Sprachbrocken 14/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Unsere Sprache kön­nte ja so schön sein, wenn sie nur irgend­wie anders wäre. Nicht so englisch, nicht so preußisch, nicht so voller inner­er Prägungen.

In Sen­ften­berg irren Senioren sprach­lich völ­lig ori­en­tierungs­los durch die Straßen, berichtet die Lausitzer Rund­schau. Der Grund: Ein Wer­be­flächenan­bi­eter wirbt für seine Wer­be­flächen mit den deutsch-englis­chen Wort­spiel Miet Me!. Eigentlich sind die Rent­ner der Kreis­stadt ja weltof­fene Men­schen, aber diese „Englisch-Schwemme“ geht dann doch zu weit: „Ist es denn zu viel ver­langt, dass im Stadt­bild deutsche Begriffe ver­wen­det wer­den?“ fragt eine pen­sion­ierte Deutschlehrerin, deren Englis­chunter­richt zu lange her ist, um ihr bei Wörtern wie Sale und Open noch nüt­zlich zu sein. Wir rat­en ihr, das Mot­to ihrer Heimat­stadt zu beherzi­gen: investieren studieren flanieren.

Im Bay­erischen Grafen­wöhr ist man bei der Rein­hal­tung der Sprache schon einen ganzen Schritt weit­er: Nicht gegen englis­ches, son­dern gegen preußis­ches Lehngut wehrt man sich dort. „Mit dem ‚Fördervere­in Bairische Sprache und Dialek­te‘ im Rück­halt, wagen immer mehr Men­schen sich der Gruß­formel ‚Tschüss‘ öffentlich zu wider­set­zen“, erfahren wir auf Oberpfalznet.de. Wer ihnen dieses Wörtchen in all den Jahren aufgezwun­gen hat, erfahren wir nicht, aber das „komis­che Fernse­hdeutsch“ scheint dabei eine zen­trale Rolle gespielt zu haben. Wir sagen: „Pfüa di Gott, Grafen­wöhr! Schee woas mit eich.“

Das eigentliche Prob­lem unser­er Sprache liegt aber in ganz harm­los daherk­om­menden deutschen Wörtern, und ohne die „Ling­va Eter­na-Dozentin“ Brigit­ta Ziemert und kreiszeitung.de hät­ten wir das wohl nie erfahren: Denn Wörter enthal­ten „indi­vidu­elle Spe­icherun­gen“ und „innere Prä­gun­gen“, die uns ein­fach nicht gut tun. Ein Beispiel gefällig?

Eine Tages­mut­ter berichtete, dass ihre Ras­sel­bande wesentlich fried­fer­tiger miteinan­der umge­ht, seit­dem sie das „kriegen“ aus der Sprache genom­men hat­te. „Mit dem Wort „kriegen“ laden wir uns den Krieg in das Leben ein. Wir haben andere Möglichkeit­en in unser­er Sprache, beispiel­sweise ich bekomme oder ich erhalte etwas“, stellt die Fach­frau heraus.

Wofür sie Fach­frau ist, lässt der Artikel offen, aber ich ver­mute, sie hat ihre sprach­liche Exper­tise aus dem Inter­net. Dort sind solche „inneren Prä­gun­gen“ schon lange in Form des Mems „I put the X in Y“ bekan­nt, dessen Leer­stellen so zu füllen sind, dass X ein Teil von Y ist: „I put the ass in class“, „I put the me in awe­some“ — und jet­zt eben auch „I put the Krieg in kriegen“.

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

21 Gedanken zu „Sprachbrocken 14/2012

  1. suz

    Wofür sie Fach­frau ist? Ste­ht doch da: Ling­va Eter­na, sowas wie Linguistikhomöopathie.

  2. Bonaventura

    I put the sch… in schmeißen
    Das erin­nert mich an einen Lehrer an mein­er Schule, der den Schülern immer riet, wer­fen statt schmeißen zu sagen, da man in wer­fen nicht das m vergessen könne.

  3. Opa Hans

    Kriegen und Frieden
    Mal abge­se­hen, von dem Schwachsinn, den die “Fach­frau” das verzapft, ist das (für mich Laien) sprach­lich inter­es­sant. Ich habe nachgeschla­gen: “kriegen” im Sinne von “bekom­men” scheint wirk­lich mit Krieg zusam­men zu hän­gen, im Sinne von “sich erkriegen, erkämpfen”. Meint jeden­falls Kluges Ety­mol­o­gis­ches Wörterbuch.

  4. be99y

    Ich ver­suche schon seit län­gerem das Wort kriegen zu ver­mei­den, weil es mir zu mil­i­tant daher kommt.
    Wenn ich deswe­gen jet­zt aber ein besser­er Men­sch werde soll ist das aber doch an den Haaren her­bei gezogen.
    Höflichkeit und gepflegter Aus­druck schadet aber nix, da hat das Wort Lin­guis­tikhomöopathie schon seine Berechtigung

  5. Forodrim

    kriegen
    wenn ich etwas sofort haben will, sag ich dann “ich will das blitzkriegen”?

  6. Statistiker

    Ich krieg
    grad die Krise.….
    Solche geisti­gen Flach­pfeifen wie diese ange­bliche “Lehrerin” durfte unsere Kinder verziehen? Schreck­lich. Da krieg ich die Krise. Ja, ich “krieg” die, was ist an diesem Wort denn dran? “Krieg” ist ein Sub­jek­tiv, “kriegen” ein Verb mit ganz ander­er Bedeutung.
    Oder soll man sagen “jet­zt friedensver­trags euch mal schön”????? Däm­lich, wirk­lich nur dämlich.
    Was mir am meis­ten auf­fällt: Diese Pam­flete (ja, ich lehne das “ph” ab) kann man nur kom­men­tieren, wenn man sich angemeldet hat. Da ist grund­sät­zlich nichts gegen einzuwen­den, ABER: Man schreibt einen Kom­men­tar, stellt dann fast, dass man sich reg­istri­eren muss, und danach ist der Kom­men­tar weg. Sollte man ihn also vorher nicht abge­spe­ichert haben, muss man alles neu schreiben. Ein Schelm, wer Bös­es dabei denkt.…

  7. M. Gieg

    Innere Prä­gung
    Meine liebste:
    You can’t spell laugh­ter with­out manslaughter!

  8. dee

    Krieg” und “kriegen”
    Auch das Grimm­sche Lexikon behauptet einen Zusam­men­hang zwis­chen “Krieg” udn “kriegen”.
    Aus dem All­t­agsleben kann ich nur hinzuset­zen, dass die Schweiz­er solche Sätze wie “Ich krieg’ [dies und das]…” als Bestel­lung und Auf­trag im Laden oder Restau­rant als extrem unhöflich und zutief­st “deutsch” und arro­gant empfind­en. Es ist dort “non-pc”.
    Doch — Worte haben einen “Geruch”. Und wenn Du den in Fällen von “pc” vs. “non-pc” manch­es riechen kannst, was ich nicht rieche, wenn ich aber im “kriegen” etwas rieche, was Du nicht riechst — dann kann ich Dein­er Nase nicht so recht fol­gen. Oder Du mein­er nicht. Unter­schiedliche Riech­schwellen für unter­schiedlich stinkige Odorantien..

  9. impala

    Aus dem All­t­agsleben kann ich nur hinzuset­zen, dass die Schweiz­er solche Sätze wie “Ich krieg’ [dies und das]…” als Bestel­lung und Auf­trag im Laden oder Restau­rant als extrem unhöflich und zutief­st “deutsch” und arro­gant empfind­en. Es ist dort “non-pc”.

    Ich weiß ja nicht, wen aus Deutsch­land so in die Schweiz treibt (ich bin noch nie dort gewe­sen und werde wahrschein­lich auch nicht in abse­hbar­er Zeit hinkom­men), aber ich habe sel­ten jeman­den “ich krieg zwei Brötchen” beim Bäck­er sagen hören. Dies ist wahrschein­lich eher ein einge­bildetes Deutschen­klis­chee in der Schweiz (wenn es über­haupt ein Klis­chee ist).

  10. David

    ich habe sel­ten jeman­den “ich krieg zwei Brötchen” beim Bäck­er sagen hören.

    Mit “kriegen” habe ich das auch sel­ten gehört, aber mit “bekom­men” ist mir das schon öfter aufge­fall­en, und es ist auch mir als Nicht-Schweiz­er sog­ar in dieser Form eher unan­genehm. Das liegt ver­mut­lich an der Anmaßung des Wis­sens darüber, wie sich der oder die Ange­sproch­ene ver­hal­ten wird. Die angemessene Antwort wäre m.E. “wie kom­men sie denn auf die Idee?”

  11. WFHG

    Wie sang Gayle Tufts schon vor eini­gen Jahren: “Who put the sex into my Sechskornbrötchen?”

  12. Pardel Lux

    Kinder, Kinder…
    Wenn das “kriegen” also kriegerisch macht, müssten all die anderen Kinder der ander­sprachi­gen Welt, Tro­jan­er, Spar­tan­er, Azteken usw. die Fried­fer­tigkeit in Per­son sein. Bei ihnen wird es ja anders gesagt! Nur von Deutsch­land kön­nte Übel kom­men. Plumper Glaube an Magie ist das. Nur, weil ich Sim­sal­abim rufe, öffnet sich noch lange kein Sesam. Dafür rufen die größten Krieger gerne “Frieden!”. Wer hat dieser Frau ein­gentlich diese Aufmerk­samkeit geschenkt, und wozu?

  13. David

    Wenn das “kriegen” also kriegerisch macht, müssten all die anderen Kinder der ander­sprachi­gen Welt, Tro­jan­er, Spar­tan­er, Azteken usw. die Fried­fer­tigkeit in Per­son sein. Bei ihnen wird es ja anders gesagt!

    Und wenn Wass­er fett machen würde, müßten alle, die sich nur von Cur­ry­wurst mit Pommes ernähren, gerten­schlank sein?

  14. Peter H.

    ich kriege zwei Brötchen” ist an der Saar (im rhe­in­fränkischen Teil) dur­chaus üblich, allerd­ings wird mundartlich “isch krie’n …” gesprochen, damit ist der Krieg dann aussen vor.

  15. David

    @Pardel Lux
    Exakt. Es freut mich, Ihnen mäeutis­cher­weise behil­flich gewe­sen sein zu dürfen.

  16. Falco Pfalzgraf

    Sprach­wis­senschaft und Medien
    Hin­länglich bekan­nt ist, daß sich “die Medi­en” bei Sprach­fra­gen statt an Sprach­wis­senschaftler lieber an Redak­teure, Jour­nal­is­ten, Schrift­steller, Poli­tik­er, Sänger, VDS-Leute und der­gle­ichen wen­den. Aber die “Ling­va Eter­na-Dozentin” in der “Kreiszeitung” schlägt doch nun wirk­lich dem Faß den Boden aus. Kom­men wir also zur Kern­frage: Kann (und will) sich die Sprach­wis­senschaft im öffentlichen Diskurs Gehör verschaffen?

  17. oh

    Zu all dem hat­te schon mal jemand eine
    Lösung:
    Gram­ma­tis­che Deutschheit
    Neulich deutscht­en auf deutsch vier deutsche Deutschlinge deutschend,
    Sich überdeutschend am Deutsch, welch­er der deutscheste sei.
    Vier deutschnamig benan­nt: Deutsch, Deutscherig, Deutscher­ling, Deutschdich:
    Selb­st so hat­ten zu deutsch sie sich die Namen gedeutscht.
    Jet­zt wettdeutscht­en sie, deutschend in gram­matikalis­ch­er Deutschheit,
    Deutscheren Kom­par­a­tiv, deutschesten Superlativ.
    “Ich bin deutsch­er als deutsch.” “Ich deutscher­er.” “Deutschester bin ich.”
    “Ich bin der Deutscher­este oder der Deutschestere.”
    Drauf durch Kom­par­a­tiv und Superla­tiv fortdeutschend,
    Deutscht­en sie auf bis zum — Deutschesteresteresten,
    Bis sie vor kom­par­a­tivis­tisch- und superla­tivis­tis­ch­er Deutschung
    Den Pos­i­tiv von deutsch hat­ten vergessen zuletzt.
    Friedrich Rück­ert (1788–1866)

  18. Thankmar

    Hm, ich weiss noch genau, wie ich als Kind sehr ent­täuscht war, dass kriegen eben fan­gen spie­len bedeutete. Gefreut hat­te ich mich auf ein paar nachgestellte Schar­mützel Gut gegen Böse. Ganz so absurd finde ich den Zusam­men­hang daher nicht, aber den Hand­lungs­be­darf seh ich auch nicht.

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