Sprache und Ungleichheit

Von Anatol Stefanowitsch

In der heute erschiene­nen Aus­gabe von Aus Poli­tik und Zeit­geschichte (ein­er Beilage der Wochen­zeitung Das Par­la­ment) schreibe ich über „Sprache und Ungle­ich­heit“.  Eins der schwierig­sten The­men über­haupt, das hier im Sprachlog regelmäßig Protest, Spott und Häme aus­löst und mit dem ich selb­st immer wieder kämpfen muss.

Die Gele­gen­heit, einige mein­er Blog­beiträge zu diesem The­ma in Form eines (populär-)wissenschaftlichen Auf­satzes noch ein­mal sys­tem­a­tisch aufzuar­beit­en, war mir deshalb sehr willkom­men und ich freue mich über Feed­back hier in den Kom­mentaren oder per E‑Mail (dabei gilt, wie immer und vor allem bei diesem The­ma: Kom­mentare, in denen Grup­pen von Men­schen her­abgewürdigt wer­den, sind nicht erwün­scht und wer­den gelöscht).

Wer nicht weiß, woher er/sie Das Par­la­ment bekom­men soll, kann die Beilage (in der ins­ge­samt neun höchst span­nende Beiträge zum The­ma „Ungle­ich­heit“ enthal­ten sind, auf der Web­seite der Bun­deszen­trale für poli­tis­che Bil­dung als PDF-Datei (2,5 MB) herun­ter­laden (natür­lich kostenlos).

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

11 Gedanken zu „Sprache und Ungleichheit

  1. @flxz

    Über­trag­barkeit und real­er Effekt
    Danke für diesen gut geschriebe­nen Artikel. Eine Grun­dan­nahme, die Sie tre­f­fen ist, dass die Sprache das Bewusst­sein bee­in­flusst (Sapir-Whorf-Hypothese, wenn ich mich nicht irre). Ins­beson­dere bei der geschlecht­sneu­tralen Sprache ist das nach meinem beschei­de­nen Ken­nt­nis­stand ja dur­chaus nicht unumstritten.
    Gibt es Belege dafür, dass in Sprachkreisen, deren Sprachen weniger stark nach Geschlecht dif­feren­ziert, eine gerin­gere Diskri­m­inierung nach Geschlecht real stat­tfind­et? Im Ungarischen gibt es in der drit­ten Per­son Sin­gu­lar keine Unter­schei­dung nach Geschlecht (Er/Sie), eben­so im Türkischen. Trotz­dem sind mir diese bei­den Kul­turkreise bish­er nicht durch eine außeror­dentliche Gle­ich­berech­ti­gung von Mann und Frau aufge­fall­en. Dieser Umstand verun­sichert mich immer wieder, wenn ich über­lege, selb­st geschlecht­sneu­trale Sprache zu ver­wen­den: Ich bin mir des Erfol­gs unsich­er. Kön­nen Sie mir hier vielle­icht noch mehr Argu­mente nen­nen oder referenzieren?
    Und noch eine andere Frage, auf die ich keine Antwort habe: Ist „die Geisel“ ein gener­isches Feminimum?

  2. FB

    Sehr geehrter Herr Stefanowitsch,
    Die Dif­feren­zierung ergibt sich notwendig als Grund­lage der Sprache, insofern, als dass nur in der Dif­feren­zierung der Men­sch sich über­haupt Zugang zur Welt ver­schaf­fen und so, im Urteil, sprach­lich zu Aus­sagen über Eigen­schaften kom­men kann – ohne Dif­feren­zierung keine Aus­sage und also auch kein sprach­lich­er Aus­druck. Nun ist, wie Sie schreiben, die ‘Diskri­m­inierung’ der ‘Dif­feren­zierung’ irgend­wie inhärent, zumin­d­est insofern, als dass die ‘isolierte’ Betra­ch­tung eines Objek­tes all das auss­chliesst, was nicht mit dem betra­chteten Objekt iden­tisch ist – mithin ger­ade auf dessen Iden­ti­fizierung beruht – weshalb jede Iden­ti­fizierung gle­icher­massen Dif­feren­zierung, et vice ver­sa, und, zumin­d­est im Moment dieser Betra­ch­tung, eben ins­beson­dere auch Diskri­m­inierung ist. Wenn sie Ihre Über­legun­gen auch nur auf einen, nichts für ungut, etwas ‘periph­er­eren’ Bere­ich anwen­den, so möchte ich doch ganz grund­sät­zlich fra­gen: So es stimmt, dass sich der Men­sch nur dadurch einen Zugang zur Welt ver­schaf­fen kann, insofern er unter­schei­det, also sowohl iden­ti­fiziert als auch diskri­m­iniert, was er vorfind­et (während ja nur vorzufind­en ist, was spez­i­fis­che Eigen­schaften, id est Iden­tität hat und also von sich aus ‘unter­schei­d­bar’ ist!) muss ich doch fra­gen, inwiefern es über­haupt anzus­treben wäre, die Sprache ger­ade dahin zu umzu­for­men, jen­er Dif­feren­zierung fürder­hin keinen Aus­druck mehr ver­lei­hen zu dür­fen? – Zumal die Dif­feren­zierung bezüglich der Objek­te ein Sub­jekt impliziert, das zur Unter­schei­dung über­haupt fähig ist; der Men­sch mag sich his­torisch und kul­turell in der Sprache selb­st stetig dazu befähi­gen: ist jeden­falls ins­beson­dere sein eigenes Objekt der Betra­ch­tung und gewin­nt erst darin seine Iden­tität, indem er sich selb­st unterscheidet.
    Vielle­icht frage ich auch viel zu weit.
    Beste Grüsse,
    FB

  3. Dirk

    Ich finde deinen Artikel sehr lesenswert. Was ihn für mich beson­ders wertvoll macht, ist die Tat­sache, dass du mir klar machen kon­ntest was andere nicht kon­nten (und vielle­icht nicht woll­ten, weil sie es schon so oft erk­lärt hat­ten), wie und warum Sprache diskri­m­iniert. Allerd­ings frage ich mich auch, ob es über­haupt möglich sein kann, nicht diskri­m­inierend zu sprechen.
    Spricht man von Men­schen statt Män­nern und Frauen, Mäd­chen und Jun­gen, diskri­m­iniert man gegenüber Nicht-Men­schen. Und ver­mut­lich kann man wieder Beispiele find­en, die z.B. die Unter­schei­dung zwis­chen Men­schenaf­fen und Men­schen in Frage stellen. Am Ende müsste man wohl über “Ding” reden.
    Aber was mir noch aufge­fall­en ist. Du erwähnst darin diese Alter­na­tiv­en wie “Studierende” statt “Studenten/Studentinnen” die man im All­t­ag ver­wen­den kann und sollte. Dabei ist mir etwas inter­es­santes (zumin­d­est für mich inter­es­sant) aufge­fall­en, bei den Erwäh­nun­gen von weit­eren möglichen Alter­na­tivwörtern: Back­kraft für Bäcker/Bäckerin ging noch (wobei Back­kraft auch fast das Verkauf­sper­son­al an der Theke mit einschließt).
    Bei Gesellschaftsmit­glied statt Bürger/Bürgerin wurde ich schon tutzig. Irgend­wie beschreiben diese weit­eren Alter­na­tivwörter nicht die Summe der “diskri­m­inieren­den Wörter”. Ich glaube, es liegt daran, dass sie nichts mehr vom urprüglichen Wort enthal­ten. Bei Back­kraft ist noch das “Back” aus Bäcker/Bäckerin drin. Aber beim “Gesellschaftsmit­glied” ist nichts mehr vom ürspünglichen enthalten.
    Ich gebe zu, zuerst dachte ich, dass dies deshalb schlechte Alter­na­tiv­en sind. Mit­tler­weile denke ich, dass es sog­ar die Besseren sind. In ihnen sind die urspünglichen Verknüp­fun­gen nicht mehr enthal­ten. Beim Wort Bürger/in schwingt immer eine bes­timmte Bedeu­tung mit, die andere auss­chließt, die im urspünglichen Sinn z.B. keine Bürg­er waren (Sklaven z.B.). Ich habe das Gefühl, dass es auch heute noch Mit­glieder der Gesellschaft gibt, die keine Bürger/innen sind. Auf diese Weise kön­nte das Wort Gesellschaftsmit­glied nicht nur weniger diskri­m­inierend hin­sichtlich der Geschlechter sein son­dern auch ander­er Gruppen.
    Also viele Dank für den Artikel, er hat mir sehr viele Denkanstöße gegeben!

  4. Statistiker

    Mal wieder
    ein gelun­gener Artikel, auch wenn mir als regelmäßigem Leser das meiste schon bekan­nt war.
    Tja, und bei Bürger/Bürgerin gibt es tat­säch­lich eine Dif­feren­zierung (ich kann hier­bei nur auf die Gemein­de­ord­nung meines Bun­des­lan­des abstellen, da mir weit­ere nicht bekan­nt sind): Bürger/in ist, wer wahlberechtigt zu Kom­mu­nal­wahlen ist, und dazu gehört u.a., dass man min­destens sechs Monate in der Gemeinde wohnt. Alle anderen sind “nur” Einwohner/innen. Das zeigt sich in Begrif­f­en wie “Bürg­er­begehren” und “Ein­wohn­er­antrag”.
    @ FB: Sie haben es geschafft, in Ihrem Post­ing Sätze mit nicht nur 55, son­dern sog­ar 69 Wörtern zu for­mulieren. Ein tre­f­fend­er Grund, solche Post­ings ein­fach zu ignori­eren, da hier ver­mutet wer­den kann, dass solche Satzge­bilde nur zur möglichst großen Unver­ständlichkeit und genau zu diesem Zweck for­muliert wur­den. Presseagen­turen lehnen solche Mel­dun­gen aus diesem Grunde ab.

  5. Statistiker

    Brrr.….
    Pein­lich.… Ein offen­sichtlich­er Gram­matik­fehler in meinem Post­ing.… *ascheüber­mein­haupt­streu­und­schlafengeh*

  6. Rhubarb

    Kat­e­gorisierung als kog­ni­tive Fähigkeit
    Ich finde den Artikel auch gut und stimme zu, dass Sprachge­brauch an sich und die aktuelle “Ver­sion” der deutschen Sprache Unter­schei­dun­gen zwis­chen Kat­e­gorien trifft, die so nicht nötig wären. Ich bin aber eher pes­simistisch, dass sich daran in abse­hbar­er Zeit etwas ändern wird – beispiel­haft soll hier die Bin­nen-I-Ent­fer­nungs-Fire­fox-Exten­sion erwäh­nt wer­den. Außer­dem bezwei­fle ich, das ein Sprach­wan­del hin zu diskri­m­inierungs­freier Sprache per Dekret möglich ist. Es müsste schon eine hin­re­ichend ein­flussre­iche (=große) Grass­roots-Bewe­gung geben, die sich selb­st eine solche Sprech­weise angewöhnt/auferlegt und somit ver­sucht den aktiv Ein­fluss auf den Sprach­wan­del zu nehmen (hat so etwas jemals funktioniert?).
    Nun aber zu dem Punk den ich eigentlich machen möchte. Natür­lich ist „[d]as Tre­f­fen von Unter­schei­dun­gen […] sowohl Kern­funk­tion als auch grundle­gen­des Struk­tur­prinzip von Sprache“, aber das Tre­f­fen von Unter­schei­dun­gen ist noch grundle­gen­der im kog­ni­tiv­en Sys­tem des Men­schen – und sicher­lich auch viel­er ander­er Lebe­we­sen – ver­ankert. Kat­e­gorisierung ist ein­er der zen­tralen Fähigkeit­en um die Umwelt zu struk­turi­eren und sich in ihr zurechtzufind­en. Ver­mut­lich ist Sprache also Ursache und Ergeb­nis der „Diskri­m­inierung“ (im Ursprünglichen Sinn) zwis­chen Entitäten in dieser Welt ist. Wir sehen Unter­schiede und ver­bal­isieren sie. Dies führt dann dazu, dass diese Unter­schiede später von Per­so­n­en gese­hen wer­den, die erst sprach­lich (impliz­it) darauf hingewiesen wer­den mussten.
    Ich denke nicht, dass sich dieser dynamis­che Prozess, der in vie­len Bere­ichen auch wichtig und gerecht­fer­tigt ist und die Basis von Ver­ständi­gung ist, unter­brechen lässt.

  7. FB

    Gut, wenn mein Kom­men­tar der­massen unver­ständlich war will ich mich etwas ver­ständlich­er for­mulieren (denn ich ver­folge ja tat­säch­lich keine bösen Absichten):
    Ganz grund­sät­zlich möchte ich anmerken, was auch Rhubarb eben betont hat: In der Dif­feren­zierung ist über­haupt erst ein Zugang zur Welt ermöglicht, worin sich der sprach­liche Aus­druck fern­er begrün­det sowie er immer auch in der diskri­m­inieren­den Betra­ch­tung angelegt sein muss. Dabei ist uns im sprach­lichen Aus­druck das Instru­ment zur Unter­schei­dung nicht nur an die Hand gegeben son­dern in sein­er konkreten Prä­gung auch kul­turell herange­tra­gen. So erscheint es doch irgend­wie hals­brecherisch, diesen umgekehrt dahinge­hend aufzulösen, als dass in ihm ger­ade jede Diskri­m­inierung aus­geschlossen sein soll, was zulet­zt natür­lich nur heis­sen kann, den sprach­lichen Aus­druck selb­st abzule­gen (Dirk: “Am Ende müsste man wohl über “Ding” reden.”) und so auch jeden Zugang zur Welt: sich selb­st zu verlieren.
    Beste Grüsse,
    FB

  8. Statistiker

    @ Rhubarb, sor­ry, aber diesen Schreibfehler finde ich köstlich: “Nun aber zu dem [PUNK] den ich eigentlich machen möchte.”
    Bitte nicht per­sön­lich nehmen, denn es fiel mir eins auf: Tat­säch­lich, wie Du richtig aus­führst, Unter­schei­dun­gen kön­nen nicht ver­mieden wer­den. Sie sind sog­ar teil­weise gewollt. Es macht Sinn, auf Unter­schei­dun­gen hinzuweisen. “Hey, da ist mein neuer Arbeit­skol­lege.” “Wer denn?” “Na, der Schwarze dort drüben” (ist jet­zt von AS geklaut, aber der verzei­ht das wohl).
    In diesem Fall ist die Erwäh­nung der Haut­farbe sin­nvoll (hups, ich sage nicht “macht Sinn”, hat hier ja auch einen anderen Zweck). Man will die Per­son ja möglichst schnell und ein­fach erken­nen. Anson­sten.… wen inter­essiert es, ob jemand weiß, schwarz oder wie auch immer gehaut­farbt ist. Mich nicht.
    Und da haben wir den PUNK. Der will ja ger­ade durch sein Ausse­hen auf­fall­en. Den erken­nt man, und manche fühlen sich durch sein Ausse­hen abgeschreckt. Aber warum will er auf­fall­en? Er müsste es ja nicht. Er will auf­fall­en, um damit eine Leben­se­in­stel­lung zum Aus­druck zu brin­gen, die nur ein­er absoluten Min­der­heit gefällt… also eine bewusste Weise, sich abzu­gren­zen mit einem konkreten Ziel.
    btw: Meine Omma selig müt­ter­lich­er­seits sagte noch mit 80 Jahren: “Die Punks finde ich okay. Die tun keinem etwas, die sind nett, die wollen ihre Ruhe haben, mit denen kann man reden und die freuen sich, wenn man denen mal ne Mark gibt, und bedanken sich höflich.” Deshalb fiel mir der PUNK so auf.…. Anerken­nung von ein­er Seite, von der man so etwas nie erwartet hätte…
    Okay, war jet­zt OT, musste aber mal sein, okay, AS?????

  9. Statistiker

    @ FB
    deut­lich bess­er, Danke.…
    Okay, ich fass es noch mehr zusam­men: Sprachliche
    Dif­feren­zierung = Diskriminierung
    Dif­feren­zierung = kul­turelle Unterscheidung
    ergo: Kul­turelle Unter­schei­dung = Diskriminierung
    Okay, das ist jet­zt vere­in­facht und logisch nicht kor­rekt, trifft aber die Prax­is (Der SIEHT anders aus, also IST er anders).
    Dies mag kor­rekt sein, aber ger­ade dies zwingt zur Über­legung: Eben der Klam­merzusatz ist falsch. Und das sollte man sich immer bewusst machen. Der Neger/Schwarze/Dunkelhäutige/Afroamerikaner etc ist nicht düm­mer oder schlauer als der Weiße/Blasse etc, er sieht vielle­icht anders aus, aber er ist nicht per se anders. un diese Erken­nt­nis fehlt vielen.
    Mir geht die Tol­er­anz gegenüber gewis­sen Leuten langsam ab. Wenn Mesut Özil von Bekannten/Verwandten mal wieder als Ölauge/Kanake/Ali beze­ich­net wird, kriegen die nur noch Feuer. Mesut Özil ist Deutsch­er, spielt für die deutsche National­mannschaft, ist in Deutsch­land aufgewach­sen, spricht per­fekt Deutsch und dann solche Dif­famierun­gen nur auf­grund seines Namens und seines nicht arischen Ausse­hens? Da ver­scheiße ich es mir lieber mit solchen Leuten, geh zum Dön­er-Laden und halte dort ein nettes Pläuschchen.
    So, musste mal raus. Vielle­icht auch zum Teil OT, aber AS ver­ste­ht das bestimmt.…

  10. mensch_in

    Danke
    Lieber AS,
    auf diesem Weg vie­len Dank für den Artikel, der jet­zt in meine Samm­lung von guten Basis­tex­ten wan­dern wird 🙂
    Ich habe den Ein­druck, dass Men­schen oft glauben, sie “müssten” bes­timmte Begriffe ver­wen­den. Aus der recht­sradikalen oder antifem­i­nis­tis­chen Ecke wird das dann gerne als über­mächtige Sprach­polizei dargestellt, die alle Sprachnutzer_innen zu ein­er bes­timmten Aus­druck­sweise zwingt. Aber auch in eher “linken” Kreisen (im dem Sinne, dass Geschlechterg­erechtigkeit oder Diskri­m­inierungs­frei­heit als Ziele all­ge­mein unter­stützt wer­den) gibt es meines Eracht­ens nach oft diese Vorstel­lung, dass qua­si “von oben” die aktuell poli­tisch kor­rek­te Aus­druck­sweise verord­net würde. So als gäbe es eine Art Gen­der-Zen­tralkom­mi­tee, das eine Liste zuläs­siger Begriffe veröf­fentlicht. Dementsprechend unre­flek­tiert wird Sprache ver­wen­det, so dass im Extrem­falle dann sog­ar rein männliche Grup­pen mit ein­er gegen­dert­ern Form beze­ich­net werden.
    Im Artikel wurde dage­gen m.E. gut begrün­det, wie diskri­m­inierende Sprache wirkt und warum es gut ist, auf den eige­nen Sprachge­brauch zu acht­en. Bleibt zu hof­fen, dass das in Zukun­ft dann auch öfters getan wird.

  11. Christoph Päper

    Sys­temis­che Diskriminierung

    Selb­st wenn ein solch­es „gener­isches Maskulinum“ existieren würde, würde es sich um eine höchst diskri­m­inierende Sprach­form handeln.

    Diskri­m­inierend ist das spez­i­fis­che Fem­i­ninum, nicht das (ihm hyper­onyme) Gener­ikum. Zurecht kri­tisiert der Artikel schließlich Lex­eme wie Blon­dine und Brünette, denen Kohy­ponyme für (weib­liche) Men­schen mit roten, schwarzen, grauen, …, ander­s­far­bigen oder keinen Haaren fehlen. Das gle­iche gilt für das (über­raschend rezente) Movierungsmor­phem („Movem“): dem weib­lichen {-in} fehlt (min­destens) der männliche Gegenpart!
    Darüber­hin­aus ist es nicht nur diachron min­destens unge­nau, vielle­icht sog­ar ein Fehlschluss, Mann als [+ männliche äußere Geschlechtsmerk­male] darzustellen, denn erstens gilt das nur für Mann‑Ø bzw. Mann1 (mit Plur­al Män­ner statt Man­nen zu Mann2), da auch Män­nin (nicht aber *Frauin oder *Fräuin) existiert, und zweit­ens gibt es das Wort (in diesem Fall ana­log zu Frau) auch auf Grund­lage ander­er Geschlechts­de­f­i­n­i­tio­nen, bspw. [+ männliche Sozialrolle].

    Eine Vielzahl psy­cho-lin­guis­tis­ch­er Stu­di­en zeigt, dass das Maskulinum im Prozess des Sprachver­ste­hens immer zunächst auf männliche Per­so­n­en bezo­gen wird und die gener­ische Inter­pre­ta­tion erst danach entsteht.

    Ich habe inzwis­chen einige dieser Stu­di­en gele­sen und – wenig über­raschend – keine stellt fest, dass es für den fra­g­los vorhan­de­nen m‑Bias eine Ursache im Sprach­sys­tem gibt. Es sind alles Effek­te des Sprachge­brauchs, der ja viel näher an der syn­chro­nis­chen Umwelt ist.
    Lei­der ist es in der Fem­i­nis­tis­chen (oder „egal­is­tis­chen“, „emanzi­pa­tiv­en“, „emanzi­pa­torischen“) Lin­guis­tik beina­he uni­versell üblich, Langue und Parole nicht zu unter­schei­den. Das (und der häu­fig vertretene Anspruch, präskrip­tiv oder wenig­stens sug­ges­tiv sein zu dür­fen) macht es mir so schw­er, sie als Wis­senschaft ern­stzunehmen. Als poli­tis­che Agen­da teile und vertrete ich die zugrun­deliegen­den Motive oft und gerne.
    Übri­gens fan­den manche Stu­di­en (auss­chließlich) beim Binnen‑I einen f‑Bias, den ich eher als sys­temisch akzep­tieren würde, da er wahrschein­lich auf orthographis­ch­er Nor­mal­isierung beruht.

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