Es gibt schlechte Werbung. Es gibt dumme Werbung. Und es gibt gefährliche Werbung.
Ein Beispiel, das alle drei Kriterien erfüllt, ist eine aktuelle Mailingkampagne der Lufthansa, auf die mich jemand über diesen Blogbeitrag aufmerkam gemacht hat.
Die Lufthansa verschickt in diesen Tagen folgendes Schreiben an die Inhaber von Miles-and-More-Kreditkarten:
Die Verantwortlichen bei Lufthansa zeigen mit dieser Kampagne, dass sie an mindestens drei Stellen in den fünfziger Jahren hängengeblieben sind: mit ihrem Frauenbild, mit ihrem Rollenbild von Frauen in Beziehungen, und mit ihrem Bild davon, welche Kombinationen sexueller Orientierungen und Identitäten in einer Beziehung zu finden sind.
Fangen wir mit dem dritten Punkt an, der nicht weniger problematisch ist, als die ersten Beiden, über den ich aber aus der sprachlichen/kommunikativen Perspektive, die mich vorranging interessiert, weniger sagen kann. Es handelt sich bei dem Text ja vorgeblich um einen Brief einer Frau (erkennbar an der klischeehaft weiblichen Handschrift, der Tatsache, dass es um eine „Woman’s Special Partnerkarte“ geht, an der Unterschrift „Deine Special Woman“ und am Kussmund aus Lippenstift). Und dieser Brief ist an einen Mann gerichtet (erkennbar daran, dass Lufthansa ihn an Männer verschickt hat). Damit ist klar, dass Lufthansa davon ausgeht, dass die Männer unter ihren Kund/innen allesamt heterosexuell und in einer Partnerschaft mit einer (und vermutlich — „das Wichtigste in deinem Leben“ — mit genau einer) heterosexuellen Frau sind.
In dem diese Beziehung als selbstverständlicher Normalfall vorausgesetzt wird wertet die Aktion homosexuelle Männer ebenso ab wie asexuelle Männer, polyamor lebende Männer, Männer die (ob freiwillig oder nicht) in gar keiner Partnerschaft leben, usw. Und damit sind nur die direkten Adressaten der Kampagne erfasst — auch Frauen oder Menschen mit anderen sexuellen Identitäten wird durch diese Vorannahme signalisiert, dass sie nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen.
Das mag kleinlich klingen, und wenn die Kommentare zu diesem Beitrag nicht ausgeschaltet wären, würde mit Sicherheit der Einwand kommen, dass Lufthansa hier eben vom „typischen“ oder „häufigsten“ Fall ausgehe und die anderen sich eben einfach nicht angesprochen fühlen sollen. Aber selbst wenn der Beziehungstyp „ein heterosexueller Mann plus eine heterosexuelle Frau“ typisch und/oder am häufigsten wäre (was ich für unsere Gesellschaft annehme), gibt das niemandem das Recht, daraus einen selbstverständlich vorauszusetzenden Normalfall zu machen. Deutschstämmige Deutsche sind in unserer Gesellschaft auch wesentlich häufiger als nicht-deutschstämmige, und trotzdem würde Lufthansa nicht auf die Idee kommen, einen Werbebrief mit einem Bezug auf „das Gefühl, seinen Stammbaum bis ins Deutsche Reich zurückverfolgen zu können“ einzuleiten. Besonders ärgerlich ist hier, dass Lufthansa das Angebot einer Partnerkarte tatsächlich gar nicht auf heterosexuelle Frauen heterosexueller Männer beschränkt — jede/r Inhaber/in einer Karte kann die Partnerkarte für eine beliebige Person seiner/ihrer Wahl beantragen. Es ist also nicht nur diskriminierend, sondern dazu noch völlig überflüssig, eine Kampagne auf dem Beziehungsbild „ein heterosexueller Mann plus eine heterosexuelle Frau“ aufzubauen.
Nun zu den ersten beiden obengenannten Punkten, dem Frauenbild und dem weiblichen Rollenbild hinter der Kampagne. Die lassen sich direkt am Text festmachen, den ich Absatz für Absatz durchgehen werde.
Lieber Schatz,
das Gefühl, das Wichtigste in deinem Leben zu sein, ist für mich wunderschön. Uns verbinden so viele unvergessliche Augenblicke.
Die angebliche Briefschreiberin definiert sich über das Gefühl, dass sie das Wichtigste in seinem Leben ist. Ihre Gefühle für ihn werden hier und im Rest des Briefes nicht thematisiert, sie sind irrelevant.
Dabei hast du immer wieder ein gutes Gespür dafür, wie du mir eine Freude machen kannst.
Er, ganz der Lady’s Man, weiß, wie er ihr eine Freude machen kann (und das ist nur gut, denn sie kann sich ihre Wünsche ja nicht selbst erfüllen).
Nun habe ich eine kleine Bitte:
Aha! Ganz perfekt ist sein Gespür also nicht, sonst wäre sie ja wunschlos glücklich und bräuchte keine Bitten zu äußern. Die Bitte ist aber nur eine „kleine“, damit er sich weiterhin etwas auf sein männliches Gespür für die Bedürfnisse seines Weibchens einbilden kann. Die Tatsache, dass die Briefschreiberin ihm erst versichert, was für ein toller Mann er ist, bevor sie eine Bitte äußert, entwertet die einleitenden Sätze natürlich noch mehr, als deren nichtsagende Floskelhaftigkeit es ohnehin tut: Hier wird ein Klischee bestätigt, nach dem Frauen Lob und liebevolle Worte nur einsetzen, um etwas dafür zu bekommen.
Es gibt eine Woman’s Special Partnerkarte zu deiner Miles & More Kreditkarte, die echte Vorteile bietet. Ich werde damit sogar auf exklusive Events eingeladen und nehme an tolen Überraschungsaktionen teil.
Der einheischende Tonfall schreibt das Klischee fort. Er ist ja ein Mann, es reicht also nicht, dass seine Frau die Kreditkarte haben möchte, sondern es muss ein rationaler Grund dafür her: Die Kreditkarte bietet „echte Vorteile“! Sogar zu exklusiven Events wird das Weibchen eingeladen — zu denen es aus eigener Leistung nie Zugang erhalten könnte.
Falls der Mann noch nicht überzeugt ist, wird noch ein Vorteil aufgefahren:
Und das Beste: Ich bekomme ein 2‑Jahres-Zeitschriftenabo der VOGUE, myself oder Architectural Digest geschenkt! Du weißt doch, wie gerne ich in solchen Magazinen stöbere…
Die Auswahl der Zeitungen selbst bestätigt, was man schon vermutet: Die Briefschreiberin ist nicht besonders hell im Kopf. Sie interessiert sich für Mode und für die Häuser anderer Menschen — das aber so sehr, dass ein Zweijahres-Abo „das Beste“ an der Kreditkarte ist. Andererseits aber nicht so sehr, dass sie die Zeitungen auch tatsächlich lesen würde — sie „stöbert“ nur darin. Das einschmeichelnde „Du weißt doch…“ zementiert einerseits die Abhängikeit, in der sich die Briefschreiberin zu ihrem Mann befindet, andererseits hat sie auch wieder etwas manipulatives: Er weiß es ja ganz offensichtlich nicht, sonst müsste sie es nicht erwähnen. Selbst abonnieren kann sie die Zeitschriften nicht, denn sie hat ja kein eigenes Geld.
Damit der Mann nicht auf die Idee kommt, dass seine Frau mit ihren Zeitungen und ihren exklusiven Events vielleicht zu einem eigenständigeren Leben finden könnte, wird er nun beruhigt, dass die gesammelten Meilen natürlich nur für gemeinsame Reisen verwendet werden sollen:
Selbstverständlich möchte ich mit meiner Kreditkarte auch Meilen sammeln, so wie du, die wir dann gemeinsam in eine schöne Reise – vielleicht nach Paris – einlösen!
Das „so wie du“ ist auch wieder einschmeichelnd und unterwürfig zugleich — du großer starker Mann, du sammelst so toll Meilen (bist halt ein Jäger und Sammler!), und ich will es dir gleichtun. Man hat eher das Gefühl, dass hier ein dreijähriges Kind spricht, das spielen will, dass es Meilen sammelt wie der Papa. Und Paris? Von der klebrigen Klischeehaftigkeit abgesehen möchte man der Briefschreiberin eindringlich raten, sich die Ballad of Lucy Jordan anzuhören um herauszufinden, was mit Hausfrauen passiert, die eskapistische Parisphantasien pflegen, statt ihr Leben einfach selbst in die Hand zu nehmen.
Ich würde mich unheimlich freuen, wenn du diese Partnerkarte für mich beantragst: www.womans-card.de
Die Briefschreiberin geht nicht davon aus, dass sie den Mann überzeugt hat — das wäre ja zu anmaßend. Nein, nachdem alle Argumente auf dem Tisch liegen, wiederholt sie nicht einmal ihre Bitte, sondern sagt nur, dass sie sich „unheimlich freuen“ würde, wenn er (ganz allein) zu der Entscheidung käme, die Karte für sie zu beantragen.
Tausend Dank
Deine Special Woman
Eine Partnerkarte zu beantragen dauert meiner Schätzung nach etwa fünf Minuten. Dafür „Tausend“ Dank? Nun, es schreibt eben eine Frau, die kein Recht hat, auch nur fünf Minuten der Zeit ihres Mannes in Anspruch zu nehmen. Und mit „Deine Special Woman“ kommt sie zurück zum Anfang des Briefs — Grundlage der Beziehung ist es, dass sie für ihn etwas besonderes ist. Ob er für sie mehr ist, als ein Kreditkartengeber, erfährt man bis zum Ende nicht.
Fassen wir zusammen: Hier entsteht ein Frauenbild, nach dem Frauen sich über ihre Männer definieren, keine eigenen Interessen oder Aufgaben im Leben und kein eigenes Geld haben. Es entsteht außerdem ein Rollenbild, nach dem Frauen in einer Beziehung eine untergeordnete Rolle spielen und ihren Mann mit Lob und Schmeicheleien (und mittels Kussmund vielleicht mit dem Versprechen von Sex) manipulieren müssen, wenn sie etwas von ihm haben wollen.
Das alles mag — wie bei der Werbekampagne des Musikhauses Thomann — reine Gedankenlosigkeit und unbewusstes Fortschreiben kulturell tief verankerter Klischees und Stereotypen sein. Führt man sich aber den langen Weg vor Augen, der uns noch vom Ziel einer freien und gleichen Gesellschaft trennt, und die kleinen und zerbrechlichen Fortschritte die Frauen über Hunderte von Jahren erkämpft haben, dann muss man zu dem Schluss kommen, dass es eine Gedankenlosigkeit ist, die in ihren Konsequenzen von Bösartigkeit nicht zu unterscheiden ist.
[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Version enthält möglicherweise Korrekturen und Aktualisierungen. Auch die Kommentare wurden möglicherweise nicht vollständig übernommen.]