Musikalische Männergefühle

Von Anatol Stefanowitsch

Vor ein paar Tagen gab es einige Aufre­gung um eine Wer­bekam­pagne des Musikver­sands Thomann, genauer gesagt, um ein Motiv daraus, das sich akku­rat mit dem Fach­be­griff „sex­is­tis­che Kackscheiße“ beschreiben lässt. Die Wer­bekam­pagne präsen­tiert eine Rei­he von Motiv­en, bei denen jew­eils zwei unter­schiedliche Bilder so zusam­menge­fügt wer­den, dass das untere Bild eine Fort­set­zung des oberen darstellt. Das obere Bild stellt dabei jew­eils eine/n Musiker/in beim Musizieren (haupt­säch­lich Musiker, darauf komme ich dann auch gle­ich) dar, und ist mit dem Claim „PLAY IT.“ verse­hen. Das untere Bild zeigt ganz unter­schiedliche Szenen, die das Gefühl hin­ter der Musik aus­drück­en soll und die mit dem Claim „FEEL IT.“ verse­hen ist. Wer sich ein besseres Bild machen will, find­et die Motive hier (dass min­destens eins davon sex­is­tisch ist, habe ich erwähnt).

Das Motiv, das Stein des Anstoßes war, zeigt in der oberen Hälfte einen Pianis­ten, der auf ein­er Klavier­tas­tatur spielt. Sein Kör­p­er wird auf der unteren Bild­hälfte durch den eines Mannes mit herun­terge­zo­ge­nen Hosen fort­ge­führt, der in seinem Auto sitzt. Auf seinem Schoß sitzt eine weit­ge­hend nack­te Frau, von der man nur den Unterkör­p­er sieht, der die Tas­tatur der oberen Bild­hälfte fort­führt. Der Blog­ger „Sofakissen“, der die Kam­pagne erst auf Twit­ter aus­führlich kri­tisiert und dann auch in seinem Blog aufge­grif­f­en hat, sieht darin (abso­lut kor­rekt) eine sex­uelle Objek­ti­fizierung der (zur Hälfte) dargestell­ten Frau:

Der Slo­gan “Play it” unter­stre­icht das: Da ist das Bild des Pianis­ten, der sein Instru­ment spielt. Da ist das Bild des Pianis­ten, der in seinem Wagen Sex hat. “Die Frau” auf dem Bild ist Schenkel. Sie ist eine Vagi­na. Sie ist kein Indi­vidu­um. Kein Men­sch. Nicht eben­bür­tig, nicht ein­mal annäh­ernd. Im Kon­text des Slo­gans und des gezeigten wird die weib­liche Darstel­lung zum Objekt. Sie ist ein Instru­ment, das er spielt, das er beherrscht wie sein Klavier. Sie ist ein Objekt in der Kon­trolle des Musik­ers. Er ist auf bei­den Bild­hälften voll­ständig zu sehen, sie teilt sich ihre Bild­hälfte mit dem anderen bespiel­ten Objekt, dem Klavier. [Raummaschine.de, 12. Juni 2012]

Dieser Bil­d­analyse ist nichts hinzuzufü­gen, und ich will das auch gar nicht tun (ich empfehle aber drin­gend, den ganzen, exzel­len­ten Blog­beitrag zu lesen, und Masochist/innen empfehle ich außer­dem die Kom­mentare dazu). Mich inter­essiert hier die Sprache, mit der das Musikhaus Thomann die Kam­pagne nach dem Aufruhr auf sein­er Face­book-Seite zu recht­fer­ti­gen ver­sucht.

(Thomann begin­nt übri­gens ganz klas­sisch mit der oblig­a­torischen Nicht-Entschuldigung, bei der man sein Bedauern darüber aus­drückt, dass da wohl jemand etwas falsch ver­standen hat:

[A]n dieser Stelle möcht­en wir nochmal posten, dass es uns leid tut, wenn sich manche hier durch unsere neuen Wer­bekam­pagne ver­let­zt fühlen oder unsere Motive anders inter­pretieren, als das von uns beab­sichtigt war.

Aber darum soll es hier nicht gehen.) Mir geht es um die näch­sten zwei Absätze (meine Her­vorhe­bun­gen in kursiv):

Es geht in unseren Anzeigen auss­chließlich um die Gefüh­le, die man beim Musik­machen hat – um nicht mehr, aber auch nicht um weniger! Jeder Musiker ken­nt wahrschein­lich die Gefüh­le, die Emo­tio­nen und die Lei­den­schaft aus unseren Anzeigen. Natür­lich fühlt nicht jeder das gle­iche und manche hier find­en unsere bildliche Umset­zung der Gefüh­le nicht gut. …

Gener­isches“ Maskulinum, ick hör dir nicht nur trapsen, ich höre dich merk­be­fre­it durch den Porzel­lan­laden poltern.

Ohne es zu wollen, bestätigt Thomann hier das zugrun­deliegende Prob­lem und nimmt sprach­lich kon­se­quent die Per­spek­tive der Män­ner unter ihren Kund/innen ein: Es geht nicht darum, welche Gefüh­le „man“ beim Musik­machen hat, es geht darum, welche Gefüh­le „Mann“ beim Musik­machen hat. Die Gefüh­le, die auf den Bildern der Wer­bekam­pagne gezeigt wer­den, wer­den beim Musik­machen nicht von allen emp­fun­den, son­dern von den Män­nern unter den Musikmachenden.

Von den sechs Motiv­en der Kam­pagne zeigen vier dann auch kon­se­quent Män­ner und die unteren Hälften zeigen kon­se­quent männliche Stereo­type. Da wäre: ein Gitar­rist, dessen untere Hälfte mit einem Alli­ga­tor kämpft (der oben zur Gitarre wird); ein Schlagzeuger, dessen untere Hälfte ein Kick­box­er ist (dessen Geg­n­er oben zum Schlagzeug wird); noch ein Gitar­rist, dessen untere Hälfte ein Fallschir­mjäger ist (vielle­icht hat er eine Waffe in der Hand — es ist schw­er zu erken­nen –, die zur Gitarre wird); und eben der Pianist, dessen untere Hälfte im Unter­leib ein­er Frau steckt, die oben zur Klaviatur wird).

Männliche Musik­er mit männlichen Gefühlen bei männlichen Aktiv­itäten. Von den zwei weib­lichen Musik­erin­nen wird die eine, eine Sän­gerin, unten­rum zum Schmetter­ling — was kaum ihr eigenes Gefühl aus­drück­en dürfte, son­dern eher das eines männlichen Mannes für den Frauen zarte Schmetter­linge sind. Nur das sech­ste Motiv geste­ht Frauen einen halb­wegs respek­te­in­flößen­den Sta­tus beim Musik­machen zu — es zeigt eine Cel­listin, deren untere Hälfte ein Nin­ja ist (dessen Schw­ert oben zum Bogen wird). Man kön­nte tiefer in die Analyse ein­steigen, dann würde deut­lich, dass selb­st die Auswahl der Instru­mente sex­is­tis­chen Mustern fol­gt — Män­ner dür­fen Gitar­ren, Schlagzeuge, Klaviere und noch mehr Gitar­ren spie­len, Frauen dür­fen sin­gen (was ja im Zeital­ter der Cast­ing-Shows jede/r darf) oder ein schon fast pornok­lis­chee­haftes Cel­lo (zwis­chen den Beinen) halten.

Ich nehme nicht an, dass Thomann oder die ver­ant­wortliche Agen­tur hier bewusst sex­is­tisch sein wollte. Die Grun­didee der Kam­pagne ist gut, die Motive sind kreativ, sie sind (rel­a­tiv) ästhetisch umge­set­zt. Es ist schlicht nie­man­dem aufge­fall­en, dass hier fast auss­chließlich Män­ner ange­sprochen wer­den. Dass Instru­mente durchgängig als Gegen­stände oder Lebe­we­sen dargestellt wer­den, die es zu kon­trol­lieren gilt. Män­ner und ihre „Gefüh­le“ (sprich: ihr Selb­st­bild als Macho, denn andere Gefüh­le haben Män­ner wohl nicht) waren und sind für die Ver­ant­wortlichen schlicht der Nor­mal­fall, auf den ganz selb­stver­ständlich alles aus­gerichtet wird.

Das gilt bis in die sub­til ver­rä­ter­ische Sprache der „Entschuldigung“ hinein, in der mit dem „gener­ischen“ Maskulinum auch wieder nur über die Män­ner redet und besten­falls davon aus­ge­ht, dass die Musik­erin­nen sich „mit­ge­meint“ fühlen — auf dieselbe Art, wie die Werbe­mo­tive davon aus­ge­hen, dass die Musik­erin­nen die „Gefüh­le“ der abge­bilde­ten Musik­er irgend­wie nachvol­lziehen und „mitempfind­en“ können.

Dass Thomann (oder die Agen­tur) den Sex­is­mus der Kam­pagne nicht bemerkt hat, mag man noch akzep­tieren: Wie Stephan Urbach und Daniel Schweighöfer so schön fest­gestellt haben, kön­nen wir es kaum ver­mei­den, zu All­t­ags­sex­is­ten sozial­isiert zu wer­den. Man kann auch nachvol­lziehen, warum Thomann (oder die Agen­tur) in ihrer Entschuldigung wieder nur über Män­ner reden: Unsere Sprache macht es uns unglaublich schw­er, Frauen mit einzubeziehen.

Das ern­sthafte Prob­lem begin­nt dort, wo Thomann nicht ein­mal den Ver­such untern­immt, den Sex­is­mus der Kam­pagne zu reflek­tieren. Und das Prob­lem geht dort weit­er, wo die deutsche Sprache die Fir­ma in dieser Weigerung sub­til unterstützt.

 

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.