Jedes Wort, das man an den Prediger der Eitelkeit verschenkt, der zu Zeit den Bundespräsidenten gibt, ist ja eines zu viel. Aber ganz unkommentiert möchte ich seine Kritik der Glückssucht doch nicht lassen.
Was diese Kritik so interessant macht, ist, dass sie ungeplant war, und deshalb einen besseren Einblick in das Denken des Joachim Gauck bietet, als die sorgfältig geplanten und gegengelesenen Äußerungen, die er sonst so von sich gibt und die ja auch schon von einer bewusst kultivierten Herzlosigkeit sprechen.
In der Rede anlässlich seines Antrittsbesuchs hatte Gauck sich unter anderem vorgenommen, das (echte oder angebliche) Desinteresse der Deutschen an ihren Streitkräften zu erklären. Im Manuskript seiner Rede tut er das zwar einseitig, aber noch halbwegs respektvoll mit der Tatsache, dass die Menschen eben nicht gerne an Gewalt und ihre Konsequenzen denken, und er gesteht der Abscheu vor Gewalt sogar ein Existenzrecht zu – sie zwingt uns, jeden militärischen Einsatz zu begründen:
Zum anderen ist es aber schon auch ein Nicht-wissen-Wollen. Das ist menschlich: Wir wollen nicht behelligt werden mit dem Gedanken, dass es langfristig auch uns betreffen kann, wenn anderswo Staaten zerfallen oder Terror sich ausbreitet, wenn Menschenrechte systematisch missachtet werden. Wir denken nicht gern daran, dass es heute in unserer Mitte wieder Kriegsversehrte gibt. Menschen, die ihren Einsatz für Deutschland mit ihrer körperlichen oder seelischen Gesundheit bezahlt haben. Und dass es wieder deutsche Gefallene gibt, ist für die Gesellschaft schwer zu ertragen.
Die Abscheu gegen Gewalt ist verständlich. Gewalt, auch militärische Gewalt, wird immer auch ein Übel bleiben. Aber sie kann – solange wir in der Welt leben, in der wir leben – notwendig und sinnvoll sein, um ihrerseits Gewalt zu überwinden. Allerdings müssen wir militärische Einsätze begründen.
Aber Gauck wäre nicht Gauck, wenn er sich einfach an diese sorgfältig vorbereiteten Worte halten würde. Nein, seine Verachtung für das Volk, dem er dienen soll, bricht sich in seinem mündlichen Vortrag der Rede (ca. ab Minute 11:00) unvermittelt Bahn in einem spontan eingeschobenen Adjektiv:
Wir denken eben nicht gerne daran, dass es heute in unserer Mitte wieder Kriegsversehrte geben kann. Menschen, die ihren Einsatz für Deutschland mit ihrer seelischen oder körperlichen Gesundheit bezahlt haben. Und noch viel weniger gerne denken wir daran, dass es wieder deutsche Gefallene gibt. Das ist für unsere glückssüchtige Gesellschaft schwer zu ertragen.
Über diese Verwendung des Adjektivs glückssüchtig ließe sich einiges sagen. Zum Beispiel, dass es von einer tiefen Ignoranz gegenüber der pazifistischen Grundeinstellung des größeren Teils der deutschen Bevölkerung zeugt, wenn man diese mit „Glückssucht“ erklärt. Zum Beispiel, dass es von einer erschreckenden Geschichtsvergessenheit zeugt, wenn man diesen leider viel zu späten deutschen Pazifismus infrage stellt. Zum Beispiel, dass es aufhorchen lässt, wenn ein Freiheitsfanatiker wie Joachim Gauck die ureigenste Motivation der Freiheit, das Streben nach Glück, verächtlich abtut.
Stattdessen möchte ich aber Ernst Barlach sprechen lassen, der in einem Essay über die Hexe der Einsamkeit beschreibt, wie diese sich Abends gerne zu ihm an den Tisch setzt, „vertraulich und verwandtschaftlich, nicht wie Gottes Patenkind oder wie die urweise Lehrerin der Philosophen, sondern ganz muttervertretend und tantenhaft im Wesen“:
Wie ihre Mundwinkel sich tief herab verziehen, wenn sie von den Glückssüchtigen spricht, und wie mit Geifer und Gift vermischt träufeln ihre Haßworte über diese Irrlehrer nieder, und wie fressende Säure brennt sie ihnen mit heißen Worten das aufgedunsene Glücksfleisch von der jammervoll verkrüppelten Anatomie und den verweichten Knochen.
Sie möchte ja zu gerne, ich pflanzte mir, so recht nicht herauszureißen, ihre Offenbarung vom wahren Glück der Innerlichkeit und der Einfachheit tief ins Gemüt, darum sitzt sie noch spät nachts bei mir im Stübchen und verführt meine schwankende Seele mit kaum gemurmelten und auch ohne Ton verstandenen Einsamkeits-Einflüsterungen, durchdringt mich ganz mit gierig erlauschten herzlichen Zusprüchen und läßt mir armem Zweifler und Sucher nach dem Unverfälschten von ihren Lippen leise einen immer frischen Quell von Trost und Hoffnung an die Ohren rauschen.
Habt ihr dieses Quelles leises Sausen, dieses Silbengemurmel aus dem Munde der Einsamkeit in stiller Nacht nicht schon gehört?
In der Verachtung des Joachim Gauck für die Gesellschaft, in der er lebt, schwingt die Einsamkeit desjenigen mit, der sich eine eigene Welt geschaffen hat, in der er selbst der letzte aufrechte Mensch ist.
[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Version enthält möglicherweise Korrekturen und Aktualisierungen. Auch die Kommentare wurden möglicherweise nicht vollständig übernommen.]
Gut, daß es Sprachwissenschaftler gibt
… die aus Bundespräsidentenreden einzelne Worte herauspflücken, um diese dann wissenschaftlich zu analysieren.
“Jedes Wort, dass man an den Prediger der Eitelkeit verschenkt, der zu Zeit den Bundespräsidenten gibt, ist ja eines zu viel. Aber ganz unkommentiert möchte ich seine Kritik der Glückssucht doch nicht lassen.” Da ist ja klar, wo die Reise hingeht.
Mir ist Kritik an Glückssucht lieber, als gefasele von “bunten” Republiken und anderen dämlich-naiv-undurchdachten Wullf-Äußerungen.
Naja, jedem seine Meinung. Sci-Logs? Pff…
Ich bin ja nun nachdrücklich kein Pazifist, aber ich dachte gerade:
Würde jemand von einem Dachdecker nach einem Berufsunfall sagen, dass er “seinen Einsatz für die Karl Krausnick GmbH mit seiner körperlichen Gesundheit bezahlt hat”?
Und ist das nicht sowieso eine merkwürdige Formulierung? Der Einsatz ist doch schon die Gegenleistung des Soldaten (oder Dachdeckers). Warum sollte er den noch mit irgendwas bezahlen?
Man mag das pingelig finden, aber man mag auch der Meinung sein, dass wir womöglich weniger Kriege hätten, wenn nicht seit Menschengedenken Leute wie Gauck ihn mit solchen Formulierungen ehrverbrämt hätten.
Ich denke auch, dass man in Zeiten einer Berufsarmee nicht mehr davon sprechen sollte, dass Menschen “für Deutschland” mit ihrer körperlichen Gesundheit bezahlen. Wer sich dazu entscheidet, Soldat zu werden, ist sich seines Berufsrisikos genauso bewusst, wie jemand, der sich dazu entscheidet, Sprengstofftechniker, Feuerwehrmann oder Gasinstallateur zu werden. Dass Gasinstallateure oder Sprengstofftechniker nicht im Auftrag der Regierung handeln, ist mir bewusst. Aber das ganze Gesülz von Ehre und Ruhm fürs Vaterland bringt kriegsversehrten Soldaten auch nicht besonders viel. Wie auch bei anderen Berufen mit Gefahrenpotenzial sollte sich dieses im Lohn niederschlagen und v.a. in den Betreuungs- und Rehabilitationsansprüchen nach erlittenem Schaden. Es gab ja schon mehrere Reportagen dazu, dass Soldaten, die unter posttraumatischen Stressstörungen leiden, nicht adäquat unterstützt werden. Das würde ihnen aber sicher mehr helfen, als Ehre vom Bundespräsidenten zugesprochen zu bekommen.
Adjektive
Tja, wenn es darum geht, die Kriege — ähhhh, bewaffnete Konflikte — der BW zu rechtfertigen, ist manchen Leuten jedes Adjektiv recht. Nun wird der legitime Wunsch nach Frieden schon mit “Glückssucht” überschrieben. Sucht.… doch ein eher negativ konnotiertes Wort.…
Naja, aber man kennt das ja: Wenn mal wieder Soldaten in Zinksärgen nach hause kommen, redet Merkel ja auch gerne vom “feigen Hinterhalt”, in dem die Soldaten ums Leben gekommen sind.
Nun: Es gibt keinen “feigen” Hinterhalt, es gibt nur den Hinterhalt. Oberst Sanftleben alias Georg Schramm hat einen Satz im Programm, den ich schon vor 25 Jahren gelernt habe: “Triffst du auf einen an Feuerkampf überlegenen Feind, ist das Mittel deiner Wahl: Der Hinterhalt!”
Tja, Sprache kann entlarvend sein…
PS: Ich bin 1993 aus der BW ausgeschieden, u.a. weil als neues Einsatzziel der Marine die “Sicherung und Verteidigung unserer Handelswege” ausgegeben wurde.… ähmmmm.… worüber ist Köhler nochmal gestolpert??? *grübeltundambartkratzt*
Die Formulierung mit der “Glückssucht” hat mich auch aufhorchen lassen. Soll das “Streben nach Glück” etwa negativ belegt werden? Will Gauck hier wilhelminisch-militaristischem Denken das Wort reden, so in Richtung “süß und ehrenvoll ist es, fürs Vaterland zu sterben”? Das wäre übel.
Ich bin mir da aber nicht so sicher. Der deutsche National-Pazifismus (der militaristischen Denken — natürlich — auf jeden Fall vorzuziehen ist) hat auch immer so was von: “Was geht mich der Rest der Welt an? Lasst die Taliban doch das Land knechten und verdummen und Massenmörder in die ganze Welt schicken. Lasst den Iran doch meinetwegen eine Atombombe auf Israel werfen. Hauptsache uns geht’s gut.” Wenn man die “Glückssucht”-Äußerung so interpretiert (dass die Deutschen also zu sehr das eigene lokale Glück und zuwenig das von anderen interessiert), muss man mit Gauck noch lange nicht einer Meinung sein. Aber die Äußerung rückt doch in ein anderes Licht.
Den Einwand von Muriel finde ich im Übrigen sehr berechtigt. Die Soldaten sollen ihren Job machen und verdienen dafür Respekt. Wie die Bergarbeiter, die Hausfrauen und die Dackdeckerinnen. Alles andere wäre eine Überhöhung mit Tendenz zum Militarismus.
Kein Kind der Aufklärung
“We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.”
Immerhin…
wissen wir jetzt, was für ein Gesellschaftsbild Pfarrer Gauck tatsächlich vor Augen hat, wenn er routiniert-nebulös von Freiheit/Verantwortung schwadroniert: Er träumt von einem Kasernenhof…
“Freiheit ist ohne Verantwortung nicht zu haben. Für Sie, liebe Soldatinnen und Soldaten, ist diese Haltung selbstverständlich. Ist sie es auch in unserer Gesellschaft?”
Diese Passage hat ein ähnliches Ekelpotential wie das Glückssucht-Extempore.
Verschenktexte
In diesem Blog würden nur dann Worte an Joachim Gauck verschenkt, wenn er hier lesen würde. In der Hauptsache verschenkt der Autor aber natürlich seine Gedanken an uns andere Leser, danke dafür.
Ich war verwundert, dass das Streben nach Glück die ureigenste Motivation der Freiheit sein soll — eigentlich gehe ich davon aus, dass Freiheit an sich Motivation genug für das Streben nach Freiheit ist.
Ich teile die Interpretation nicht, dass Gauck Pazifismus als Glückssucht denunziert. Ich teile auch nicht die Auffassung, dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung eine pazifistische Grundeinstellung habe, ich befürchte vielmehr, dass die nationalistisch gefärbten Aggressionen gegen “Pleite-Griechen” u.ä. zu einer neuen Kriegsgefahr in Europa führen können. Ich wäre froh, wenn unsere Gesellschaft dann tatsächlich so glückssüchtig wäre, wie Gauck es behauptet.
“Die Freiheit
… besteht in erster Linie nicht aus Privilegien, sondern aus Pflichten.”
(Albert Camus)
Ich kann mir vorstellen, dass Gauck genau daran erinnern wollte.
Und wenn man seine Pflichten auf Erden erfüllt hat, kommt man auch in den Himmel. Das reicht ihm.
Das Streben nach Glückseligkeit stand zwar in der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika, war aber mehr ein Programm für weiße Männer.
Der Herr Bundespräsident hätte sich natürlich einfach ans Manuskript halten können, dann wäre die Rede nicht sonderlich auffällig gewesen. Die meisten Menschen hätten ihr ohne Bauchschmerzen zustimmen können, denn natürlich machen die Frontschweine einen harten — und nicht sonderlich schönen — Job, zu dem sie von Schreibtischkämpfern geschickt werden. Den Soldaten dafür, und nur dafür, Respekt zu zollen, ist vollkommen in Ordnung.
Wäre Gauck der große Denker und Redner, zu dem ihn einige stilisieren, dann hätte er eine Kritik an eben diesen Schreibtischhelden sowie an jenem xenophoben Mob, der lieber erst einmal andere für ihn zuschlagen lässt, als sich mal ruhig hinzusetzen und Lösungen zu suchen, einen ganzen Absatz in seiner Rede gewidmet. Hat er aber nicht. Vermutlich hätte ihm da irgendjemand gesagt, dass es nicht ginge, z.B. das Bundeskanzleramt.* Also verließ er sich auf ein kleines ex tempore.
Und vergriff sich voll im Ton. Er und niemand anders hat eine Gesellschaft, die Kampfeinsätzen der Bundeswehr, noch dazu weit weg vom grundgesetzlich vorgegebenen Einsatzzweck, als ‘glückssüchtig’ bezeichnet. Nicht seine Schreiber, er war das.
*Ich bin recht sicher, dass präsidiale Reden mit denen abgestimmt werden.
Einem Mitglied der Atlantik-Brücke
sollte eigentlich folgende Worte bekannt sein:
“We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.”
Hat der garstige Gremliza doch recht?
“Wenn die Pfaffen tief fliegen, zieht ein Stahlgewitter auf.”
Glückssucht
Ich bin mir bei der Verwendung des betreffenden Adjektivs nicht über die Richtung sicher, in die es verwendet werden sollte.
Natürlich ist es denkbar, dass die gelieferte Interpretation stimmig ist. Aber auch aus dem Kontext heraus, wo Abschau vor Gewalt so herausgehoben wird, denke ich, dass eine andere Lesart zumindest denkbar wäre.
Gerade im Hinblick auf den Tatort “Heimatfront” in der ARD, denke ich, zielt das auf die Ignoranz und Indifferenz eines Großteils der Bevölkerung ab, die das Schicksal von Soldaten mit einem solchen Gleichmut betrachtet. Oder in diesem Fall eben NICHT betrachtet.
In diesem Fall zielt diese Äußerung gar nicht gegen den Pazifismus an sich, sondern darauf, dass wir Menschen aus unserer Mitte dafür bestrafen, dass sie ihren Beruf gewissentlich ausgeübt haben.
Und Glückssucht bedeutete in diesem Falle einfach das “Nicht-Sehen-Wollen”. Dass wir das Leid jener Leute, Individuen, ausblenden, weil uns der Schatten, den diese Auseinandersetzung auf unser eigenes Leben würfe, nicht gefiele.
Ein Synonym wäre “Spaßgesellschaft”. Und natürlich stecken da viele Prämissen drin, die man reflektieren sollte; Aber aus der Ablehnung von Kampfeinsätzen und Kriegen (eben wegen des Leids, den Kriege bringen), das Leid jener, die unter dem Krieg gelitten haben, zu ignorieren, “bloß”, weil sie in ideologisch verbrämter Sicht auf der falschen Seite des Konfliktes standen…
…für eine wirklich bessere Sicht auf den Menschen halte ich das in diesem Fall auch nicht zwingend.
Neues Wort: “Glückssüchtig”?
Schon mal gehört hat man ein Wort wie “glückssüchtig” noch nicht, aber die Machart ist rasch zu erkennen: Das ist der alte Trick der Demagogen, Worte geschickt miteinander so zu koppeln, daß der emotional stärkere Bestandteil den anderen dominiert — “süchtig” klingt nun mal stark und böse nach Crackpfeife und Heroinbesteck. So wird aus dem Streben nach Glück etwas Niederes, Böses.
Wes Geistes Kind der Verursacher solcher Wortschöpfungen ist, ergibt sich da fast von allein.
Der besagte Trick ist übrigens altbewährt und funktioniert auch andersherum: Als die Krise anfing (welche auch immer) erfand man den “Abschwung” …
Glück
Glücklichsein lässt sich doch direkt aus den Menschenrechten ableiten. Denn wem alle Menschenrechte zugestanden werden, der kann (muß aber nicht) glücklich sein.
Herr Gauck ist trotz aller Sicherheiten, Ämter und Würden offensichtlich nicht glücklich. Schade für ihn. Aber das gibt ihm nicht das Recht seine Vorstellungen allen anderen Menschen überzustülpen.
Bedeutung
Was ist denn die genaue Bedeutung von ´glückssüchtig´? Sucht ist ein krankhaftes Verhalten
@Karsten Kruschel
Karsten Kruschel hat geschrieben:
“Neues Wort: “Glückssüchtig”?
Schon mal gehört hat man ein Wort wie “glückssüchtig” noch nicht, aber die Machart ist rasch zu erkennen: […]”
Das Wort “glückssüchtig” ist bereits im Wörterbuch der (Ge-)Brüder Grimm verzeichnet, also ganz sicher keine Neuschöpfung.
Nichtssagend, nichtsfragend
“Über diese Verwendung des Adjektivs glückssüchtig ließe sich einiges sagen. Zum Beispiel, dass es von einer tiefen Ignoranz gegenüber der pazifistischen Grundeinstellung des größeren Teils der deutschen Bevölkerung zeugt, wenn man diese mit „Glückssucht“ erklärt. Zum Beispiel, dass es von einer erschreckenden Geschichtsvergessenheit zeugt, wenn man diesen leider viel zu späten deutschen Pazifismus infrage stellt. Zum Beispiel, dass es aufhorchen lässt, wenn ein Freiheitsfanatiker wie Joachim Gauck die ureigenste Motivation der Freiheit, das Streben nach Glück, verächtlich abtut.”
Zu diesen Beispielen ließe sich einiges fragen. Zum Beispiel, wo erklärt Gauck die pazifistische Grundeinstellung mit Glückssucht? Zum Beispiel, stellt Gauck zwar den Pazifismus in Frage, aber doch erst im nächsten Absatz; wo also ist der Bezug zu “glückssüchtig”? Zum Beispiel, er macht doch nur das suchtartige, also krankhafte, Streben nach Glück verächtlich;
wo tut er das einfache Streben nach Glück verächtlich ab?
Aber gut, da du nichts gesagt hast, will auch ich nicht gefragt haben.
@Karsten Kruschel könntest du darüber aufklären, ob der Essay erst nach Gaucks Rede entstanden ist und ob Ernst Barlach als Demagoge bekannt ist.
Gauck sollte man bei Gelegenheit fragen, ob man auch freiheitssüchtig werden kann.
Ismen
Ein Lehrer sagte einmal, dass Begriffe mit ´-ismus´ oft etwas Schlechtes beschreiben: z.B. Kommunismus, Faschismus, Rheumatismus.
In diesem Zusammenhang sollte man auch den deutschen ´Pazifismus´ genauer betrachten:
Wir sind — allgemein akzeptiert — eine der größten Exportnationen für Kriegswaffen; damit sind wir schon mal keine Pazifisten sondern genau das Gegenteil davon.
Indem wir mit staatlicher Unterstützung Waffen verkaufen treiben wir Staaten aktiv in den finanziellen Ruin, stabilisieren fragwürdige Regierungscliquen und verhindern die Entwicklung eines Landes (Weil Facharbeiter/Ingenieure für das Militär arbeiten, statt für die wirtschaftliche Entwicklung in Produktionsbetrieben tätig zu sein)
Griechenland ist ein aktuelles Beispiel — das Land war ein guter Kunde.
Wenn man Gauck vorwirft, den Pazifismus in Frage zu stellen — dann sollte man mal genau überlegen, was und wen man damit überhaupt meint.
Wenn wie hier die Verachtung für die angesprochene Person aus jedem Wort trieft, macht das für mich jegliche Kritik, sei sie vielleicht im Kern auch berechtigt, weniger überzeugend. Schade.
Danke für die Anregung
Glückssüchtig — zugegeben da fühle ich mich in einer historisch beispiellos begünstigten Nachkriegsgeneration auch ein wenig getroffen. Weder nehme ich das Gauck übel, noch komme ich auf den Gedanken dass er das verächtlich meint. Eher denke ich mal gründlich drüber nach.
Gauck mag meist oberlehrerhaft und gelegentlich etwas pathetisch daherkommen. Aber er spricht unangenehme Wahrheiten aus.
Nach meiner Wahrnehmung denkt differenziert und ist zur kritischen Selbstreflexion fähig, Herr Stefanowitsch.
@Natalie
Das klingt sehr prinzipiell. Lehnen Sie Verachtung für Personen generell ab? Egal, was die sagen und tun? Und ist die Verachtung, die Sie lesen, vielleicht eine, die sich auf verachtenswerte Äußerungen — Taten kann man Gauck ja nicht vorwerfen — bezieht, nicht auf den netten Opa von nebenan?
Wo bleibt die Sprachwissenschaft?
Bisher hab ich den Sprachlog immer aufmerksam verfolgt und dort zahlreiche interessante Dinge zu sprachwissenschaftlichen Themen lesen können — wofür ich mich bei Herrn Stefanowitsch bedanken möchte. In letzter Zeit allerdings, so scheint mir, geht er immer mehr dazu über, einem seine politische Meinung kundzutun. Was das mit Wissenschaft, geschweige denn Sprachwissenschaft, zu tun haben soll, ist mir schleierhaft.
@Natalie
Ich stimme Ihnen zu — mir ging´s genauso. Den Artikel empfinde ich als Primitivpolemik.
Von einem Sprachwissenschaftler hätte ich mir die Diskussion und das Verständnis von Einzelbegriffen erwartet.
Gerade Begriffe mit der Endung ´-süchtig´ beschreiben oft ein bestimmtes negatives Zwangsverhalten:
harmonie‑, vergnügungs‑, sex‑, drogen, kauf‑, spiel-süchtig; um nur ein paar zu nennen.
@AS Voreingenommenheit.….
Sie hatten sich zu Gaucks Amtsantritt bereits kritisch gegenüber Gauck geäußert. Damals ist mir, und einigen anderen Kommentatoren aufgefallen, dass Sie Zitate aus dem Zusammenhang nehmen und diese dann aus ihrer eigenen Sichtweise interpretieren.
Nun könnte man auf die Idee kommen, es sei kein Zufall, dass der Link auf Artikel hier nicht angegeben ist.
… man könnte aber auch …
… auf die Idee kommen, die Behauptung eines oder einer RD sei nach seinen oder ihren Vorstellungen zurechtgebastelt, denn in dem Artikel wird auf den fraglichen früheren Artikel verlinkt.
Es ist aber schon sehr mutig…
von einem “pazifistischen größten Teil der Deutschen” zu sprechen, wenn es sich am Ende doch tatsächlich größtenteils um Desinteresse an Weltpolitik handelt. Den Deutschen sind nicht nur ihre Streitkräfte egal, sondern auch Afghanistan oder alle anderen Konflikte. Hauptsache, Deutschland gibt nicht noch mehr Geld für andere aus.
Ob von Deutschland Gewalt ausgeht oder nicht, ist doch hauptsächlich eine Frage von “Ich will aber nicht, dass meine Steuergelder für etwas, das mich nichts angeht, rausgeworfen werden.” nicht von “Ich bin gegen Gewalt.” Es geht hier nicht um Pazifismus, sondern um Neid.
Davon abgesehen, dass ich Gaucks Geseiere auch nicht ausstehen kann, finde ich aber sehr wohl, dass Soldaten als Individuen genauso Aufmerksamkeit und Empathie wie alle anderen verdient haben. Und nicht “Hahaha, selbst schuld, Augen auf bei der Berufswahl, ne?” oder “Was interessiert mich, ob da irgendwer stirbt oder nicht?” wie ich das so häufig schon gehört habe.
@Dierk
Was ich damit sagen wollte: Wenn jemand so verächtlich über einen anderen spricht, rechne ich nicht mit einer einigermaßen sachlichen Kritik, sondern mit einer extrem einseitigen Darstellung, gerne auch mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten und dergleichen — noch nicht einmal unbedingt aus böswilliger Absicht, sondern weil dem Autor eine andere Perspektive gar nicht mehr plausibel erscheint. Es untergräbt für mich die Glaubhaftigkeit der vorgetragenen Argumente. Wenn diese stichhaltig wären, könnten sie auch für sich sprechen. Was natürlich nicht im Umkehrschluss heißt, dass sie in solchen Fällen automatisch abzulehnen sind. Hier empfinde ich Herrn Stefanowitschs Interpretation des Begriffs “glückssüchtig”, die ja auch nicht weiter erörtet wird, in diesem Kontext zumindest als sehr einseitig negativ. Ansonsten besteht der Text für mich aus viel Polemik und wenig Argumenten. Das finde ich schade.
Frieden und Freiheit … und Glück?
Gauck und die Freiheit…! Glück lässt sich doch in Unfreiheit viel leichter empfinden (zumindest einfacher herstellen). Aber ich werde zynisch. Fakt ist, dass man mit Adjektiven immer vorsichtig sein sollte. Die wirken nämlich unsachlich. Vielleicht wirken sie nicht nur so…
Ausserdem scheint mir die Glückssuche schon zum ungeschriebenen “code zivil” zu gehören (Glück und Geld, Erfolg, Arbeit und Kariere…kapitalistischer Grundtenor…usw). Und wer nicht strebt, der wird ausgestoßen. Also was will denn der Gauck…!? Ausserdem heisst es doch “jeder wie er kann”… und deswegen haben wir inzwischen auch eine Berufsarmee.
Im Übrigen halte ich es wie
Muriel kein Betreff
13.06.2012, 14:42
… anmerkt:
“…dass wir womöglich weniger Kriege hätten, wenn nicht seit Menschengedenken Leute wie Gauck ihn mit solchen Formulierungen ehrverbrämt hätten.”
Was mich zu dem Schluß kommen lassen muß, dass es mit der Glorifizierung des “Soldaten fürs Vaterland” einen evolutionären Vorteil bringt (für alle anderen nämlich)…
Danke für den Artikel.
“Verachtung für das Volk” beschreibt ziemlich gut, was ich beim Lesen von Gaucks Rede empfunden habe. Ist wohl gerade angesagt bei deutschen Eliten. Was Merkel, Schäuble & Co. mit Griechenland machen, drückt auch tiefste Verachtung aus. Man bestraft, statt zu helfen. (Sicher hat Griechenland selbstgemachte Probleme, aber muss ich die Wirtschaft des Landes deshalb ganz platt machen?)
Sucht ist etwas anderes als Streben
Zum Beispiel, dass es von einer erschreckenden Geschichtsvergessenheit zeugt, wenn man diesen leider viel zu späten deutschen Pazifismus infrage stellt. Zum Beispiel, dass es aufhorchen lässt, wenn ein Freiheitsfanatiker wie Joachim Gauck die ureigenste Motivation der Freiheit, das Streben nach Glück, verächtlich abtut.
Hier vermischen Sie Glücksstreben und Glückssucht. Gauck würde sicherlich auch Glücksstreben befürworten.
Sie sollten Gauck seriös kritisieren und nicht künstlich auf ihm herumhacken.
Glückssucht gibt es tatsächlich besonders in den westlichen Gesellschaften. Hier wird häufig materieller Überfluß und Besitz kompensatorisch benutzt, um die innere seelische Leere zu betäuben.
Jedes Wort, das man an den Prediger der Eitelkeit verschenkt, der zur Zeit den Bundespräsidenten gibt, ist ja eines zu viel.
Dieses Zitat von Ihnen finde ich übrigens ziemlich verächtlich. Sicherlich gibt es Kritikpunkte an Gauck: Freiheitsideologie, Protestantische Ethik und mangelnde Kritikfähigkeit gegenüber herrschenden gesellschaftlichen Zuständen, die wohl daherrührt, daß er als Ostdeutscher Bürgerlicher den Westen idealisiert.
Ihre Kritik wäre wirkungsvoller, wenn sie stärker differenzieren und Gauck nicht über die Maßen abwerten würde.