In der Kategorie [Schplock trifft Lehre] halte ich Inhalte und Ergebnisse aus dem Seminar Rheinfränkisch fest, das ich im Sommersemester 2012 an der Uni Mainz gebe. (Zum Einstiegsbeitrag und zur Übersicht)
Vielleicht habe ich es in der ersten Sitzung mit dem Ansatz »spielerischer Einstieg« ein wenig gut gemeint – aber andererseits, warum nicht? Nach tagelangem Herumgegoogle und einem exzellenten Tipp von meiner Kollegin Luise habe ich die folgenden Hörbeispiele ausgegraben. Bei welchen davon handelt es sich um deutsche Dialekte? Bei welchen um eigene Sprachen? Und welche Dialekte oder Sprachen sind das jeweils?
(Zu den Quellen und Lösungen.)
Ziel der Übung war, natürlich, festzustellen, dass man Sprache und Dialekt nicht klar voneinander trennen kann. Für alle Kriterien, die man immer wieder heranzieht, gibt es Gegenbeispiele. Postuliert man, dass das Sprachsystem sich in Lauten, Grammatik und Vokabular stark unterscheiden muss (»Systemabstand«), dann hat man keine Handhabe, das zu quantifizieren und jede Festlegung wäre wieder willkürlich. Für Sprachen wie Deutsch und Französisch lässt sich das recht gut nachvollziehen, aber sind nicht vielleicht die Schweizerdeutschen Dialekte vergleichbar weit vom deutschen Standard entfernt wie Niederländisch?
Postuliert man, dass es sich um eigene Sprachen handelt, wenn die jeweiligen SprecherInnen sich nicht miteinander verständigen können, dann hat man natürlich wieder das Problem, festzulegen, was als Verständnis gilt und bei wem genau das vorhanden sein muss, und außerdem lässt man dabei das Phänomen der Dialektkontinua außer acht: Jemand, der Bairisch spricht, kann jemanden aus den Niederlanden wahrscheinlich nicht ohne Sprachkurs verstehen, jemand, der Kölsch spricht, wohl schon eher. Dialekte verändern sich nämlich nicht abrupt entlang einer imaginären Linie, sondern ziemlich graduell. Staatsgrenzen spielen da zwar eine kleine Rolle (weil die überdachende Amtssprache eine andere ist), sind aber nicht unbedingt verständnishindernd.
Oft zieht man schließlich politische Kriterien heran und sieht jede Varietät als Sprache, die irgendwo als Amtssprache postuliert wird – das kann aber nicht alles sein, denn schließlich gibt es ja auch Minderheitensprachen, deren SprecherInnen über kein Territorium verfügen. Auch so etwas wie die kommunikative Reichweite (gibt es wissenschaftliche Literatur in der Sprache?) und der Ausbaustatus (Gibt es eine geregelte Orthografie? Einen Standard? …?) spielt oft eine Rolle.
Letztlich muss man sich aber immer der Tatsache bewusst sein, dass es eine klare Trennung nie geben kann und dass die Vorstellung von Sprache als in sich geschlossenem, sprecherunabhängigem System zwar oft von praktischem Nutzen, aber prinzipiell sehr fragwürdig ist.
Die 8 ist super 🙂
Aber etwas schade, daß es direkt am Anfang verraten wird (zumindest, wenn man den Ort kennt).
Also in meinem Seminar kannte den keiner 😀
Beispiel Nr. 2 ist sehr interessant — hört sich an wie eine Mischung aus westniedersächsichem Platt und Niederländisch. Kann das sein, dass das da aus der Gegend um Groningen ist?
Ja, 8 ist interessant, auch weil die “nien düdn” vorkommen. Ich kenne das aus dem Osnabrücker Platt, da heißt das auch so.
“De Quierksteet seit verstriens uppe nien Düdn” …
Die 1 könnte aus dem nördlichen Saarland sein.
Bei der 2 tippe ich auf den Niederrhein.
Die 4 könnte niederalemannisch sein.
Die 6 ist aus Mittelhessen, ich tippe auf den nördlichen Teil (näher bei Gießen als bei Frankfurt).
Die 7 scheint mir aus dem Odenwald zu kommen.
8 könnte Nordniedersächsisch sein (hab den Ortsnamen nicht verstanden).
Die 10 ist vom Mittelrhein, nördlich von Karlsruhe und sicher südlich von Mannheim. Wegen des uvularen r tippe ich auf die rechte Rheinseite.
Bei deutschen Dialekten kenn ich mich naturgemäß nicht so aus (wobei ich ein paar als eher süddeutsch zu erkennen glaube), aber rein aus Neugier: Österreicher sind da keine dabei, gell? Einen hab ich als Schweizer in Verdacht, aber sonst sind’s mMn nur Deutsche …
Doch, ein Dialekt aus Österreich ist dabei, aber der ist fies.
Okay, dann ist es ein Vorarlberger Dialekt, odr? 😉 Dann ist mein „Schweizer“ sowas.
4 ist St. Galler Rheintal, zwischen Widnau oder Diepoldsau bis Grabs, oder auch Lustenau in österreich (das hat einen Dielakt, der sich vom Vorarlbergischen klar unterscheidet).
Ist ein Dialekt aus Osteuropa dabei?
Ja.
Mensch, das ist aber ne fiese Falle. Osteuropa ist praktisch nicht erratbar, weil es dort Hunderte, ja Tausende von großen und kleinen Siedlungsgebieten und einzelnen Orten gab, die sich die unmöglichsten Dialekte aus sieben Jahrhunderten deutscher Sprachgeschichte und in unzähligen Mischungen bewahrt haben. Die 7 hat Ähnlichkeiten mit der Sprache eines wolgadeutschen Pfälzers, mit dem ich vor Urzeiten mal gesprochen habe…
Aus der Serie “Tipps, die nur wenigen helfen”: Es ist eine osteuropäische Varietät, zu der ich eine enge persönliche Beziehung habe.
Die drei ist m.E. eindeutig aus dem Osten. Aber wo? Ich könnte noch nichtmal sagen, ob es Jiddisch oder Deutsch ist.
Dann nehm ich das mit der sieben zurück und bleibe da beim Odenwald.
Ach übrigens: Die Nr. 3 krieg ich nicht zum abspielen. Hab’s auf 2 PCs mit jeweils zwei Browsern probiert.
Ja, bei mir zickt die irgendwie auch rum, dabei stimmt der Link und auf der entsprechenden Homepage kann ich es auch abspielen. Vielleicht, weil es eine wav-Datei ist. Leider finde ich jetzt auf die Schnelle keinen Ersatz, ich versuch’s mal mit einem direkten Link. (Müsste direkt im Browser abspielen.)
Und schließlich scheint mir die 5, nachdem ich sie endlich laut genug einstellen konnte, Luxemburgisch zu sein.
Sooooo, hier kommen nun die Quellen und Lösungen (markieren um zu lesen):
Auf die Gefahr hin, dass ich nerve: Kann man 4, 6, 7, 8 und 10 genauer haben? Alemannisch reicht von Straßburg bis Gressoney, Niederdeutsch von Tilsit bis Meschede und Hessisch von Darmstadt bis Kassel — da liegen Welten dazwischen.
Ja, kommt noch! Ich musste ganz schnell ins Seminar rennen und habe dann festgestellt, dass ich die Links nicht in den Kommentar kopieren kann, muss nochmal rumprobieren.
Sooo, jetzt sind die Ortsangaben und Links dabei 🙂
Sprache ist Politik, Dialekt ist Sprache.
Dabei gilt: Sprache = Sprache.
Äh, ja oder so ähnlich 😉
Mein Tipp:
2. Nordwestsaarland
4. Südbaden
5. Lothringen
6. Nähe Aschaffenburg
7. Nähe Pirmasens (Südlicher-Westrich)
10. kurpfälzischer Odenwald