieder bei Adam und Eva anfangen.
Die Leute lernen natürlich die Sprache, von der sie sich den meisten Nutzen erhoffen. Das ist in Ordnung so und wird immer so bleiben. Bereits weiter oben hatte ich ja angemerkt, dass ein Paradigmenwechsel notwendig ist in Bezug auf den Mechanismus, der bestimmt, welche Sprache als besonders nützlich anzusehen ist. Als rationaler Mensch sympathisiere ich natürlich mit einer Lösung, die auf ökonomischen und Gerechtigkeitsüberlegungen basiert statt wie bisher auf Macht.
Ob und wann ein solches Umdenken einsetzt, steht in den Sternen.
Das wissen übrigens auch fast alle Esperantisten, deswegen betreiben diejenigen, denen ünerhaupt an der Verbeitung der Sprache gelegen ist (es gibt auch genug, denen der persönliche Nutzen jetzt schon genügt), ja auch nicht Lobbypolitik bei der UNO, sondern machen Basisarbeit oder betonen den wohl gegebenen propädeutischen Wert für das Fremdsprachenlernen*. Hier ist wirklich ein praktischer Ansatz mit konkretem Nutzen zu finden, ganz unabhängig von der abstrakten Weltsprachen-Debatte.
*S. z.B. http://www.springboard2languages.org/home.htm
@ Cyril Brosch
Auf der von Ihnen verlinkten Seite mangelt es an fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu diesem angeblichen propädeutischen Wert. Das Ganze erinnert mich ein bisschen an die Latein-als-Fremdsprache-Diskussion, wonach Latein ja angeblich auch so extrem hilfreich beim Erlernen anderer Sprachen sein soll.
Was die Schüler durch das Esperanto lernen sollen, können Sie genauso gut durch eine x‑beliebige andere Fremdsprache lernen (sinnvollerweise Englisch), von denen sie dann auch später noch im echten Leben profitieren. Im Englischen (oder Französischen, Spanischen, Russischen und was sonst noch im deutschsprachigen Raum flächendeckend unterrichtet wird) gibt es diese Wortarten auch alle. Im Russischen übrigens auch oft schön an Endungen erkennbar. Vielleicht nicht ganz so regelmäßig, aber von vorgegaukelter Regelmäßigkeit haben die Kinder ja auch nichts, wenn sie dann feststellen müssen, dass diese Regelmäßigkeit in natürlichen Sprachen halt nicht gegeben ist.
Und die tollen Vokabelübereinstimmungen hat man doch auch in jeder anderen indoeuropäischen Fremdsprache bei so basalen Wörtern. grey/gris und cat/chat/gato sind genauso hilfreich wie griza und kato.
@Impala
Einerseits kritisieren Sie, es gäbe keine wissenschaftlichen Studien zum propädeutischen Wert des Esperanto (haben Sie alle auf der verlinkten Seite genannten geprüft?), andererseits werfen Sie die Behauptung in den Raum, jede andere Sprache sei in gleicher Weise geeignet (übrigens konnte ich keine Studien z.B. zum propädeutischen Wert des Russischen finden).
Natürlich ist klar, dass man nach der 1. Fremdsprache weitere Fremdsprachen schneller lernt. Aber darum geht es hier nicht, sondern um ein echtes Propädeutikum, d.h. in derselben Zeit, in der sonst éine Fremdsprache gelernt wird, wird erst Esperanto (das man anders als Ethnosprachen in vielleicht 200h unterbringt) und dann z.B. Französisch erlernt — mit besserem Ergebnis als bei den Kindern, die nur Französisch hatten.
Wem die bisherige praktische Erfahrung nicht gesichert genug ist, der möge doch entsprechende strenge Studien durchführen, die Indizien besagen, dass es lohnenswert ist.
Das ist mein letzter Beitrag zu dieser Diskussion; wer das möchte, kann aus ihr genug Informationen ziehen, um seine Vorstellung zu Plansprachen und besonders zum Esperanto ggfls. aus dem Bereich der Fantasie auf den des gesicherten Wissens zu bringen — und wer nicht, für den muss ich keine weitere Tinte aufwenden.
@ Cyril Brosch
Ich habe mir in der Tat die Links auf der Seite angeschaut, aber wenn ich etwas übersehen habe, können Sie mich gerne darauf hinweisen.
Ich habe außerdem nicht die Behauptung aufgestellt, dass jede andere Sprache gut als Propädeutikum ist. Mir erscheinen Propädeutika für den Fremdsprachenunterricht überhaupt unsinnig. Ich habe lediglich angeführt, dass die Argumente, die auf der Seite als Argumente für Esperanto-Propädeutika gebraucht werden, beinahe willkürlich auch auf andere indoeuropäische Sprachen übertragbar sind. Ich brauche auch keine Studien zum Beweis liefern, weil ich nicht derjenige bin, der Webseiten kreiert und propädeutische Effekte verspricht.
Zur leichteren Erlernbarkeit des Esperan
Dass für einen Nicht-Indoeuropäer Esperanto um ein Vielfaches leichter zu erlernen ist als Englisch (es geht also um eine _relativ_ leichtere Erlernbarkeit), ist jedem sofort klar, der beide Sprachen auf den verschiedenen Ebenen miteinander vergleicht.
Das beginnt mit dem Phoneminventar, das im Englischen umfangreicher ist als im Esperanto, so dass eine exakte Englisch-Aussprache im L2-Erwerb nur unter Ausnahmebedingungen (Wechsel der Muttersprache) zu erreichen ist. Im Esperanto kann demgegenüber eine gewisse Bandbreite der Aussprache einzelner Laute akzeptiert werden, weil sie nicht zu Missverständnissen führt, da die meisten Phoneme hinreichend distinkte Merkmale aufweisen.
Der nächste Vorteil besteht beim Esperanto darin, dass Laut und Schreibweise (fast) umkehrbar eindeutig sind, während die Beziehung zwischen Laut und Lautzeichen im Englischen wie bekannt weitgehend unregelmäßig ist.
Bei einer englischen Vokabel muss man daher 4 Parameter lernen: Aussprache, Schreibweise, Betonung, Bedeutung.
Im Esperanto sind’s (dank einer festen Betonung) nur 2: Aussprache (aus der sich die Schreibweise ergibt) und Bedeutung.
Hinzu kommt, dass man viele Begriffe im Esperanto durch Spontankomposita verständlich ausdrücken kann, während Englisch vor anderen Sprachen durch einen sehr großen Wortschatz spezieller Simplizia auffällt, die erheblichen Vokabellernaufwand erfordern.
Über Wortbildung und Syntax wurde schon gesprochen. Englisch kommt dabei in einigen Punkten der Sprachproduktion entgegen, da es weniger Morphologie (Endungen) als Esperanto aufweist, aber das geht zu Lasten der Sprachrezeption: Im Englischen muss man oft einen Satz inhaltlich verstanden haben, bevor man seine Struktur erkennt. Im Esperanto ist die Satzstruktur grundsätzlich erkennbar, so dass Vokabellücken beim L2-Erwerb leichter überbrückt werden können.
Die Regelhaftigkeit des Esperanto erlaubt auch dem Anfänger das Erschließen ihm bislang unbekannter Formen per Analogie, was im Englischen nicht anzuraten ist. Regelhaftigkeit ist übrigens “natürlicher” als charmanter sprachlicher Wildwuchs, wie das Phänomen Übergeneralisierung beim L1-Erwerb zeigt.
Daraus (aber auch aus der morphologisch sichtbaren Syntax) ergibt sich übrigens der relativ größere propädeutische Wert des Esperanto gegenüber anderen Einstiegsfremdsprachen.
Nicht erwähnt wurde bislang die Idiomatik. Die Idiomatik ist beim L2-Erwerb im Englischen ein endloses Gebiet.
Auch das Esperanto hat eine gewisse indoeuropäische Restidiomatik, aber im Vergleich zum Englischen ist das fast nichts.
Schon dieser kurze Sprachvergleich zeigt, dass es als selbstverständlich gelten kann, dass Esperanto auch für Nicht-Indoeuropäer ungleich leichter erlernbar ist als Englisch.
Es hat dazu einen Schulversuch in Ungarn gegeben, bei dem die Esperanto-Schüler wesentlich weiter kamen als bei anderen Fremdsprachen.
Nun sind diese und andere Schulversuche wissenschaftlich problematisch, da sie nicht statistisch sauber durchzuführen sind. Wer möchte schon, dass sein Kind per Würfel einer “Versuchsgruppe” im Fremdsprachunterricht zugeordnet wird? Streng statistisch gesehen, können damit die Voraussetzungen für ein beweisnahes Ergebnis zur Untersuchung solcher L2-Erwerbsvergleiche gar nicht geschaffen werden.
(Aber selbstverständlich gelten diese Einwände für alle Fremdsprachen.)
Es ist daher nur vernünftig, die relativ leichtere Erlernbarkeit anstatt mit statistischen Untersuchungen durch einen sprachebenenbezogenen Vergleich durchzuführen, wie oben angedeutet.
Es gibt dazu auch einen Aufsatz:
Sprachwissenschaftliche Überlegungen zur Frage der leichten Erlernbarkeit des Esperanto / Max Mangold
Verfasser Mangold, Max
Erschienen Saarbrücken : Saarländischer Esperanto-Bund, 1976
Umfang 11 S.
Darüber hinaus gibt es auch beliebig viele Sprecher indoeuropäischer Sprachen, selbst Deutsche, deren Muttersprache doch dem Englischen so benachbart ist, die nach relativ kurzer Zeit fließend Esperanto, aber nie so gut Englisch beherrschen. (Ich bin dafür ein Beispiel.)
Was brauchen wir da noch Schulversuche? Sowohl der sprachtheoretische Vergleich als auch das praktische Ergebnis sprechen eine völlig eindeutige Sprache: Esperanto ist als L2-Sprache leichter erwerbbar als Englisch. Weltweit.
Zum angeblich drohenden Zerfall des Esperanto in Dialekte:
Esperanto ist als _internationale_ Sprache gedacht und soll _nicht_ ganze Gebiete umfassend _Muttersprache_ werden. Bislang tauschen sich Esperantosprechende in über 100 Ländern täglich (meist schriftlich) im Esperanto aus. Es gibt dabei so gut wie keine Ansätze zu Regiolekten (wie denn auch?).
Gelegentlich wird ein absichtlich flapsiger Sprachgebrauch Jüngerer zu “Esperanto-Jugendsprache” hochstilisiert, aber das ist ein sehr flüchtiges und arbiträres Phänomen, das natürlich in Wörterbüchern und Grammatiken keinen Niederschlag findet.
@ Rudolf Fischer
Was die englische Rechtschreibung betrifft, haben Sie natürlich Recht. Im Falle der Aussprache vergleichen Sie aber dann doch Äpfel mit Birnen, nämlich das Englische, das wie jede natürliche Sprache ein bestimmtes Phoneminventar hat und eine durch seine weltweite Verbreitung besonders große regionale Variation aufweist, und Esperanto, wo man künstlich festgelegt wurde, dass man mit der Aussprache nicht so genau sein muss und Sprecher verschiedener Sprachen bestimmte Laute eben auch unterschiedlich realisieren. Nach dieser Gleichung hat man im Englischen also beinahe immer einen Akzent, das Lautsystem also nicht gemeistert, und im Esperanto beinahe nie. Da macht man sich es Esperantist natürlich einfach.
Das ist eigentlich auch der Tenor des Rests Ihres Postings. Jede natürliche Sprache verliert natürlich da, wo das Esperanto kreativen Spielraum zulässt, der in natürlichen Sprachen durch die Sprechergemeinschaft per Konvention z.B. durch Kollokationen stark eingeschränkt ist.
Es muss übrigens nicht zwangsläufig ein Vergleichsversuch gestartet werden, es würde ja schon reichen, überhaupt mal ein praxisnahes Forschungsergebnis zum L2-Spracherwerb präsentiert zu bekommen. Denn diese gibt es mittlerweile für den Erwerb zahlreicher Fremdsprachen und selbst eine kurze Auseinandersetzung mit dem Thema verrät, dass oft Bereiche problematisch sind, von denen man dies bei einem theoretischen Sprachvergleich nicht angenommen hätte.
@impala
Ich wollte mich nicht in Details verlieren, melde mich aber doch noch einmal.
Es geht hier ja bei den theoretischen Überlegungen zu sprachlichen Gütekriterien nicht um einen Schönheitswettbewerb, sondern die Frage, welche Eigenschaften eine Lingua Franca haben soll. Und da macht es Esperanto nicht sich, sondern seinen Lernern einfach. Sonst könnte man ja gleich Latein nehmen.
Was die Aussprache angeht, so gibt es durchaus eine als vorbildhaft angesehene, die sich im Übrigen “natürlich” in den letzten Jahrzehnten etabliert hat, nämlich in etwa die Aussprache der Kroaten (ein Bsp.: http://www.ipernity.com/doc/69959/5475106); es ist nur so, dass Esperanto sowohl in Bezug auf sein Phonemsystem als auch die Haltung seiner Sprecher mehr Abweichungen von diesem Ideal duldet als andere Sprachen.
Eine riesige authentische empirische Sammlung zum L2-Lernen von Esperanto existiert, nämlich in dem zu Beginn des Blogeintrags erwähnten http://www.lernu.net, wo tausende online die Sprache gelernt haben. Sie können ja einmal im Forum (gerade auch ethnosprachlich) schauen, manche Themen (Akkusativ, Artikel) kommen häufiger, andere seltener. Auffällig ist, dass die Fragen oft schon vergleichsweise elaboriert sind und Feinheiten gerade z.B. der Wortbildung oder passende Übersetzungen für Phraseologismen betreffen.
Es müsste sich nur mal jemand hinsetzen und dieses Material auswertem, Freiwillige vor, die einen Doktoranden bezahlen…
Antwort an @impala
Natürlich verliert jede Ethnosprache in der Rolle einer internationalen Kommunikationssprache gegen eine Plansprache, die eben zu diesem Zweck geschaffen wurde. Das liegt in der Natur der Sache und ist ja eines der Hauptargumente für die Nützlichkeit des Esperanto.
Obwohl jedes Esperanto-Phonem in seiner Lautung per IPA festgelegt ist, kann sich der Sprecher in der Praxis eine gewisse Allophonie erlauben, ohne unverständlich zu werden. Beim Eglischen muss man sich leider eben an der Muttersprachlernorm orientieren, was im Esperanto wegfällt. Noch viel mehr gilt dies für die Idiomatik.
Das soll übrigens mit dem Argument “Neutralität” des Esperanto ausgedrückt werden: dass die Verständigung auf gleicher Augenhöhe geschieht (kein Gesprächspartner ist Muttersprachler, an dessen Norm sich der andere orientieren muss). _Nicht_ gemeint ist mit “Neutralität” ein gleicher sprachlicher Abstand des Esperanto zu allen Sprachen der Welt, was immer wieder missverstanden wird. Wie man schon längst weiß, ist so eine Sprache gar nicht vorstellbar. Aber auch in diesem Punkt ist eine Plansprache ex natura _graduell_ allen Ethnosprachen überlegen. Wer also die “Europalastigkeit” des Esperanto kritisiert, für den müsste Englisch dann ja gar nicht in Frage kommen.
Zu Forschung zu L2-Lernergebnissen im Esperanto: Mir ist nicht klar, was da geforscht werden soll. Ich gebe seit ca. 40 Jahren Esperanto-Kurse, habe 3 Kinder zweisprachig erzogen, unter meinen Schüler waren auch viele Nichtdeutsche bis hin zu Asiaten. So wie ich können viele Esperantolehrer (auch aus der Schulpraxis) über Esperanto-Lehrerfolge berichten, Literatur darüber liegt vor.
In jüngster Zeit hat ein Daniel Keefe in China Einheimische und Ausländer gemeinsam in freiwilligen Wochenkursen (die chinesischen Studenten haben dafür ihre Semesterferien verwendet) unterrichtet. Ich vermittele gern den Kontakt.
Auch mit dem japanischen Industriellen Etsuo Myoshi, der sich vergebens um Englisch bemüht hat, um dann erfolgreich Esperanto zu lernen (mir persönlich bekannt).
Esperanto — kulturelle Errungenschaft
der Menschheit:
http://www.wienerzeitung.at/…125-Jahre-alt.html.
Auch wenn die Menschenrechte immer noch mit Füßen getreten werden, hindert mich niemand daran, Beleidigungen zu unterlassen, oder mich sonst nicht daneben zu benehmen.
Auch wenn ich als erste Fremdsprache Englisch lernen musste, hat es mir das Esperantolernen nicht vergällen können. Erfolgserlebnisse stellten sich rasch ein, so dass ich dabei blieb und seine Vorteile genießen konnte. Wer sich die entgehen lässt, den bemitleide ich.
Natürlich finde ich treuherzige Behauptungen über nur 16 Grammatikregeln stümperhaft. Aber das sagt nichts über den wahren Wert des Esperanto für seine Sprecher. Wenn es als Hobby abqualifiziert wird, dass ich mithilfe des Esperanto Freunde im Ausland finde, trifft mich das, denn ich trage aktiv zum Weltfrieden bei: Meine Esperantofreundschaften waren ein tragendes Argument für meine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer (vor mehr als 30 Jahren brauchte man noch gute Gründe).
Mich treibt eher um, dass viele Esperantosprecher sich nur so wenig um die Sprechfertigkeit bemühen, dass sie Esperanto nicht besser als ihr mageres Englisch können. Ohne im Ausland zu leben kann man Esperanto so gut beherrschen lernen, als wäre man dort. Eine Fremdsprache fast so gut wie seine Muttersprache sprechen zu können, ist eine äußerst bereichernde Angelegenheit und hat kaum ein Vorbild, wenn es um Länder geht, die von Englisch noch nicht erreicht wurden. Das kann sich kaum jemand vorstellen, der sich nicht ernsthaft mit Esperanto befasst hat.
In der ganzen Welt freundschaftlich aufgenommen zu werden, ist ein Luxus, den sich mit einem bisschen guten Willen jeder Mensch leisten kann. Auch wenn man Esperantosprecher zufällig kaum findet, so bietet doch die Esperantokultur etliche Möglichkeiten für internationalen Austausch.
Wem das Erreichte zu bedeutungslos ist, dem pflichte ich bei, denn ich hätte auch gern mehr davon. “Ich lerne auch Esperanto, wenn es sich durchgesetzt hat.” Wenn zu viele Menschen so denken, dann wird die Sache weiter von den bekrittelten Enthusiasten abhängen.
Es ist nicht nur eine Frage der Bekanntheit des Esperanto, sondern auch seiner Attraktivität. Die hängt nun wieder von dem Gebaren der EsperantosprecherInnen ab. Da hätte ich auch noch Wünsche.
Aber Schlechtreden von Esperanto in der Presse, in Blogs und Kommentaren demotivieren da eher.
Da die Esperantowelt nicht publikumswirksam von einer Werbeindustrie in Szene gesetzt wird, hat sie es natürlich schwer, akzeptiert zu werden. Man muss schon zum Trüffelschwein mutieren, aber dann wird man doch fündig.
Bedarf an Esperanto
Im Blog erläutert Anatol Stefanowitsch, es ging ihm bei seinem „leidig und nicht tot zu kriegen“ “um die Tatsache, dass es ganz offensichtlich keinen Bedarf an einer solchen Weltsprache” wie Esperanto gibt.
Er führt nicht aus, warum es einen solchen Bedarf “offensichtlich” nicht gibt. Ich vermute mal, es ist die schlichte Tatsache, dass Esperanto heute nur “eine schlappe Million Sprecher/innen” hat. Anzumerken ist, dass Esperanto vor 125 Jahren wohl nur etwa einen einzigen, nicht sehr schlappen Sprecher hatte, den Initiator der Sprache, Ludwig Zamenhof, evtl. noch ein paar Familienangehörige und Freunde, und damit wohl die kleinste Sprachgemeinschaft unter einigen tausend Sprachen der Welt. Irgendwann um 1900 mag es hundert Menschen gegeben haben, die Esperanto fließend sprachen — heute gibt es etwa tausendmal so viele. Esperanto hat im Vergleich mit anderen Sprachen nach der Nutzungshäufigkeit heute in der Regel einen der vorderen 50 Plätze (in der Wikipedia Platz 27 bzw. nach Seitenaufrufen Platz 39, auf den Informationsseiten der chinesischen Regierung http://esperanto.china.org.cn/ eine von zehn Sprachen, in Litauen und in Ungarn Platz 16 unter den von den Einwohnern beherrschten Fremdsprachen, http://www.nepszamlalas2001.hu/…es/load1_32.html usw.)
Vermutlich ist Esperanto mit dieser Vertausendfachung der Sprecherzahl innerhalb von einem Jahrhundert die am schnellsten gewachsene Sprache der Geschichte. Das deutet nicht unbedingt auf einen Mangel an Bedarf an einer geplanten Weltsprache hin — eher darauf, dass Sprachen sich zumeist nun mal relativ langsam verbreiten. Das Englische beispielsweise ist um das Jahr 500 entstanden, hat erst um 1500 die britischen Inseln (wieder) verlassen und erst im 20. Jahrhundert die Position der am meisten gelernten Fremdsprache erreicht. Das Zahlenverhältnis zwischen Esperanto und Englisch hat sich von 1887 bis heute von etwa 1:20.000.000 (wenn wir fünf Sprecher für 1887 annehmen) auf etwa 1:1000 zu Gunsten von Esperanto verändert.
Manchmal wird so getan, als sei Esperanto eine Person, die demzufolge auch nur eine einzige Meinung hat. Im Blog ist zu lesen: “Das Esperanto (…) leitet seinen Anspruch auf die Rolle einer Weltsprache aus zwei Tatsachen ab (…).” Esperanto an sich ist eine Sprache und hat somit gar keine Ansprüche — diese haben nur die Sprecher (und evtl. auch Nicht-Sprecher). Natürlich haben diese Sprecher durchaus unterschiedliche Ansichten und Ziele. Es gibt solche, die Esperanto als Weltsprache einführen wollen, wobei man unterscheiden kann, ob sie dies über Anordnungen der Regierungen oder über Verbreitung unter den Bürgern erreichen wollen (desuprismo und desubismo). Andere finden einfach Esperanto als Sprache einer internationalen Sprachgemeinschaft gut, kommunizieren gerne per Internet, lesen gerne Bücher in Esperanto und fahren gerne zu Esperanto-Treffen. Von diesen gibt es einige, die Esperanto weiter verbreiten wollen und dafür Werbung machen ohne deshalb gleich die Position einer Weltsprache als Ziel zu haben (kreskigo), andere wollen die esperantosprachigen Angebote verbessern (z.B. in der Wikipedia, bei Tatoeba, Übersetzung von Facebook, von TED-Vorträgen oder Untertitelung von Filmen betreiben oder Lieder machen, Bücher schreiben usw.) und die meisten lässt das alles ziemlich kalt, sie sprechen einfach Esperanto und schreiben es und gut ist es. Macht nach meinem Verständnis so etwa fünf verschiedene Einstellungen der Sprecher zu Esperanto.
Ich selbst fände es durchaus vernünftig, Esperanto auf dem Weg zur am meisten gelernten und benutzten internationalen Sprache zu fördern. Es gibt dafür so einige Gründe, z.B.:
— Esperanto ist relativ schnell zu lernen. In der Regel reichen z.B. für deutsche Studenten oder Gymnasiasten drei Wochenendkurse aus, um einfache Gespräche zu führen und selbständig weiterzulernen. Mehr Kurse wollen die Lerner in der Regel nicht haben, sie lernen dann in der Praxis weiter. Bei einer Facebook-Umfrage hat die Hälfte erklärt, dass sie Esperanto nach weniger als 20 Stunden Lernen bereits in Nicht-Lernsituationen angewendet haben, http://www.facebook.com/questions/345655878818771/ . (Ja, das ist keine wissenschaftliche Aussage, deckt sich aber mit anderen Befragungen hierzu.)
— Esperanto lässt sich in vielen Ländern weiterlernen — man muss nicht in ein paar bestimmte Länder fahren, um Sprachpraxis zu erlangen, es reicht oft das eigene oder ein Nachbarland, wo es Esperanto-Treffen gibt. Das fördert das Gleichgewicht im internationalen Austausch.
— Esperanto kann weitgehend im Selbstunterricht gelernt werden; mehr als die Hälfte der Teilnehmer einer Facebook-Umfrage haben dies so gemacht (Lehrbuch und Internet-Kurse), http://www.facebook.com/questions/409467079104317/
— Die Esperanto-Sprachgemeinschaft ist sehr international und führt rasch an ein internationales Miteinander heran. Das gilt eingeschränkt heute auch für das Englische — aber meine Tochter, die als Esperanto-Muttersprachlerin aufgewachsen ist, hatte stets weit mehr internationale und auch engere, freundschaftliche Kontakte als ihre Klassenkameraden.
Für den — zunächst mal rein hypothetischen — Fall einer allgemeinen Einführung von Esperanto kann man die ersten Punkte auch in der Ersparnis staatlicher Ausgaben ausdrücken. Vieles spricht dafür, dass eine bestimmte Sprachkompetenz in Esperanto in einem Drittel oder sogar in einem Fünftel der Zeit erworben werden kann, die für andere Sprachen benötigt wird. Seien wir vorsichtig, nehmen wir die Hälfte. Das hieße für den Schulunterricht, man könnte bei einer Einführung von Esperanto von z.B. 1000 Schulstunden Englisch auf 500 Schulstunden Esperanto übergehen und etwa die Hälfte der Ausgaben für den schulischen Fremdsprachenunterricht einsparen (wenn man sich mit der Erreichung gleicher Sprachkompetenz begnügt). Frankreich gab 2004 z.B. etwa 8 Mia. EUR pro Jahr für schulischen Fremdsprachenunterricht aus, 10 % der Ausgaben für schulischen Unterricht, etwa 137 EUR pro Bürger und Jahr ( http://www.ladocumentationfrancaise.fr/…0000.pdf , S. 87 f.); das dürfte in vielen anderen EU-Ländern ähnlich sein. Einsparen ließe sich also zumindest die Hälfte, ca. 70 EUR pro Bürger und Jahr, 4 Mia. EUR in Frankreich und vielleicht in der EU insgesamt 30 Mia. EUR pro Jahr. Hierbei ist der sonstige Sprachunterricht nicht eingerechnet und auch Folge-Effekte bleiben noch außer Betracht (bevor wir die Machbarkeit behandelt haben, sind diese Details noch unerheblich).
Das mag nett klingen für den Schüler, Bürger und Steuerzahler, hat allerdings auch einige “Nebenwirkungen”: Der Bedarf an Englisch-Lehrern würde drastisch sinken, ebenso der an Dolmetschern und Übersetzern. Ebenso der Bedarf an denjenigen, die diese Lehrer, Dolmetscher und Übersetzer ausbilden, den Englisch-Professoren. Das erklärt vielleicht, warum gerade diese Berufsgruppen in aller Regel dem Esperanto kritisch bis sehr kritisch gegenüberstehen. Das war schon vor einem Jahrhundert so, als sogar bezweifelt wurde, ob aus dem Projekt Esperanto überhaupt eine Sprache werden könne, oder später, als in Zweifel gezogen wurde, es sei eine.
Jedenfalls ist mir aufgefallen, dass etwa die Hälfte der Dolmetscher und Übersetzer, mit denen ich über Esperanto gesprochen habe, ziemlich bald erläutert haben, das wäre für sie ja ungünstig, weil sie bei einer Einführung von Esperanto ja ihren Job verlieren würden. Und es ist auch bemerkenswert, dass der Bundeswettbewerb Fremdsprachen Esperanto von der Teilnahme auschließt, http://www.bundeswettbewerb-fremdsprachen.de/…fe . Richtig wundern kann es mich mittlerweile auch nicht mehr, wenn ein Englisch-Professor erläutert, Esperanto sei “leidig”; ich kann das verstehen und nachvollziehen und sehe bei den Esperanto-Befürwortern (speziell denen, die die allgemeine Einführung anstreben) durchaus einen Mangel darin, dass sie in der Regel die Frage nicht behandeln, wie sich das auf die Sprachberufe auswirken wird.
Bleibt u.a. die Frage, ob eine weitere Verbreitung von Esperanto und die eventuelle allgemeine Einführung überhaupt denkbar sind und wenn ja, wie das gehen kann. Ich denke, dafür lohnt es sich, die Disziplin der “Diffusion von Innovationen” zu betrachten; dort sitzen schließlich die Fachleute für den Vorgang der Verbreitung von neuen Ideen, Produkten und Dienstleistungen. Auf en.wikipedia.org/wiki/Diffusion_of_innovations wird das etwas vorgestellt. Ich werde dazu wohl ein wenig in einem folgenden Beitrag schreiben.
(Nur am Rande: Ludwig Zamenhof war nicht Sprachlehrer — das war sein Vater -, sondern Gymnasiast, als er die erste Esperanto-Version entwickelt hat, Medizinstudent, als er es überarbeitet hat, und Arzt, als er es veröffentlicht hat.)
Diffusion von Innovationen
Cyril Brosch schrieb, dass “Esperanto z.Z. keine Chance hat, zum Einen aufgrund von Ignoranz und psychologisch bedingten Vorurteilen, zum Anderen aber besonders deswegen, weil es keine ökonomische, militärische und klulturelle Machtbasis hat, und bisher werden Weltsprachen so bestimmt, ganz egal, ob sie dafür “geeignet” sind oder nicht. (…)”
Dieser Einschätzung widerspreche ich. Ich habe den Eindruck, es lohnt sich, einen Blick auf die Disziplin der von mir oben kurz erwähnten “Diffusion von Innovationen” (Everett Rogers) zu werfen. Dort wird erläutert, dass neue Ideen, Produkte und Dienstleistungen zuerst von einer kleinen Teilgruppe der letztlichen Zielgruppe ausprobiert werden, etwa 2 % (“Innovatoren” oder “Pioniere”). Erst wenn diese die Innovation erfolgreich anwenden, besteht die Chance, dass eine weitere Teilgruppe von etwa 14 % die Innovation ebenso anwenden (“early adopter”). Wenn auch diese zufrieden sind mit der Innovation, erwägt die Teilgruppe der “frühen Mehrheit” eine Übernahme der Innovation; es folgen zwei weitere Gruppen.
Man kann annehmen, dass die letztliche Zielgruppe für Esperanto ein großer Teil derjenigen sind, die heute Englisch lernen, also z.B. Gymnasiasten und Studenten. In der Tat lässt sich feststellen, dass an einem Gymnasium so etwa ein bis zwei Prozent der Schüler für eine Esperanto-Arbeitsgemeinschaft zu begeistern sind, wenn man denn über Esperanto so informiert, wie es die Werbeleute anregen — also unter Darstellung des Nutzens, unter Verwendung vieler Kommunikationskanäle und so, dass jedes Mitglied der Zielgruppe etwa zehn Mal eine bewusste Information erhält. Eine solche Informationsarbeit nach professionellen Standards wird allerdings selten geleistet und das ist wohl der Grund, warum diese etwa 2 % der Gymnasiasten von Esperanto kaum etwas erfahren und sich daher auch praktisch nicht entscheiden können, es zu lernen. Dasselbe gilt für die Zielgruppe der Studenten. Folglich entsteht keine solche Anwender-Gruppe von 2 % (Pioniere) der Zielgruppe und damit hat die Folgegruppe der ‘early adopters’ auch wenig Gelegenheit, zu beobachten, ob Esperanto denn auch gut funktioniert, und entscheidet sich daher eher zu einem Abwarten.
Man kann das ändern, indem man in kleinen Einheiten (eine einzelne Schule, ein paar Uni-Institute) eine sorgfältige und langfristige Informationsarbeit leistet. Das kann auch die heutige Esperanto-Sprachgemeinschaft trotz ihrer beschränkten Mittel leisten — wenn denn einzelne Esperanto-Sprecher bereit sind, sich mit den Grundlagen von Werbung und Marketing vertraut zu machen und diese dann anzuwenden unter Nutzung der bescheidenen, aber immerhin fließenden Spendenmittel.
“Ignoranz und psychologisch bedingte Vorurteile” stören hierbei nicht — sie finden sich in der Gruppe der 98 %, die zu Beginn abwarten, stören aber die 2 % nicht daran, eine Innovation auszuprobieren, wenn sie denn attraktiv ist. Auch eine “ökonomische, militärische und kulturelle Machtbasis” ist erstmal nicht notwendig, um 1000 Schüler eines Gymnasiums sorgfältig zu informieren, um letztlich 20 von ihnen für das Esperanto-Lernen und ‑Anwenden zu gewinnen. Auch nicht für mehrere Gymnasien. Sie ist auch nicht nötig, um eines Tages, wenn die 2 % gewonnen sind, die nächsten 14 % zu gewinnen. Wenn das eines Tages geschehen sollte, bildet sich damit eine gewisse kulturelle Machbasis und die Fortsetzung wird leichter.
Interessanterweise ist die Einführung von Innovationen ein einigermaßen undemokratisch aussehender Prozess: Hätte man in der Anfangsphase des Handys eine Abstimmung gemacht, ob man ein Handy braucht, hätte man die Abstimmung verloren. So läuft das aber nicht. Ein paar Leute fanden Handys spannend und haben sie genutzt und dann ein paar mehr und dann noch mehr…
Insofern wird auch in gewisser Weise die Frage des Blogs, ob ein “Bedarf” an Esperanto besteht, der Natur von Diffusionsprozessen nicht gerecht. Zur erfolgreichen Diffusion braucht man nicht etwa die Überzeugung einer Mehrheit, es bestehe ein “Bedarf”. Man braucht nur ein paar Leute, die die Innovation nett finden und sie anwenden, einfach so, aus Spaß an der Freud’, aus Daffke oder weil es die Freundin macht oder warum auch immer. Und dann noch ein paar. Und noch ein paar. (Einen wirklichen “Bedarf” an Wein habe ich im übrigen auch nicht, trinke ihn aber dennoch gelegentlich ganz gerne.)
Was nun Esperanto anbetrifft, lasse ich mir gerne sagen, das seien ja Träume. Das stimmt. Ich behaupte ja auch nicht, dass es auf diesem Weg möglich ist, Esperanto auf der Welt als am meisten gelernte Fremdsprache einzuführen. Ich habe bloß den Eindruck, dass in Bezug auf Esperanto die Erkenntnisse der Diffusionstheorie, des Marketing und der Werbung noch nicht angewendet wurden — und damit steht noch in den Sternen, ob das klappen könnte oder nicht. Man muss es einfach mal probieren, um die Theorie in der Praxis zu testen.
In den letzten 125 Jahren hat die Menschheit die Erkenntnis gewonnen, dass es möglich ist, eine geplante Sprache zu schaffen und zu verbreiten und eine funktionierende Sprachgemeinschaft aufzubauen — trotz aller Unkenrufe. Jetzt fände ich es spannend, herauszukriegen, ob man diese Sprachgemeinschaft erheblich vergrößern kann (ich denke da erstmal an eine Verdoppelung oder eine Verzehnfachung). Schon aus wissenschaftlichem Interesse heraus 🙂
@Peer: Weltfrieden
Cyril hatte gefragt: “Warum sollte Esperanto nicht die Rolle der lingua franca übernehmen?”
Und Peers Antwort war: “Warum machen wir keinen Weltfrieden? 🙂 ”
Nach meinem Verständnis sind wir auf dem Wege, Weltfrieden zu machen. Bloß ist die Idee, dass Frieden eine sinnvolle Sache ist, eine Art Innovation und folgt den Regeln der Diffusion von Innovationen. Das geht also nicht von einem Tag auf den anderen. Zuerst waren in Europa zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein paar Prozent der Intellektuellen vom Frieden überzeugt, dann mehr, dann noch mehr. Das Ergebnis ist, dass wir in Europa in den letzten Jahrzehnte weit weniger als eine Million Kriegstote hatten, während der zweite Weltkrieg etwa 55 Millionen gefordert hatte. Auch in Sachen Dritte Welt wird sich — so nehme ich an — die Idee, dass Frieden sinnvoller ist, ausbreiten. Zumindest dann, wenn die Bildung und der Wohlstand zunehmen, vermute ich mal.
Peer schrieb weiter, sicherlich wäre Esperanto als lingua franca geeignet, “aber man wird die Weltbevölkerung kaum dazu bringen, Esperanto zu lernen, so lange es nicht die Lingua Franca IST — oder ihr zumindest nahekommt.”
Dieses Verfahren, alles oder nichts, ist nicht der übliche Verbreitungsprozess von Innovationen. Es kommt darauf, dass eine Innovation für die erste Zielgruppe der mutigen Pioniere (2 %) attraktiv ist, spannend, neu. Die Sache geht dann weiter, wenn die Gruppe der frühen Anwender die Innovation verbunden mit der Tatsache, dass sie nun von 2 % angewendet wird, attraktiv findet. Usw. Wir können nicht wissen, ob das so sein wird. Wir können aber probieren, soweit zu kommen, wie es geht.
It’s not gonna happen dudes. Mehr muss ich zur Diskussion um Esperanto als Lingua Franca (haha) auch nicht mehr sagen.
Die meisten Jugendlichen sind mit Freundschaften im direkten Umfeld sehr zufrieden und haben kein übergroßes Bedürfnis, sich mit Jugendlichen aus Pusemuckel in einer künstlich geschaffenen Fremdsprache auszutauschen. Ihre Tochter hatte wahrscheinlich auch deshalb so viele internationale Bekanntschaften, weil das eine Möglichkeit war, um in ihrer “Muttersprache” kommunizieren zu können, da unter ihren Klassenkameraden doch kein Hahn nach Esperanto krähte. Aber gut, whatever floats your boat.
Im Übrigen, um das nochmal zu betonen: Ich find’s dufte, wenn Schüler sich für eine Esperanto-AG einschreiben, genauso wie ich Theater-AGs, Schach-AGs und Golf-AGs gut finde, weil jegliche Interessengruppe unter Schülern unterstützt werden sollte. Gleichgesinnten sollte immer ein Forum gegeben werden, um sich auszuleben und sich auszutauschen. Esperanto als Schulfach einzuführen ist aber bei alle Liebe nicht der nächste logische Schritt.
@impala: Schaun wir mal!
impala schrieb:
Das ist natürlich ein sorgfältig durchdachter und wohlbegründeter Diskussionsbeitrag. 😉 So dass ich nicht antworten möchte. Höchstens eine Anmerkung: Dasselbe wurde ab 1887 über das Projekt geschrieben, aus der dünnen Grundlage in dem ersten Esperanto-Büchlein von 40 Seiten eine richtige Sprache zu machen…
impala schrieb:
Ich erinnere mich recht gut an meine Sommerferien, bis ich etwa 12 Jahre alt war: Zusammensein mit Freunden war selten — wir waren mit der Familie am Meer und da waren Spielkameraden, die Französisch sprachen (ich noch nicht), und jedes Jahr andere. Das änderte sich erst, als ich Französisch lernte, wir regelmäßig an denselben Ort fuhren und ich (Ferien-)Nachbarskinder am Ferienort kennenlernte, mit denen ich mich angefreundet und sehr schöne Zeit verbracht habe. So ähnlich ging es meiner Tochter, seit sie vier Jahre alt war — an den Esperanto-Treffen, zu denen wir fuhren, nahmen zu einem guten Teil stets dieselben Familien teil, so dass sich Freundschaften unter den Kindern bildeten, die diese sehr genossen haben und bis heute schätzen.
Natürlich ist das theoretisch auch mit gemeinsamem Urlaub von befreundeten Familien denkbar; ist aber selten. Außerdem kommt für mich die internationale Komponente hinzu — ich finde es gut, wenn Kinder frühzeitig Kontakt mit anderen Kindern aus anderen Ländern haben. Das alles ist sicher Geschmackssache (und, wie bei der Erläuterung der Diffusionstheorie dargelegt: Im Augenblick kommt es für Esperanto nicht darauf an, 98 % der Diskussionspartner zu überzeugen, sondern nur 2 %, das reicht derzeit völlig aus. Und sogar: Wirklich wichtig sind praktisch nur die Jugendlichen zwischen 14 und 25, später werden Sprachen und auch Esperanto nur noch in geringem Maße gelernt.)
@impala: Esperanto fakultativ!
impala schrieb:
Ich find’s dufte, wenn Schüler sich für eine Esperanto-AG einschreiben (…). Esperanto als Schulfach einzuführen ist aber bei alle Liebe nicht der nächste logische Schritt.
Fast völlig einverstanden, ich fasse es etwas genauer. In Sachen Esperanto an Schulen fände ich folgendes sinnvoll:
— Alle Schüler erhalten ein bis zwei Stunden Unterricht _über_ Esperanto — Idee, Verwendung und Verbreitung heute, ganz kurze sprachliche Einführung. Vermutlich ist das im Alter um 12 bis 14 Jahre sinnvoll. Man kann das in allen möglichen Fächern machen, Geschichte, Deutsch, Fremdsprachen (indem man einen fremdsprachlichen Text über Esperanto liest und bespricht). Von mir aus in Religion im Rahmen der babylonischen Sprachverwirrung. Jedenfalls halte ich es für sinnvoll, dass jedermann weiß, was Esperanto theoretisch und praktisch ist. Die Wikipedia-Leute scheinen das so ähnlich zu sehen, Esperanto ist eine von 19 Sprachen (und eins von 1000 Themen), über die es Artikel in allen Wikipedias geben sollte, http://de.wikipedia.org/…Wikipedias_geben_sollte
— Wer mag, soll Esperanto lernen können, dafür sollte man zumindest an Gymnasien Esperanto-AG’s anbieten. Ich fände es gut, wenn die Lehrerstunden auf die zu leistenden Wochenstunden angerechnet würden und nicht in der Freizeit zu leisten wären. Natürlich braucht man eine Mindestteilnehmerzahl, das kann schwierig werden; bei einer Schule von 500 Schülern interessieren sich vielleicht nur 1 %, also nur 5 Schüler dafür, selbst bei guter Information; aber vielleicht kann man ja einen Kurs für Schüler mehrerer Schulen anbieten; ein Halbjahr wäre schon mal ein guter Anfang.
— Die Bemerkung von impala zu “Esperanto als Schulfach” bezog sich sicher auf die Einführung als Pflichtfach für alle Schüler. Das halte ich ebenso wie impala (und viele andere) für ziemlichen Unsinn und bedauere es sehr, dass das oft die Forderung von Esperanto-Leuten war und ist.
So am Rande: In Brasilien ist derzeit ein Gesetzesprojekt auf dem Wege, um Esperanto als fakultative Sprache an Schulen einzuführen, vgl. z.B. http://www.ipernity.com/blog/arno.lagrange/291131 . Die sind aber nicht hastig mit ihrer Gesetzgebung…
Das Internet ist super für Esperanto.
Als ich gesagt habe,
(das Wort “geradezu” hat hier schon seinen Sinn), meinte ich damit, das Internet passe einfach hervorragend auf die Bedürfnisse der Esperantosprecher. Heute gibt es eine Esperanto-Wikipedia mit 168.000 Artikeln — vor der Gründung der Wikipedia gab es gar keine Esperanto-Enzyklopädie zu allgemeinen Themen; die Arbeit wäre ohne Internet sehr kompliziert gewesen und der Druck der Bände sehr teuer. Es gibt auch das “Sätzebuch” Tatoeba, http://tatoeba.org/epo/home — dort wird nicht die Übersetzung von Wörtern, sondern von ganzen Sätzen angeboten. Esperanto ist hier mit 173.000 Sätzen vertreten, macht Platz zwei im Sprachenvergleich; denkbar nur, weil Esperantosprecher aus der ganzen Welt leicht daran mitwirken können.
Das Internet bindet auch die Esperantosprecher in Nepal (dort haben etwa tausend Leute Esperanto gelernt), Burundi (angeblich Esperanto-Unterricht an drei Dutzend Schulen) und anderen entlegenen Orten an die internationale Gemeinschaft der Esperantosprecher an — via Mail, Foren, Chat und Skype.
Außerdem macht das Internet Esperanto in der Praxis leichter erforschbar: Man kann z.B. die Textmengen im Internet abschätzen und so einen realistischen Eindruck von der Größe und Aktivität der Esperanto-Sprachgemeinschaft gewinnen.
Weiterhin werden die Esperanto-Aktivitäten öffentlicher — jeder kann sehen, dass Esperanto in der Wikipedia benutzt wird oder bei Facebook (und so fällt es den Esperanto-Gegnern heute auch schwerer z.B. zu behaupten, Esperanto sei eher ein Hobby von älteren Leuten, weil das Chatten der Jugendlichen in Esperanto ja so offensichtlich ist).
Kurz: Nach der Reisewelle der 60-er Jahre ist das Internet ein zweiter großer Anschub für Esperanto. Wenn man Esperanto kennt und mag, findet man das zumeist sehr positiv.
Esperanto: Einfach und neutral
So richtig kann ich nicht nachvollziehen, wieso Anatol Stefanowitsch von den “Behauptungen” von der Einfachheit und Neutralität schreibt statt diese einfach anzuerkennen.
Vielleicht ist es sinnvoll, zum Verständnis der Einfachheit mal ein Beispiel zu bringen. In Esperanto enden alle Substantive auf ‑o, z.B. vundo (Wunde) und vorto (Wort). Im Plural wird ein ‑j angehängt, es heißt dann vundoj (Wunden) und vortoj (Wörter). An den deutschen Übersetzungen sieht man, dass die Pluralbildung hier (Wund-en, Wort > Wört-er) schwieriger ist, in Esperanto einfacher. Die weiteren Grundregeln der Formen- und Satzlehre sind in dem ersten Büchlein von 1887 dargestellt, Faksimile auf http://anno.onb.ac.at/…seite=00000043&zoom=4 .
Dass etwa die Hälfte der Esperanto-Lerner bereits nach höchstens 20 Lernstunden beginnt, Esperanto in der Praxis anzuwenden, hatte ich schon erwähnt; auch das deutet eher auf Einfachheit hin.
Was die Neutralität anbetrifft, habe ich mal ein wenig untersucht, aus welchen Ländern die Autoren der englischen und der Esperanto-Wikipedia kommen. Bei der englischen waren dies zu über 80 % die (im wesentlichen) englischsprachigen Länder USA, Großbritannien, Kanada und Australien; das waren die einzigen, die mehr als 5 % erreichten. Bei Esperanto gab es nach meiner Erinnerung sechs verschiedensprachige Länder, die mehr als 5 % erreichten (ich weiß sie nicht mehr, lässt sich aber leicht finden). Diese Konstellation dürte nach meiner Einschätzung dafür sorgen, dass die Inhalte der Esperanto-Wikipedia stärker international geprägt und auch gegengelesen werden, was zu einer höheren internationalen Neutralität beitragen dürfte.
Ein anderer Bereich sind die Herkunftssprachen von Übersetzungen. In Deutschland kommen etwa 50 % der Übersetzungen aus dem Englischen, in manchen Ländern sind es bis zu 80 %. Hierdurch ist das Buchangebot stark auf die Autoren und Ideen einer bestimmten Sprach- und Ländergruppe ausgerichtet. In Esperanto kommen nach einer kleinen Untersuchung von mir nur etwa 20 % der Übersetzungen aus dem Englischen, die vier größten Herkunftssprachen machen zusammen etwa 50 % aus. (Lu Wunsch-Rolshoven. Bücher und Übersetzungen in Esperanto, Deutsch und Englisch. Esperanto aktuell 5/2005, S. 10; vgl. auch http://sezonoj.ru/2011/03/tradukoj/ ab “… sed ne en Esperantujo”; hier werden allerdings auch Broschüren von unter 49 Seiten einbezogen.) Auch hier sind wir natürlich weit von einer wahren Neutralität oder von gleichen Anteilen entfernt — die Esperanto-Literatur kommt dem aber näher als die anderer Sprachen.
Gerne füge ich an, dass das Argument der Neutralität, so wie es oft von Esperanto-Vertretern angeführt wird, für mich keine große Rolle spielt. Wäre das Englische so rasch zu erlernen wie das Esperanto (und könnte man demzufolge mit bestimmtem Aufwand auch ein ähnlich hohes Sprachniveau erreichen, wie es im Esperanto möglich ist) und wäre nicht diese Übermacht von Inhalten aus dem englischsprachigen Raum, die ich an den Beispielen der Wikipedia und der Übersetzungen erläutert habe, hätte ich wirklich nichts gegen das Englische als internationale Sprache einzuwenden. Und ohnehin: Ich spreche gerne Englisch, auch wenn mein Sprachniveau spürbar unter meinem Esperanto-Niveau liegt.
heute.de: Esperanto in der Praxis
Bisher kann ich noch nicht nachvollziehen, dass Esperanto in dem Artikel von Britta Wagner bei heute.de “zur Weltsprache stilisiert (oder besser: mythisiert)” würde, wie Anatol Stefanowitsch andeutet. Ich habe den Artikel nachgelesen — Frau Wagner stellt Esperanto so dar, wie es heute ist; so fängt schon der erste Satz an: “Schnell mal eine Sprache lernen — wer hätte das nicht gern.” Das Wort “Weltsprache” taucht nur in dem folgenden Satz auf: “125 Jahre später ist sie zwar keine Weltsprache geworden, aber im Netz stark vertreten.”
Ich kann, wie schon geschrieben, gut nachvollziehen, dass jemand Esperanto-Gegner ist — aus persönlichen, emotionalen oder beruflichen Gründen. Allerdings fände ich es wundervoll, wenn sich die Argumente gegen Esperanto an den tatsächlichen Eigenschaften des Esperanto und der Texte über diese Sprache orientieren würden. Esperanto als Weltsprache und als Sprache einer internationalen Sprachgemeinschaft sind nun mal zwei etwas unterschiedliche Dinge.
Meine Diskussion hier soll auch keineswegs eine “leidige, nicht totzukriegende Esperanto-als-Weltsprache-Diskussion” sein. Wie wir es hinkriegen könnten, aus Esperanto eine Weltsprache zu machen, das diskutiere ich lieber mit Esperantosprechern als mit Esperanto-Gegnern. (Und es gilt auch hier: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.)
Nach meinem Verständnis kann sich die Unterstützung der Politik auch auf die Gleichberechtigung des Esperanto mit anderen Sprachen beschränken, da wäre ich schon zufrieden. So könnte ich mir einen Lehrstuhl für Esperanto-Studien vorstellen — nicht für die Linguistik des Esperanto (das wird schon reichlich beforscht), sondern für Themen wie Literatur, Soziologie der Esperanto-Sprachgemeinschaft, Unterrichtsmethodik, esperantosprachige Wirtschaft (Verlage, Tourismus), Werbung, PR u.ä.
Schön wäre auch ein Engagement der Politik für die Zulassung des Esperanto zum Bundeswettbewerb Fremdsprachen, der überwiegend vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft finanziert wird und daher Diskriminierung von Sprechern bestimmter Sprachen vermeiden müsste. Dies aber nicht tut.