In der heute erschienenen Ausgabe von Aus Politik und Zeitgeschichte (einer Beilage der Wochenzeitung Das Parlament) schreibe ich über „Sprache und Ungleichheit“. Eins der schwierigsten Themen überhaupt, das hier im Sprachlog regelmäßig Protest, Spott und Häme auslöst und mit dem ich selbst immer wieder kämpfen muss.
Die Gelegenheit, einige meiner Blogbeiträge zu diesem Thema in Form eines (populär-)wissenschaftlichen Aufsatzes noch einmal systematisch aufzuarbeiten, war mir deshalb sehr willkommen und ich freue mich über Feedback hier in den Kommentaren oder per E‑Mail (dabei gilt, wie immer und vor allem bei diesem Thema: Kommentare, in denen Gruppen von Menschen herabgewürdigt werden, sind nicht erwünscht und werden gelöscht).
Wer nicht weiß, woher er/sie Das Parlament bekommen soll, kann die Beilage (in der insgesamt neun höchst spannende Beiträge zum Thema „Ungleichheit“ enthalten sind, auf der Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung als PDF-Datei (2,5 MB) herunterladen (natürlich kostenlos).
[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Version enthält möglicherweise Korrekturen und Aktualisierungen. Auch die Kommentare wurden möglicherweise nicht vollständig übernommen.]
Übertragbarkeit und realer Effekt
Danke für diesen gut geschriebenen Artikel. Eine Grundannahme, die Sie treffen ist, dass die Sprache das Bewusstsein beeinflusst (Sapir-Whorf-Hypothese, wenn ich mich nicht irre). Insbesondere bei der geschlechtsneutralen Sprache ist das nach meinem bescheidenen Kenntnisstand ja durchaus nicht unumstritten.
Gibt es Belege dafür, dass in Sprachkreisen, deren Sprachen weniger stark nach Geschlecht differenziert, eine geringere Diskriminierung nach Geschlecht real stattfindet? Im Ungarischen gibt es in der dritten Person Singular keine Unterscheidung nach Geschlecht (Er/Sie), ebenso im Türkischen. Trotzdem sind mir diese beiden Kulturkreise bisher nicht durch eine außerordentliche Gleichberechtigung von Mann und Frau aufgefallen. Dieser Umstand verunsichert mich immer wieder, wenn ich überlege, selbst geschlechtsneutrale Sprache zu verwenden: Ich bin mir des Erfolgs unsicher. Können Sie mir hier vielleicht noch mehr Argumente nennen oder referenzieren?
Und noch eine andere Frage, auf die ich keine Antwort habe: Ist „die Geisel“ ein generisches Feminimum?
Sehr geehrter Herr Stefanowitsch,
Die Differenzierung ergibt sich notwendig als Grundlage der Sprache, insofern, als dass nur in der Differenzierung der Mensch sich überhaupt Zugang zur Welt verschaffen und so, im Urteil, sprachlich zu Aussagen über Eigenschaften kommen kann – ohne Differenzierung keine Aussage und also auch kein sprachlicher Ausdruck. Nun ist, wie Sie schreiben, die ‘Diskriminierung’ der ‘Differenzierung’ irgendwie inhärent, zumindest insofern, als dass die ‘isolierte’ Betrachtung eines Objektes all das ausschliesst, was nicht mit dem betrachteten Objekt identisch ist – mithin gerade auf dessen Identifizierung beruht – weshalb jede Identifizierung gleichermassen Differenzierung, et vice versa, und, zumindest im Moment dieser Betrachtung, eben insbesondere auch Diskriminierung ist. Wenn sie Ihre Überlegungen auch nur auf einen, nichts für ungut, etwas ‘periphereren’ Bereich anwenden, so möchte ich doch ganz grundsätzlich fragen: So es stimmt, dass sich der Mensch nur dadurch einen Zugang zur Welt verschaffen kann, insofern er unterscheidet, also sowohl identifiziert als auch diskriminiert, was er vorfindet (während ja nur vorzufinden ist, was spezifische Eigenschaften, id est Identität hat und also von sich aus ‘unterscheidbar’ ist!) muss ich doch fragen, inwiefern es überhaupt anzustreben wäre, die Sprache gerade dahin zu umzuformen, jener Differenzierung fürderhin keinen Ausdruck mehr verleihen zu dürfen? – Zumal die Differenzierung bezüglich der Objekte ein Subjekt impliziert, das zur Unterscheidung überhaupt fähig ist; der Mensch mag sich historisch und kulturell in der Sprache selbst stetig dazu befähigen: ist jedenfalls insbesondere sein eigenes Objekt der Betrachtung und gewinnt erst darin seine Identität, indem er sich selbst unterscheidet.
Vielleicht frage ich auch viel zu weit.
Beste Grüsse,
FB
Ich finde deinen Artikel sehr lesenswert. Was ihn für mich besonders wertvoll macht, ist die Tatsache, dass du mir klar machen konntest was andere nicht konnten (und vielleicht nicht wollten, weil sie es schon so oft erklärt hatten), wie und warum Sprache diskriminiert. Allerdings frage ich mich auch, ob es überhaupt möglich sein kann, nicht diskriminierend zu sprechen.
Spricht man von Menschen statt Männern und Frauen, Mädchen und Jungen, diskriminiert man gegenüber Nicht-Menschen. Und vermutlich kann man wieder Beispiele finden, die z.B. die Unterscheidung zwischen Menschenaffen und Menschen in Frage stellen. Am Ende müsste man wohl über “Ding” reden.
Aber was mir noch aufgefallen ist. Du erwähnst darin diese Alternativen wie “Studierende” statt “Studenten/Studentinnen” die man im Alltag verwenden kann und sollte. Dabei ist mir etwas interessantes (zumindest für mich interessant) aufgefallen, bei den Erwähnungen von weiteren möglichen Alternativwörtern: Backkraft für Bäcker/Bäckerin ging noch (wobei Backkraft auch fast das Verkaufspersonal an der Theke mit einschließt).
Bei Gesellschaftsmitglied statt Bürger/Bürgerin wurde ich schon tutzig. Irgendwie beschreiben diese weiteren Alternativwörter nicht die Summe der “diskriminierenden Wörter”. Ich glaube, es liegt daran, dass sie nichts mehr vom urprüglichen Wort enthalten. Bei Backkraft ist noch das “Back” aus Bäcker/Bäckerin drin. Aber beim “Gesellschaftsmitglied” ist nichts mehr vom ürspünglichen enthalten.
Ich gebe zu, zuerst dachte ich, dass dies deshalb schlechte Alternativen sind. Mittlerweile denke ich, dass es sogar die Besseren sind. In ihnen sind die urspünglichen Verknüpfungen nicht mehr enthalten. Beim Wort Bürger/in schwingt immer eine bestimmte Bedeutung mit, die andere ausschließt, die im urspünglichen Sinn z.B. keine Bürger waren (Sklaven z.B.). Ich habe das Gefühl, dass es auch heute noch Mitglieder der Gesellschaft gibt, die keine Bürger/innen sind. Auf diese Weise könnte das Wort Gesellschaftsmitglied nicht nur weniger diskriminierend hinsichtlich der Geschlechter sein sondern auch anderer Gruppen.
Also viele Dank für den Artikel, er hat mir sehr viele Denkanstöße gegeben!
Mal wieder
ein gelungener Artikel, auch wenn mir als regelmäßigem Leser das meiste schon bekannt war.
Tja, und bei Bürger/Bürgerin gibt es tatsächlich eine Differenzierung (ich kann hierbei nur auf die Gemeindeordnung meines Bundeslandes abstellen, da mir weitere nicht bekannt sind): Bürger/in ist, wer wahlberechtigt zu Kommunalwahlen ist, und dazu gehört u.a., dass man mindestens sechs Monate in der Gemeinde wohnt. Alle anderen sind “nur” Einwohner/innen. Das zeigt sich in Begriffen wie “Bürgerbegehren” und “Einwohnerantrag”.
@ FB: Sie haben es geschafft, in Ihrem Posting Sätze mit nicht nur 55, sondern sogar 69 Wörtern zu formulieren. Ein treffender Grund, solche Postings einfach zu ignorieren, da hier vermutet werden kann, dass solche Satzgebilde nur zur möglichst großen Unverständlichkeit und genau zu diesem Zweck formuliert wurden. Presseagenturen lehnen solche Meldungen aus diesem Grunde ab.
Brrr.….
Peinlich.… Ein offensichtlicher Grammatikfehler in meinem Posting.… *ascheübermeinhauptstreuundschlafengeh*
Kategorisierung als kognitive Fähigkeit
Ich finde den Artikel auch gut und stimme zu, dass Sprachgebrauch an sich und die aktuelle “Version” der deutschen Sprache Unterscheidungen zwischen Kategorien trifft, die so nicht nötig wären. Ich bin aber eher pessimistisch, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern wird – beispielhaft soll hier die Binnen-I-Entfernungs-Firefox-Extension erwähnt werden. Außerdem bezweifle ich, das ein Sprachwandel hin zu diskriminierungsfreier Sprache per Dekret möglich ist. Es müsste schon eine hinreichend einflussreiche (=große) Grassroots-Bewegung geben, die sich selbst eine solche Sprechweise angewöhnt/auferlegt und somit versucht den aktiv Einfluss auf den Sprachwandel zu nehmen (hat so etwas jemals funktioniert?).
Nun aber zu dem Punk den ich eigentlich machen möchte. Natürlich ist „[d]as Treffen von Unterscheidungen […] sowohl Kernfunktion als auch grundlegendes Strukturprinzip von Sprache“, aber das Treffen von Unterscheidungen ist noch grundlegender im kognitiven System des Menschen – und sicherlich auch vieler anderer Lebewesen – verankert. Kategorisierung ist einer der zentralen Fähigkeiten um die Umwelt zu strukturieren und sich in ihr zurechtzufinden. Vermutlich ist Sprache also Ursache und Ergebnis der „Diskriminierung“ (im Ursprünglichen Sinn) zwischen Entitäten in dieser Welt ist. Wir sehen Unterschiede und verbalisieren sie. Dies führt dann dazu, dass diese Unterschiede später von Personen gesehen werden, die erst sprachlich (implizit) darauf hingewiesen werden mussten.
Ich denke nicht, dass sich dieser dynamische Prozess, der in vielen Bereichen auch wichtig und gerechtfertigt ist und die Basis von Verständigung ist, unterbrechen lässt.
Gut, wenn mein Kommentar dermassen unverständlich war will ich mich etwas verständlicher formulieren (denn ich verfolge ja tatsächlich keine bösen Absichten):
Ganz grundsätzlich möchte ich anmerken, was auch Rhubarb eben betont hat: In der Differenzierung ist überhaupt erst ein Zugang zur Welt ermöglicht, worin sich der sprachliche Ausdruck ferner begründet sowie er immer auch in der diskriminierenden Betrachtung angelegt sein muss. Dabei ist uns im sprachlichen Ausdruck das Instrument zur Unterscheidung nicht nur an die Hand gegeben sondern in seiner konkreten Prägung auch kulturell herangetragen. So erscheint es doch irgendwie halsbrecherisch, diesen umgekehrt dahingehend aufzulösen, als dass in ihm gerade jede Diskriminierung ausgeschlossen sein soll, was zuletzt natürlich nur heissen kann, den sprachlichen Ausdruck selbst abzulegen (Dirk: “Am Ende müsste man wohl über “Ding” reden.”) und so auch jeden Zugang zur Welt: sich selbst zu verlieren.
Beste Grüsse,
FB
@ Rhubarb, sorry, aber diesen Schreibfehler finde ich köstlich: “Nun aber zu dem [PUNK] den ich eigentlich machen möchte.”
Bitte nicht persönlich nehmen, denn es fiel mir eins auf: Tatsächlich, wie Du richtig ausführst, Unterscheidungen können nicht vermieden werden. Sie sind sogar teilweise gewollt. Es macht Sinn, auf Unterscheidungen hinzuweisen. “Hey, da ist mein neuer Arbeitskollege.” “Wer denn?” “Na, der Schwarze dort drüben” (ist jetzt von AS geklaut, aber der verzeiht das wohl).
In diesem Fall ist die Erwähnung der Hautfarbe sinnvoll (hups, ich sage nicht “macht Sinn”, hat hier ja auch einen anderen Zweck). Man will die Person ja möglichst schnell und einfach erkennen. Ansonsten.… wen interessiert es, ob jemand weiß, schwarz oder wie auch immer gehautfarbt ist. Mich nicht.
Und da haben wir den PUNK. Der will ja gerade durch sein Aussehen auffallen. Den erkennt man, und manche fühlen sich durch sein Aussehen abgeschreckt. Aber warum will er auffallen? Er müsste es ja nicht. Er will auffallen, um damit eine Lebenseinstellung zum Ausdruck zu bringen, die nur einer absoluten Minderheit gefällt… also eine bewusste Weise, sich abzugrenzen mit einem konkreten Ziel.
btw: Meine Omma selig mütterlicherseits sagte noch mit 80 Jahren: “Die Punks finde ich okay. Die tun keinem etwas, die sind nett, die wollen ihre Ruhe haben, mit denen kann man reden und die freuen sich, wenn man denen mal ne Mark gibt, und bedanken sich höflich.” Deshalb fiel mir der PUNK so auf.…. Anerkennung von einer Seite, von der man so etwas nie erwartet hätte…
Okay, war jetzt OT, musste aber mal sein, okay, AS?????
@ FB
deutlich besser, Danke.…
Okay, ich fass es noch mehr zusammen: Sprachliche
Differenzierung = Diskriminierung
Differenzierung = kulturelle Unterscheidung
ergo: Kulturelle Unterscheidung = Diskriminierung
Okay, das ist jetzt vereinfacht und logisch nicht korrekt, trifft aber die Praxis (Der SIEHT anders aus, also IST er anders).
Dies mag korrekt sein, aber gerade dies zwingt zur Überlegung: Eben der Klammerzusatz ist falsch. Und das sollte man sich immer bewusst machen. Der Neger/Schwarze/Dunkelhäutige/Afroamerikaner etc ist nicht dümmer oder schlauer als der Weiße/Blasse etc, er sieht vielleicht anders aus, aber er ist nicht per se anders. un diese Erkenntnis fehlt vielen.
Mir geht die Toleranz gegenüber gewissen Leuten langsam ab. Wenn Mesut Özil von Bekannten/Verwandten mal wieder als Ölauge/Kanake/Ali bezeichnet wird, kriegen die nur noch Feuer. Mesut Özil ist Deutscher, spielt für die deutsche Nationalmannschaft, ist in Deutschland aufgewachsen, spricht perfekt Deutsch und dann solche Diffamierungen nur aufgrund seines Namens und seines nicht arischen Aussehens? Da verscheiße ich es mir lieber mit solchen Leuten, geh zum Döner-Laden und halte dort ein nettes Pläuschchen.
So, musste mal raus. Vielleicht auch zum Teil OT, aber AS versteht das bestimmt.…
Danke
Lieber AS,
auf diesem Weg vielen Dank für den Artikel, der jetzt in meine Sammlung von guten Basistexten wandern wird 🙂
Ich habe den Eindruck, dass Menschen oft glauben, sie “müssten” bestimmte Begriffe verwenden. Aus der rechtsradikalen oder antifeministischen Ecke wird das dann gerne als übermächtige Sprachpolizei dargestellt, die alle Sprachnutzer_innen zu einer bestimmten Ausdrucksweise zwingt. Aber auch in eher “linken” Kreisen (im dem Sinne, dass Geschlechtergerechtigkeit oder Diskriminierungsfreiheit als Ziele allgemein unterstützt werden) gibt es meines Erachtens nach oft diese Vorstellung, dass quasi “von oben” die aktuell politisch korrekte Ausdrucksweise verordnet würde. So als gäbe es eine Art Gender-Zentralkommitee, das eine Liste zulässiger Begriffe veröffentlicht. Dementsprechend unreflektiert wird Sprache verwendet, so dass im Extremfalle dann sogar rein männliche Gruppen mit einer gegendertern Form bezeichnet werden.
Im Artikel wurde dagegen m.E. gut begründet, wie diskriminierende Sprache wirkt und warum es gut ist, auf den eigenen Sprachgebrauch zu achten. Bleibt zu hoffen, dass das in Zukunft dann auch öfters getan wird.
Systemische Diskriminierung
Diskriminierend ist das spezifische Femininum, nicht das (ihm hyperonyme) Generikum. Zurecht kritisiert der Artikel schließlich Lexeme wie Blondine und Brünette, denen Kohyponyme für (weibliche) Menschen mit roten, schwarzen, grauen, …, andersfarbigen oder keinen Haaren fehlen. Das gleiche gilt für das (überraschend rezente) Movierungsmorphem („Movem“): dem weiblichen {-in} fehlt (mindestens) der männliche Gegenpart!
Darüberhinaus ist es nicht nur diachron mindestens ungenau, vielleicht sogar ein Fehlschluss, Mann als [+ männliche äußere Geschlechtsmerkmale] darzustellen, denn erstens gilt das nur für Mann‑Ø bzw. Mann1 (mit Plural Männer statt Mannen zu Mann2), da auch Männin (nicht aber *Frauin oder *Fräuin) existiert, und zweitens gibt es das Wort (in diesem Fall analog zu Frau) auch auf Grundlage anderer Geschlechtsdefinitionen, bspw. [+ männliche Sozialrolle].
Ich habe inzwischen einige dieser Studien gelesen und – wenig überraschend – keine stellt fest, dass es für den fraglos vorhandenen m‑Bias eine Ursache im Sprachsystem gibt. Es sind alles Effekte des Sprachgebrauchs, der ja viel näher an der synchronischen Umwelt ist.
Leider ist es in der Feministischen (oder „egalistischen“, „emanzipativen“, „emanzipatorischen“) Linguistik beinahe universell üblich, Langue und Parole nicht zu unterscheiden. Das (und der häufig vertretene Anspruch, präskriptiv oder wenigstens suggestiv sein zu dürfen) macht es mir so schwer, sie als Wissenschaft ernstzunehmen. Als politische Agenda teile und vertrete ich die zugrundeliegenden Motive oft und gerne.
Übrigens fanden manche Studien (ausschließlich) beim Binnen‑I einen f‑Bias, den ich eher als systemisch akzeptieren würde, da er wahrscheinlich auf orthographischer Normalisierung beruht.