Nachdem ich vor einigen Wochen über die grundsätzlich diskriminierende Struktur von Sprache geschrieben habe, möchte ich heute auf ein spezielles Problem des Deutschen (und vieler anderer Sprachen) zurückkommen, das auch hier im Sprachlog schon mehrfach zu erhitzten Debatten geführt hat: Das sogenannte „generische Maskulinum“. Es hält sich, sowohl im Sprachgebrauch selbst als auch in der Diskussion über Sprache, hartnäckig das Gerücht, man könne bei geschlechtlich gemischten Gruppen von Menschen einfach maskuline Bezeichnungen verwenden, also etwa eine Gruppe von Studentinnen und Studenten einfach als Studenten bezeichnen, und die weiblichen Mitglieder dieser Gruppe seien dann „mitgemeint“.
Bemühungen, diese Art der sprachlichen Unsichtbarmachung von Frauen zu vermeiden — etwa durch explizite Nennung beider Genera (Studentinnen und Studenten), durch kombinierte Formen wie die Schrägstrichform (Student/innen) oder das Binnen‑I (StudentInnen) oder durch die Schaffung inklusiver Formen (Studierende) — stoßen bei vielen Menschen auf Ablehnung.
Wenn überhaupt einmal sachliche Argumente für diese Ablehnung genannt werden, dann sind das normalerweise die folgenden:
- Das „generische Maskulinum“ sei nun einmal weit verbreitet und jeder wisse, dass Frauen hier eingeschlossen seien. Es sei deshalb albern/überflüssig/Teil eines Plans zur feministischen Weltherrschaft, auf sprachlichen Alternativen zu bestehen.
- Geschlechtsneutrale und geschlechtergerechte Formulierungen seien umständlich und behinderten das Leseverständnis.
Wenn diese Aussagen stimmen würden, wäre das nicht unbedingt ein Grund, auf eine sprachliche Gleichbehandlung der Geschlechter zu verzichten. Es ist auch umständlich und überflüssig, die Flagge eines Staatsgastes vor dem Reichstagsgebäude zu hissen, Menschen nett zu begrüßen und sich nach ihrem Befinden zu erkundigen oder mit Messer und Gabel zu essen. Trotzdem gelten diese Gesten als Zeichen von Respekt, Interesse und gutem Benehmen. Genauso könnte es umständlich und überflüssig sein, statt eines „generischen Maskulinums“ eine der anderen Alternativen zu verwenden — ein Zeichen für das Ziel einer allgemeinen Gleichberechtigung wäre es trotzdem.
Aber stimmen die Aussagen denn überhaupt? Sagen wir es so: Die Forschungslage in diesem Bereich reicht aus, um beide Aussagen stark in Zweifel zu ziehen.
Das generische Maskulinum. Beginnen wir mit der Behauptung, es gäbe ein „generisches“ Maskulinum, bei dem Frauen mitverstanden würden. Ausgeschlossen ist das ja nicht, obwohl es stutzig machen sollte, dass es von seiner Form her ununterscheidbar von einem tatsächlich nur auf Männer bezogenen Maskulinum wäre.
Und tatsächlich zeigt eine Reihe von Arbeiten, dass „generische“ Maskulina mehrheitlich eben nicht generisch interpretiert werden. Eine der aktuellsten und methodisch am saubersten gearbeitete Studie ist Gygax et al (2008). Die Autor/innen dieser Studie überprüften die Interpretation von Maskulina, indem sie Versuchspersonen zunächst einen Satz mit einem (angeblich) „generischen“ Maskulinum, wie den in (1) auf einem Monitor präsentierten:
(1) Die Sozialarbeiter liefen durch den Bahnhof.
Nachdem die Versuchspersonen einen solchen Satz gelesen hatten, erschien entweder ein Satz wie der in (2) oder einer wie der in (3)
(2) Wegen der schönen Wetterprognose trugen mehrere der Frauen keine Jacke.
(3) Wegen der schönen Wetterprognose trugen mehrere der Männer keine Jacke.
Die Versuchspersonen mussten dann durch drücken einer Taste signalisieren, ob sie den zweiten Satz für eine „mögliche Fortsetzung“ des ersten Satzes hielten oder nicht. Dabei wurde auch die Zeit gemessen, die sie für ihre Antwort benötigten.
Die Idee hinter diesem Experiment ist klar:
- Wenn Maskulina automatisch generisch interpretiert werden, müssten die Sätze (2) und (3) gleichermaßen als mögliche Fortsetzungen erkannt werden;
- Wenn Maskulina nur mit einem gewissen gedanklichen Aufwand generisch interpretiert werden, müssten Sätze wie der in (3) schneller als mögliche Fortsetzung erkannt werden als der in (2);
- Wenn Maskulina nicht generisch interpretiert werden, dürften Sätze wie der in (2) gar nicht als mögliche Fortsetzung erkannt werden, Sätze wie (3) hingegen schon.
Allerdings gibt es noch eine zusätzliche Komplikation: Manche Berufsbezeichnungen können unabhängig von ihrem grammatischen Geschlecht eher als „typisch männlich“ oder „typisch weiblich“ verstanden werden: Aus anderen Studien ist bereit bekannt, dass Versuchspersonen z.B. bei Polizisten, Statistikern oder Physikstudenten eher an Männer denken, bei Kassierern, Kosmetikern oder Psychologiestudenten eher an Frauen (Gabriel et al. 2008). Es ist also möglich, dass die Antwort auf die Frage, ob es sich bei Sätzen wie denen in (2) um eine „mögliche Fortsetzung“ handelt, von der Art der Berufsbezeichnung abhängt. Gygax und Kolleg/innen wählten deshalb zu je einem Drittel „typisch männliche“, „neutrale“ und „typisch weibliche“ Berufsbezeichnungen. Wenn stereotype Berufsbilder einen Einfluss auf die Entscheidung der Versuchspersonen haben, kann man diesen so vom Einfluss des grammatischen Geschlechts unterscheiden, in dem die Berufsbezeichnung präsentiert wird.
Das Experiment wurde dann mit englischen, französischen und deutschen Muttersprachlern in ihrer jeweiligen Sprache durchgeführt. Da es im Englischen kein grammatisches Geschlecht gibt, war die Vorhersage, dass sich dort höchstens Stereotypizitätseffekte finden würden, im Französischen und Deutschen dagegen könnte es zusätzlich oder stattdessen einen Effekt des grammatischen Geschlechts geben.
Bei den englischen Muttersprachlern gab es tatsächlich den erwarteten Stereotypizitätseffekt: Wenn im ersten Satz ein „typisch männlicher“ Beruf erwähnt wurde, wurde der nachfolgende Satz schneller als „mögliche Fortsetzung“ bewertet, wenn dort von Männern die Rede war und langsamer, wenn von Frauen die Rede war. Bei „typisch weiblichen“ Berufen war es umgekehrt. Das Ergebnis zeigt zunächst nur, dass stereotype Vorstellung von Beruf und Geschlecht sich in diesem Versuchsdesign systematisch auf die Reaktionszeit auswirken können.
Die interessante Frage ist nun natürlich, was in der französischen und deutschen Version des Experiments passierte. Zunächst verschwand der Stereotypizitätseffekt vollständig — obwohl auch deutsche und französische Muttersprachler/innen stereotype Assoziationen von bestimmten Berufen mit einem bestimmten Geschlecht haben, beeinflussten diese die Reaktionszeiten nicht signifikant.
Stattdessen gab es in beiden Sprachen einen signifikanten Effekt des grammatischen Geschlechts: Wenn im zweiten Satz von Männern die Rede war, wurde der Satz signifikant häufiger als „mögliche Fortsetzung“ kategorisiert, als wenn von Frauen die Rede war. Wenn Maskulina generisch interpretiert würden, wäre dieses Ergebnis nicht erklärbar. Zweitens, und fast noch wichtiger: Im deutschen Experiment waren die Reaktionszeiten signifikant schneller, wenn im zweiten Satz von Männern die Rede war. Selbst dort, wo die Versuchspersonen bereit waren, das Maskulinum generisch zu interpretieren und einen zweiten Satz über Frauen als „mögliche Fortsetzung“ zu interpretieren, brauchten sie für diese Entscheidung länger; das zeigt, dass die generische Interpretation nicht spontan erfolgte, sondern erst nach einer Art strategischem Umdenken.
Das „beweist“ zwar nicht, dass Maskulina nicht generisch interpretiert werden, denn Wissenschaft ist ein fortlaufender Prozess der Hypothesenbildung und ‑überprüfung. Aber da diese Studie nur das bestätigt, was eine lange Reihe von vorangehenden (teilweise methodisch weniger soliden) Studien schon vorher gezeigt hatte, ist es Stand der Forschung, dass ein „generisches Maskulinum“ im Deutschen (und Französischen) aus psycholinguistischer Sicht nicht existiert. Wer das Gegenteil behaupten will, muss sehr gute Belege dafür vorbringen.
Verständlichkeit und Lesbarkeit. Wie steht es nun mit der angeblich schlechteren Verständlichkeit von geschlechtsneutralen oder geschlechtergerechten Formulierungen im Vergleich zum „generischen Maskulinum“? Auch zur Beantwortung dieser Frage gibt es eine Reihe von Studien, von denen ich stellvertretend eine auswähle, die methodisch sehr sorgfältig ist. Braun et al. (2007) ließen drei Gruppen von Versuchspersonen drei verschiedene Versionen einer Packungsbeilage für ein Medikament lesen: die erste verwendete das „generische Maskulinum“ (z.B. Diabetiker, Patienten), die zweite neutrale Formen oder Beidnennungen (Personen, Diabetikerinnen und Diabetiker) und die dritte das Binnen‑I (DiabetikerInnen, PatientInnen). In jeder der drei Gruppen waren gleichviele Männer und Frauen. Die Forscherinnen erhoben dann erstens, wie gut die Versuchspersonen sich an den Inhalt des Gelesenen erinnern (ein objektives Maß für die Verständlichkeit) und zweitens, wie „verständlich“ und „lesbar“ die Versuchspersonen den Text fanden (ein subjektives Maß für die Verständlichkeit).
Beim Erinnerungstest waren im direkten Vergleich der Geschlechter die Erinnerungsleistungen der Männer bei der Beidnennung besser als die der Frauen, die der Frauen war beim „generischen Maskulinum“ und beim Binnen‑I besser als die der Männer. Die Effekte waren aber relativ schwach und innerhalb der Geschlechtergruppen auch nicht signifikant.
Bei der subjektiven Bewertung sah es anders aus: Während die Frauen alle drei Textfassungen im wesentlichen als gleichermaßen verständlich und lesbar werteten, bewerteten die Männer die Fassung mit dem „generischen Maskulinum“ (die sie objektiv am schlechtesten verstanden hatten) am besten.
Mit anderen Worten: Geschlechtergerechte Sprache hat keinen negativen Einfluss auf die Verständlichkeit und Lesbarkeit von Texten. Wohl aber hat sie einen Einfluss auf die Einbildung männlicher Leser.
Im Deutschen gibt es kein generisches Maskulinum und die „generische“ Verwendung maskuliner Formen bringt keinen praktischen Vorteil mit sich. Das braucht natürlich niemanden davon abzuhalten, trotzdem auf maskulinen Formen zu beharren. Es zwingt aber jeden, der darauf beharrt, über seine Motive dafür noch einmal gründlich nachzudenken.
BRAUN, Friederike, Susanne OELKERS, Karin ROGALSKI, Janine BOSAK und Sabine SCZESNY (2007) „Aus Gründen der Verständlichkeit …“: Der Einfluss generisch maskuliner und alternativer Personenbezeichnungen auf die kognitive Verarbeitung von Texten. Psychologische Rundschau 58(3), 183–189.
GABRIEL, Ute, Pascal GYGAX, Oraine SARRASIN, Alan GARNHAM, und Jane OAKHILL (2008) Au-pairs are rarely male: Role names’ gender stereotype information across three languages. Behavior Research Methods, 40(1), 206–212.
GYGAX, Pascal, Ute GABRIEL, Oriane SARRASIN, Jane OAKHILL und Alan GARNHAM (2008) Generically intended, but specifically interpreted: When beauticians, musicians, and mechanics are all men. Language and Cognitive Processes 23(3), 464–485.
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[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Version enthält möglicherweise Korrekturen und Aktualisierungen. Auch die Kommentare wurden möglicherweise nicht vollständig übernommen.]
Mir fällt dazu immer der Sekretär ein, der bis zum WK1 ein vorwiegend männlicher Beruf war, was sich im grammatischen Geschlecht widerspiegelte. Als zunehmend Frauen den Beruf ausübten — zum Teil, weil es schlicht nicht genug Männer gab, zum Teil, weil sich das Berufsbild wandelte -, änderte sich das grammatische Geschlecht. Ein Indiz dafür, dass es kein generisches grammatisches Geschlecht gibt.
Heute trennen wir in den Beruf ‘Sekretärin’ und das Möbelstück ‘Sekretär’, die männliche Bezeichnung wird nur in spezifischen Fällen — wenn nicht die Funktion, sondern ein ganz bestimmter Funktionsträger [sic!] gemeint ist — auf den Beruf angewandt. Es stößt uns richtggehend auf, wenn jemand von Sekretär spricht statt von Sekretärin.
ausgesprochen…
Auf deine guten Beiträge kann man sich eben verlassen… Danke!
Ich möchte noch ein drittes Argument nachschießen, das exklusiv gegen B_innen sprich: die gesprochene Sprache. Bei vorgetragenen Texten fällt es schwer, die beidgechlechtliche Form in einem Wort ein Mal weiblich & ein Mal männlich zu lesen.
Zwar schreibe ich für gewöhnlich Binnen-Is mit _, hoffe aber auf massenhaft inklusiver Formen.
ad Gygax et al (2008)
Wie alt waren die Testpersonen?
Mangelnde Alternativen
Ich halte es für eine ungewöhnliche Interpretation der Ergebnisse, wenn Sie aus ‘Die Studienteilnehmer erkannten das generische Maskulinum als generisch, wenn sie eine Weile darüber nachdachten’ ableiten “dass ein „generisches Maskulinum“ [..] nicht existiert”. Offenbar existiert es, man muss nur darüber nachdenken, ähnlich wie das bei der Frage, ob Auto ein Fahrzeug oder das griechische Wort für “selbst” ist.
Geht man davon aus, dass eine Verschiebung der Bedeutung des Maskulinums von ‘primäre Bedeutung “männlich”, sekundäre Bedeutung “gemischte Gruppe“ ‘ nicht oder nicht in akzeptabler Zeit möglich ist, braucht man also eine Alternative. Dafür finden wir im obigen Text drei Ansätze:
1.) Binnen‑I
2.) Geschlechtsneutrale Alternativbezeichnungen
3.) Beidnennung
1.) Das Binnen‑I ist offensichtlich eine Variante, die nur in der Schriftsprache funktioniert. Ich bezweifle auch, dass zumindest die Form mit Großschreibung des I wirklich zu klarer Unterscheidbarkeit führt. Wir hätten dann ein generisches und ein nicht generisches Femininum, die minimal unterschiedlich geschrieben werden. Gibt es eine Studie darüber, ob beim obigem Sozialarbeiter-Beispiel das Wort “SozialarbeiterInnen” zu besseren Ergebnissen führt — also beide weiterführenden Sätze gleich schnell und gleich oft akzeptiert werden?
2.) Ich denke, es ist offensichtlich, dass das keine allgemeingültige Lösung des Problems sein kann. Es gibt einfach deutlich zu wenig geschlechtsneutrale Alternativen, so dass im Allgemeinen ein Bedeutungsverlust hingenommen werden müsste (“Die Personen gingen über den Bahnhof” versus “Die Sozialarbeiter…”)
3.) Die Beidnennung ist auch keine allgemeingültige Lösung, weil damit manche Aussagen schlicht nicht darstellbar sind. “Frau Merkel ist der erste weibliche Bundeskanzler” kann weder zu “Frau Merkel ist die erste weibliche Bundeskanzlerin” noch zu “Frau Merkel ist (der/die/das?) erste weibliche Bundeskanzlerin und Bundeskanzler” umgeformt werden. Hier ist eine generische Form notwendig.
4.) Als 4. nicht genannte Alternative böte sich an, ein eigenes Generikum einzuführen, dass bspw. als Endung einem Wort generische Bedeutung gibt (z.B. es). Das wäre klar erkennbar, dass der Kanzler ein Mann, die Kanzlerin eine Frau und das Kanzleres eins von beiden ist. Das hätte auch den Vorteil, dass damit auch jene Personen eingebunden sind, die sich nicht in das Schema männlich/weiblich einfügen wollen (Hermaphroditen, Transsexuelle, ..). Die Chancen eine solche Änderung an der Sprache durchzusetzen, mag jeder selber einschätzen.
Zussammenfassend: Das generische Maskulinum mag nicht die perfekte Lösung sein um gemischte Gruppen zu bezeichnen. Die Alternativen sind aber noch schlechter. Die Lösung für das Diskriminierungsproblem wäre also, den generischen Aspekt des Maskulinums in der Sprache stärker zu verankern (durch Texte, die häufig “Die Sozialarbeiter ..” mit “Die Frauen” fortsetzen).
Schwierigkeiten beim Nachvollziehen
Die erste Studie scheint am ehesten – wie ich es erwartet hätte – die mittlere der drei möglichen Hypothesen zu bestätigen:
Es ist mir darum unverständlich, warum der Text unbeirrt suggeriert, die dritte wäre zutreffend.
Zu behaupten, dass es im Deutschen kein generisches Maskulinum gäbe, wäre morphologischer Unsinn, schließlich gibt es ganz offensichtlich (sexus-)markierte Formen, aber üblicherweise nur für ein Geschlecht, nämlich auf {-in}. Psycho‑, neuro- und soziolinguistische Untersuchungen zum Thema können nicht herausfinden, ob es ein generisches Maskulinum überhaupt gibt, sondern lediglich, wie stark ausgeprägt die Generalität des unmarkierten Falls (synchron noch) ist.
Nachnamen sind im Deutschen und Englischen auch generisch (mit wenigen freiherrlichen Ausnahmen). Wenn Putin „Clinton“ die Schuld an Demonstrationen zuweist, dann frage ich mich zuerst, was der Expräsident momentan so treibt, von dem ich nichts mitbekommen, bevor ich mich daran erinnere, dass auch die derzeitige US-Außenministerin so heißt (und zufälliger‑, aber unwichtigerweise mit ersterem verheiratet ist), von deren Aktivitäten man ähnlich wenig hört. Mglw. sagte er im Original „Клинтона“ – das hätte mir in diesem Fall geholfen, aber die germanischen Sprachen sind deswegen nicht diskriminierender als die slawischen, sondern im Gegenteil: sie unterscheiden bei Namen weniger stark nach (biologischen, genetischen, sozialen, sexuellen …) Geschlecht und überlassen es damit der kollektiven wie individuellen Vorstellungswelt, an wen aus dem Denotationsfeld in welchem Kontext primär gedacht wird.
Was die Verständlichkeit angeht, müsste ich mir die Studie genauer angucken, aber davon abgesehen bleibt die Frage, was man mit der expliziten Mitnennung oder mit abstrakteren Synonymen erreichen möchte: Verständlichkeit, Gerechtigkeit, Höflichkeit, soziales Problembewusstsein (Awareness), soziale Veränderung, Unangreifbarkeit, …? Für manche Ziele kann vermeintlich neutralere, fairere Sprache nämlich kontraduktiv sein.
Schriftsprache / gesprochene Sprache
Lieber Blog-Gastgeber,
vielen Dank für diesen schönen Artikel, der mir bestimmt einmal als sachliche Grundlage in einer Diskussion dienen wird.
Ich vermisse allerdings noch die Besprechung des Unterschieds zwischen Schriftsprache und gesprochener Sprache. Formen wie das Binnen‑I lassen sich nicht (vernünftig) aussprechen und würden beim Zuhörer die männlichen Gruppenmitglieder deutlich ausschliessen, selbst wenn vor dem “I” eine kurze Pause und das “I” betont gesprochen werden. Damit entfällt diese vergleichsweise unaufdringliche schriftliche Form im Gespräch. Ich finde es aber unangenehm, jedesmal “Kollegen und Kolleginnen” zu sagen (sic, wenn ich denn beide Formen nenne, dann auch manchmal die männliche Form zuerst, was bei Binnen‑I und /innen und _innen ganz entfällt und die Rangfolge-Debatte zum Glück im Schriftlichen erspart). In einer Schule hörte ich Lehrkräfte (ein inklusives Wort, wie schön) von “den Suss” reden und brauchte eine Weile, um das mit “SuS”, einer anscheinend dort gebräuchlichen Abkürzung für “Schülerinnen und Schüler”, überein zu bringen. “Lernende” will man wohl vermeiden, um das nicht mit “Lehrende” durcheinander zu werfen, zumal hier im Rheinland die transitive Verwendung von “Lernen” bekannt ist (“De Herr Schmitz lernt de Pänz das Rechnen”), “Kinder” würde die Zehntklässler ausgrenzen…
Wenn keine Partizip-1-Form oder ein Ausweichwort in Frage kommt, dann ist das generische Maskulinum meiner Meinung nach in der gesprochenen Sprache nicht vollkommen abzulehnen. Beispiel: Bei der dreizehnten Wiederholung von “Fließbandarbeiterinnen und Fließbandarbeiter” in der Verkündung des neuen Tarifvertrags verknotet sich sonst die Zunge 🙂
2. markierte Form
Dierk: „4.) Als 4. nicht genannte Alternative böte sich an, ein eigenes Generikum einzuführen, …“.
Eine zweite markierte Form wäre in der Tat die beste, aber gleichzeitig auch die unwahrscheinlichste Lösung. Etwas wahrscheinlicher und kaum weniger sinnvoll ist der Wegfall der ersten markierten Form. Es wäre aber nicht sinnvoll, die kürzere, unmarkierte Form für den männlichen Sexus beizubehalten, sondern die sollte neutral sein, während die zweite wie {-in}{nen} längere, markierte Form sexus-maskulin werden würde.
Dierk: „Die Alternativen sind aber noch schlechter.“
… oder schwieriger durchzusetzen.
Dierk: „[…] generischen Aspekt […] stärker zu verankern (durch Texte, die häufig “Die Sozialarbeiter ..” mit “Die Frauen” fortsetzen).“
Sicher, wenn es inhaltlich gerechtfertigt und sinnvoll ist, aber das erinnert mich ein bisschen an die hier im Sprachlog noch wenig behandelte Pronomenproblematik, welche so ziemlich das einzige relevante Thema der geschlechtergerechten Sprache im Englischen ist. Texte, in denen bewusst she statt des traditionellen he verwendet wird oder aber beides abwechselnd bzw. munter durcheinander ohne inhaltliche Begründung und bei identischem Referenzobjekt, erzeugen bei mir, weil es im Lesefluss störend auffällt, einen Reflex: „Hör auf, mir ständig dein soziales Bewusstsein sprachlich in einem Text vorzuführen, der absolut nichts damit zu tun hat! Tu lieber was konkretes, weniger banales in der richtigen Welt!“ An das „singular they“ gewöhnt man sich hingegen ziemlich schnell, rezeptiv wie produktiv.
Interessant.
An dem Problem hat man als Möchtegernschriftsteller auch immer wieder zu beißen.
Mein Argument war bisher neben dem Komfort (Und ja, ich bin auch gegen das Hissen von Flaggen für Staatsgäste.) ungefähr dieses:
Das Bemühen um eine gegenderte (Ich sag das mal so.) Sprache wirkt fremdartig, weil unsere Alltagssprache eben bisher nicht so ist. Insofern ist das auffällige Bemühen, Frauen in der Sprache besonders hervorzuheben, eher eine andere Variante der Diskriminierung, weil man damit die Notwendigkeit einer Unterscheidung betont. Etwa wie in “Meine Damen, meine Herren, liebe Neger” statt einfach z.B. “Liebe Zuhörer”. In einer Anrede mag sowas noch angehen, aber wenn man in einem Text permanent den natürlichen Sprachfluss umleitet, um hier noch ein “innen” und da noch ein “ierende” einzufügen, läuft man m.E. Gefahr, ihrem Anliegen einen Bärinnendienst zu erweisen.
Welche Schlüsse ich daraus jetzt ziehen kann, weiß ich aber auch noch nicht genau.
Eine kleine Anmerkung aus der Kategorie ›nicht alles was hinkt ist ein Vergleich‹.
Die Beispiele, die Sie nennen (Flagge hissen, freundlich begrüßen, mit Messer und Gabel essen), sind in der Tat umständlich. Und tatsächlich auch oft unhöflich sie nicht zu machen und zeugen von mangelnden Respekt. Sie unterstellen mit dem Vergleich der generische Maskulinum sei ebenso respektlos. Das ist aber erstmal nur Ihre Sichtweise.
Das Argument der Verfechter des generischen Maskulinums ist ja gerade, dass es umständlich und eben NICHT respektlos ist.
Wenn es die Allgemeinheit so sähe, dass der generische Maskulinum respektlos ist, würde diese Diskussion wohl kaum geführt werden müssen.
Nicht beantwortete Frage…
Die Rezipition von “Sozialarbeiter” als rein männliche Gruppe im Fortsetzungsexperiment wurde gezeigt. Dass “Sozialarbeiter” vs “Sozialarbeiterinnen” dann im Kopf des Empfängers einen Unterschied ausmacht nehme ich gerne an. Was Ihrer Beschreibung nach in der Studie nicht behandelt wurde, ist ob “Sozialarbeitende” (im Sinne von ‘Studierende’) nun einen signifikanten Unterschied gegenüber der “Sozialarbeiter”-Gruppe darstellt. Lässt sich das generische Maskulinum dadurch umgehen, dass man neue, (möglicherweise) inkludierende Wortkonstrukte erschafft?
Wie bereits mehrfach angemerkt, funktioniert das Binnen‑I im mündlichen Sprachgebrauch überhaupt nicht und kann deshalb wohl keine Alternative zum generischen Maskulinum sein. Ich finde es auch ästhetisch nicht ansprechend (genauso wenig wie die Schrägstrichlösung), aber das ist natürlich nur meine persönliche Meinung.
Darüber hinaus hat das Binnen‑I aber auch im Schriftgebrauch ein Problem, wenn die Pluralendung der femininen Form mit der der maskulinen Form nicht übereinstimmt, z.B. Beamte vs. Beamtinnen.
Einfach abwechseln?
Was halten Sie den von folgender vierter Möglichkeit deutlich zu machen, dass Männer und Frauen gleichermaßen gemeint sind: die männlichen und weiblichen Formen einfach bunt durcheinander abwechselnd verwenden?Also etwa so: “Nach unten gezogene Seitenfenster im Fahrerhaus können dazu beitragen dass die Lkw-Fahrerin ungeschützte Verkehrsteilnehmer (Fußgängerinnen, Radfahrer, Skaterinnen …) besser erkennen kann.”
In der Regel gibt man ja eher längere zusammenhängende Texte von sich und im Zusammenhang wird dann auf jeden Fall deutlich, dass man nicht nur Frauen auf Skateboards oder Männer auf Fahrrädern meint. Ich habe schon öfter Texte so geschrieben und denke, das funktioniert (meistens).
Männin oder Frau?
Das erinnert mich an die Diskussion, die hier vor ca. 15 Jahren im Landesdiesnst hinsichtlich weiblicher Amtsbezeichnungen stattfand.
Bei Rat/Rätin, Sekretär/Sekretärin etc. war dies ja kein Problem, aber was machen wir mit dem Amtsmann?
Da kam zuerst der Vorschlag “Amtsmännin”, den ich selten dämlich fand. Man hat sich dann doch auf “Amtsfrau” verständigt.
PS: Als bei der Bundeswehr Frauen auch in schießenden Einheiten zugelassen wurden, wurde ohne große Diskussion aus dem “Vertrauensmann” die “Vertrauensperson”. Sowohl im Singular als auch im Plural absolut passend.
Innenwahrnehmung
Die ganze Diskussion hier hat schon irgendwie etwas von “Männer gegen das Frauenwahlrecht (Weil die Schlangen am Wahllokal dann so lang werden)”
Viertes Genus?
Vom morphologischen Standpunkt aus kann man statt der üblichen drei vier Genera unterscheiden: Maskulinum, Femininum, Neutrum und Generikum. Wie das Maskulinum trägt es den Artikel „der“, bildet seinen Plural aber wie prototypische Feminina auf „-en“. Beispiele wären „der Präsident“ — „die Präsidenten“ oder „der Autor“ -„die Autoren“. Während sich das Neutrum als Opposition zu Maskulinum und Femininum entwickelt haben kann, im Sinne eines „Weder-noch“, könnte das Generikum ein „Sowohl-als-auch“ zum Ausdruck bringen. Man hätte dann eine Substantivklasse, die sexusneutrale Personenbezeichnungen erfasst und einen eigenen Deklinationstyp prägt. Insofern wären diese Substantive die besten Kanditaten für ein „generisches Maskulinum“ und mich würde interessieren, ob sie in den von Ihnen genannten Studien anders abschneiden.
Eisenberg, P.: Das vierte Genus? In: Angemessene Strukturen: Systemorganisation in Phonologie, Morphologie und Syntax. Hrsg. v. Bittner, A. u. a. Hildesheim u. a. 2000, 91–105.
@MR
Das würde – wenn überhaupt – nur Sinn ergeben, wenn die anderen Deklinationstypen des Deutschen auch genusabhängig wären. Das sind sie aber allerhöchstens teilweise.
…
@fatimike182: Die Versuchspersonen waren Studierende, genauere Altersangaben gibt es nicht.
@Caldrin: Es ist halt ein Unterschied, ob eine Form eine bestimmte Bedeutung hat, oder ob man durch nachdenken darauf kommen kann, dass sie in einer bestimmten Verwendung etwas bestimmtes bedeuten soll. Ich kann sagen „Meine Studentinnen sind echt gut, vor allem der Typ mit dem Vollbart“, und mein Gegenüber kann dann durch nachdenken darauf kommen, dass ich aus irgendeinem Grund mit Studentinnen eine gemischte Gruppe meine. Das heißt aber nicht, dass Studentinnen diese Bedeutung tatsächlich hat.
Selbstverständlich funktionieren die Alternativen, und zwar in jedem denkbaren Kontext. Dass man(n) sich manchmal etwas Mühe geben muss, die zu finden, mag sein. Das „generische Maskulinum“ ist nicht nur „nicht die perfekte Lösung“ für die eingebildete Alternativlosigkeit, es ist überhaupt keine Lösung.
@Debe, impala: Das Binnen‑I lässt sich in der gesprochenen Sprache problemlos in eine Beidnennung auflösen (die Kurzform Sus finde ich nett).
@Muriel: Die Fremdartigkeit von heute ist die Normalität von morgen! Davon abgesehen ist es doch eine schöne Herausforderung, gerade für Sprachschaffende, hier Lösungen zu finden, die gerecht und sprachlich schön sind.
@ Markus Gerstel: Ich glaube, es gibt eine Studie mit geschlechtsneutralen Formen, aber ich finde sie gerade nicht. Ich trage das nach, wenn ich sie habe. Aus der englischen Studie lässt sich aber die Vermutung ableiten, dass bei neutralen Formen wieder die Stereotypizitätseffekte sichtbar werden.
@Hans: Das kann manchmal sicher eine Möglichkeit sein, aber ich halte es eher für eine Brückentechnologie als für eine dauerhafte Lösung.
@Feathers McGraw: Wieder mal sehr treffend [es hilft eben immer, einen Pinguin an der Diskussion zu beteiligen ;)].
@MR: Ob Formen mit expliziter maskuliner Morphologie anders abschneiden als solche mit implziter, ist nicht getestet worden. In der Tat könnte man solche Formen zu Generika machen, man müsste dazu im Singular aber zulassen, dass sie maskulin oder feminin sein können — der Student, die Student, der Präsident, die Präsident, usw. Luise Pusch hat das schon vor vielen Jahren angedacht. Ob sich das im Sprachgebrauch durchsetzen ließe? Ich bezweifle es.
einige Begriffe
Interessant, wären doch auch mal Ausführungen, warum Pflegekräfte im Gesundsheitswesen immer nur Krankenschwestern sind, obwohl dort uch Männchen rumlaufen und arbeiten.
Des weiteren wären auch Ausführungen interessant, warum bei Begriffen wie “Terrorist” plötzlich das generische Maskulinum nun doch wieder kein Problem darstellt.
[Da diese Behauptungen frei erfunden sind, wären Ausführungen dazu nur mäßig interessant. — A.S.]
Gygax et al (2008)
Ein zusätzlicher Grund, warum die Reaktionszeit bei der Frauenfortsetzung (2) länger dauert könnte aber auch sein, dass die Formulierung “einige *der* Frauen” impliziert, dass die Gruppe Sozialarbeiter nur aus Frauen bestanden hätte. Dann hätte man in Satz (1) allerdings “Sozialarbeiterinnen” geschrieben. Eine andere Formulierung wäre da vielleicht besser gewesen (bspw. “einige Frauen…”). Womit ich allerdings nicht sagen will, dass das Ergebnis großartig abgewichen wäre.
Etwas anderes: “Die Autor/innen” ist doch irgendwie unklar ud benachteiligt die Mäner. Klar, ich weiß sofort was gemeint ist (und das reicht ja auch), aber wenn man schon gerecht sein will, dann doch bitte auch richtig. Denn “Die Autorinnen” ist der einzige sinnvolle Begriff, der klar zu lesen ist. “Die Autor” ist Blödsinn und “Die Autoren” werden nicht klar abgegrenzt. Vielleicht “Die Autor(inn)en”? Oder besser gleich inklusiv mit “Die Autorenden”?
[Zum ersten Absatz: Ein guter Einwand. Gygax et al. haben das bedacht und vorher separat getestet, ob Versuchspersonen auf diese Interpretation kommen. Das war in einer extrem geringen Zahl der Fälle so, sodass der Effekt dadurch nicht erklärt werden kann. — A.S.]
@icke Natürlich gibt es auch Sprache die Männer diskriminiert. Aber darf man daraus den Schluss ziehen, dass es deshalb in Ordnung ist Frauen sprachlich zu diskriminieren? Weil jeder ja mal ein bisschen leiden muss? z.B. Frauen bei den Berufen und Männer bei den Straftaten? Gleicht sich schon irgendwie aus?
Wäre es nicht eine schönere Welt wenn sich niemand diskriminiert fühlen würde?
Viertes Genus?
Ich habe Eisenbergs Gedanken sicherlich nicht einwandfrei wiedergegeben. Aber ich verstehe es so: Wenn man das Genus nicht nur nach dem Artikel zuweist und sich auf ein viertes Genus einlässt, dann müssen diese Substantive nicht eine maskuline und eine feminine Form im Singular aufweisen, denn sie sollen ja gerade sexusneutral sein. Sie sind also von vornherein sowohl feminin als auch maskulin — eben generisch. Will man das Sexus allerdings spezifizieren, hat man immer die Möglichkeit zu Movieren: „der Student“ (sexusunabhängige Personenbezeichnung) zu „die Stundentin“
Oh Gott und Göttin
Wenn ein Prof “Liebe Studenten” sagt meint er ganz sicher alle im Hörsaal und nicht nur die Jungs. Daran können auch irgendwelche Studien nichts ändern.
Ich empfinde es durchaus als anstrengend bis nervend, wenn ich in Reden ständig “Genossinnen und Genossen” oder “Studentinnen und Studenten” höre.
StudentInnen kann man nicht sagen sondern muss es ausformulieren oder lassen. Daher sind diese Schreibweisen nur gekünstelt und haben nichts mit normaler Sprache zu tun.
Wie steht es eigentlich mit “Emanzen”? Sind das nur die Männer, weil Frauen ja eigentlich Emanzinnen sein müssten? 😉
Ich mach es mir persönlich recht einfach. Wer auf solchen Absonderungen ernsthaft besteht, mit den rede ich eh nicht. Gott sei dank kenne ich genug normale Menschen.
Gibt es auch wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, warum dann viele Sprecher (und sogar manche Sprecherinnen) erstens meinen, es gebe ein generisches Maskulinum und die verschiedenen Mehrfachnennungen wären umständlich und verwirrend, und warum sie zweitens Widerstand gegen die Einführung der Mehrfachnennungen empfinden? Denn wenn es weder ein generisches Maskulinum gibt, noch die Verwendung der komplexeren Bezeichnungen Nachteile bringt, wäre doch die einfachste Prognose, daß auch kein Sprecher, keine Sprecherin Anlaß hat, daran zu glauben, und daß alle Sprecherinnen und Sprecher dann beim geringsten politischen Druck gerne umsteigen — oder?
Bequemlichkeit vs. Entwicklungschancen
Hervorragende Ausführung und Zusammenfassung zur Problematik subjektiver Sprachwahrnehmung im Alltag vs. experimenteller Objektivierung!
Interessante Kommentarmischung, bleibt mir grad die Zeit nicht, um auf Einzelnes einzugehen.
Aber ein Aspekt scheint mir bisher nicht genannt — den möchte ich gern beleuchten:
Was mir sofort auffiel… Wenn in der zweiten vorgestellten Studie männliche Versuchspersonen sich genau die Art Texte besser gemerkt haben, die ihnen subjektiv als weniger verständlich erschien, dann stellt sich mir die Frage, ob nicht das Stolpern und Fremdeln, verursacht durch Sprachformen, die das angeblich inklusive Generikum umgingen, die Aufmerksamkeit wachgehalten hat für die Inhalte der Texte? Hingegen bedeutete das, dass die als “verständlicher” empfundene Lektüre mit vertraut maskulinen Formen letztlich für den männlichen Leser nur “bequemer” ist, aber den zu erinnernden Inhalten weniger Chancen der mentalen Auseinandersetzung und damit auch der Informationsverarbeitung schlechtere Voraussetzungen bietet.
Oder kurz gesagt: Wenn von männlichen Adressaten besser behalten wird, was ihnen beim Lesen öfter aufstößt — selbst wenn es eher negativ bewertet wird -, dann ergäbe sich daraus ein Argument gegen sprachliche Einheitslösungen und “verordnete Standards”, stattdessen können wir als Schreibende unsere Ideen mit diesem Wissen ganz anders und ggf. geschlechtsspezifisch aufbereiten, um nachhaltigere Lesewirkung zu erzielen.
Und warum trat der Effekt, den ich hier lustvoll zerlege, bei Frauen so nicht auf?
Möglicherweise, weil weibliche Lese- und Erlebniswelten tatsächlich anhand des so genannten “männlichen Generikums” von Anbeginn kindlichen Sprachlernens und geschlechtlichen Differenzierens an zur subjektiven Abstraktion immer wieder genötigt werden, um sich nicht selbst durch Sprache ausgeschlossen zu fühlen und sich in der Diskussion über Inhalte auch nicht ausschließen zu lassen (daher ja der anhaltende feministische Impetus zu sprachlicher und gesellschaftlich-faktischer Inklusion).
Lesende wie schreibende Frauen sind also möglicherweise im Schnitt aufmerksamer, geübter im Hinterfragen des gemeinten Bezugs als Männer. Sie kompensieren den Mythos vom männlichen Generikum seit Jahrhunderten, so oder so.
Komme jetzt aber niemand und schließe:
Dann kann ja alles bleiben, wie es ist, die Frauen kommen doch eh mit klar, und die Männer fühlen sich sonst nicht wohl.
Denn genau darum geht es, dass, wenn wir Teilhabe und gleichberechtigten Zugang zu Ressourcen als soziale, gar globale Ziele nicht nur nennen, sondern meinen, dass dann gerade die Bereitschaft zur Selbstreflexion und als Aspekt davon die Ausbildung gegenseitiger sprachlicher Sensibilität notwendige Schritte sind, für die wir Motivation und Werkzeuge entwickeln können und müssen — Denk- und Sprach-Werkzeuge, vor denen auch “der generische Mann” keine Scheu empfinden sollte…
@MR
Im Deutschen kann das Genus aber nur einwandfrei am Artikel erkannt werden, da die Deklinationstypen eine Kategorisierung nach Genus eben nicht zulassen, siehe starke Substantive oder die berüchtigte s‑Klasse (Prollo, Handy, Oma). Selbst wenn würde das Genus nur in den Flexionsformen sichtbar, die auch eine Flexionsendung bekommen.
der, die, das
Es ist nur eine halbernste Anmerkung, aber ich kann sie mir nicht verkneifen. Könnte es nicht sein, dass die deutsche Sprache geschlechter-gerechter ist als es durch die Konzentration auf das generische Maskulinum zum Ausdruck kommt? Immerhin wird in der Mehrzahl stets der weibliche Artikel genutzt, auch wenn er total unpassend ist:
die Frau — die Frauen
das Kind — die Kinder
der Mann — die Männer
Bedeutung und Nachdenken
Es gibt allerdings durchaus Fälle, die sich gut so interpretieren lassen, daß man manchmal nur durch Nachdenken darauf kommt, daß etwas eine bestimmte Bedeutung (nicht) hat. Betrachtet man sich etwa die Ergebnisse des Wason Selection Task, so stellt man fest, daß die offenbar von vielen mit wenn … dann spontan verbundene Bedeutung ohne gewisse Mühen nicht mal vernünftig explizierbar ist. Außerdem werden sicherlich die meisten Probanden (sofern sie falsch lagen) nach kurzen Hinweisen von sich aus einsehen, daß sie falsch lagen — aber ganz ohne Nachdenken geht das eben nicht.
Darum wäre auch interessant, den Versuch ganz ähnlich in der Umkehrung zu wiederholen. Ich vemute nicht, daß auch mit noch so viel Nachdenken irgendjemand zu dem Schluß kommen würde, “Einige der Männer haben einen Rauschebart” sei eine voll akzeptable Fortsetzung von “Ich unterrichte derzeit 50 Studentinnen”.
Deswegen finde ich den Schluß von dem Umstand, daß die eventuell generische Verwendung langsamer erkannt wird als die maskuline darauf, daß es die generische gar nicht gebe, auch etwas vorschnell. Ich frage mich gerade eher: Wäre nicht schon das langsamere Verständnis ein Grund, von einer Verwendung der eventuell generischen Form abzusehen?
@ Hans: Abwechseln
Kann man machen, finde ich aber problematisch.
Es stört den Lesefluss, weil man beim Lesen immer überlegen muss, ob jetzt alle *erinnen und *er gemeint sind oder nur jeweils die explizit genannten, in Ihrem Beispiel also die Fahrerinnen, Verkehrsteilnehmer, Fußgängerinnen, Radfahrer, Skaterinnen. Nicht in jedem Text dürfte es so offensichtlich sein wie hier. Und dann hätte man eine vermeidbare Unschärfe („Ist wirklich das gemeint, was da steht, oder muss ich mir das Gemeinte erst noch irgendwie erschließen?“).
Wenn man alternierend die femininen und maskulinen Formen verwendet, kann man nicht mehr ohne weiteres explizit auf die männlichen oder weiblichen Personen verweisen. Wenn man das konsequent durchzieht, hätte man bei der nächsten Aufzählung vielleicht Fahrer, Verkehrsteilnehmerinnen, Fußgänger, Radfahrerinnen, Skater usw. Wie kann man dann ohne möglicherweise aufwändige Hilfskonstruktionen deutlich machen, dass ich in einem bestimmten Fall nur die (weiblichen) Verkehrsteilnehmerinnen meine und nicht auch die (männlichen) Verkehrsteilnehmer? In vielen Fällen dürfte die Unterscheidung nicht so wichtig sein, aber wenn sie mal nötig ist, ist das dafür geeignete Werkzeug (grammatisches Geschlecht) durch Zweckentfremdung abgenutzt und greift nicht mehr recht.
Natürlich hat man denselben Effekt auch, wenn man das generische Maskulinum verwendet, nur hier ist er auf eine Richtung beschränkt. Da weiß man bei *erinnen, dass nur die Frauen gemeint sind. Da ist die Unschärfe der sprachlichen Äußerungen nicht ganz so stark wie bei alternierender Verwendung. Bleibt das Problem, dass maskuline Formen so verwendet werden, dass die Frauen mitgemeint sein können (aber nicht müssen). Man wird wohl um neutrale Formulierungen nicht herumkommen, wenn man nicht sprachlich diskriminieren will und Wert auf präzise Ausdrucksmöglichkeiten legt.
@ Tom: … genug normale Menschen
Was einer sagt und was einer meint ist nicht notwendigerweise dasselbe. Wenn die Hausordnung einer Universität etwa Regelungen darüber enthält, was „die Studenten“ nicht dürfen, könnte jede Studentin das Verbotene trotzdem machen. Das Argument, der Text spreche nicht über Studentinnen, wäre stichhaltig. (Angenommen, die Hausordnung enthalte keinen Hinweis darauf, dass mit „Studenten“ eben „Studierende unabhängig von ihrem Geschlecht“ gemeint sind. Und das Antidiskriminierungsgesetz mal außen vorgelassen.)
P.S.: Halten Sie Leute, die sich bemühen, niemanden zu diskriminieren und alle Menschen als gleichwertig zu behandeln, wirklich für anormal?
Schwierige Sache
Als Autorin und Werbetexterin vermisse einen Aspekt in dem Artikel: die Sprachästhetik. Denn nicht alles Geschriebene ist eine Gebrauchsanweisung, bei der es ausschließlich auf Verständlichkeit ankommt. Die Texte sollen auch gefällig zu lesen sein. Es gibt Inhalte, bei denen kommt es zu einer solchen Häufung der Beidnennung, dass der Text schließlich hässlich wird. Wenn man zum X. Mal “Bürgerinnen und Bürger” oder “Münchnerinnen und Münchner” geschrieben hat, fängt es an sperrig zu werden und ich frage mich dann oft, ob man die Leserinnen und Leser (da haben wir’s wieder, ich hätte viel lieber “die Leser” geschrieben) nicht für doof hält. Als ob sie nicht wüssten, dass mit “die Münchner Bürger” alle gemeint sind.
Ich versuche das Problem zu lösen, in dem ich von Fall zu Fall entscheide, ob ich jetzt wirklich eine Beidnennung brauche. Das Binnen‑i ist für mich aus ästhetischen Gründen keine Lösung, es liest sich einfach unschön und die weibliche Form ist aus meiner Sicht hier überbetont.
Echte Fragen an Herrn Stefanowitsch
Lieber Herr Stefanowitsch,
ich habe zwei bis drei echte Fragen an Sie, über deren Beantwortung ich mich freuen würde.
Schließen Sie, wenn Sie von der “unverbesserlichen Seichtigkeit der Sprachnörgler” sprechen, wirklich weibliche Sprachnörgelnde aus? Wenn ja, mit welchem sachlichen Grund?
Angenommen, die Frauen und Männer, die Ihre Vorlesungen und Seminare besuchen, würden Ihnen an einem Tag einmal furchtbar auf die Nerven gehen und Sie kämen reichlich ärgerlich und erzürnt nach Hause. Ihr liebster Mensch würde besorgt fragen, warum Sie denn so schlecht gelaunt sind. Seufzen Sie dann: “Mich haben heute die Studierenden so genervt.” oder “… die Studentinnen und Studenten …” oder nicht vielleicht doch einfach “… die Studenten …”?
Besten Dank im Voraus.
Durchaus eine interessante Studie und es wäre spannend, wenn man dieses (auch von Seiten des Bloginhabers stark ideologisch aufgeladenene Thema tatsächlich mal sachlich diskutieren könnte.
An der Studie so wie sie im Artikel beschrieben steht, finden ich 2 Dinge sehr störend:
1. Relevanter als der Apfel-Birnen-vergleich mit anderen Sprach- und Kulturräumen wäre IMO ein deutscher Blindtest gewesen: Zeigt sich bei Sätzen wie “Die Menschen gehen über den Bhf” wirklich eine Gleichverteilung der Interpretation männlich/weiblich?
2. Wieso muss man sich in der Studie für männlich ODER weiblich entscheiden? Die Argumentation bzgl. des “generischen Maskulinum” hebt doch spezifisch auf GEMISCHTgeschlechtliche Gruppen ab.
3. Es gibt doch beliebig viele Abstufungen und Situationen in denen man von Studenten oder Student/Innen sprechen/schreiben kann.
Denkt man bei Studentenkneipe auch nur an Männer? Und wenn ja liegt das nicht vllt eher am Wortteil Kneipe als am Wortteil? Und wie sieht es mit Studentenstädten und dem Studentenleben aus?
@ Hans Retep
Der Artikel ist im Plural für alle Genera gleich und enstpricht der Form des femininen Artikels im Singular, dadurch werden aber nicht alle Substantive im Plural Feminina.
Einwand
Wenn ein Arbeitgeber zu mir sagt: “Die meisten meiner Mitarbeiter sind verheiratet und haben Kinder”, würde ich erst mal davon ausgehen, dass er sowohl von seinen männlichen als auch von seinen weiblichen Mitarbeitern spricht. Denn sonst würde er sagen: “Die meisten meiner männlichen Mitarbeiter sind usw.”
Was ich damit sagen will: Ich glaube nicht, dass die zitierte Gygax-Studie sonderlich aussagekräftig ist. Normalerweise hat man nämlich immer einen Kontext, der einem viel darüber mitteilt, wie man bestimmte Wörter zu verstehen hat, seien es das vorangegangene Gespräch, Hintergrundinformationen, Gestik, Mimik, oder aber die Art der Publikation.
Wenn ich alles richtig verstanden habe, werden einem in der Testsituation nur jeweils zwei Sätze präsentiert und man soll dann unter Zeitdruck entscheiden, ob sie zusammengehören oder nicht. Da greift man in der Not schon mal auf Kategorien wie das grammatische Geschlecht des Subjekts zurück, wenn man sonst keine Anhaltspunkte hat.
Ich will nicht bestreiten, dass es auch in längeren Texten uneindeutige Passagen geben kann; dann ist es sinnvoll, sprachlich deutlich zu machen, dass man Männer und Frauen meint. Aber das bei tatsächlich sämtlichen Gruppenbezeichnungen zu machen, halte ich nicht für notwendig.
(Extra-Info: Ich habe mich selbst – allerdings nur mündlich – in meiner Zeit an der Uni des Öfteren als “Student” bezeichnet, obwohl ich weiblich bin.)
Haha ja, da sprechen wir dann wohl besser auch von Studentinnen- und Studentenstädten, damit niemand glaubt, dass es sich um Städte voller Männer handelt, die alle studieren.
Zur Studie “generisches Maskulinum”
Die Studie zeigt lediglich, daß die permanente Verwendung von
* Bürgerinnen und Bürger
* Studentinnen und Studenten
bereits dazu geführt hat, daß das generische Maskulinum als solches nicht (mehr) erkannt wird.
Leider ist es nicht möglich, aber gäbe es vergleichbare Studien vor 5/10/20 Jahren, würde die hier erwähnte evtl. mehr Aussagekraft erlangen.
Auch das Heranziehen von Beipackzetteln, die an sich schon unverständlich sind, halte ich für absurd.
Beispiel gefällig?:
Der Kantonstierarzt beziehungsweise die Kantonstierärztin oder der beziehungsweise die an seiner beziehungsweise ihrer Stelle eingesetzte Tierarzt beziehungsweise Tierärztin leitet in fachlicher Hinsicht die Tätigkeit der Fleischinspektoren beziehungsweise Fleischinspektorinnen und Fleischkontrolleure beziehungsweise Fleischkontrolleurinnen.
dies & das
Ich habe ein paar Anmerkungen:
1. Wenn ich mich richtig an die lange zurückliegenden Isländischstunden erinnere (die nicht wirklich zu einer aktiven Sprachkompetenz geführt haben ;-), verwendet Isländisch bei gemischten Gruppen in der 3. Person Plural die Neutrumform. Und ein Blick in den entsprechenden Wikipedia-Artikel bestätigt dies: “Anders als im Deutschen findet eine Unterscheidung nach Geschlechtern auch im Plural der 3. Person statt. Dabei kommt die maskuline Form þeir nur bei rein männlichen Gruppen zur Anwendung, die feminine Form þær nur bei rein weiblichen Gruppen, während die Neutrumform þau für gemischte Personengruppen (und damit am häufigsten) benutzt wird.” Eigentlich eine elegante Lösung. Wohl dem, der über eine reichhaltige Morphologie verfügt 😉
2. Gibt es derartige Untersuchungen auch für Schwedisch (oder auch Dänisch oder Norwegisch)? Im Schwedischen sind mask. und fem. in der Kategorie utrum zusammengefallen, und einige weibliche Gewährspersonen legen Wert auf die Berufsbezeichnung lärare statt lärarinna, denn letzteres konnotiert offenbar ein stark rückständiges Berufsbild.
3. Das Binnen‑I ist aus einem ganz einfachen Grund problematisch: Blinde und sehbehinderte Menschen rezipieren Texte entweder per Sprachausgabe am PC, auf der Braillezeile am PC oder in Braille auf Papier. Braille kennt meines Wissens keine Unterscheidung in Groß- und Kleinbuchstaben (jedenfalls 6‑Punkte-Braille auf Papier, bei 8‑Punkte-Braille auf der Braillezeile mag das anders sein), und für die Sprachausgabe ist der Unterschied zwischen “Studentinnen” und “StudentInnen” nicht erkennbar. Bei der Aufsprache von Texten für Audiomedien stellt sich die Frage, wie “StudentInnen” denn ausgesprochen werden soll.
4. Einer der Kommentare vermutete, dass der erhöhte Aufwand beim Verarbeiten von Sätzen zu einer besseren Erinnerung führt. Da ist wahrscheinlich was dran, aber schöner wäre es, die weggedämmerten Leser durch stilistische Kunstgriffe zu wecken und nicht durch schwer zu parsenden Input 😉
Mein Vorschlag wäre die Endung ‑on, Plural ‑ons mit Neutrum als Genus. Somit hat man neben einer Bildungsvorschrift für ein Femininum auch eine fürs Neutrum.
Bsp.:
Wir suchen ein Sekretäron zur Sofortanstellung.
Die Studentons besetzen die Mensa.
Die Sozialarbeiterons liefen durch den Bahnhof.
Ganz ernstgemeint ist der Vorschlag nicht, aber wesentlich künstlicher als die Binnen-I-Form finde ich das auch nicht.
Eine gute Studie (von Gygax et al.) mit sagen wir mal gewagten Schlussfolgerungen (von A.S., in vermutlich provokatorischer Absicht — das Privileg des Blogs gegenüber der Fachzeitschrift).
Eine andere Frage: Wer forscht auf diesem Gebiet mit welcher Intention? Nur Wissensgewinn, ohne politische Hintergedanken?
@ Chris
Das vermeintlich althergebrachte sog. generische Maskulinum ist eine recht junge Entwicklung. Ursprünglich wurde das Neutum als generisches Genus verwendet, z.B.: “Jemand Fremdes hat mich nach dem Weg gefragt” (vgl. http://www.linguistik-online.com/…doleschal.html).
Bei der Hypothese eines generischen Maskulinums stellt sich mir die Frage, wie es entstanden sein sollte. Die deutsche Sprache hatte schließlich nie Probleme, Männer und Frauen durch das Genus zu unterscheiden. Sollten wir annehmen, dass es in den Jahrhunderten, in denen Soldaten und Studenten tatsächlich stets Männer waren, bereits ein generisches Maskulinum gab? Dass also die SprachbenutzerInnen bei „Soldaten“ und „Studenten“ immer schon die irgendwann unausweichliche Emanzipation der Frau mitgedacht und Soldatinnen oder Studentinnen zumindest semantisch inkludiert hätten, auch wenn im konkreten Fall immer nur Männer gemeint waren? Schon Occam’s Razor würde die weit simplere Erklärung nahelegen, dass wer die maskuline Form benutzte, nicht nur Männer bezeichnete, sondern auch Männer meinte. Das generische Maskulinum müsste demnach erst später entstanden sein.
Was sich dann aber tatsächlich verändert hat, war zunächst einmal nicht die Sprache, sondern die Gesellschaft, insofern die Frauen erst die Hochschulen und später auch die Armee erobert haben. Die Annahme, in dieser Zeit sei ein generisches Maskulinum entstanden, bedeutete, dass sich die Sprache verändert hätte, gerade indem der Sprachgebrauch gleich blieb und weiterhin von Studenten und Soldaten die Rede war. Die Sprache hätte mithin allein durch ihr Beharrungsvermögen ein neues Konstrukt, eben das generische Maskulinum, gewonnen. Aber mit einer solchen Vorstellung hätte ich doch erhebliche Probleme.
Die zitierten Untersuchungen weise doch vielmehr darauf hin, dass Sprache und Gesellschaft divergieren, was ganz konkret erlebt wird, wenn beispielsweise „Sozialarbeiter“ eingeführt werden und dann im nächsten Satz von Frauen die Rede ist. Unser Wissen über die gesellschaftliche Realität sagt uns, dass Frauen wie Männer Sozialarbeit leisten und dass die Verwendung der maskulinen Form allein dem Beharrungsvermögen der Sprache geschuldet sein mag, aber der Widerspruch zwischen sprachlicher Form und gesellschaftlicher Realität irritiert für kurze Zeit und verursacht die beobachtete Verzögerung der Antwort.
Ich finde Ihre Argumentation aus #comment-35213 interessant. Sie schreiben:
“Ich kann sagen „Meine Studentinnen sind echt gut, vor allem der Typ mit dem Vollbart“, und mein Gegenüber kann dann durch nachdenken darauf kommen, dass ich aus irgendeinem Grund mit Studentinnen eine gemischte Gruppe meine.”
Sofern man diese Argumentation FÜR das generische Maskulinum einsetzt, ist das Gegenargument schnell bei der Hand: Es wäre diskriminierend, von Frauen zu verlangen, sich diese Bedeutung aus dem Kontext zu erschließen.
Ich habe mich zeitlebens als Frau vom generischen Maskulinum angesprochen gefühlt und stimme Caldrin zu, dass eine stärkere Verankerung seines geschlechtsneutralen Gebrauchs eine zufriedenstellende Lösung sein könnte.
@Caldrin
“Frau Merkel ist die erste deutsche Bundeskanzlerin” sagt genau das aus, was sie wollen. Das Wort “weiblich” ist dann redundand. Denn Bundeskanzlerin ist ja bereits die feminine Form 🙂
>entstanden sein sollte. Die deutsche >Sprache hatte schließlich nie Probleme, >Männer und Frauen durch das Genus zu >unterscheiden. Sollten wir annehmen, dass >es in den Jahrhunderten, in denen Soldaten >und Studenten tatsächlich stets Männer >waren, bereits ein generisches Maskulinum >gab? Dass also die SprachbenutzerInnen bei
Jetzt wird’s lustig. Schweizer waren in früheren Jahrhunderten wohl auch nur Männer. Doch wie haben die sich vermehrt?
Beidnennung
A.S. schrieb:
“Das Binnen‑I lässt sich in der gesprochenen Sprache problemlos in eine Beidnennung auflösen”.
Sie haben von mehreren Kommentatoren genannt bekommen, warum Beidnennung keine Lösung ist. Ihre Antwort darauf lässt sich als „Ich bin anderer Meinung, sage aber nicht, warum“zusammenfassen. Nach Ihren eigenen Kommentierungsregeln müssten Sie den Kommentar löschen.
Natürlich haben Sie als Hausherr das Recht, sich nicht an die eigenen (sinnvollen) Regeln zu halten. Wenn Sie auf diese Art diskutieren wollen und der zitierte Kommentar nicht nur ein Ausrutscher wäre, fände ich es fair, wenn Sie das dazusagen. Einen argumentbasierten Kommentar zu formulieren ist ziemlicher Aufwand. Dieser Aufwand lohnt sich nicht, wenn bspw. ein über 400 Worte umfassender Text darüber, warum die Alternativen schlecht sind mit “eingebildete Alternativlosigkeit” abgeschmettert wird.
Ein (soweit ich sehe) noch nicht genanntes Argument gegen Beidnennung ist, dass es eine Bdeutungsänderung gegenüber dem Generikum mit sich bringt. Nehmen wir den Satz “ÄrztInnen gehen zum ÄrztInnenkongress”, dann wird (wenn wir ÄrztInnen als Generikum akzeptieren) nicht gesagt, wieviele davon männlich und wieviele weiblich waren. Es könnten auch alles Männer oder alles Frauen sein. Wenn wir das aber als “Ärztinnen und Ärzte gehen zum Ärztinnen- und Ärztekongress”, dann muss mind. eine männliche und mind. eine weibliche Arztperson da hin gegangen sein, nach meinem Sprachgefühl sogar jeweils mehrere. Diese Bedeutungsänderung kann sogar auf andere Satzglieder ausstrahlen. Beispiel: “Sieben ÄrztInnen …” würde zu “Sieben Ärztinnen und Ärzte”. Es gibt mind. 3 Sprecher die das ohne Nachzudenken als “Je sieben Ärztinnen und sieben Ärzte” verstehen.
@Peer
Peer schrieb:
> “Frau Merkel ist die erste deutsche
Bundeskanzlerin”
> sagt genau das aus, was sie wollen.
Nicht ganz, denn ist nicht bedeutungsgleich zu “Frau Merkel ist der erste weibliche Bundeskanzler” (generisches Maskulinum). In letzterem Fall wird der Akspekt “weiblich” betont. Als Programmierer würde ich sagen “Frau Merkel war das erste Objekt der Klasse “Bundeskanzler” mit dem Attribut “weiblich”. Das sagt aber implizit, dass es vorher andere Bundeskanzler gab, die eben nicht weiblich waren. Diese Aussage fehlt in Ihrem Satz. “Merkel war die erste Bundeskanzlerin nach Schröder” und “Merkel war der erste Bundeskanzler nach Merkel” (wenn man das generische Maskulinum akzeptiert). “Merkel war der erste weibliche Bundeskanzler nach Schröder” klingt für mich falsch.
tief im Wissen
Sehr gut erklärt, detailreich und für mich sehr aufschlussreich. Würde es gerne meiner ehemaligen Mitstudentin zeigen, die genau diese Erklärungen für ihr maskulines Schreiben verwendete. Ich bin stolz bei meinen Schreiben immer alle Geschlechter zu nennen, jawohl!
@ D. Müller: Schweizer
Früher ™ war es in der Regel so, dass nur der Mann als vollwertiger Mensch galt. Die Frau wurde oft als eine Art funktionalitätsreduziertes Hilfswesen auf Menschenbasis betrachtet (weniger Körperkraft, dumm bzw. weitgehend bildungsunfähig, nur zum Kinderkriegen und für die unangenehmen Aufgaben geeignet sowie als Sexlieferantin). Frauen hatten in Europa über Jahrhunderte kaum Rechte, galten praktisch als Eigentum ihres Vaters oder Ehemanns, waren nicht oder nur sehr eingeschränkt geschäftsfähig und wurden vom Gesetzgeber systematisch benachteiligt. Da ist es kein Wunder, wenn eben nur von Schweizern gesprochen wurde und nicht auch von Schweizerinnen. Die Volkszugehörigkeit der Frau dürfte weitgehend egal gewesen sein.
Ich bin kein Historiker und bin mir bewusst, dass diese Darstellung überspitzt, grob vereinfacht und viel zu allgemein ist (“in Europa” und “über Jahrhunderte” impliziert eine großflächige Einheitlichkeit, die so wohl nicht gegeben war), aber ich denke, dass ich im Prinzip nicht allzuweit danebenliege. Wann haben Frauen das Wahlrecht erhalten, z.B. in der Schweiz? Eben.
Zurück zum Thema
Hier wurde von mehreren Kommentatoren eingewandt, geschlechtsneutrale Varianten wie das Binnen‑I wären im Gebrauch umständlich, wären nicht in die gesprochene Sprache übertragbar und so weiter. Aber so interessant solche Diskussionen auch sein mögen: War das überhaupt das Thema? Es ging doch eigentlich darum, ob die Hypothese eines generischen Maskulinums im Deutschen haltbar ist. Wenn die Daten dieser Hypothese widersprechen, müssen wir sie als widerlegt ansehen, ganz gleich, ob uns das Deutsche bereits perfekte Alternativen anbietet. Also: Wenn die Annahme eines generischen Maskulinums unhaltbar ist und es an guten Alternativen fehlt, dann ist die Annahme immer noch unhaltbar. Wissenschaft ist doch kein Wunschkonzert. Wenn alle Daten gegen die Existenz des Weihnachtsmanns sprechen, kann man ja auch nicht einwenden: „Das geht doch nicht; wer soll denn dann die Geschenke bringen?“
Nachfrage
@ caldrin, ich vermisse Ihr “warum”, so bleibt es eine Unterstellung.
A.S. hat seine Meinung im Blogbeitrag sehr deutlich gemacht, und auch ich sehe keinen Grund, warum man nicht X und Xinnen sagen sollte, wenn es keinen neutralen Ausdruck gibt.
Bitte liefern Sie doch Argumente, damit man darauf eingehen kann.
“Wegen der schönen Wetterprognose trugen mehrere der Frauen keine Jacke.”
Zumindest für mich impliziert dieser Satz, dass es sich bei den Sozialarbeitern nur um Frauen gehandelt hat — dann hätte man allerdings gleich “Sozialarbeiterinnen” schreiben können. Da dies nicht der Fall war, würde ich auch von Männern ausgehen. Insofern hat nicht der erste, sondern der Nachfolgesatz den Ausschlag gegeben.
Des Weiteren frage ich mich ja, ob bei den Muttersprachlern nur Männer befragt wurden, denn von Muttersprachlerinnen ist ja hier gar nicht die Rede! Stattdessen hätte man vielleicht “Engländer, Engländerinnen, Franzosen und Französinnen” ausführlich erwähnen sollen? Natürlich wird das ab einem gewissen Grad wirklich absurd! Von mir aus Ansprache im allgemeinen Brief, in dem Männer wie Frauen gleichermaßen gemeint sind — aber bei jeder Kleinigkeit auf ein generisches Maskulinum zu verzichten, weil es angeblich nicht existiert?
Ich als Frau fühle mich mit “Student” genauso angesprochen und halte es eher für weibliche Überheblichkeit, wenn ich mit “Du bist doch StudentIN” verbessert werde. Zwar bin ich sonst in vielen Bereichen vermutlich die erste, die aufschreit, wenn es um Ungerechtigkeit aufgrund eines fehlenden Penis geht — aber gerade im derartigen Sprachgebrauch fühle ich mich nun wirklich nicht ausgeschlossen.
[Zu Ihrem ersten Punkt: Siehe meine Antwort zum Kommentar von „alter Jakob“ oben. — A.S.]
Dass das Maskulinum problemlos generisch interpretiert werden kann, ist eine Tatsache. Der lebende Beweis sind die neuen Bundesländer. Wenn Frauen im öffentlichen Leben sichtbar sind, benötigen sie keine verbale Sichtbarmachung, denn sie sind bereits sichtbar und Teil des Generischen.
Die Frage ist aber eine ganz andere: Schafft man Gerechtigkeit, wenn man Frauen gesondert benennt? Und welche Gerechtigkeit soll das sein? Oder muss Gerechtigkeit anders hergestellt werden, und sprachliche Gymnastik ist die Flagge eigennütziger Symbolpolitik? Oder ist das Thematisieren des Geschlechtes sogar eine Form von Othering, eine Markierung von Frauen als die Anderen, die nicht männlichen, die man Kennzeichnen muss?
[Das ist eine Behauptung, kein „lebender Beweis“. — A.S.]
@Michael J. Hußmann Zurück zum Thema
Sehr gerne noch einmal zum sprachlichen Befund, den halte ich wirklich für diskussionswürdig:
Ich habe es Herrn Stefanowitsch oben auch schon gefragt. Aber vielleicht ist es ja auch interessant, Sie als Stefanowitsch-Lesenden zu fragen: Verstehen Sie Herrn Stefanowitschs Attacken gegen “Sprachnörgler” so, dass nur Männer gemeint sind?
Wie würden Sie eine gemischt-geschlechtliche Drückerkolonne benennen?
Meiner Erfahrung sind die Assoziationen im Wesentlichen auf dem Erfahrungsschatz aufgebaut:
‑die Bauarbeiter sind immer noch eine vornehmlich männliche Gruppe
‑die Kindergärtner sind nach wie vor eine hauptsächlich weibliche Gruppe
Bei heterogeneren Gruppen mit in etwa gleichen Anteilen habe zumindest ich
das Problem, dass explizit männliche Gruppen hervorgehoben werden müssen:
‑Die Studenten feierten eine wilde Party
‑Den Bäckern brannte das Brot an
Hier habe ich explizit eine gemischte Gruppe im Kopf — selbst wenn der Verfasser vielleicht nur die Männer gemeint hat.
Gerade bei älteren Jahrgängen mag bei Studenten eine rein männliche Assoziation vorherrschen, dies liegt wohl daran, dass es für die Unter-30 Generation inzwischen selbstverständlich ist, ungefähr gleiche Anteile bei den Studenten zu haben.
Lediglich wenn ich von “die Informatik-Studenten feierten eine wilde Party” spreche, kehren die “ich denke nur an Männer”-Momente zurück, eben weil die Erfahrung zeigt, dass der Frauenanteil sehr niedrig ist.
Daraus schließe ich, dass bei einheitlichen Gruppen sowohl rein männliche als auch rein weibliche Gruppen sprachlich besonders hervorgehoben werden müssen.
[Interessant ist hier aber, dass diese Art von Stereotypizitätsannahmen über die Zusammensetzung von Gruppen nur in der englischen Version des Experiments einen Einfluss auf die Reaktionszeiten hatte (also dort, wo es kein grammatisches Geschlecht gibt). Im Deutschen und Französischen gab es solche Effekte nicht. — A.S.]
nicht jeder generische ist gleich
das ist jetzt schon wieder umständlich ausgedrückt… Nicht jede Verwendung von männlichen Formen und “mit meinen” von Frauen ist gleich — in den Kommentaren oben ist das Beispiel der Bürger Münchens genannt, bei dem es deutlich leichter fällt, bei der männlichen Form auch die Frauen mit zu verstehen — anders als bei den Soldaten. Interessanterweise kommentieren einige Damen, dass sie sich bei “Studenten” mitgemeint fühlen (trotz der Existenz des Worts “Studierende”). Mir scheint der Kommentar von
— Michael J. Hußmann: Zurück zum Thema — absolut zutreffend — die Sprache deckt sich nicht mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit und es wird sich eine sprachliche Lösung finden. Wir wissen nur noch nicht wie sie aussehen wird; einige Vorschläge sind ja zu finden, sind aber nicht Gegenstand des Artikels: only time will tell, gell?
Gibt es eigentlich irgend eine Bezeichnung im Femininum, bei der automatisch auch die Männer mitgemeint sind? Der Begriff “generisches Femininum” ist mir bisher noch nicht aufgefallen.
@phaeake
[quote]Verstehen Sie Herrn Stefanowitschs Attacken gegen “Sprachnörgler” so, dass nur Männer gemeint sind?
Wie würden Sie eine gemischt-geschlechtliche Drückerkolonne benennen?[/quote]
Nein, ich verstand Herrn Stefanowitsch nicht so (obwohl Sprachnörgler wohl tatsächlich im Regelfall Nörgler und keine Nörglerinnen sind; das entspricht jedenfalls meiner Erfahrung). Aber es geht doch nicht darum, auch bei Anatol Stefanowitsch mal einen Fehler, eine Schludrigrigkeit oder Inkonsequenz zu finden. In der Schule mag es einem ja eine gewisse Befriedigung verschaffen, dem Lehrer mal einen Fehler nachweisen zu können, aber sind wir dafür nicht zu alt?
Und was die Drückerkolonne betrifft: Ich kann mir alle möglichen Varianten vorstellen, die vielleicht sperrig oder irritierend wirken und von vielen nicht akzeptiert würden, aber die Suche nach guten und praktikablen Lösungen für geschlechtsneutrale Formulierungen ist eben ein Thema für sich. Die Frage, die hier ansteht, ist die nach der Existenz eines generischen Maskulinums im Deutschen. Anatol Stefanowitsch hat seine Argumente dagegen genannt und mit dem Verweis auf empirische Untersuchungen untermauert; ich finde sie insgesamt überzeugend. Das ist aber nur Wissenschaft und noch nicht die Lösung von Problemen des Sprachgebrauchs. Wenn man seiner Argumentation folgt, heißt das zunächst einmal nur, dass eine einfache und daher oft favorisierte Lösung keine ist, da sie auf Wunschdenken gründet – wir können nicht guten Gewissens weiter das Maskulinum verwenden und behaupten, es sei ein generisches Maskulinum. Denn eben dieses gäbe es ja gar nicht (im Deutschen).
Untersuchungsvorschlag
Wie waere es denn mal mit einer Untersuchung, ob die massenweise Verwendung von /innen die Erkennung des “generischen Maskulinum” geistig aufwaendiger macht?
Gendergap
Wie sieht das mit dem Gendergap aus? Längere Texte mit Gendergap empfinde ich persönlich als unlesbar, kürzere als entnervend.
@Christoph Päper
> Mglw. sagte er im Original „;8=B>=0“
Fremdsprachige Namen haben im Russischen keine gesonderten männlichen oder weiblichen Formen, Sie Experte.
@ Michael J. Hußmann
Es geht mir keinesfalls darum, Herrn Stefanowitsch nachzuweisen, mit der Verwendung des Begriffs “Sprachnörgler” eine Schludrigkeit begangen zu haben. Vielmehr würde ich darin, dass er diesen Begriff — Ihres Erachtens — fraueneinschließend verwendete und Sie und ich ihn auch so verstanden haben haben, einen Beweis für die Existenz des generischen Maskulinums sehen und damit — Ihrem Wunsch entsprechend — zum Thema zurückkehren.
Danke sehr
Statt mühselige Nicht-Diskussionen zu führen mit Personen, die sich von meinem Gendern moralisch ermahnt fühlen*, werde ich ab jetzt einfach auf diesen Artikel verweisen.
*: Ein merkwürdiger Effekt, auf den ich immer wieder stoße — Personen meinen, ich genderte, um andere auf ihr Nicht-Gendern aufmerksam zu machen. Ich gendere, weil ich mich selbst nicht als im generischen Maskulinum mitadressiert fühle.
Dierk: SekretärIn
Es stößt uns richtggehend auf, wenn jemand von Generalsekretärin spricht statt von Generalsekretär.
@gnaddrig: Ihre Darstellung ist nicht nur überspitzt, sie hat auch mit der Argumentation, auf die sie sich bezieht, wenig zu tun. Es geht hier nicht um die Binsenwahrheit, dass Frauen früher generell (und in vielen Ländern noch heute) weniger Rechte hatten als Männer, sondern um die linguistische Frage, ob das generische Maskulinum mit dem Verweis auf bestimmte Gruppen, die früher im Gegensatz zu Schweizern oder Finnen (Ersteinführer des Frauenwahlrechts) tatsächlich rein maskulin waren, als Mythos entlarvt werden kann. Die Antwort lautet nein.
Entscheidend ist, ob sich Frauen beim generische Maskulinum angesprochen fühlen. Die Antwort lautet: ein klares Jein.
Da ja wiederholt die Frage aufgeworfen wurde, ob sich Frauen beim sogenannten generischen Maskulinum mitgemeint fühlen, möchte ich fragen: Was heißt eigentlich “mitgemeint fühlen”? Ich kann natürlich Mädchen/jungen Frauen im Rahmen ihrer Erziehung und Ausbildung quasi-axiomatisch eintrichtern, dass sie immer mitgemeint seien, wenn jemand von “Studenten” oder “Bürgern” spricht. Basierend auf dieser Indoktrination wird sich die junge Frau dann womöglich “mitgemeint fühlen”, nur ist das gar nicht das Zielkriterium: Die Frage ist doch, ob die Frauen bei der Benutzung vermeintlich generischer Formen *tatsächlich* mitgemeint sind. Dass die Evidenz in Form methodisch sauber gearbeiteter Empirie eher dagegen spricht, ist doch oben schön dargelegt worden.
Es kommt hinzu, dass des selbständigen Denkens mächtige Frauen (und das sind mehr als viele Männer wahrhaben wollen…) die Definition “männliche Formen meinen auch Frauen” zwangsläufig irgendwann hinterfragen werden: Wieso soll ich mitgemeint sein, wenn doch gleichzeitig die Feminina “Studentin” und “Bürgerin” existieren?
@gnaddrig
“P.S.: Halten Sie Leute, die sich bemühen, niemanden zu diskriminieren und alle Menschen als gleichwertig zu behandeln, wirklich für anormal?”
Nein, ganz und gar nicht. Gleichbehandlung ist ist richtig und wichtig. Sich aber an solchen Kleinigkeiten hochziehen und das Leben unnötig verkomplizieren (gerade ihr Beispiel mit der Hausordnung) ist für mich unnötig. Da werden die wichtigen Sachen und Fakten in viel schwerer verständlichem “BlahBlah” versteckt und gehen unter. Menschen, die sowas ernsthaft machen, sind mir unsympathisch. Ich habs halt lieber klar und deutlich.
@ Iwanuschka:
Stimmt schon, aber weibliche ausländische Namen werden im Russischen nicht dekliniert, männliche schon: #;8F0 0@;0 0@:A0 — Uliza Karla Marksa, aber #;8F0 ;0@K &5B:8= — Uliza Klary Zetkin. Wenn also von ;8=B>=0 die Rede ist, muss sich das eigentlich auf einen männlichen Clinton beziehen.
@ Tom:
Stimmt, manche Leute bringen es mit solchen Sachen auf bemerkenswerte Penetranz, ganz unabhängig davon, ob das Anliegen an sich berechtigt ist und sie in der Sache recht haben.
Gibt es eigentlich Untersuchungen, wie Frauen (oder auch Männer) die jugendsprachliche Anrede “Alter” (oder besser: “Alder”) empfinden? Ich höre nicht selten, dass selbst in einem Gespräch unter weiblichen Teenagern am Ende eines Satzes noch ein “Alder” angefügt wird (z.B. “Wie spät isses eigentlich, Alder?”), ohne dass Sprecherin oder Adressatin sich dabei merkwürdig vorkommen. Man mache auch nicht den Fehler und weise die Mädels darauf hin, dass es doch “Alde” heißen müsste. 😉
In eine möglicherweise ähnliche Schublade gehört das englisches “you guys”, das als eine Art inoffizielle “ihr”-Form benutzt wird, selbst für eine rein weibliche Gruppe, obwohl “guys” eigentlich “Kerle” bedeutet. Offenbar verwenden selbst viele Frauen diese Wendung, wenngleich es auch den (gefühlt deutlich weniger verbreiteten) Ersatz “you gals” (=girls) gibt.
Eine Frage
In einer Schweizer Zeitung steht heute: “Die Persönlichkeit des Jahres hat für das ‘Time’-Magazin 2011 keinen Namen: Die US-Zeitschrift entschied sich bei ihrer traditionellen Wahl für den anonymen Demonstranten und ehrte damit die Menschen, die von den Protesten in der arabischen Welt bis zur Occupy-Bewegung in New York auf die Strasse gegangen sind.”
Auf dem Titelblatt der Times ist eine Frau, eine Demonstrantin also, abgebildet. Die Wirkung ist irritierend, denn unter dem im Text erwähnten “anonymen Demonstranten” stelle ich mir definitiv einen Mann vor.
Hat jemand eine Idee, wie man dieses Dilemma lösen kann?
generisches Femininum
@LMK
Zitat: “Gibt es eigentlich irgend eine Bezeichnung im Femininum, bei der automatisch auch die Männer mitgemeint sind? Der Begriff “generisches Femininum” ist mir bisher noch nicht aufgefallen.”
Ein Wort, das mir auf Anhieb einfällt, ist “Geschwister”.
[Geschwister ist ein Neutrum. — A.S.]
Münchnerinnen und Münchner
@ frauschmitt
Sie schreiben: “Wenn man zum X. Mal […] “Münchnerinnen und Münchner” geschrieben hat, fängt es an sperrig zu werden. […]
Ich versuche das Problem zu lösen, in dem ich von Fall zu Fall entscheide, ob ich jetzt wirklich eine Beidnennung brauche. Das Binnen‑i ist für mich aus ästhetischen Gründen keine Lösung, es liest sich einfach unschön und die weibliche Form ist aus meiner Sicht hier überbetont.”
Aus der aktuellen Statistik von München:
München
1.330.440 Einwohner:
— 643.090 Männer
— 687.350 Frauen
Da es in München also mehr Frauen als Männer gibt, empfinde ich die Nennung der weiblichen Form nicht als “überbetont”.
Das Problem ließe sich ganz einfach lösen, indem man nur von “Münchnerinnen” spricht. Diese sind schließlich die Mehrheit und selbstverständlich ist bei der Bezeichnung “Münchnerinnen” auch die Minderheit der Münchner Männer mitgemeint.
Warum soll das ein Femininum sein?
Einfache Lösung für merti
“Auf dem Titelblatt der Times ist eine Frau, eine Demonstrantin also, abgebildet. Die Wirkung ist irritierend, denn unter dem im Text erwähnten “anonymen Demonstranten” stelle ich mir definitiv einen Mann vor.”
Ganz einfach: Man muss “The Protester” eben zutreffend mit “Die Demonstrantin” übersetzten. Natürlich kann das englische Wort auch “Der Demonstrant” heißen, aber die Redaktion des Magazins hat doch ganz klar gemacht, dass sie an eine Frau gedacht hat, also ist diese Übersetzung im Sinne des Autors des Ursprungstextes klar vorzugswürdig. Kein männlicher Demonstrierender sollte Schwierigkeiten haben, sich mitgeehrt zu fühlen.
Als geschlechtsneutrale Benennung fiele mir nur “DEMONSTRIERENDER Mensch” ein.
@ merti
ich finde grade dieses irritierende moment spannend und bin allgemein für mehr verwirrung, was die bezeichnung der geschlechter (egal ob nun sex oder gender) angeht. ich stelle mir unter dem demonstranten ehrlich gesagt auch eine männliche person. nicht nur das: die person in meinem kopf ist auch noch weiß, heterosexuell und mitte 20…
@ centrum: Sekretärin
Die Vorvorgängerin des inzwischen ja auch schon wieder abgängigen Herrn Lindner war eine gewisse Frau Pieper (deren Vorgänger übrigens ein gewisser Herr Westerwelle). Und ja, es wäre mir aufgestoßen, wenn Frau Pieper als Generalsekretär bezeichnet worden wäre. Sie war doch Generalsekretärin.
i
Wie wäre es mit den Suffix “i” für heterogen Gruppen?
Z.B:
Beamte + Beamtinnen = Beamti
Arbeiter + Abeiterinnen = Arbeiteri
Kanzler + Kanzlerin = Kanzleri
Hebammerer(?) + Hebammen = Hebammeri
jm2c
to love.to be loved…and to be a banker
Eine weitere (fünfte?) Möglichkeit, das generische Maskulinum zu feminisieren:
“die Herrschaft”,
“die Sozialarbeiterschaft”,
“die Sekretärschaft”.
Indizienbeweis:
“Frau Merkel ist die fünfte Bundeskanzlerschaft aus der CDU.”
@jm2c Was aber wenn
Schöne Idee!
Was aber, wenn schon das Maskulium auf ‑i endet — wie z.B. “der Ossi” — und man der unter anderem von ZDF-Journalist Wolfgang Herles vertretenen Auffassung folgt, dass das Femininum dann folgerichtig “die Ossa” lauten muss? Wie bezeichnen Sie dann eine Gruppe ostdeutscher Männer und Frauen. “Die Ossis” wäre (drei Kreuze) eine Ausgrenzung der Frauen. Die Ossii? Die Ossi‑i? Die Ossierenden?
Ich finde ja, und das mag rein subjektiv sein, die Formen mit Schrägstrich, Binnen‑I oder Gener_gap unglaublich hässlich.
Formen wie “Studierende” finde ich okay, denke jedoch, dass solche Formen nicht für alle Berufsgruppen möglich sind. (Pilotende, Polizierende)
Trotzdem verstehe ich schon das Problem, denke aber, dass es ohne größere Eingriffe in die Sprache nicht zu beheben ist.Am besten man verwendet für alle Berufsbezeichnungen und personlisierte Verben den sächlichen Artikel.
Das wäre mindestens eine Generation unglaublich nervig für alle, die es anders gelernt haben, jedoch zu machen, wenn die Medien das nur früh konsequent genug übernehmen.
@Heiko C.
Meinen Sie das im Ernst? Wollen Sie dann für diejenigen, die nicht ausschließlich aktuelle Texte lesen, auch die Literaturbestände durchgendern?
“Nun war dieses braves Lehrer
Von dem Tobak ein Verehrer”
Selektive Logik
Bei der Aufnahme von Anglizismen darf sich die Sprache also entwickeln, aber ein generisches Maskulinum gibt es nicht, weil … nun, weil es das eben bislang nicht gab.
[Sie dürfen gerne versuchen, ein generisches Maskulinum zu entwickeln (man fragt sich allerdings, warum Sie das tun wollen). Zum Unterschied zwischen gerechter Sprache und Sprachpurismus siehe ansonsten hier. — A.S.]
…
@frauschmitt: Sprachästhetik sollte bestenfalls ein Ansporn sein, schön und diskriminierungsfrei zu schreiben.
@phaeke: 1.) Es sind tatsächlich fast immer Männer! Ich habe deshalb das Maskulinum bei Sprachnörgler schon einmal irgendwo gerechtfertigt, finde die Stelle aber gerade nicht. 2.) Ich sage tatsächlich häufig die Studierenden, manchmal aber auch einfach die Studentinnen — nämlich dann, wenn (wie es in unserem Fach nicht ungewöhnlich ist) ausschließlich Frauen das Seminar besuchen.
@Daniel: zu 3) — Komposita sind in der Tat oft ein besonderes Problem.
@Mareike Kaa (und ähnliche Kommentare): Es hat wenig Zweck, Ihre eigene Intuition höher zu bewerten als die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien. Wenn unsere Intuition verlässlich wäre, bräuchten wir keine Wissenschaft.
@Achim: zu 3): Man müsste die Audioausgabe instruieren, ein Binnen‑I in „X und X‑innen“ aufzulösen. Technisch sollte das kein Problem sein.
Aussagekraft?
@A.S.:
Zitat:
“Die Versuchspersonen waren Studierende, genauere Altersangaben gibt es nicht.”
Dann halte ich es aber für gewagt, Ergebnisse dieser Studie in irgendeiner Art und Weise zu verallgemeinern. Eine repräsentative Stichprobe der Allgemeinheit ist das nicht. Als solches ist der Studienaufbau alleine schon nicht in der Lage, die gestellte Frage zu beantworten — damit erübrigt sich prinzipiell auf die Erörterung weiterer Schwächen
“@Mareike Kaa (und ähnliche Kommentare): Es hat wenig Zweck, Ihre eigene Intuition höher zu bewerten als die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien. Wenn unsere Intuition verlässlich wäre, bräuchten wir keine Wissenschaft”
Sorry, aber das ist doch Klitterei und verkennt die Bedeutung der Intuition für die Wissenschaft. Insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass Intuition auch in Studien einfließt, insbesondere ins Studiendesign, bei dem immer bestimmte Annahmen zugrundeliegen. Und genau deswegen sollte man mit dem Interpretieren auch sehr vorsichtig sein, und anstatt mit freudestrahlend mit einer Studie zu wedeln, die die eigene (vorgefasste) Meinung bestätigt lieber erstmal versuchen, Löcher in die Studie zu schießen.
Wer wissenschaftliche Studien als Wahrheit™ ansieht, hat großen Nachholbedarf in Wissenschaftstheorie.
@ A.S.
Herzlichen Dank. Im Bewusstsein des Risikos, in einen Haarspaltereiwettkampf mit Herrn Wulff einzutreten: Verstehe ich Sie richtig, dass bei einer sehr starken Überzahl männlicher Sprachnörgelnder das Maskulinum erlaubt ist, von Studentinnen sprechen Sie aber nur, wenn *wirklich alle* Studierenden weiblich sind?
@ OH Aussagekraft?
Die einzige zitierte Studie, die im Netz frei verfügbar zu sein scheint, ist Gabriel et al. (2008). Daraus ergibt sich, daß sich dort das Alter der Testpersonen zwischen 18 und 35 bewegte, aber auch, daß die englischen Testpersonen fast ausschließlich Frauen waren.
Ferner fanden die Tests zu Französisch und Deutsch beide in der Schweiz (Neuchatel und Bern) statt (worauf die Autoren korrekterweise ausdrücklich hinweisen)
Ein Vergleich der englischen und der Schweizerischen Testergebnisse verbietet sich daher von selbst, in welcher Hinsicht auch immer. Auch eine Verallgemeinerung der Schweizerischen Ergebnisse auf den französischen und deutschen Sprachraum ist zumindest nicht ohne weiteres möglich.
Keine Angaben finde ich in dieser Studie über die Fachrichtungen der beteiligten Studenten. Handelte es sich vielleicht nur um Studenten der Sprachwissenschaft? Oder waren natur- und geisteswissenschaftliche Fächer repräsentativ vertreten?
Fazit: irgendwelche allgemeine Schlußfolgerungen aus dieser Studie zu ziehen, ist zumindest sehr gewagt. Selbst die Autoren sind mit ihren Schlußfolgerungen sehr vorsichtig (“we hope to have provided excellent materials for further investigations”).
zur Generalisierbarkeit von Studien
Hallo Oh und SprachnörglerIn,
ich bin Psychologiestudentin und habe mich exzessiv genug mit klassischen Studien beschäftigt, um Ihnen versichern zu können: Wann immer möglich, werden solche Studien an Studierenden durchgeführt, die dafür kein Geld, sondern Studienpunkte erhalten (und obligatorisch an solchen Studien teilnehmen müssen). Die Versuchspersonen sind zumeist Studierende der Psychologie (eventuell auch der Linguistik, A.S.?), da in den meisten anderen Studiengängen solche fürs Studium obligatorischen VP-Stunden unbekannt sind.
Es sei Ihnen versichert, es gibt bereits eine Debatte über die Generalisierbarkeit solcher Studienergebnisse — und den Sinn und Unsinn solcher Zwangsverpflichtungen. Allerdings wäre es auch nicht sinnvoll, deshalb gleich eindeutig erkannte Effekte sofort wegzureden (Warum sollte dieser Effekt *nur* in dieser Stichprobe auftrete?). Aber wenn’s Ihnen Spaß macht, können Sie mit diesem Argument auch gerne gleich einen Großteil der humanwissenschaftlichen Forschung der letzten Jahrzehnte vom Tisch wischen — auch gut belegte und oft replizierte Untersuchungen, wie z.B. die Studie von Katz und Braly zu rassistischen Stereotypen, die bereits 1932 gerne ihre Studierenden dafür benutzten (Stichprobe: 100 Princeton-Studierende).
Da hilft kein Nörgeln, sondern nur mehr Forschungsgelder.
*Ich kann bei Interesse gerne die genauen Zahlen nachreichen.
Entschuldigung!
Es hieß NörglerIn, nicht “SprachnörglerIn”! (Immer dieser Freud!)
richtige Beobachtung — falscher Schluss
Die Ausführungen erinnern mich zuweilen an Marx. Eine hervorragende Analyse, die leider in falschen Schlüssen mündet.
Sofern mit dem Generikum ein Maskulinum verbunden wird, was nach der Studie ja der Fall zu sein scheint, ist es wenig zielführend die Sprache zu ändern. Ist es nicht viel sinnvoller die Assoziation mit dem Maskulinum zu ändern?
@LMK
Zitat: “Gibt es eigentlich irgend eine Bezeichnung im Femininum, bei der automatisch auch die Männer mitgemeint sind? Der Begriff “generisches Femininum” ist mir bisher noch nicht aufgefallen.”
Was ist mit “Person”?
Logik des Experiments und Intuition
@OH @NörglerIn
Die Ergebnisse experimenteller Studien abzutun, indem man darauf hinweist, dass die Versuchspersonen keine repräsentative Stichprobe der Bevölkerung sind, heißt, die Logik eines Experiments nicht verstanden zu haben. Im Gegensatz zu Umfragen, bei denen tatsächlich eine repräsentative Stichprobe entscheidend ist, funktioniert ein Experiment so, dass man unter kontrollierten Bedingungen EINE Variable manipuliert und misst, ob und welchen Effekt dies hat. Dazu braucht man (im Gegensatz zu Umfragen) eine klare Hypothese, die durch die Ergebnisse entweder falsifiziert oder bestätigt (nicht bewiesen) wird, nämlich dann, wenn eine Veränderung der einen (unabhängigen) Variable eine statistische signifikante Veränderung des Verhaltens der Versuchspersonen (der abhängigen Variable) bewirkt. Alles andere muss möglichst konstant gehalten werden — eine möglichst homogene Gruppe von Versuchspersonen ist daher oft eher wünschenswert als eine Schwäche des Versuch. Diese Bedingungen sind in den vorliegenden Studien erfüllt worden. Innerhalb der Gruppe der Versuchspersonen hat eine Variation des sprachlichen Inputs zu unterschiedlichen Reaktionszeiten und Akzeptabilitätsratings geführt. Substanzielle Kritik an den Studien müsste argumentieren, dass es a) Störvariablen gibt, die das Ergebnis systematisch beeinflussen (in diesem Fall können das aber NICHT die Versuchspersonen sein, da bei jeder Versuchsperson die unabhängige Variable verändert wurde — es müsste in den Stimuli selber liegen), oder b) wie Nele sehr richtig sagt, dass das variable Verhalten nur in der Versuchsgruppe auftreten könnte.
Diese Art der empirischen Untersuchung und Umfragen sind zwei völlig unterschiedliche Forschungslogiken. Hätte man eine Umfrage durchgeführt, wie Leute das sogenannte “generische Maskulinum” verstehen und empfinden, hätte es sich in der Tat verboten, ausschließlich junge Studierende zu befragen.
(Ich empfehle hierzu die Einführung von Oswald Huber, Das psychologische Experiment. Wenn man das verstanden hat, darf man wieder freudestrahlend mit Wissenschaftstheorie wedeln und versuchen, Löcher in die Studien zu schießen.)
Intuition ist sicher ein wichtiger Teil von Forschung. Allerdings bleibt eine empirische Studie nicht dabei stehen, die Intuition des Forschers als entscheidend zu betrachten und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen, wie es in den Kommentaren hier immer wieder geschieht. Vielmehr werden aufgrund intuitiver Urteile Hypothese generiert, die dann nach oben beschriebener Logik experimentell überprüft werden. Wenn ich also ein Gefühl habe, bspw. dass MEINE Züge immer Verspätung haben, andere aber nicht, ist das kein Forschungsergebnis, sondern allenfalls eine Hypothese, die ich überprüfen muss. Kommt dabei mit objektivierbaren Messmethoden nichts heraus, ist es wahrscheinlich, dass ich mich geirrt habe.
Es gibt Themen
Es gibt Themen die lenken nur davon ab womit Frauen eigentlich wirklich Probleme haben.
— mit ihrem biologistisch geprägten Selbstbild
— ihre Begeisterung für Sprache und Zwischenmenschliches
— ihr Mangel an Begeisterung für Technik und Physik
Wer sich Stereotyp verhält wird auch Stereotyp behandelt.
Achja: Plansprachen sind so gut wie immer zum Scheitern verurteilt. Vielleicht sollten sich die Damen hier weniger Gedanken über die sprachliche Form machen sondern lieber darüber wie man unser Energie/Mobilitäts/Klimaproblem technisch löst. Dann wirds vielleicht auch was mit dem Chefsessel.
Wer glaubt Psychologie oder Germanistik würde einen für einen leitenden Posten oder eines hochbezahlten Ingenieurs eines Industrieunternehmens qualifizieren liegt einfach grottenfalsch.
In der Tat verfolgt die Germanistik gemeinhin nur ein einziges bescheidenes Ziel: Die Vermeidung von Anakoluthen.
Grammatikterminologie nicht hilfreich
Matthias: „“männliche Formen meinen auch Frauen”“
Das wäre auch terminologisch linguistische Steinzeit. Die Aussage: „unmarkierte Formen können Männer, geschlechtlich unbestimmte Individuen oder gemischte Gruppen bezeichnen, markierte Formen referieren nur auf weibliche Individuen oder Gruppen“ habe ich allerdings noch nicht widerlegt gesehen.
Wenn ich die Inhalte meiner Veranstaltungen zur germanistischen Sprachgeschichte nicht völlig durcheinander bringe, hat sich bei der markierten Form übrigens ein Bedeutungswandel vollzogen: ursprünglich diente sie für Gruppenbezeichnungen, während die unmarkierte Form für Individualreferenzen genutzt wurde. Das gilt ebenfalls auf Lexemebene, daher heißt es gestüt und nicht *gehengst oder *gepferd.
Was leider im Artikel nicht erwähnt wird, ist die Sprechbarkeit. Bei “Studenten und Studentinnen” oder “jede bzw. jeder” ist das noch kein Problem, aber sowas wie “jede/r” oder “StudentIn” ist im Gesprochenen ein Problem, das sind rein schriftsprachliche Phänomene. Und wie soll man mit Häufungen umgehen? Z.B. Relativpronomen: Soll man sagen “jeder, der bzw. jede, die …” oder “jede bzw. jeder, die bzw. der …”? Was bedeutet es für eine Sprache, wenn sich das Geschriebene und Gesprochene mehr auseinanderentwickeln als nötig? Ist geschriebene Sprache, die sich schwer vorlesen lässt, minderwertig?
Es mag sein, dass Höflichkeit auch eine gewisse Umständlichkeit rechtfertigt. Aber bei Texten mit vielen Pronomen wird es schon SEHR holperig. Pronomen dienen ja gerade der Vereinfachung. Geschlechtsneutrale Sprache kann Sprache kaputtmachen.
Mir scheint auch der «Sexismus» tief verankert zu sein. Kann man sagen: «eine gewisse Jemand»? Schließlich ist das Pronomen doch neutral («jemand anderes»). Und klingt «wer» nicht ziemlich nach «er»?
Wir brauchen eine neue Sprache, sozusagen vom Reißbrett.
Interessant ist, dass «die Person» hier in der Diskussion als «neutral» durchgeht.
Stafanowitsch schreibt:
“wie gut die Versuchspersonen sich an den Inhalt des Gelesenen erinnern (ein objektives Maß für die Verständlichkeit) und zweitens, wie „verständlich“ und „lesbar“ die Versuchspersonen den Text fanden (ein subjektives Maß für die Verständlichkeit)”
Warum hat man es unterlassen, die Lesbarkeit objektiv zu testen? Z.B. durch Messen der Lesegeschwindigkeit. Es ist durchaus möglich, dass die männlichen Versuchspersonen die Lesbarkeit richtig eingeschätzt haben.
Arbeiterinnen
Hier muss aber angemerkt werden, dass die Auswahl des Berufs das Ergebnis verfälscht. Gerade bei Arbeitern und Arbeiterinnen (wie auch bei Bauern und Bäuerinnen) gibt es seit über 100 Jahren explizite weibliche Formen, sodass die Verwendung der männlichen Form eben üblicherweise NICHT die Frauen mit einschließt.
Man hätte also einen Beruf wählen müssen, dessen Bezeichnung tatsächlich als generisches Maskulinum verstanden wird. Und das sind gar nicht mehr so viele. Vielleicht noch: Politiker, Beamte, Professoren, Juristen, “Arbeitsrechtler”, Sportler…
Beispiele, die mir auf die Schnelle einfallen:
— “Sportler leben gesünder” würde fast jeder interpretieren als “Sportler/-innen sind gesünder als Menschen, die keinen Sport treiben”
— “Die Politiker interessieren sich nicht für unsere Probleme” schließt auch die Politikerinnen mit ein
— “Autofahrern wird empfohlen, die Umleitung zu nehmen”
— “Journalisten haben es heute schwerer, nach der Ausbildung eine Festanstellung zu finden”
— “…-Wissenschaftler haben herausgefunden, dass…”
— “Die Patienten des Krankenhauses wurden evakuiert”
— und sicher viele mehr.
“Ein verletztes Kind wird ins Krankenhaus eingeliefert. Sagt der diensthabende Arzt: ‘Ich kann das Kind nicht behandeln — er ist mein Sohn, aber ich bin nicht der Vater…’ ”
Wie viele Nichtlinguisten mögen dieses Paradoxon auflösen können?
Bei “Journalisten, Politikern, Sportlern” etc. denke ich immer erst an Männer.
Ist ja auch noch nicht so lange her als Frauen noch keinen Beruf hatten außer “Mutter”, “Dienstmädchen” oder “Prostituierte”.
@ D. Müller
Die Binsenweisheit, dass Frauen früher generell weniger Rechte hatten als Männer, legt nahe, dass „die Schweizer“ bis in die nicht allzuferne Vergangenheit wohl eher kein generisches Maskulinum war.
Wenn von den Schweizern (oder Finnen usw.) die Rede war, dann — so meine Vermutung — waren die geschäftsfähigen Bürger gemeint, und das waren eben keine Frauen. Die Schweizerinnen wurden dabei normalerweise gar nicht erst wahrgenommen und in Betracht gezogen. Deshalb waren sie vermutlich auch nicht wirklich mitgemeint.
Gewohnheit
In einer antroposophischen Zeitschrift namens “Info3” gibt es die Spalte “LESERINNENBRIEFE”. Ich stutzte kurz ob ich es dürfte, wollte ich doch als Mann da hinschreiben. Vermute aber, dass das, orthografisch allerdings umstrittene, große “I” im Wortinneren der Titelzeilengestaltung in Großbuchstaben zum Opfer gefallen ist.
Andererseits, wenn man ALLE Anreden verdoppelt, geht doch auch der Sinn verloren.
Die Bürger einer Stadt waren doch immer schon alle die in dieser Stadt wohnten, also Männer, Frauen und Kinder. Bei Lesern einer Zeitschrift vermute ich dasselbe.
Vor einiger Zeit, bei einer Schulabschlussfeier, war die gefühlte Hälfte der Redezeit mit Floskeln wie “Lehrer und Lehrerinnen” und “Schüler und Schülerinnen” verbraten worden. Als sich dann die bedauernswerte Schüler- und Schülerinnensprecherin bei und mit “Eltern und Elterinnen” verhaspelte, verspürte ich ein deutliches Würgegefühl in meinem Sprachzentrum.
Ich handhabe das im Sinne der Verständlichkeit. Eine “verunfallte Jägerin” ist dann eindeutig eine Frau, die Mitglieder der Kreisjägerschaft sind eben sowohl Frauen als auch Männer. Alles andere empfinde ich als geschwafelten Humbug.
Wer die Doppelnennung der Geschlechter mit aller Gewalt durchsetzen will muss sich auch fragen lassen: Wo bleiben dann die Täter und Täterinnen, die Mörder und Mörderinnen, die Verbrecher und Verbrecherinnen? Von den Deppen und Deppinnen ganz zu schweigen.
[Aha. SIE stutzen bei der femininen Form und fragen sich besorgt, ob Sie sich angesprochen fühlen dürfen. Aber Frauen, die umgekehrt bei der maskulinen Form stutzen und sich fragen, ob sie mitgemeint sind, sollen die Klappe halten, sonst werden sie von Ihnen des „geschwafelten Humbugs“ bezichtigt. Das ist Satire allererster Güte, vielen Dank dafür. — A.S.]
Korrekte Hypothese?
Sollte mit generischem Maskulinum Plural wirklich eine ausdrücklich gemischte Gruppe (mit mindestens einem Vertreter jedes Geschlechts) gemeint sein, so ist die Pilotstudie der von Ihnen angeführten Studie interessant: Sie konfrontierte Teilnehmer, die im Plural ohne Kontextwissen das generische ohnehin nicht vom ausdrücklichen Maskulinum unterscheiden können, mit einem hinzugefügten Kontext, in dem nur Männer oder Frauen vorkamen, und fragte dann nach der Zusammensetzung der Gruppe. Nur in 6% der Fälle wurde bei “männlichem Kontext” (irrtümlicherweise) auf eine rein männliche Gruppe geschlossen, in 2% bei “weiblichem Kontext” auf eine rein weibliche Gruppe. Dagegen folgerten 89,9% aus generischem Maskulinum plus Kontext, es handle sich um eine gemischte Gruppe. Wo ist also das Problem?
Allerdings ist schon die Hypothese kritikwürdig. Unabhängig von Definitionen scheint mir der Sprachgebrauch des generischen Maskulinum Plural nicht zu bedeuten, dass Frauen “automatisch mitgemeint” sind, sondern dass sie “nicht automatisch ausgeschlossen” sind. Es lässt offen, ob die Gruppe rein männlich oder gemischt ist. Diese Verwendung deckt sich mit dem Französischen (Partizipien im Plural haben bei rein männlichen und gemischten Gruppen männliche Endung, bei rein weiblichen die weibliche Endung), Spanischen und Portugiesischen (bei der Anrede im Plural). Dann wäre schon die Pilotstudie falsch formuliert (die richtige Antwortmöglichkeit fehlte), und wenn 89,9% aus generischem Maskulinum Plural plus Kontext (wohl 50% männlich, dazu schweigt die Studie) folgern, die Gruppe sei gemischt, so ist dies tatsächlich diskriminierend, allerdings nicht gegen Frauen, sondern gegen Männer, denn die Erwähnung von Männern im Kontext ließe den Ausschluss einer rein männlichen Gruppe gar nicht zu.
Daraus folgen auch die Reaktionszeiten der Hauptstudie. Um zu entscheiden, ob bei (vielleicht generischem) Maskulinum ein Kontext logisch sei, in dem Männer der Gruppe zugeordnet werden, braucht man nicht nachzudenken: Männer sind in generischen Gruppen grundsätzlich enthalten, sowohl in rein männlichen wie in gemischten Gruppen. Die Frage, ob ein zum (vielleicht generischen) Maskulinum hinzugefügter Kontext logisch sei, in dem Frauen der Gruppe zugeordnet werden, erfordert dagegen einen kognitiven Prozess: Hier muss der Teilnehmer erst eine Gruppenform (die rein männliche) ausschließen und dann testen, ob mit der verbleibenden Interpretation der Gruppe ein Kontext mit Frauen noch logisch ist. Entgegen Ihrer Mutmaßung dauert die Entscheidung bei “weiblichem Kontext” also nicht länger, weil der Rezipient von einer männlichen auf eine generische Interpretation umschaltet, sondern von einer generischen auf eine explizit gemischtgeschlechtlichen (Ausschluss der reinen Männergruppe).
Die Doppelnennung kritisiere ich nicht wegen ihrer Umständlichkeit, sondern weil sie sich semantisch vom generischen Maskulinum unterscheidet: sie schließt rein weibliche genau wie rein männliche Gruppen aus (sagen Sie mal “Liebe Professorinnen und Professoren” vor einem rein männlichen Kollegium — einige kichern da immer). Außerdem ist festzustellen, dass das öffentliche Bewusstsein für die Möglichkeit der Doppelnennung auch den Verzicht auf sie sanktioniert: Verwendet man das generische Maskulinum Plural, wird einem schon unterstellt, man adressiere nur die rein männliche Untermenge, denn sonst hätte man ja die Doppelnennung verwenden können. Das ist zwar falsch, aber Ihre Hypothese beweist, das es schon gelungen ist, das semantisch umfangreichere (und daher weniger diskriminierende) generischen Maskulinum Plural zu verdrängen.
[Nein. — A.S.]
die bevölkerung, die koryphäe, die majestät, die eminenz, die hoheit, die exzellenz, die kreatur, die kapazität, die durchlaucht, die fachkraft, die geisel, die waise, die figur, die gestalt. und sicher noch einige mehr.
… die Bestie, die Kanaille, die Belegschaft, die Burschenschaft, die Herrschaft, die Mannschaft …
Neutrale gibts auch: Das Monster, das Scheusal, das Biest, das Ungeheuer, das Personal, das Ekel …
Natürliches und grammatisches Geschlecht
Ab jetzt zahlt jeder, der natürliches und grammatisches Geschlecht durcheinanderwirft, 19,18 Euro in die Blogkasse.
1) Zur K‑Frage
Das Problem mit Frau Merkel stellt sich wieder, wenn man sagen möchte, dass sie als erste Person, die das Bundeskanzleramt innehat, Physik studiert hat (ich weiß nicht, ob das der Wahrheit entspricht; nehmen wir es an).
Frau Merkel ist die erste Bundeskanzlerin, die Physik studiert hat. — Hier kommt nicht zur Geltung, dass das ja auch noch keiner ihrer männlichen Vorgänger getan.
Frau Merkel ist der erste Bundeskanzler, der Physik studiert hat. — Diese Version widerstrebt meinem Sprachgefühl erstaunlich wenig, doch ganz gut fühle ich mich mit ihr nicht
Frau Merkel ist die Erste unter den Bundeskanzlerinnen und Bundeskanzlern, die Physik studiert hat. Das ist das knappste Geschlechtsneutrale, was mir einfällt; Umständlich finde ich es aber immer noch.
2) Zum generischen Maskulinum
Behauptet man, nur weil es langsamer als das eigentliche Maskulinum verstanden wird, gebe es kein generisches Maskulinum, so ist das als würde man behaupten, rare Fremdwörter, die vielleicht auch nicht auf Anhieb verstanden werden, gehörten nicht zu einer Sprache.
Das heißt natürlich nicht, dass es nicht, dass es kein Gebot der Höflichkeit ist, geschlechtsneutrale Formulierung zumindest an Stellen zu verwenden, an denen sie die Sprachästhetik nicht sonderlich stören, wie zum Beispiel in Anreden, die außerhalb des Redeflusses stehen, oder in Bedienungsanleitungen und Beipackzetteln, in denen nicht viel wert auch eine schöne Sprache gelegt wird.
Hätte Lafontaine damals gegen Kohl gewonnen, wir hätten heute zumindest ein Problem weniger! 🙂
Lieber Herr Professor!
Jemand weiter oben hat geschrieben, daß das generische Maskulinum entstanden ist, weil die Sprache der Wirklichkeit in ihrer Entwicklung hinterherläuft. Ehemals rein männliche Berufe wie Student oder Soldat wären in der Zwischenzeit auf die Frauen ausgeweitet worden.
Sprache entwickelt sich aus dem Bedürfnis der Sprecher und wird sich wie ganz von selbst den Gegenheiten der Wirklichkeit anpassen. Wäre es da nicht besser, die Entwicklung zum generischen Maskulinum und von da aus zur Beseitigung des Geschlechtsbezugs von Personen zu unterstützen? Die Geschlechterungerechtigkeit in der deutschen Sprache begründet sich ja nicht am männlichen Geschlecht sondern an der Endung “-in”. Wörter, die auf “-in” enden, bezeichnen allein und ausschließlich Frauen, und wurden allesamt aus der männlichen Form abgeleitet wie Eva aus Adams Rippe. Die Endung “-in” verweist darüber hinaus auf überlebte Normen im Geschlechterverhältnis. Diese Wörter haben daher oft unerwünschte Konnotationen und Beibedeutungen. Und vor allen Dingen drücken sie zu allererst den Bezug zu einem Mann aus und nicht die im Wortstamm enthaltene Rolle. Die Müllerin übt zum Beispiel nicht notwendigerweise den Beruf des Müllers aus. “Müllerin” bedeutet in erster Linie, die Frau des Müllers zu sein. Auch Studentinnen, Försterinnen assoziiert man in erster Linie mit etwas, was wenig mit ihren jeweiligen Tätigkeiten zu tun hat. Früher redete man ja auch mit “Frau Doktor” nicht promovierte Frauen sondern Gattinnen promovierter Männer an. Also schaffen wir doch am besten diese Endung ab!
Hinzu kommt, daß es besser ist, das Geschlecht zu betonen, wenn es notwendig ist, und nicht dann, wenn das Geschlecht unwichtig ist. Das Binnen‑I, die Schrägstriche und (m/w)-Zusätze in Stellenausschreibungen bedeuten nämlich nur dann etwas, wenn sie weggelassen werden. Das ist absurd. Das nämlich betont den Geschlechtsbezug von Berufen und Tätigkeitsbezeichnungen zusätzlich.
Ich denke nicht, dass da eine Entwicklung hinterher gelaufen ist. Im Gegenteil: Die Bedeutung einer sprachlichen Form hat sich im Zuge einer gesellschaftlichen Entwicklung verändert. Das ist ein ganz üblicher Vorgang. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass immer neue Worte erfunden werden müssen.
Das ehemalige Maskulinum begann eine generische Bedeutung anzunehmen, als Frauen die makulinen Begriffe für sich in Anspruch nahmen. Sie hätten feminine Formen benutzen können, bevorzugten aber, über das Makulinum sprachlich Ebenbürtigkeit herzustellen. Das wird durch gesonderte Benennung aufgehoben. Eine Mechanikerin kann kein Mechaniker sein, WEIL sie eine Frau ist: Weil ihr Geschlecht eine Rolle spielt!
Doppelnennungen sind im Grunde sprachliche Geschlechtersegregation und sprachliches Othering. Das Geschlecht wird thematisiet, wo es gar keine Rolle spielt, und die Möglichkeit, Menschengruppen ohne Geschlechtsbezug zu benennen, verschwindet. Hinzu kommt, dass die gesonderte Bennenung von Frauen diese erneut zur Aunahme erklärt — genau das, was vom Femnismus bereits kritisiert wurde, zieht mittels Doppelnennung in die Sprache ein.
Kein praktischer Vorteil?
Die durchgängige Verwendung geschlechtergerechter Sprache führt zu erhöhtem Verbrauch von Papier, Druckerschwärze und Zeit und damit zu höheren Kosten (von Energie oder Umwelteinflüssen gar nicht zu reden). Die zusätzliche Zeit, die Verfassende und Lesende, Redende und Hörende aufwenden müssen, könnte für andere nützliche, vielleicht noch wichtigere Dinge genutzt werden.
Man mag ja der Auffassung sein, daß der erhöhte Aufwand die Sache wert ist; aber wie kann man behaupten, das generische Maskulinum bringe “keinen praktischen Vorteil” mit sich?
ich kann dem
Aus “mehrere der Frauen” schliesse ich auf eine rein weibliche Gruppe, was nicht zum ersten Satz passt. Warum hat man nicht den zweiten Satz ein kleines bisschen anders formuliert, z.B. “Darunter waren auch mehrere Frauen, die wegen des schönen Wetters keine Jacken anhatten”. Wenn die zu überprüfende Hypothese stimmt, dann hätte diese Formulierung das gleiche Resultat gebracht. Ich werde den Verdacht nicht los, dass absichtlich eine Fomulierung gewählt wurde, die aufgrund dieses sprachlichen Stolpersteins tendentiell zu einer Bestätigung der Hypothese führt. Auf Neudeutsch nennt man das Confirmation Bias.
[Einen Confirmation Bias gibt es in dieser Diskussion tatsächlich, aber er liegt woanders… — A.S.]
Signifikant oder nicht?
“Die Effekte waren aber relativ schwach und innerhalb der Geschlechtergruppen auch nicht signifikant.”
Wie kann man daraus folgern, daß die Männer die Fassung mit dem generischen Maskulinum “objektiv” am schlechtesten verstanden hätten?
@NörglerIn
Zunächst wäre zu klären, was denn eigentlich “die Sache” ist. Die standardmäßige Anwort ist ja die (behauptete) Geschlechtergerechtigkeit, für deren Legitimation der Nachweis einer Ungerechtigkeit aussteht. Mit Fug & Recht kann man gegenteiliger Ansicht sein und dies obendrein mit den genau den selben Argumenten begründen wie die Gegenseite: Gerecht wäre in einer Gesellschaft von Gleichen, wenn alle sich in einer Sprachform erkennen, unbesehen des biologischen und grammatikalischen Geschlechtes. Wenn das Maskulinum nämlich generisch ist, ist es keine exklusive Bezeichnung mehr für Männer.
Nörglerin
Aus der Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein in der Fassung vom 28. Februar 2003:
Das soll für Männer verständlicher sein als bei Verwendung des generischen Maskulinum?
Dabei weist die Gemeindeordnung bei der Geschlechtergerechtigkeit immer noch Lücken auf. So wird nur von Bürgerentscheiden, Bürgerbegehren und von der Bürgermeisterverfassung gesprochen.
Wären Bürgerinnen- und Bürgerentscheid und Bürgermeisterinnen- und Bürgermeisterverfassung nicht noch viel verständlicher?
Schädlichkeitsbeweis?
Wo ist der Schaden für Frauen bzw. die negative Beeinflussung ihrer sozialen Stellung, wenn in einer uneindeutigen Sprechsituation das generische Maskulinum zu einem verminderten “Mitdenken” des potentiellen Gemeintseins der weiblichen Form führt?
[Den können wir als Männer leider nie am eigenen Leib erleben, aber wenn wir mit offenen Augen durch die Welt gehen und einfach mal nicht durchgängig an uns selbst denken, sollte es ganz von selbst klar werden. Ich weiß selbst, wie schwer das ist, aber wir sind schließlich echte Männer. Von Schwierigkeiten lassen wir uns nicht abschrecken. — A.S.]
@NörglerIn
Sorry, aber mit einem willkürlich gegriffenen verunglückten Beispiel lässt sich natürlich jeder Fortschritt diskreditieren.
Als hätte Verständlichkeit je im Vordergrund des Formulierens von Gesetzestexten gestanden. Nur wenn das berechtigte Anliegen einer geschlechtergerechten Sprache umgesetzt werden soll, wird dieser Gesichtspunkt plötzlich betont — aus allzu durchsichtigen Motiven.
Mir ist überhaupt nicht klar, wie Stefanowitsch sich eine sprachliche Gleichbehandlung in der Praxis vorstellt. Er macht es sich etwas leicht, wenn er hier im Blog geschlechtergerechte Schreibung demonstriert und Einwände dagegen als unbegründet bezeichnet.
Hören wir uns doch mal an, wie er das im mündlichen Gespräch so umsetzt:
http://www.wrint.de/…uft-an-anatol-stefanowitsch
“DER EINZELNE hat ja nicht das Lautsystem der deutschen Sprache im Sinne, wenn ER Dinge so oder so ausspricht.”
“Aber «Das ist das Auto des Holger», das würde ja KEINER mehr sagen.”
“Die BLOGGER sagen auch: Das ist doch unser Metier, ich bin doch DER BLOGGER”
“Und das ist etwas, was JEDER SPRACHWISSENSCHAFTLER mit berücksichtigen muss”
“Das machen nicht die LINGUISTEN selber, sondern das machen dann ANTHROPOLOGEN”
“Da gab es immer zwei große Theorien, nämlich die RATIONALISTEN und die EMPIRISTEN”
“Viele von meinen STUDENTEN – wenn ich mal STUDENTEN hab, die tatsächlich an die Uni kommen, um Sprachwissenschaft zu studieren – das ist ja recht selten, wir müssen die normalerweise aus dem Lager der potentiellen LITERATURWISSENSCHAFTLER erst rekrutieren”
“Die SPRACHERWERBSFORSCHER, die zur Zeit große Fortschritte machen”
“und KEINER, DER da saß in diesem Seminar – das vielleicht auch ein bisschen Glück, das war zu ’ner ungünstigen Uhrzeit, die mir gepasst hat, aber die die DEM TYPISCHEN STUDENTEN vielleicht nicht passt”
“Das ist ja auch das, was diese SPRACHNÖRGLER nicht verstehen”
…
So weit so gut, das sind nur einige herausgegriffene Beispiele, die generischen Maskulina in Großbuchstaben. Wenn Stefanowitsch es ernst mit dem Gendering meint, hätte er jedesmal beide Geschlechter berücksichtigen müssen. Damit hätte er Holgi bestimmt ordentlich in Stimmung gebracht, der hat da sehr viel Potential … Schade, hätte mich schon interessiert, wie das ausgegangen wäre 😉
Zuviele barocke Schnörkel wären auch kaum möglich gewesen, denn Stefanowitsch hat da schon Höchstleistungen vollbracht, komplexe Sachverhalte Holgi-gerecht herunterzubrechen. Man stelle sich nur vor, Stefanowitsch hätte gesagt: «Da gab es immer zwei große Theorien, nämlich die Rationalisten und Rationalistinnen und die Empiristen und Empiristinnen»
Aber klar, das Argument, geschlechtergerechte Formulierungen seien umständlich, ist natürlich völlig unbegründet.
Wie es aussieht, geht es hier doch bloß um ein bisschen Kosmetik. Wenn’s angemessen erscheint, sagt man dann eben «Liebe Studentinnen und Studenten» – das wird ja ohnehin längst praktiziert. Ein paar Floskeln eben, wenn die Textsorte es verträgt. Da mag es dann auch ins sprachwissenschaftliche Blog passen, das besagt nichts, solange es in mündlicher Sprache nicht und auch sonst nur sporadisch Verwendung findet. Ich will gern zugestehen, dass man irgendwo einen Anfang machen möchte, aber angesichts der Probleme erscheint mir das ganze Unterfangen aussichtslos.
Wie tief der Eingriff in die Sprache sein muss, wenn man es nicht bei gelegentlich eingestreuten Floskeln belassen will, scheint Stefanowitsch nicht klar zu sein.
Ich sehe auch keine Fortschritte. Neuerdings sehe ich öfter Student_in statt StudentIn. Die Binnengroßschreibung ist doch nun schon länger in Gebrauch, nun wird sie ohne Grund aufgegeben und durch eine Schreibweise ersetzt, die der üblichen Norm noch ferner ist!
ZusammenfassungIch schließe die Diskussion an dieser Stelle, da sie sich einerseits immer weiter vom zu diskutierenden Beitrag entfernt und andererseits im Kreis dreht. Ich habe keine Zeit, auf die ewig gleichen längst diskutieren und ausgeräumten Argumente die ewig gleichen Antworten zu liefern.
1. „Gendergerechte Sprache ist eben zu umständlich“. Wer glaubt, das wäre ein Argument für irgendetwas hat ganz offensichtlich den Beitrag nicht gelesen.
2. „Aber in der gesprochenen Sprache ist es dann wirklich zu umständlich.“ Wer glaubt, das wäre ein Argument für irgendetwas hat ganz offensichtlich weder den Beitrag noch die Antwort auf den vorangehenden Punkt gelesen.
3. „Aber gendergerechte Sprache ist teurer, weil sie mehr Zeit, mehr Aufwand, mehr Papier verbraucht“. Wer glaubt, das wäre ein Argument für irgendetwas hat ganz offensichtlich weder den Beitrag noch die Antwort auf die vorangehenden beiden Punkte gelesen.
4. „Aber ich habe Satz X konstruiert, bei dem sich das generische Maskulinum nicht einfach durch eine weibliche Form oder eine Beidnennung ersetzen lässt, ohne dass die Bedeutung sich verändert.“ Tja, was machen wir da bloß… ich glaube, es gibt keine Lösung, denn Sätze lassen sich bekanntlich nicht umformulieren.
5. „Gendergerechte Sprache ist nur Kosmetik, wir müssen die Wirklichkeit ändern.“ Nur zu! Statt sich hier an einer Diskussion beteiligen, die Sie für überflüssig halten, organisieren Sie doch lieber eine Demonstration für Lohngerechtigkeit oder bessere Kinderbetreuung.
6. „Es wäre besser, wenn wir Geschlechterunterschiede in der Sprache nicht ständig betonen würden. Das generische Maskulinum ist deshalb die beste Wahl“. Klar, es wäre auch besser, wenn wir Geschlechterunterschiede in der Öffentlichkeit nicht ständig betonen würden. Es wäre deshalb besser, wenn die Frauen einfach das Haus nie verlassen würden… Ich weiß nicht, ob ich es irgendwo schon erwähnt habe, aber es gibt kein generisches Maskulinum.
7. „Aber Stefanowisch benutzt doch selbst manchmal maskuline Formen, wenn er gemischte Gruppen meint“. Hier geht es NICHT um meinen Sprachgebrauch, weder hier im Blog, noch in Radiosendungen. Ich bin ein Alltagssexist, sozialisiert in einer sexistischen Gesellschaft und Muttersprachler einer sexistischen Sprache. Manchmal rutsche ich in solche Sprachmuster, manchmal wird mir gerechte Sprache von Verlagslektoraten aus meinen Texten herausredigiert und ich erhebe keinen Einspruch, und manchmal entscheide ich sogar bewusst, auf Sprachmuster zu verzichten, die meine Leser/innen und Hörer/innen vom Gesagten ablenken. Aber ich arbeite daran.
Dass das Maskulinum „generisch“ gebraucht wird, steht doch außer Frage — wäre es nicht so, bräuchten wir die Diskussion ja gar nicht zu führen. Dass das Maskulinum generische Interpretationen erfahren kann, steht ebenfalls außer Frage. Was das Experiment (und viele andere Experimente) zeigen, ist, dass diese Interpretation nicht natürlich oder automatisch ist, dass das Maskulinum also keine generische Bedeutng hat.
8. „Aber gendergerechte Sprache stört meine Sprachästhetik“. Ach du Schreck, das schlägt natürlich jedes Argument. Wir müssen sofort aufhören mit dieser unästhetischen Gleichbehandlung. Wenn wir das ästhetische Leiden auch nur eines Mannes verhindern können, ist das die fortgesetzte Marginalisierung von Frauen absolut Wert, oder?
9. „Ich bin eben anderer Meinung“. Nein, wie interessant! Erzählen Sie mehr von sich — nicht.
Gibt es einGeschlechtergerechte Sprache ist ja immer ein Aufregerthema. Versteht nicht jeder sofort, was gemeint ist und weiß, dass “die Studenten” natürlich auch Frauen sein können? Beeinflusst ein solches “generische Maskulinum” unser Denken? Eine wissenschaftliche Studie, auf die ich kürzlich aufmerksam gemacht…
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