Da macht man sich ein bisschen über die angebliche Modellhaftigkeit des Lateinischen lustig und schlägt vor, doch lieber moderne Fremdsprachen oder Piratisch zu lernen, und kurz darauf diskutiert die deutsche Medienlandschaft auf breiter Ebene über die Sprache der alten Römer. Wie Der Westen berichtet, findet plötzlich auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, dass der Lateinunterricht nicht dazu taugt, die Schüler/innen zu zukünftigen „Beschäftigten“ auszubilden. Und was tut der Vorsitzende des Altphilologenverbandes, von dem die Idee der Modellhaftigkeit stammt? Er stimmt zu: „Wer Richtung Wirtschaft denkt, ist mit ausgefallenen Sprachen wie Arabisch oder Chinesisch besser beraten.“
Und Richtung Wirtschaft denkt ja schließlich ganz Deutschland.
Ganz Deutschland? Nein! Ein unbeugsamer Lateinlehrer hört nicht auf, den modernen Fremdsprachen Widerstand zu leisten: Sogar nachts steht er auf, um Liebesgedichte von Ovid zu übersetzen. Doch nicht nur die romantischen Qualitäten des Lateinischen haben es ihm angetan, er sieht einen klaren Nutzen: „Latein ist die Basis, um andere romanische Sprachen wie Italienisch oder Spanisch, die auch an der Schule unterrichtet werden, einfacher zu lernen.“ Dafür liefert er zwar keine Belege, aber die braucht es auch gar nicht. Die Behauptung ist schließlich ebenso unmittelbar einleuchtend, wie die allgemein anerkannte Tatsache, dass eine umfangreiche Kenntnis ägyptischer Hieroglyphen die Basis für ein einfacheres Erlernen der Schreibschrift ist.
Eine gute Kenntnis der lateinischen Sprache kann allerdings auch zu Enttäuschungen führen. Bis zur letzten Woche durften sich Millionen des Lateinischen nur unzureichend mächtige Christen und Christinnen in der Gewissheit wiegen, dass das Blut Christi beim Abendmal auch für sie vergossen wurde. Damit ist nun Schluss: nach der lateinischen Liturgie hat Jesus die Reichweite der positiven Effekte seines Blutvergießens mit den Worten pro multis beschrieben, und die, so ließ Benedikt der XVIte wissen, bedeuten keineswegs „für alle“, sondern lediglich „für viele“. Und seitdem müssen die Gläubigen bangen, ob sie zu jenen „vielen“ gehören.
Auf Welt Online versucht der (katholische) Journalist Paul Badde zwar, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und sich und der Leserschaft einzureden, viele könne ja auch „alle“ meinen, aber da muss man ihn aus sprachwissenschaftlicher Sicht leider enttäuschen: Das wäre ein Verstoß gegen ein grundlegendes kommunikatives Prinzip, die Maxime der Quantität, die besagt, dass Gesprächsbeiträge so zu gestalten sind, dass sie optimal informativ sind. Wenn ich viele sage, wo ich genausogut alle sagen könnte, darf und muss mein Gegenüber davon ausgehen, dass ich eben nicht „alle“ meine. Und wenn Jesus sich schon die Mühe macht, Latein zu sprechen, sollte man ihn auch beim Wort nehmen.
[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Version enthält möglicherweise Korrekturen und Aktualisierungen. Auch die Kommentare wurden möglicherweise nicht vollständig übernommen.]
Lojban statt Latein
Statt Latein sollte lieber Lojban als neue Universalsprache gelehrt werden. Gemäß der Sapir-Whorf-Hypothese erhoffe ich mir davon einen positiven Nebeneffekt auf die Denkfähigkeit. Falls Lojban dennoch keine grundsätzlich neuen Gedanken ermöglichen sollte, ist zumindest von einer Schulung des strukturierten Denkens auszugehen.
Wer auf zwei Eseln in eine Stadt reitet, sich für den Sohn eines Gottes hält und Feigenbäume verflucht, weil ihm nicht passt, dass sie nur in der Saison Früchte tragen, an dessen präziser und durchdachter Wortwahl sollten doch wohl keine Zweifel bestehen.
Ach ja, Latein: Ich mag die Sprache ja, aber dass sie sich beim Lernen von Französisch, Spanisch oder sonst irgendwas als nützlich erwiesen hätte, möchte ich doch sehr bezweifeln.
Wenn schon tote Sprachen, dann vielleicht eine, die einem langfristig was nützt, wie die Sprache der Toten. Mi him, en tow, tow en can da lach.
Ja, schon gut, bin ja schon still.
für mich…
war latein in vielfacher hinsicht eine “merkWÜRDIGE” erfahrung.
nicht nur, dass sie mir half, das deutsche besser zu verstehen, sondern ausserdem auch auch die stringenz im denken und sorgfalt beim analysieren (übersetzen) förderte.
und: obwohl ich NIE spanisch oder italienisch gelernt habe (sondern nur latein und französisch), hatte ich bei diversen auslandsaufenhalten recht geringe verständnis-probleme und bereits nach wenigen wochen konnte ich mich weitestgehend selbständig verständlich machen.
das mag eine individuelle sprachbegabung sein, aber ich glaube, dass meine lateinkenntnisse mehr dazu beitrugen (dafür hab ich natürlich keine beweise).
daher fände ich einen verzicht auf latein schade.
Der Welt-Link führt noch mal zu DerWesten.
Und da wir alle wissen, daß Anekdoten die besseren Beweise sind: Mir persönlich hat der Lateinunterricht später tatsächlich beim Lernen von Spanish geholfen. Zumindest ein bißchen. Daher bin ich dafür, daß alle Schüler weiter Latein lernen müssen. Aus mir ist hinterher ja auch trotzdem was geworden.
Ach
Es ist furchtbar, dass diese Deppen mit ihren dämlichen “Argumenten” den Blick darauf verstellen, dass die lateinische Literatur ganz toll ist und dass es sich lohnt, sie im Original zu lesen und ihre Sprache schon in der Schule zu lernen.
(Ich glaube, bei uns Altphilologen ist aber die Freak-Dichte nicht höher als sonst wo. Wir haben nur weniger Normale.)
(Dass heutzutage die meisten Schüler_innen und Studierenden reflektierenden Umgang mit der deutschen Sprache haben, wenn sie Latein lernen, ist keine Qualität des Lateinunterrichts, sondern ein Mangel des Deutschunterrichts.)
Jesus lateinisch?
“Und wenn Jesus sich schon die Mühe macht, Latein zu sprechen, sollte man ihn auch beim Wort nehmen.”
Hat Jesus, falls er gelebt haben sollte, nicht Hebräisch gesprochen oder aramäisch wie Mel Gibson in seinem Splatter Movie gezeigt hat?
Im Übrigen sind die “Maxime der Qualität” und die Bibel doch wohl der größte denkbare Widerspruch, oder kennt jemand einen Vers, der unmittelbar verständlich ist?
@Dirk Westermann
Ach, Korrektheit der historischen Fakten hat die katholische Kirche doch noch nie interessiert.
Was erwarten Sie von einem Papst, der den Ausschluss der Frauen vom Priesteramt begründet mit der (um einige Jahrhunderte verspäteten) Überlieferung von Männern, die (wieder einige Jahrhunderte später und ebenfalls) von Männern für den Kanon des neuen Testaments ausgewählt wurden?
Zum Thema “Latein in der Schule”: Ich war damals froh, dass ich im Abitur die Sprachen durch Latein abdecken konnte. Sonst wäre es nämlich bei weitem nicht so gut ausgefallen. Textanalysen und ‑interpretationen sind mir einfach ein Graus — und in Latein konnte ich den Großteil der Note durch die Übersetzung reinholen, brauchte mir also keine Sorgen machen.
Jetzt muss ich Latein als Unterrichtsfach aber doch noch mal in Schutz nehmen: Dass Argument, dass man Latein im Beruf nicht unbedingt sofort brauchen könnte, lässt sich auch auf den bei weitem größten Teil des Schulstoffes anwenden. Wers nicht glaubt, frage sich einmal, wo er in seinem Beruf die kepplerschen Gesetze, Stadtentwicklungsmodelle oder Aquis Submersus braucht. Schule lehrt exemplarisch. Wenn überhaupt werden den Schülerinnen und Schülern Methoden aufgezeigt, die sie auch an anderen Stellen hoffentlich nutzen können. Wer also sagt, Latein sei nicht nützlich und daher abzuschaffen, müsste Schulen in der jetzigen Form zumachen.
Und weil Leif so hübsch fragt:
caku .uenai mi nitcu lenu bandu lenu tadni lo latno .i lodu’u lo latno cu na’e sarji ka’e se cusku fi’o tavla piso’a lo se ckule .iga do krici gi ko pensi lojei gunka sepi’o lo la kyplyr. cimei saske .a lo saske be lonu tacu farvi be’o .a la .aquis. submersus. .i su’anai mupli tadni ckule .i .a’o lo ve ckule ca da cu pilno lo se ckule .iga da cusku lu lo latno na sarji .ini’ibo se fangau li’iu gi nitcu lenu fangau ro cabna ckule
@Dirk Westermann: Ironie und Internet treffen aufeinander …
Daher nutzen viele Leute auch Smileys in ihren Texten.
BTW: Wann erklärt uns der Duden endlich, wie man die korrekt einsetzt? Ich frage mich immer, ob ein Smiley nun vor oder nach einem Satzzeichen kommen sollte und wie das mit Klammern am besten passt. 😀
Nachrichten auf Latein
Nicht nur ein einsamer Lateinlehrer übersetzt nachts Gedichte, nein, ein Radio-Sender liefert auch Nachrichten auf Latein.
http://wissen.dradio.de/…-nachrichten.93.de.html
Sohnemann fängt nach dem Sommer allerdings doch erst mit Englisch anstatt Latein (wie ich) an. Was es mir gebracht hat? Ach…
@A.S.
Ja, in der Vulgata heißt es “pro multis”. Ich kann die Editoren aber verstehen, die aus der Septuaginta die Bedeutung “für alle” herauslesen. Beide Auffassungen haben etwas für sich, was die Frage eben nicht so einfach oder gar selbstverständlich macht.
@Marc B
Das ist dann so wie mit der ‘Jungfrau’, Hauptsache es passt zur verqueren Weltsicht, egal, was da im Original [also nicht der Vulgata] steht.*
Ceterum censeo Carthaginem esse delendam!
*Keine Kritik an deinem Beitrag.
Ironie
Wikipedia hat hier dem Duden einiges voraus:
http://de.wikipedia.org/wiki/Ironiezeichen
Ich muss ja sagen, der süffisante Unterton in den Sprachbrocken ist wie Honig auf meinem Gaumen — köstlich. Auch wenn er wohl nicht dazu beitragen dürfte, überzeugte Lateintümler zum Nachdenken zu bringen. 😉
@Dirk Westermann:
Maxime der Quantität, nicht Qualität… was dann auch besser zur Bibel passen dürfte 😉
Lateinunterricht
Im Rahmen des jetzigen Wahlkampfes spielt natürlich auch die Bildungspolitik ein wichtiges Thema, und der Lateinunterricht ist ja so etwas wie das “gymnasialste aller Schulfächer”.
Während ich als Sprachwissenschaftler froh bin, Latein in der Schule gehabt zu haben, hätte ich als Bürger im nachhinein lieber doch mehr Zeit fürs Französischlernen gehabt.
Der Altphilologenverband erzählt zwar immer wieder, wie einfach es sei, romanische Sprachen zu lernen, wenn man Latein gehabt habe, aber hier möchte ich unbedingt dem Blogautor zustimmen, dass man auch mit entsprechend ausgebildeten Französisch- und Spanischlehrenden hätte man das auch wettmachen können. Aber aus meiner eigenen Schulerfahrung erinnere mich ich noch an Lehrende, deren sprachwissenschaftliche Kompetenz zu wünschen übrigen ließ (z.B. eine Deutschlehrerin aus der 5. Klasse, die mir den Unterschied zwischen “dem” und “den” nicht erklären konnte).
Insofern bin ich persönlich der Ansicht, dass man den Lateinunterricht in eine Art Altertumskunde umwandeln sollte, denn die Geschichte und Philosophie von Rom und Griechenland sind durchaus für das heutige Europa von Bedeutung, aber die Einübung von lateinischen Paradigmen sollte vielleicht etwas für eine “Sprachwissenschaft-AG” sein.
Als letztes möchte ich noch auf einen Radiobeitrag des SWR vom März 2012 hinweisen, der sich dazu versteigt zu behaupten, Latein nütze der Integration: http://www.altphilologenverband.de/…mp;Itemid=29
Dazu fällt mir ein:
— die frühkindliche Bildung ist sicherlich um einiges wichtiger für die Bildungschancen von Menschen mit Migrationshintergrund
— wiederum: anstatt Lateinlehrende so auszubilden, dass sie einen Lateinunterricht angepasst an Menschen mit Migrationshintergrund abhalten, sollten Lehrende des Deutschen und moderner Fremdsprachen entsprechend ausgebidlet werden (teils geschieht das ja schon). Die deutsche Grammatik auf dem Umweg über das Lateinsiche zu lernen scheint mir ziemlich umständlich.
— Zuguterletzt etwas nicht-Sprachliches: die gemeinsame Zugehörigkeit zum Römischen Reich würde verbinden. Es gibt auch Menschen mit einem Hintergrund, der sich nicht auf Gebiete zurückführen lässt, die zum Römischen Reich gehört haben.
oops
Preview rules.…
Im Rahmen des jetzigen Wahlkampfes IST natürlich auch die Bildungspolitik ein wichtiges Thema, und der Lateinunterricht ist ja so etwas wie das “gymnasialste aller Schulfächer”.
[…] aber hier möchte ich unbedingt dem Blogautor zustimmen, dass man DAS auch mit entsprechend ausgebildeten Französisch- und Spanischlehrenden hätte wettmachen können.
Maxime der Quantität
Bezüglich dieser Maximen ist zu beachten, dass sie nicht als normative Regeln für den Sprecher zu verstehen sind, wie man kommunzieren sollte — sie sind Regeln, die (nach einer weithin anerkannten Theorie) der Hörer spontan als richtig voraussetzt und benutzt, um den Text zu interpretieren.
Diese Diskussion ist ja schon was älter… Wer Latein in der Schule durch Spanisch ersetzt, wird Französisch auch einfacher finden als wenn er vorher nicht Spanisch gelernt hätte, da es doch einige deutliche Parallelen zwischen den Sprachen gibt. Ich würde sogar behaupten, dass man es mit Spanisch besser hat als mit Latein, da Französisch ebenso viele grammatische Kategorien, die das Lateinische hat, verloren hat.
Das Argument, dass der Lateinunterricht beim Verständnis der deutschen Sprache hilft, ist in jedem Fall kein Argument für Lateinunterricht sondern stattdessen für besseren Deutschunterricht. Dass das grammatische System des Deutschen an Schulen nicht gut erklärt wird, sollte wohl kaum der Lateinunterricht ausbügeln müssen. Für mich sind die Befürworter des Lateinunterrichts vor allem eines: Befürworter der Erhaltung von Eliten, was noch dadurch verstärkt wird, dass Latein sowieso beinahe ausnahmslos an Gymnasien unterrichtet wird.
Ich habe in der Schule neben Englisch sowohl Latein als auch Französisch lernen müssen und durfte später noch zwischen Russisch und Italienisch wählen. Im Nachhinein hätte ich wesentlich mehr davon gehabt, wenn Latein rausgefallen wäre und ich mich auf die anderen modernen Sprachen hätte konzentrieren können.
Ob lateinische Literatur interessant ist, ist natürlich eine Frage des Geschmacks. Ich finde sie heute genauso lahm wie früher, aber eins durfte deutlich sein: dass der Unterricht moderner Fremdsprachen wie Spanisch oder Französisch näher an der Lebensrealität unserer Sechstklässler ist als Geschichten über Leute, die seit tausenden Jahren tot sind, dürfte wohl auf der Hand liegen.
Und die Behauptung, dass Arabisch und Chinesisch the way to go sind, wage ich auch noch bezweifeln. Das hörte ich schon 2005 an meiner Schule rumoren, als Russisch wegen zu wenigen Interessenten abgeschafft wurde, und ich habe in den letzten sieben Jahren wenig Jobannoncen gesehen, in denen gute Chinesisch- oder Arabischkenntnisse vorausgesetzt wurden. Französisch oder Spanisch sind da i.A. doch deutlich hilfreicher. Ich glaube übrigens auch nicht, dass sich daran in den nächsten 10 oder 20 Jahren etwas ändern wird, da Chinesischunterricht in der Schule ziemlich unpraktikabel ist. Der Lernaufwand ist durch das unnötig komplizierte Schriftsystem deutlich höher als bei indoeuropäischen Fremdsprachen, was entweder zu einem nicht zu vermittelnden Lernaufwand führt oder dazu, dass die Schüler auch nach drei Jahren Unterricht de facto Analphabeten sind. Die Vermittlung des Tonsystems nimmt darüber hinaus auch wesentlich mehr Zeit in Anspruch als bei europäischen Fremdsprachen. Die Nasalvokale des Französischen und Laute wie th, r und w bereiten einigen Schülern ja schon Schwierigkeiten genug.
Für den Lateinunterricht spricht, …
… dass Latein heute nicht mehr gesprochen wird, und dass man daher gar nicht in Versuchung gerät, Sprachunterricht zum Sprechtraining absacken zu lassen.
Im Lateinunterricht lernt man, genau zu lesen und Texte bis ins Kleinste zu analysieren — was zum Beispiel beim Lesen von poetischen, von juristischen, von mathematischen Texten hilfreich ist.
Mit einer lebenden Sprache geht das nicht so gut — da soll man ja üben, Texte flüssig zu verstehen, auch ggf. über unbekannte Stellen hinwegzuspringen, kompetent zu kommunizieren.
Als Jurist
muss ich mal was anmerken:
“Im Lateinunterricht lernt man, genau zu lesen und Texte bis ins Kleinste zu analysieren” ist Quatsch.
“was zum Beispiel beim Lesen von poetischen, von juristischen, von mathematischen Texten hilfreich ist.” ist noch dünnerer Quatsch
Das ist Grlaber von Personen, die meinen, Lateinkenntnisse würden gleichbedeutend mit Bildung sein. Dies ist nicht so. Lateinlkenntnisse korrelieren (nicht kausalieren) mit Arroganz.
@Statistiker
Das ganze als “Quatsch” zu bezeichnen ist natürlich nicht überzeugender… Im Unterricht der modernen Sprachen entfällt weniger Zeit aus das Übersetzen und Analysieren von Texten als im Lateinunterricht, das ist doch sicher eine Tatsache.
Dass Sie daraus gleich schließen, jemand würde Lateinkenntnisse mit Bildung gleichsetzen, ist doch eher ein Hinweis auf Ihre Vorurteile, statt auf die der Lateinbefürworter.
Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum man immer über Latein redet. Es wird doch niemand gezwungen, diese Sprache zu lernen. Das sollen halt die Eltern (bzw. die Schüler selbst) entscheiden, wie sie das machen wollen. Wo ist das Problem?
Sind Nützlichkeitserwägungen nützlich?
Viele Argumente, die die “Nützlichkeit” des Lateinischen “belegen” sollen, wurden bereits im Text und in den Kommentaren erwähnt, und als gleichgültiger Inhaber eines Latinums möchte ich anmerken, dass in meiner Wahrnehmung die Pro-Argumente ziemlich an den Haaren herbeigezogen sind.
Das soll aber nicht der Tenor meines Kommentars sein.
Wenn jemand sich für alte Sprachen, oder alte Kulturen, oder mittelalterliche Theologie interessiert, dann soll er (oder sie) Latein lernen!
Ende der Diskussion!
Jemand interessiert sich für etwas, also befasst sich dieser Mensch damit.
An dieser Stelle braucht man dann auch keine Rationalisierungen mehr, schon gar keine derartig idiotische.
Latein ist ökonomisch…
… denn wer Latein beherrscht, hat bessere Chancen, bei Jauch die Million zu gewinnen. 😉
Wieso heißt es eigentlich seit einigen Jahren “Lateinisch” — in der Schule habe ich noch “Latein” gelernt?
Davon ab ist mein persönlicher Eindruck, dass ich durchaus beim Lernen romanischer Sprachen von meinen Lateinkenntnissen profitiert habe, und auch die Möglichkeit, im Alltag Fremdworte herzuleiten, schätze ich immer wieder mal. Davon unberührt ist natürlich die Frage, ob man eine Sprache lernen muss, um eine andere einfacher zu lernen. Das scheint mir dann doch wieder wenig ökonomisch.
SIcher…
helfen Lateinkenntnisse beim Lernen von romanischen Sprachen, oder auch des Englischen.
Aber man kann auch die Wortelemente des latenisch-griechischen Wortschatzes systematisch lernen, da gibt es im Englisch-als-Fremdsprache-Bereich durchaus auch einige Bücher. Das könnte man sich auch fürs Deutsche vorstellen.
Und klar, ich fand es schon zu Schulzeiten faszinierend zu sehen, wie sich das Französische oder das Spanische aus dem Lateinischen entwickelt hatte. Aber man kann durchaus auch mit einer romanischen Sprache beginnen und dann anhand der Parallelen eine zweite romanische Sprache dann später einführen, z.B. könnte man das sicherlich gut mit Französisch und Spanisch tun.
An diejenigen, die sich fragen, warum Latein diskutiert wird: mit Ausnahme von Italien gibt es wohl kaum ein Land, in dem so viele Schülerinnen und Schüler Latein lernen. In Deutschland sind es wohl immer noch 15% eines Jahrgangs. Das bindet durchaus Ressourcen, die meiner Meinung nach sinnvoller für moderne Fremdsprachen aufzuwenden wären.
Wobei ich, wie gesagt, für ein Schulfach Altertumskunde plädieren würde, aber mit deutlich mehr Fokus auf Philosophie und Geschichte.
Sorry…
nicht 15% eines Jahrgangs, sondern 15% aller Schülerinnen und Schüler, wobei ich nicht sicher bin, wo die Zahl herstammt.
Aber hier sind Zahlen des Statistischen Bundesamtes, zumindest für die allgemeinbildenden Schulen scheint das ungefähr hinzukommen:
https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/BildungForschungKultur/Schulen/Tabellen/AllgemeinBildendeBeruflicheSchulenFremdsprachUnterricht.html
@A.S.
Die Argumentation von Benedikt gibt es auch im Netz, z. B. hier: http://www.bistum-erfurt.de/…836&idart=19287
Mich würde ausserdem interessieren, in wie weit die Maxime der Quantität bei Gebeten eine Rolle spielt. Es handelt sich dabei eben nicht um eine Gesprächssituation, sondern um eine ritualisierte Handlung.
Latein
Ob die Kenntnisse des Lateinischen als überflüssig oder als erstrebenswert zu bewerten sind, hängt wohl eng damit zusammen, was man überhaupt unter Bildung versteht.
Wer Bildung als Training funktionaler Kompetenzen für eine spätere Karriere begreift, der wird mit Latein nicht viel anfangen können, und sollte eher Englisch, Russisch und Chinesisch lernen. Suum cuique.
Hinter der Wertschätzung des Latein steckt jedoch eine andere Auffassung von Bildung, nämlich die eines Erschließens und Aneignens unserer eigenen, also der abendländischen Kultur. Und dafür ist Latein von unschätzbarem Wert. Wer Latein beherrscht, kann sich unsere kulturellen Wurzeln bis tief in die Neuzeit auf ganz andere Weise „von innen“ anschauen und, als dies ohne Lateinkenntnis möglich ist. Insofern ist auch völlig klar, dass man zu Fächern wie Geschichte und Philosophie ohne Latein niemals professionellen Zugang hat und dort diese Sprache als Pflichtqualifikation beibehalten werden muss.
Was den funktionalen Nutzen des Latein für den Erwerb des Spanischen, Italienischen oder Französischen betrifft, so ist dieser – das sage ich aus eigener Erfahrung – immens, wenn man auch wirklich vom Latein dabei Gebrauch macht. Ich selbst habe es im Italienischen und im Spanischen innerhalb weniger Wochen von Null bis zur Alltags-Plapperreife und zur Lesefähigkeit gebracht, was zum Beispiel nach meiner Einschätzung völlig undenkbar wäre im Türkischen oder Polnischen.
Dennoch ist das für mich nicht das wesentliche Argument für das Lateinlernen, sondern nur ein nützlicher Nebeneffekt.
Stefanowitsche Sprach-Ironie-Brocken?
Bei dem Wenigen, was ich hier bisher von A.S. gelesen habe, schien für mich – wie auch hier – eine mehrdeutige Sprachironie, beim Sprachwissenschaftler und Linguisten also ein Gutteil Selbstironie, sprachlüstern zu entbergen.
So entgeht es der Leserschaft wohl, daß der Autor auf die Grice’schen Konversationsmaximen verlinkt, dabei aber nur auf die Maxime der Quantität – als einer, diskursiv isolierten, ökonomisch und ideologisch ausbeutbaren Kategorie abhebt und die anderen drei, in Bezug auf Latein als Sprachdisziplin bzw. ein hohes Maß an Lerndisziplin erfordernder Sprache, ausblendet. Absicht oder ironische Kritik?
2. Maxime der Qualität (Maxim of Quality)
Versuche einen Gesprächsbeitrag zu liefern, der wahr ist.
Sage nichts, wovon du glaubst, dass es falsch ist.
Sage nichts, wofür du keine hinreichenden Anhaltspunkte hast.
3. Maxime der Relevanz/Relation (Maxim of Relevance)
Sage nichts, was nicht zum Thema gehört, wechsle das Thema nicht einfach so plötzlich.
4. Maxime der Modalität (Maxim of Manner)
Vermeide Unklarheit.
Vermeide Mehrdeutigkeit.
Vermeide unnötige Weitschweifigkeit.
Vermeide Ungeordnetheit
DAS sind Sprachtugenden, die laut Auskunft unseres Jüngsten bis zur siebten Klasse : weit mehr – und konsequenter – von seinem Lateinlehrer, als von seiner Deutschlehrerin eingefordert wurden – bis er in der achten Klasse eine neue Lehrerin der deutschen Sprache und besonders ihrer Grammatik bekam, die ihren Job und die zugehörige Lern – und Sprachdisziplin genau so ernst nahm wie ihr Lateinkollege. Ergebnis: die Klasse stürzte im Deutschunterricht um etwa eine Note nach unten ab, nur die Lateiner nicht.
Abgesehen davon sollten sich die Griechisch – und Lateinkritiker mal vor Augen halten, daß in unserem Kulturkreis die Entwicklung der Wissenschaften seit der Antike auf den sogenannten „toten Sprachen“ beruhte – die einerseits der elitären Abgrenzung der später christlichen Wissenschaften im Verbund mit dem Klerus und Adel dienten, auf der anderen Seite aber auch eine schriftsprachliche Exaktheit boten und bieten, die der konzentrierten Aneignung und Speicherung wie der komprimierten Wieder/Weitergabe von Wissen entgegenkam.
Mithin erwirkte ein auf der Grundlage des Lateinischen vermitteltes Wissen zwangsläufig jene Sprachdisziplin, welche sich in den o.g. Maximen 2–4 als Tugenden abbildet und hat so vielleicht zur Ausformung der wissenschaftlichen Arbeitsweise und Fachdisziplinen beigetragen.
Insoweit ist das Lateinische wie das Altgriechische viel mehr als nur eine vermeintlich tote Sprache, sie ist ein Ursprung und Bestandteil der Tiefenstruktur unserer Wissens – und Sprachkultur, auch wenn Lateinisch heute nurmehr literal, aber kaum noch auf oral kommuniziert wird.
Daher hat der Lateinunterricht in Schulformen die auf eine akademische – d.h. literal und auf Sprachexaktheit basierende — Bildung vorbereiten nach wie vor seine Berechtigung, wenn auch keinen unmittelbar quantifizierbaren Nutzen.
Sprachtugenden
Nochmal: Die Griceschen Maximen sind keine “Sprachtugenden”, sondern Annahmen, die der Hörer (bzw. Leser) unwillkürlich zur Interpretation des Textes heranzieht.
@ Martin B.
Sie sagen: “Im Unterricht der modernen Sprachen entfällt weniger Zeit aus das Übersetzen und Analysieren von Texten als im Lateinunterricht, das ist doch sicher eine Tatsache.”
Dies ist eine Behauptung ihrerseits, keine Tatsache.
Ich habe das logische Denken im Mathematikunterricht gelernt, nicht im Lateinunterricht. Latein habe ich ein halbes Jahr “genossen” und mich gefragt, wozu dieser Unsinn gut sein soll. Habe überlegt und festgestellt: Latein ist redundant und zu nichts nütze, außer um sich wichtig zu tun, wie etliche Kommentatoren hier ja beweisen. Da ich es nicht nötig habe, mich wichtig zu machen: Latein–> Mülleimer.
Die Bibel? Oh je!
Irgendwie schafft es der Papst doch immer wieder aufs neue seine Engstirnigkeit zu bestätigen. Einen Text wie die Bibel mit all ihren symbolischen Gleichnissen wortwörtlich zu nehmen ist wohl blanker Irsinn.
Was immer Jesus (mal davon ausgegangen, dass es einen historischen Jesus gibt) vor 2000 Jahren gesagt haben mag, es steht bestimmt nicht als wortwörtliches Zitat in der Bibel. Während sich Forscher nach wie vor streiten, welchen Dialekt besagte Person wohl gesprochen hat, ist wohl gesichert, dass es wohl kaum Latein war. Tatsächlich handelt es sich bei dem Lateinischen Text um eine schlechte lateinische Übersetzung einer vielleicht noch schlechteren griechischen Übersetzung, bei der der Autor nachweislich auch noch allerlei persönliche Ansichten hat einfließen lassen. (Z.B. schimpft im Johannes Evangelium Jesus permanent auf die Juden, wie unglaublich authentisch!)
Wahrscheinlich wäre der Welt viel Übel erspart geblieben, hätte es sich bei den Evangelisten um puristische Altphilologen gehandelt. In diesem Sinne würde ich die verehrten Lateinlehrer nur zu gerne in ihre hochgelobte Antike schicken, wo sie am besten gleich bleiben sollen. Derweil können die geknechteten Schüler sich mit trivialen Fachgebieten wie Mathematik beschäftigen, Däumchen drehen oder von mir aus auch auf den nächsten Messias warten.
P.S.: Für alle, die sich wirklich vor der Hölle fürchten. Nach katholischer Aufassung kann Gottes “großer Plan” vom Himmelreich nicht in Erfüllung gehen, solange irgendeine arme Seele in der “Hölle” schmort. Einem wirklich Gläubigen muss die Vorstellung vom Scheitern seines Gottes doch ziemlich unwahrscheinlich erscheinen.
Richtig verstanden?
Habe ich es richtig verstanden?
Ich soll Latein lernen, weil ich dann weiß, was ein Nomen oder Objekt ist, weil ich dieses Wissen gut gebrauchen kann, wenn ich Chinesisch lernen will.
So ganz logisch scheint mir das nicht, vor allem nicht, wenn man bedenkt, dass der Mensch iA nicht unendlich Zeit/Geld hat…
Grammatik
Ich kann die Abfälligkeit, mit der einige Kommentatoren über den Lateinunterricht herziehen, schlecht nachvollziehen.
Schließlich wird niemand dazu gezwungen, Latein zu lernen, im Gegensatz zu Mathematik. Und es gibt Leute wie Werner Fuld, die in Büchern wie “Die Bildungslüge” behaupten, Mathematik sei unnötig. (Zuerst dachte ich, der Autor hätte den Titel gewählt, um plakativ die augenblicklichen Zustände zu kritisieren. Ich hatte keine Ahnung, dass dieser Titel wörtlich gemeint ist und er seine eigene Bildungslüge fabriziert hat.)
Moral von der Geschichte, es gibt immer und überall Menschen, die das eine oder andere Fach für überflüssig halten.
Wenn man mich fragt, was mir Latein gebracht hat, dann würde ich antworten: “Latein hat mir beigebracht, was der Deutschunterricht hätte leisten müssen.” Nämlich eine (für einen Schüler) recht intime Kenntnis der Grammatik auch der deutschen Sprache. Im Latein gibt es fünf Fälle, den Ablativ noch extra, im Deutschen nur vier. Für mich war es anfangs eine Herausforderung zu verstehen, was dieser Extra-Fall semantisch ausdrückt und wie das im Deutschen zu formulieren wäre. Dazu gab es noch viele weitere, im Lateinischen übliche, Konstruktionen, die im Deutschen keine direkte Entsprechung haben.
Ich behaupte nicht, dass man unbedingt Latein lernen müsse, um all dies zu lernen.
Allerdings ist es wirklich absurd zu behaupten, dass man diese Dinge *nicht* lernt, insbesondere wenn man die eigene Muttersprache im Kontrast zu einer Sprache sieht, die teilweise ganz anders aufgebaut ist als die eigene.
Man sieht weiße Papierschnipsel besser, wenn sie auf einem schwarzen Teppich liegen, als wenn sie sich auf weißen Fliesen befänden.
In Bezug auf Herrn Prof. Stefanowitschs Kolumne, man solle ihn verrückt nennen für seine These, dass man an der eigenen Sprache lernen könne, wie Sprache funktioniert, kann ich nur sagen, ja, sicher, das kann man. Aber um mal eine Allegorie aus der Wissenschaft zu bringen — man verzeihe mir dies — : Auf einem Röntgenfoto kann man die Verhältnisse zuweilen wesentlich besser erkennen, wenn man ein Kontrastmittel gibt. Allerdings muss das Kontrastmittel nicht unbedingt Latein sein.
Was die leichtere Erlernbarkeit romanischer Sprachen angeht: vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich empfinde das nicht so. In jedem Fall halte ich es für idiotisch, erst Latein zu lernen, wenn man zum Ziel hat, Französisch zu sprechen.
“Non scholae, sed vitae discimus.”
Erst war es Latein, dann Französisch, was der fremdwortgeile Deutsche brauchte, um sich vom gemeinen Volk abzuheben. Die ganze heiße Luft, die in dem Zusammenhang je ausgestoßen wurde, reichte heute aus, die Weltklimaprobleme zu lösen. Dabei sind sogar noch Kirchen- und Jägerlatein unberücksichtigt geblieben.
Da kam und kommt Englisch einfach nicht mit, jeder Depp hat’s drauf und der halbe Wortschatz ist auch noch aus dem Griechischen oder Lateinischen geklaut. Typisch britisch eben, Empire und Sprache, alles zusammengestohlen.
Gott sei Dank hat sich Englisch in der Grundschule nicht durchgesetzt. Nicht wegen der Moral, nein, sondern weil schon wieder eine neue Sau durch’s Dorf getrieben wird: Chinesisch, besser gesagt Mandarin, verdrängt nach und nach Englisch, zumindest aus den Köpfen der besserverdienenden Eltern. Und schon wird die Forderung laut, Mandarin im Kindergarten!
Türkisch taugt genauso
Wie wäre es statt Latein mit 2 Jahren Türkischunterricht für alle.
Die Sprache kennt fast keine Ausnahmen, hat eine ausgefeilte, logische Grammatik und eröffnet einem ganz besondere Einsichten über die Funktion von Sprache.
Als kleines Beispiel:
Fragewörter wie wo?, wohin? werden einfach durch Deklination des Grundfrageworts (exakt nach dem Muster der Substantive) gebildet.
Nerede? Berlin’de
Nereye? Karlsruhe’ye
Außerdem kann man Türkischkenntnisse in Deutschland auch praktisch üben, schließlich spricht ja schon ein guter Prozentsatz der Deutschen Türkisch als Mutter oder Großmüttersprache.
Die Stammtische würden natürlich sturmlaufen…
Slawische Sprachen wären auch geeignet, sie verfügen ja auch über ein ausgeklügeltes Deklinations und Konjugationssystem.
Dogma soll bei einer Erkenntnis helfen?
Dogmatiker fordern meistens völlig verrückte Sachen: ich hätte auch Spaß daran, an der Grundschule erst die Differentiation und Integration in der Mathematik zu lehren, weil das so fantastisch hilft, das Addieren und Subtrahieren zu verstehen.
Hinter dem Lateinunterricht steckt natürlich auch das katholische Dogma. Die kirchliche Lithurgie würde ohne Lateinkenntnisse noch absurder erscheinen.
Hinter dem Vorschlag des Arabisch-Unterrichts kann man auch den Islam vermuten. Wer hat es denn schon mal geschafft, beim libanesischen Imbiss um die Ecke ein Gespräch in Hocharabisch zu führen? Entweder man spricht Dialekt oder bekommt eine Antwort in Englisch oder Deutsch.
Alles, was angeblich so gut am Lateinunterricht ist, kann man auch im Russischen lernen, oder Japanischen, oder …
Uwe Walter bietet heute in seinem FAZ-Blog eine schöne Replik auf den Artikel im “Westen”:
http://faz-community.faz.net/…inunterrichts.aspx
Da werden vielleicht ein paar Sachen klarer.
Unglaublich,
dass die obige Behauptung von Kris, wonach “der Lateinunterricht (…) so etwas wie das ‘gymnasialste aller Schulfächer’ ” sei, unwidersprochen blieb! Das gymnasialste aller Schulfächer ist natürlich diejenige Sprache, aus der “Gymnasium” entlehnt wurde, also (Alt-)Griechisch. Schulen, auf denen kein Griechisch gelehrt wird, sind daher maximal Oberrealschulen.
Dass in der FAZ für den Erhalt des Lateinunterrichts “argumentiert” wird (ohne Argumente natürlich), ist ja nicht weiter verwunderlich, schließlich ist sie die Tageszeitung der Eliten.
@Nick der Bösewicht, Schwiegersöhne
Wenn mich mein Chef mit bloßem Nachnamen und “er” anspräche, würde ich mich entweder zurückgesetzt fühlen, oder aber den Schluss ziehen, dass er im Umgang mit Menschen unbeholfen ist, also einen guten Teil des Respekts vor ihm verlieren.
Denn so sprach vielleicht vor 150 Jahren der Gutsherr den Knecht an. Die Kombination Vorname und Sie erinnert ebenfalls an Personal (wie schon erwähnt wurde), allerdings eher an das Dienstmädchen im aufgeklärten bürgerlichen Haushalt.
Zum Schwiegerelternproblem. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal zum Verteidiger von Benimmregeln werde, aber hier machen sie das Leben schon einfacher. Man siezt seine Schwiegereltern — jedenfalls im Normalfall, dass diese älter sind als man selbst — und es ist deren Entscheidung, ob und wann sie einem das Du anbieten. Das Anredevermeiden finde ich peinlich und wird bei Kenntnis der Regel überflüssig.
Bitte löschen
Bitte um Entschuldigung. Das gehört natürlich zu einer anderen Diskussion
@ impala: Ein Argument habe ich in Deinem Beitrag allerdings nicht entdecken können. Herr Walter argumentiert auch nicht “für den Erhalt des Lateinunterrichts”, er plädiert für Vielfalt und Wahlfreiheit. Ich halte das schlimmstenfalls für liberal, nicht jedoch für elitär.
Name,
Wer für den Erhalt des Lateinunterrichts plädiert, muss halt auch Argumente für den Lateinunterricht bringen. Ich bin für den Pflichtunterricht zweier moderner Fremdsprachen anstelle des Lateinunterrichts, da der Lateinunterricht für mich nicht nachweisbar Fähigkeiten vermittelt, die Gymnasiasten oder Gesamtschüler im Jahre 2012 nötig haben, der Unterricht des Französischen, Spanischen und Russischen (oder welche modernen Fremdsprachen in Deutschland noch als zweite Fremdsprache unterrichtet werden) hingegen schon. Nämlich nicht nur, dass die Schüler eine andere Sprache lernen und somit andere Sprachfamilien kennen lernen und ihre Grammatikvorstellung erweitert wird, sondern auch dass sie kommunikative Fähigkeiten erwerben, die ihnen u.U. berufliche Vorteile verschaffen, ihnen aber in jedem Falle kulturelle Kompetenz vermitteln und sie dazu anregen, sich für andere moderne Kulturen zu interessieren. Das hat vor allem in Europa auch eine wichtige politische Funktion.
Der Lateinunterricht vermittelt keine kommunikative Kompetenz und die kulturelle Kompetenz, die vermittelt wird, ist vor allem eine historische, die ebenfalls vom Geschichtsunterricht vermittelt wird. Aber ich höre gerne ihre schlagkräftigen Argumente.
@Martin. B: “niemand wird gezwungen”
“Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum man immer ber Latein redet. Es wird doch niemand gezwungen, diese Sprache zu lernen. Das sollen halt die Eltern (bzw. die Schler selbst) entscheiden, wie sie das machen wollen. Wo ist das Problem?”
Ich kann nur fuer Bayern sprechen. Dort sind die Wahlmoeglichkeiten am Gymnasium ohne Latein drastisch eingeschraenkt. Kein neusprachlicher Zweig *). Kein musischer Zweig. Nur E‑F als lateinlose Sprachkombination. Wer sich in der 6. Klasse noch nicht auf sprachlich vs mathematisch/wirtschaftlich festlegen kann: Latein. Wer in der 10. sein Latein durch eine andere Sprache ersetzen will: Darf man. Gibt halt dann kein Latinum, das an den “besseren” Unis zB fuer Deutsch notwendig ist. Im Ergebnis sprechen die Mehrheit der bayerischen Eliteabiturienten genau eine Fremdsprache.
Wahlfreiheit sieht anders aus.
*) Ok. Mit Kumi-Antrag darf eine Schule einen neusprachlichen Zweig ohne Latein einrichten. Ich kenne leider keine Zahlen, aber in den umgebenden Landkreisen gibt’s das nur einmal — mit der sportlichen Variation, dass man dann mit F anfangen muss. Also kein Fallschirm fuer die Realschule. Mit dem interessanten Auswahleffekt, dass diese selbstbewussten “Franzosen” die “Englaender” in den anderen Faechern mit +0.5 Schnitt in die Tasche stecken. Meistens wirkt dieser statistische Auswahleffekt in die andere Richtung und wird der didaktischen Wunderwirkung des Lateins angedichtet.
Rhenus longus est
In seiner bisherigen Form taugt der Lateinunterricht vor allem dazu, den Grammatikteil in den anderen Sprachen zu verstehen. Das spricht allerdings nicht für mehr Lateinunterricht, sondern für besseren Grammatikunterricht.
Die Gegeneinander-Diskussion ist das eigentlich Schlimme. Wenn es nach mir ginge, gäbe es ab der Grundschule durchgängig einen Germanistikunterricht, der neben Deutsch auch Englisch lehrt und sich neben Sprachwissenschaft auch um Literatur- und Medienkenntnisse sowie rhetorische und kommunikative Fertigkeiten bemüht, während der Romanistikunterricht ab ca. der 5. Klasse Latein zwar als zu vermittelnde Theoriebasis nimmt, aber die kommunikative Beherrschung von mindestens einer modernen Sprache (Französisch, Spanisch, Italienisch …) zum Ziel hat (und nur optional mit Literaturanalyse etc.). Dabei würden regionale Besonderheiten (Dialekte, Migrantensprachen) bzw. geographische oder zeitliche Nachbarschaften (Dänisch, Niederländisch, Plattdeutsch etc.) entsprechend berücksichtigt. Auch Slawistik (mit Russisch, Polnisch, Tschechisch oder Sorbisch als Grundlage und Ziel) sollte vor allem im (Süd-)Osten seinen, wenn auch nicht verpflichtenden, Platz haben. Jeder (Gymnasial-)Schüler sollte die anderen europäischen Alphabetschriften (Kyrillisch, Griechisch) lesen (bzw. wenigstens entziffern) und schreiben können sowie sich mit mindestens einem anderen Schriftsystem eingehend beschäftigt haben.
Damit das klappen könnte, müsste natürlich neben den Lehrplänen und ‑büchern auch die Lehreraus- und ‑weiterbildung sowie das Lehramtstudium bzw. die Zulassung zum Lehrberuf überdacht werden.
Wahlfreiheit
Gottseidank gibt es Wahlfreiheit. Je älter ich werde, desto mehr merke ich, wie sehr ich vom Lateiunterricht profitiere. Daraufhin habe ich mir auch noch (leider noch viel schlecht) Altgriechisch beigebracht.
Meine Kinder sollen diese Chance auf jeden Fall auch einmal haben. Andererseits muß ja keiner gezwungen werden. Wem Latein zu doof ist oder wer damit in der Schule schlechte Erfahrungen gemacht hat: bitteschön. Wäre ja langweilig, wenn alle das gleiche können würden.
Aber die Häme, mit der hier über Lateinunterricht hergezogen wird, die kenne ich ich aus dem echten Leben nur von Situationen, bei denen viel viel Neid und Minderwertigkeitskomplex im Spiel ist.
Aber eigentlich wollte ich etwas ganz anderes schreiben, was mich am Artikel wirklich aufregt: viele und alles sind zwei grundverschiedene Dinge, trotzdem kann alles eine Variante von viele sein. Mit viele kann also natürlich auch alle gemeint sein, aber eben nicht nur sondern auch. Viele enthält eine Unbestimmtheit, schließt alle aber nicht aus. Darum ist alle eine vollkommen valide Interpretation von viele.
Herr Stefanowitschs Beiträge sind häufig so angenehm wissenschaftlich, da darf ein solcher Fehler selbst um der Pointe Willen nicht geschehen…