Im Zusammenhang mit meiner kleinen Untersuchung zu Aufstieg und Fall des Wortes Studierende habe ich auch nach frühen Verwendungen des Wortes Studentin gesucht, und dabei dieses Juwel entdeckt: Henrich Matthias Marcard, Königlich Großbrittanischer Hofmedicus zu Hannover, Mitglied der Königlichen Großbrittannischen
und Königlichen Dänischen Gesellschaften der Aerzte zu Edinburg und zu
Copenhagen, der Goettingischen Societät der Wissenschaften
Correspondenten, beschreibt junge Menschen, die er in Pyrmont beobachtet hat.
Um es mal so zu sagen, er hat für junge Leute nicht viel übrig — und für kluge Frauen schon gar nicht:
Diese jungen Leute, mit ihren merkwuerdigen Universitaets-Begebenheiten, Geschichten und Verhaeltnissen, und mit ihren Studenten-Ausdruecken und Witzigkeiten, haben aus ihrem Studententhum die innige Ueberzeugung mitgebracht, sie waeren sehr bedeutend, und waehnen, sie seyen die galantesten und polirtesten Geschoepfe auf dem Erdboden; daher legen sie auch ihre Studenten-Haut nicht ab, bis sie unter grauem Haar verwelkt. Und daher trift man auch an einem solchen Orte so viele alte und junge Studenten an, denen immer die Universitaet als ihr hoechstes Ding allerwaerts auf den Lippen haengt, und man uebersieht da oft in einer Versammlung, mit einem Blicke, die ganze Genealogie der Universitaets-Sitten, Sprache, Geschichten und Bonmots aller Studenten-Generationen, von der Mitte des Jahrhunderts bis auf den heutigen Tag. Das Schlimmste ist, daß solcher Sittenverderb sich gern ausbreitet. Nicht selten findet man sogar auch Frauenzimmer, das sich nach diesem Schnitt und ueber diesen Leisten, auf seine Art, gebildet hat; aber nichts ist unertraeglicher und ekelhafter als solche kecke Studentinnen.
Aus: Henrich Matthias Mercard (1784)
Beschreibung von Pyrmont, Erster Band. Weidmanns Erben und Reich, S. 78–79.
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Endlich ist’s damit vorbei
Aha, und weil die Studentinnen so eine ekelhafte und kecke Herkunft haben, schafft man sie jetzt zusammen mir den Studenten, die ja auch zum Sittenverderb beitragen, ab und sagt Studierende. Denn das bringt zum Ausdruck, daß die jungen Leute Tag und Nacht mit nichts anderem beschäftigt sind als mit dem, was nach Ansicht der Steuerzahler (meinetwegen: der Steuerzahlenden) ihre Aufgabe ist .
die Jugend von heute
Interessant finde ich, dass es scheinbar schon seit dem 18. Jahrhundert üblich ist, über die jeweiligen Jugendlichen zu meckern. Dass “die Jugend von heute” seit dem 18 Jh. von Generation zu Generation schlimmer wird, ist doch ein interessanter Auswuchs erwachsener Arroganz.
Der Kulturpessimismus hat also zumindest auf eine gute alte Tradition berufen.
Die Jugend von heute…
… ist auch nicht schlimmer als die Jugend von gestern. Schon bei Aristoteles findet sich angeblich die Klage, die junge Generation sei verlottert & eine Schande.
Ich hatte mal eine Dozentin, die das mit “Things are no longer what they never were” sehr schön zusammengefasst hat.
Nein Herr Trepl, das mit den Wörtern machen diese jungen und alten Studenten [und Professoren; nicht, dass wir den Text falsch verstehen, die meint er auch] nur, um Sie zu ärgern. Damit Sie erregte Leserbriefe schreiben können, wie blöd doch die heutige Jugend in ihrem Gleichmacherwahn sei.
Ach, Klagen über die Heruntergekommenheit der Jugend hat man schon auf über 4000 Jahre alten Tontafeln gefunden. Die sind scheinbar immer modern.
Interessant
da sieht man mal wieder sehr schön, das viele ältere Herrschaften irgendwann ganz gern vergessen, das sie auch mal jung gewesen sind. Und dabei übersehen diese Herschaften wohl auch systematisch, das sie für ihre Elterngeneration wahrscheinlich auch ein paar Flausen im Kopf hatten, die man ihnen nicht austreiben konnte…
Offensichtliche Parallele
Es verhält sich mit der ’nichtsnutzigen heutigen Jugend’ genauso wie mit dem ‘Sprachverfall’. Auch der wurde schon im alten Ägyptern beklagt.
Anscheinend sind viele nicht in der Lage, bis zur eigenen Jugend zurück- oder gar in geschichtlichen Dimensionen zu denken.
Nun ja ..
.. ein wenig von der pathetischen Hingegebenheit an die Alma mater, die der Herr Mercard (Marcard?) da beklagt, würd’ ich mir heutzutag’ schon wünschen. Uni als Lebensgefühl, nicht nur als Arbeits- und Ausbildungsstätte.
@Dierk
Ich klage doch nicht über die Jugend. Nein, die Jugend ist, alles in allem, wohl nicht besser und nicht schlechter als zu allen Zeiten, zumindest heute nicht schlechter als zu meiner Zeit.
Die “Studierenden”, so mein Eindruck, haben nicht die Studenten erfunden, sondern Universitätsfunktionäre (wie nennt man die heute? Manager?). Nicht die Studenten, sondern die Studentenfunktionäre haben dann das Wort übernommen. Kann man ihnen dafür die Schuld geben? Mir scheint, dafür sind eher Sprachwissenschaftler oder Amateur-Sprachwissenschaftler verantwortlich, die ein merkwürdiges Argument in die Welt setzten: Aus der Tatsache, daß sich die Sprache ständig ändert, folgt nicht nur, daß sie sich ständig ändern soll, sondern auch, daß Fehler gar nicht möglich sind, denn sie könnten ja eines Tages keine mehr sein.
Kleine Zeitleiste
So für Herrn Trepl noch einmal eine Zeitleiste:
1784 Herr Mercard klagt über studierende Frauen
18xx daraufhin wird ‑wie von L.T. klar erkannt — die Form “Studierende” verwendet, um nicht mehr an studierende Frauen denken zu müssen.
Um 1900: Man besinnt sich wieder auf die spezifischen Formen, weil das ja viel besser und genauer ist — wer will schon versehentlich mit Studentinnen zu tun haben, nur weil die sich hinter “Studierende” verstecken?
70er Jahre: “Sinn machen” erlebt einen unheimlichen Boom. Außerdem stellen immer mehr Männer fest, dass es Frauen gibt, die nicht mögen, wenn man sie unter der männlcihen Bezeichnung mit einschließt. Und das obwohl es Männer nicht stört, wenn Frauen unter der männlichen Bezeichnung mit geführt werden.
80er Jahre: Der Grund für den Boom von “Sinn machen” in den 70 er Jahre — Dallas und Talking Heads — Songs — werden rückwärts in die Zeit geschickt, um den Boom auszulösen.
Außerdem stellen die Männer fest, dass sie es NICHT mögen, wenn man sie unter der Bezeichung “Studentinnen” mit einfassen würde. Das ist ja auch albern und so. “Studenten” ist schon besser und es stört die ;Männer ja auch nicht, wenn damit auch Frauen gemeint sind.
90er Jahre: Um nicht immer “Studentinnen und Studenten” schreiben zu müssen und weil sich Frauen und Männer nicht einigen können, nur eine Form zu verwenden (obwohl es ja so tolles deutsch ist nur die männliche Form zu verwenden) wird “StudentInnen” konstruiert.
Ende der 90er Jahre: Es fällt auf, dass “StudentInnen” schwer auszusprechen ist und das Großbuchstaben in Wörtern BenQ vorbehalten sein sollte. Man wiederentdeckte das Wort “Studierende”.
00er Jahre: Große Empörung, dass man ein neues Wort kreiert hat! Sowas sollte Goethe vorbehalten sein.
Das wars, Ich esse jetzt meine Pisang!
🙂
@Peer
Ich kann Ihrem Text leider nicht entnehmen, was Sie mir sagen wollen. Wo z. B. hätte ich denn “klar erkannt”, daß man im 19. Jahrhundert “die Form ‘Studierende’ verwendet, um nicht mehr an studierende Frauen denken zu müssen”? Hat man diese Form denn damals anders verwendet als zur Bezeichnung von Studierenden? Und da hat man natürlich auch studierende Frauen gemeint, aber nicht Studentinnen — wie auch, Frauen waren an den Universitäten noch gar nicht zugelassen. Und was soll das mit dem “Sinn machen”?
In Ihrem letzten Satz (“00er Jahre: Große Empörung, dass man ein neues Wort kreiert hat! Sowas sollte Goethe vorbehalten sein”) allerdings glaube ich einen Sinn zu erkennen. Aber was hat das mit mir zu tun? Habe ich denn jemals etwas auch nur entfernt Ähnliches gesagt oder geschrieben? Und was hat es mit den “Studierenden” zu tun? Wenn einer etwas schreibt, was er nicht meint — z. B. “Singende” schreibt, aber gar nicht Singende meint, sondern schlafende Sänger -, dann hat er damit kein neues Wort kreiert, sondern schlicht einen Fehler gemacht. Und das bleibt auch dann ein Fehler, wenn ihn Goethe macht. — Ich verstehe ja, daß es manchem peinlich ist, bei so etwas erwischt zu werden, aber so schlimm ist es doch auch wieder nicht; kurz rot werden und die Sache hat sich.
@Peer
Ganz amüsant, aber:
Außerdem stelle ich fest, dass es in der Tat grammatisch weibliche Sammelbezeichnungen gibt, die Männer kein bisschen stören: die Bevölkerung, die Jugend, die Personen, die Generation, die Belegschaft …
‘Studentinnen’ ist mir schlicht zu lang; ansonsten hätte ich nichts dagegen, wenn es denn dem Genderweltfrieden diente.
Und dann gibt es noch die Mannschaft. Spätestens hier sollte doch auffallen, dass das grammatische mit dem biologischen Geschlecht allenfalls zufällig übereinstimmt, auch wenn
a) wahrscheinlich jemand nachweisen kann, dass Mann hier eigentlich Mensch bedeutet,
b) Mannschaften wiederum aus Frauen bestehen können. Das klingt dann wirklich albern; ‘Team’) ist besser.
Wenn man / frau sich schon am gramm. Genus aufhängt:
Ist eigentlich irgendwo in Stein gemeißelt, dass ein Begriff im Plural dasselbe Genus haben muss wie im Singular? Warum sieht man es dem Plural denn gar nicht an? Die Artikel sind genusneutral, und die Endung ‘en’ gibt es z.B. auch bei Frauen. Ich betrachte ‘die Studenten’ usw. als eine Art Utrum — und ‘die Personen’ ebenso. Alles eine Frage der Sichtweise; wer künstliche Aufregung liebt, findet immer einen Grund dazu.
— Ein ‘bloß Mitgemeinter’ und damit total diskriminierter Lesender 😉
>
b) Mannschaften wiederum aus Frauen bestehen können. Das klingt dann wirklich albern; ‘Team’) ist besser.
>
Das sieht der DFB anders …
@Michael Allers
Stimmt schon, aber das sind ja Sammelbezeichnungen mit feminimen Artikel, das ist schon was anderes als die konsequent feminine Form.
Aber mein Artikel war ja nun auch nicht so 100%ig ernst gemeint 😉
(Und L.W.: Ich bezog mich auf ihren ersten Kommentar “ha, und weil die Studentinnen so eine ekelhafte und kecke Herkunft haben, schafft man sie jetzt zusammen mir den Studenten, die ja auch zum Sittenverderb beitragen, ab und sagt Studierende.” — generell wars aber ganz allgemein gegen Sprachnörglerische Universalkritik)
Waisen
Ein kleiner Junge und ein kleines Mädchen — Geschwister — verlieren ihre Eltern durch einen Autounfall. Beide sind — im Singular — “eine Waise” und im Plural “die Waisen”. Das stört weder die Sprachpolizei der Europäischen Union noch die nachgeordneten bundesdeutschen Behörden, die sich ansonsten nach Kräften bemühen, das vermeintlich in der Sprache enthaltene biologische Geschlecht aus der Sprache zu tilgen und / oder die grundsätzlich androgyne Funktion von Genera bewusst ignorieren, um ein absurdes Konstrukt namens “Geschlechtergerechtigkeit” herzustellen, obgleich es in der Sprache weder ein Gerechtigkeits- noch ein Geschlechterproblem gibt. Entgegen der in diesem Blog vertretenen Aussagen handelt es sich um deduktive, top-down und strategisch organisierte Versuche der sprachpolitischen Umerziehung. Diese ist zudem sehr einseitig überall nur dort zu finden, wo Frauen (nicht vermeintlich, sondern tatsächlich!) mitgemeint sind. Wenn die Waise biologisch männlich sein kann und in einer Gruppe von Waisen Menschen mit Penis mitgemeint sind, warum wird dann so getan, als wenn gemischtgeschlechtliche Gruppen nicht als “die Studenten” angeredet werden können?