Stille Post verschlechtert die Grammatik

Von Anatol Stefanowitsch

Amerikanis­che Wis­senschaftler haben her­aus­ge­fun­den, dass die SMS-Sprache von Jugendlichen deren Gram­matik ver­schlechtert. Zumin­d­est behauptet das eine Presseerk­lärung des Con­tentliefer­an­ten „Pres­se­text“. Aber wie immer, wenn wir etwas über die neuesten Erken­nt­nisse der amerikanis­chen Wis­senschaft erfahren, haben diese ein langes Stille-Post-Spiel hin­ter sich.

Es fängt an mit ein­er rel­a­tiv nichtssagen­den Studie zweier Medi­en­wis­senschaftler — S. Shyam Sun­dar von der Penn­syl­va­nia State Uni­ver­si­ty und seines ehe­ma­li­gen Stu­den­ten Drew Cin­gel. Ich sage „nichtssagend“, weil die Studie, nun ja, nichts sagt. Die bei­den Autoren kor­re­lieren in dieser Studie die Ergeb­nisse von Schüler/innen in einem Gram­matik­test mit deren SMS-Vehal­ten — speziell, der Gesamt­menge an SMS, die die Schüler/innen ver­schick­en, sowie der Anzahl von sprach­lichen Anpas­sun­gen — Abkürzun­gen (wie LOL), Aus­las­sung von unwichti­gen Buch­staben (wie wud für would), die Ver­wen­dung von Homo­pho­nen (wie gr8 für great), sowie Abwe­ichun­gen bei Groß- und Klein­schrei­bung und Interpunktion.

Sie find­en her­aus, dass Schüler/innen, die in ihren SMS mehr sprach­liche Anpas­sun­gen ver­wen­den, bei dem Gram­matik­test schlechter abschneiden.

Oder auch nicht, denn die Studie hat eine Rei­he method­is­ch­er Schwächen. Erstens erfassen die beteiligten Schüler/innen ihr SMS-Ver­hal­ten selb­st. Das kann, vor allem bei der Erfas­sung der sprach­lichen Abwe­ichun­gen nur schiefge­hen, erfordert es doch, dass sie ein kom­plex­es Kat­e­gorien­sys­tem auf ihre eige­nen SMS anwen­den müssen — eine Auf­gabe, die nach mein­er Erfahrung sog­ar gut eingewiesene stu­den­tis­che Hil­f­skräfte über­fordert. Zweit­ens ist der „Gram­matik­test“ eine Ansamm­lung sehr ver­schieden­er Fra­gen, von denen etwa die Hälfte diverse gram­ma­tis­che Phänomene (Haupt­säch­lich die Auswahl von Verb­for­men) abfra­gen, während die andere Hälfte Rechtschrei­bung und Inter­punk­tion testet. Drit­tens — und das ist entschei­dend — tun die Autoren zwar so, als unter­sucht­en sie einen kausalen Ein­fluss von SMS-Sprache auf das Ergeb­nis des Gram­matik­tests (sie rech­nen eine Regres­sion­s­analyse, in der let­zeres als unab­hänge Vari­able ver­wen­det wird), tat­säch­lich gibt es aber natür­lich keinen Grund, eine solche Kausal­ität anzunehmen. Die Studie zeigt also besten­falls eine Kor­re­la­tion — die Schüler/innen, die viele sprach­liche Anpas­sun­gen in ihren SMS ver­wen­den, sind diesel­ben, die schlechte Ergeb­nisse im „Gram­matik­test“ erzielen.

Das Stille-Post-Spiel geht damit weit­er, dass die Autoren natür­lich nicht zugeben wollen, dass ihre Studie nichts aus­sagt. In der Diskus­sion ihrer Ergeb­nisse gehen sie zunächst ohne die leis­es­ten Zweifel von ein­er Ursache-Wirkung-Beziehung zwis­chen SMS-Sprache und Gram­matikschwäche aus und rat­en auf dieser Grund­lage zu einem sparsamen Ein­satz tech­nis­ch­er Medi­en im Schu­lun­ter­richt. Erst danach erken­nen sie die method­is­chen Schwächen in ein­er Art Anhang an, den sie „Lim­i­ta­tion“ nen­nen (ich hätte „Seri­ous Method­olog­i­cal Flaws“ für eine passendere Über­schrift gehalten).

Die näch­ste Sta­tion für die Stille Post ist eine Presseerk­lärung der Penn­syl­va­nia State Uni­ver­si­ty, in der absolute Gewis­sheit herrscht, dass die SMS-Sprache die Gram­matik der Schüler/innen verdirbt. Die Autoren spekulieren dort, dass junge Men­schen einen natür­lichen Drang haben, die SMS-Sprache ihrer Altersgenoss/innen zu imi­tieren und dann auch in ihrer all­ge­meinen Sprachen­twick­lung nicht mehr zur „richti­gen Gram­matik“ zurückfinden.

Der let­zte Schritt ist dann die oben erwäh­nte Pressemel­dung, in der behauptet wird, dass das Versenden von Kurz­nachricht­en ganz all­ge­mein einen neg­a­tiv­en Ein­fluss auf die Gram­matik von Jugendlichen habe (die Autoren der Studie weisen übri­gens expliz­it darauf hin, dass ein solch­er all­ge­mein­er Zusam­men­hang nicht beste­he). Immer­hin zitiert die Presseerk­lärung dann den Öster­re­ichis­chen Sprach­wis­senschaftler Oswalt Panagl, der vernün­ftiger­weise erhe­bliche Zweifel an einem Ein­fluss der SMS-Sprache auf die Gram­matik äußert. Sie machen diese lobenswerte Eigen­recherche dann allerd­ings zunichte, indem sie behaupten, die Studie zeige außer­dem einen Ein­fluss „tech­nis­ch­er Fak­toren“ wie „die Größe oder die Bedi­en­barkeit des Handys“. Das ist aber frei erfunden.

Tat­säch­lich zeigt die Studie also nur eins: Schüler/innen, die glauben, in ihren SMS bes­timmte Kat­e­gorien von SMS-typ­is­ch­er Sprache gefun­den zu haben, schnei­den bei einem Gram­matik­test schlechter ab als Schüler/innen, die nicht glauben, in ihren SMS bes­timmte Kat­e­gorien von SMS-typ­is­ch­er Sprache gefun­den zu haben.

Aber das wäre in diesen tech­nikfeindlichen und kul­turpes­simistis­chen Zeit­en wohl keine Nachricht, und so dür­fen wir auf die näch­sten Sta­tio­nen im Stille-Post-Spiel ges­pan­nt sein.

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

3 Gedanken zu „Stille Post verschlechtert die Grammatik

  1. jhermes

    Kausalko­r­re­lat
    In Erman­gelung der Ken­nt­nis der Orig­i­nal­studie kann ich ja nicht über die method­is­chen Schwächen wie die Selb­st­beurteilung urteilen (25$ — für 24 Stun­den! — war mir der Artikel nicht wert und meine UB scheint nicht zu den Abon­nen­ten des Mag­a­zins zu gehören). Es würde mich aber stark wun­dern, wenn wie die behauptete Kausal­beziehung vernün­ftig aus der Kor­re­la­tion abgeleit­et wer­den kann. Ich halte die umgekehrte Ursache-Wirkung für genau­so plau­si­bel, wenn nicht sog­ar für nahe­liegen­der, als die von den Autoren vertretene und in den Presseerk­lärun­gen man­i­festierte: Wer spielerisch­er (präskrep­tiv gese­hen: falsch­er) mit seinen gram­ma­tis­chen Bil­dun­gen umge­ht, ist auch ein­fall­sre­ich­er, was Verkürzungs­for­men ange­ht. Ist aber natür­lich nur ins Blaue geschossen. Aber vielle­icht will irgen­dein Ver­lag einen darauf basieren­den Auf­satz für 25€/24h vertick­en? Passt aber nicht so gut in das Jugend-wird-durch-schreck­liche-neue-Tech­nik-ver­dor­ben-Welt­bild. Pressemit­teilun­gen der Uni gibt es deshalb wohl eher nicht.

  2. Klaus Jarchow

    Wis­senschaft feit nicht vor Blödsinn
    Es genügt eigentlich ein wenig gesun­der Men­schen­ver­stand: Wir erleben zur Zeit unbe­strit­ten die größte Schreibbe­we­gung der Geschichte — den Siegeszug des Web 2.0 und der ’sozialen Medi­en’. Jed­er Depp muss unver­hofft auch zum Buch­staben­domp­teur wer­den — wie ele­gant auch immer. Dadurch — also durch die Mul­ti­p­lika­tion des schreiben­den Volks — soll­ten sich der Studie zufolge die ‘gram­ma­tis­chen Fähigkeit­en’ der Men­schen in der Bre­ite ver­ringern? Ich glaube ja gern, dass die Gram­matik und Orthogra­phie sich verän­dern, ob zum Guten oder Schlecht­en ist aber bloß eine Frage des Dudens. Manche der beschriebe­nen Reduk­tio­nen kön­nte ja auch ganz sin­nvoll sein — “er ver8et mich, da habe ich meine 2fel …” Das heilige Buch aus dem Hause Duden ist schließlich nicht sakrosankt. — Heute jeden­falls muss längst das größte Lan­dei sim­sen und twit­tern kön­nen, dessen Vor­fahren früher noch drei Kreuze auf ihren Anstel­lungsver­trag mal­ten. Der Alpha­betismus und die Schriftkunde gewin­nen fol­glich mas­siv an Boden …
    Ich reagiere auf solche inter­essierten Tartaren­mel­dun­gen gar nicht mehr …

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