Sprachbrocken 10/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Auf vielfachen (genau genom­men: vier­fachen) Wun­sch kehrt heute die Press­eschau ins Sprachlog zurück, in der wir auf mehr oder weniger wichtige sprach­be­zo­gene Mel­dun­gen der ver­gan­genen Woche zurück­blick­en. Die ver­wirrende Num­mer 10 im Titel bezieht sich dabei auf die Kalenderwoche.

Felix Mag­a­th hat den Grund für die schlechte Leis­tung seines VfL Wolfs­burg iden­ti­fiziert: Die Sprach­bar­ri­eren zwis­chen den Spiel­ern aus immer­hin 15 ver­schiede­nen Län­dern sind Schuld. Wie Eurosport meldet, wird Mag­a­th in Zukun­ft seine Mannschaft nach der Mut­ter­sprache der Spiel­er sortiert auf­stellen. Ob diese Strate­gie Früchte trägt, wer­den wir dann schon heute Nach­mit­tag erfahren.

Weniger offen für Fremd­sprachen zeigt sich laut Ham­burg­er Abend­blatt die Gas­tronomie in mein­er Ex-Wahlheimat, dem Ham­burg­er Stadt­teil Ottensen. Dort will man sich auf die deutsche Sprache zurückbesin­nen: Statt zur Hap­py Hour wür­den Cock­tails immer häu­figer zur Fro­hen Stunde ange­boten. Die deutsche Alter­na­tive klinge ein­fach nicht so bil­lig und abgenutzt wie das englis­che Lehn­wort, heißt es zur Begrün­dung. Dabei geht es doch bei der Hap­py Hour genau darum — ums Bil­lige. Aber pass­nder als das sein­erzeit von der längst verblich­enen „Aktion Lebendi­ges Deutsch“ vorgeschla­gene Blaue Stunde ist der Aus­druck Fro­he Stunde allemal.

Wer fro­her Hoff­nung ist und noch keinen Namen für den Fam­i­lien­zuwachs hat, sollte die Fin­ger nicht nur von bil­li­gen Cock­tails lassen, son­dern auch von Sophie, Max­i­m­il­ian, Alexan­der, Marie/a, Mia, Paul und den übri­gen Top 10 der Mäd­chen- und Jun­gen­na­men, die die Gesellschaft für deutsche Sprache ger­ade für 2011 ermit­telt hat (und die fast iden­tisch zu den Top 10 für 2010 sind). Wer das nicht tut, kann das eigene Kind auf dem Spielplatz nicht zur Ord­nung rufen, ohne dass sich ein großer Teil der anwe­senden Kinder gle­ich mit ange­sprochen fühlt. Lieber sollte man dem Vor­bild von Jes­si­ca Simp­son fol­gen, die dem Klatsch­por­tal E!Online ver­ri­et, dass ihre Tochter einen „unkon­ven­tionellen“ Namen bekom­men werde — allerd­ings keinen, den man „dem Wörter­buch hinzufü­gen“ müsse.

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

15 Gedanken zu „Sprachbrocken 10/2012

  1. D. Müller

    Babel-Fußball
    Das kommt davon: Alles Geld in teure Trans­fers investiert, und jet­zt fehlt der Zaster für den VHS-Sprachkurs …

  2. Antje Radcke

    Vielfach­er Wunsch
    Hätte ich die Press­eschau vorher gekan­nt, kön­nten Sie sich auf einen fünf­fachen Wun­sch beziehen.
    Danke für die Wiedere­in­führung, die mir diese Neuent­deck­ung möglich macht.

  3. kreetrapper

    Ich hat­te die Press­eschau ganz vergessen, bin aber den­noch sehr froh, daß sie wieder da ist. Beson­ders die Mel­dung über Wolfs­burg ist superk­lasse. Danke.

  4. Klausi

    Weniger offen für Fremdsprachen
    …ist natür­lich Ham­burg, Par­don, Hum­bug. Und “Hap­py Hour” ist bil­lig, stimmt. Das haben nun anscheinend auch andere bemerkt.
    Ham­burg ist eine der ver­denglisiertesten Städte Deutsch­lands. Und ist darin schon immer führend gewe­sen, in Ham­burg darf noch nicht ein­mal der Hafen­meis­ter mehr Hafen­meis­ter heißen. Nun hat aber die Ablehnung von Denglisch oder über­flüs­siger Anglizis­men nichts mit ein­er Fremd­sprachen­pho­bie zu tun und seit wann darf man sprach­liche Irrwege oder Albern­heit­en nicht mehr korrigieren?
    Die sich abze­ich­nende Entwick­lung ist sehr erfreulich. Neue Frisör­lä­den heißen nun “Haarklein” oder “Haar­fein”, den “Kaf­fee zum Gehen” gibt es nun auch wieder zum Mit­nehmen, eine Mod­en­marke für Hand­taschen hat sich den Namen “Liebe­skind” gegeben und ein Par­füm von Joop heiß “Freigeist”.
    Alle­samt schöne Wörter, die ich gegen keinen Anglizis­mus (des Jahres) ein­tauschen möchte.

  5. Ludwig Trepl

    Aller­lei
    “Die deutsche Alter­na­tive klinge ein­fach nicht so bil­lig und abgenutzt wie das englis­che Lehn­wort, heißt es zur Begrün­dung. Dabei geht es doch bei der Hap­py Hour genau darum”.
    Brin­gen Sie da nicht zwei etwas ver­schiedene Bedeu­tun­gen von “bil­lig” durcheinander?
    Und: Ist “hap­py hour” wirk­lich schon ein Lehn­wort — gehört also in die gle­iche Gruppe wie “Sport” und “Adresse” — und nicht ein­fach ein im Deutschen häu­figer gebraucht­es fremd­sprachiges Wort? Reicht es dafür bere­its, ein paar Jahre in manch­er Kreisen üblich zu sein? “74@028F0” ist ja auch in manchen Kreisen sehr ver­bre­it­et, und doch würde man es kaum als Lehn­wort bezeichnen.
    Zu “Max­i­m­il­ian”: War das nicht ein­er der Namen, die, wie auch “Huber­tus”, vor kurzem noch als Alter­na­tive zu “Kevin” emp­fohlen wur­den? Mit dem man also was wer­den kann?

  6. Ludwig Trepl

    Nach­trag
    das Pro­gramm kann offen­bar keine rus­sis­chen Buch­staben. “74@028F0” ist das rus­sis­che Wort für “prost” oder “prosit”.

  7. Anatol Stefanowitsch

    Hafen­meis­ter
    Selb­stver­ständlich darf ein Hafen­meis­ter in Ham­burg „Hafen­meis­ter“ heißen. Der „Hafen­meis­ter“ des Ham­burg­er Hafens — immer­hin dem acht­größten Con­tain­er­hafen der Welt — heißt aber natür­lich „Hafenkapitän“ — um einen Hafen­meis­ter zu find­en, muss man sich in einen der kleineren Sport- oder Segel­häfen begeben. Der Hafenkapitän in Ham­burg leit­et übri­gens — was auch immer die Sprach­nör­gler behaupten mögen — das ganz tra­di­tionell benan­nte Hafe­namt (in Ham­burg heißt es „Ober­hafe­namt“).

  8. Klausi

    Hafen­meis­ter
    …und das Ober­hafe­namt ist seit 2005 der “Port Author­i­ty” unter­ge­ord­net. Sind Sie sich­er, dass der Hafenkapitän nicht schon längst “Cap­tain of the Port” genan­nt wird?

  9. Anatol Stefanowitsch

    Hafenkapitän
    @Klausi: Das Ober­hafe­namt heißt nach wie vor gut­deutsch „Ober­hafe­namt“. Die Ham­burg Port Author­i­ty ist eine neu geschaf­fene Organ­i­sa­tion, für die keine Insti­tu­tion ihren gut­deutschen Namen aufgeben musste. Da sie den acht­größten Con­tain­er­haften der Welt betreibt (falls ich das noch nicht erwäh­nt habe), ist es nicht ganz unsin­nig, dass sie einen inter­na­tion­al ver­ständlichen Namen trägt, oder? Es ist nur ein Gerücht, aber ich habe gehört, dass ab und zu Seeleute in den Hafen kom­men, deren Deutschken­nt­nisse etwas eingerostet sind. Wenn man den Hafenkapitän auf Englisch anspricht, heißt er Har­bour Mas­ter, aber „Cap­tain of the Port“ wird er ver­mut­lich auch verstehen.

  10. Klausi

    Wenn jemand eine Reise tut, so kann er
    …was erzählen” (Matthias Claudius)
    Was mögen die mit den eingerosteten Deutschken­nt­nis­sen nur vor, sagen wir mal, 10 Jahren gemacht haben, beige­dreht und wieder ausgelaufen?

  11. Phaeake

    Unsich­er im Hafen
    Dass das Ober­hafe­namt eine laut Organ­i­gramm eher kleine Untere­in­heit der Port Author­i­ty, also des Hafe­namts, ist, empfinde ich als extrem irri­tierend. Welche Auf­gaben das Ober­hafe­namt inner­halb der Port Author­i­ty wahrn­immt, lässt sich auch nicht im Ent­fer­n­testen erahnen.
    Bes­timmt bin ich nicht der einzige, der ohne Organ­i­gramm das OBER­hafe­namt für die VORGESETZTE Dien­st­be­hörde des Hafe­namts, also der Port Author­i­ty, gehal­ten hätte.
    Sich­er ist es sin­nvoll, bei der Benen­nung der Hafen­be­hörde des weltweit acht­größten Con­tain­er­hafens auch auf inter­na­tionale Ver­ständlichkeit Wert zu leg­en, aber wäre diesem Anliegen nicht auch dadurch Rech­nung getra­gen, dass man die Beschilderung der Behörde zweis­prachig vorn­immt, ein­mal richtig und kom­plett deutsch — ein­mal richtig und kom­plett englisch.
    Port Author­i­ty, AöR
    erscheint und klingt in meinen Augen und Ohren komisch.

  12. David

    Was mögen die mit den eingerosteten Deutschken­nt­nis­sen nur vor, sagen wir mal, 10 Jahren gemacht haben, beige­dreht und wieder ausgelaufen?

    Sehr genau beobachtet!
    Ich frage mich auch immer, was diese bar­ri­ere­freien Bahn­höfe jet­zt allerorten sollen. Früher müssen die Behin­derten ja auch so von A nach B gekom­men sein, son­st wären sie ja jet­zt alle in A!

  13. Gregor

    Rolling home to good old Hamburg
    Ick heff mol en ham­borg­er veer­mas­ter sehn, do ham se alle englisch geschnackt.
    Mit dem Englis­chen dür­fen die Ham­burg­er noch nie Prob­leme gehabt haben.

  14. Leo

    Bar­ri­ere­frei­heit
    Ich frage mich auch immer, was diese bar­ri­ere­freien Bahn­höfe jet­zt allerorten sollen. Früher müssen die Behin­derten ja auch so von A nach B gekom­men sein, son­st wären sie ja jet­zt alle in A!
    Was für ein dum­mer, borniert­er, zynis­ch­er, men­schen­ver­ach­t­en­der Kom­men­tar. Nein, Bar­ri­ere­frei­heit ist kein “Neusprech”, son­dern der Ver­such über Ram­p­en, Aufzüge, Lifte, Nieder­flur­busse etc. Behin­derten Men­schen ein Min­dest­maß an Mobil­ität und damit Würde zurückzugeben.

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