Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages berät in einer öffentlichen Sitzung am 7. November 2011 über zwei Petitionen zur Verankerung der deutschen Sprache im Grundgesetz. Für eine solche Verankerung wirbt die Petition Deutsch als Landessprache ins Grundgesetz, die der Vorsitzende des Vereins Deutsche Sprache, Walter Krämer, eingereicht hat. Gegen eine solche Verankerung wirbt die Petition Keine Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz, die ich selbst als Reaktion auf die VDS-Petition eingereicht habe.
Es ist mir eine große Ehre, mein Anliegen auf dieser Sitzung noch einmal persönlich vortragen zu dürfen. Wer Interesse hat, die Sitzung direkt oder per Parlamentsfernsehen mitzuverfolgen, findet am Ende dieses Beitrags alle relevanten Informationen dazu.
Der VDS begründet seine Petition wie folgt:
Nicht nur die Funktion der deutschen Sprache als das wichtigste Verständigungsmittel würde anerkannt, sondern auch ihre besonderen Aufgaben innerhalb unserer Gemeinschaft – nämlich als Gerüst für bestimmte kulturelle Ausdrucksformen und als ein Grundmerkmal zur Identifikation. Eine Festschreibung der deutschen Sprache drückt aus, dass diese Sprache in Deutschland eine herausgehobene Stellung genießt. Diese Anerkennung kommt vor allem auch jenen Gesellschaftsgruppen zugute, die einen besonderen Bezug zur deutschen Sprache haben, zum Beispiel Schriftstellern, Journalisten und Lehrern. Und sie würde von diesen Gruppen einfordern, ein Stück weit Verantwortung für die Weiterentwicklung des Kulturguts Sprache zu übernehmen. So bekäme die deutsche Sprache mehr Gewicht bei allen politischen Entscheidungen, die sprachliche Angelegenheiten betreffen, z.B. im Bereich der Schul- und Blldungspolitik oder in der Integrationspolitik. Durch die Festschreibung betroffen wäre natürlich nur die Sprache im öffentlichen Raum, nicht die der Privatsphäre. Die Grundgesetzergänzung richtet sich also nicht gegen andere Sprachen oder gegen die Dialekte.
Die Begründung meiner Petition lautet:
Der Status des Deutschen als Amtssprache ist in den Verwaltungsverfahrensgesetzen von Bund und Ländern eindeutig geregelt, sodass die herausgehobene Stellung der deutschen Sprache in der Kommunikation zwischen Bürger und staatlichen Institutionen außer Frage steht.
Über die herausgehobene Stellung des Deutschen in Bildung, Politik und Kultur in Bund und Ländern besteht darüber hinaus ein breiter gesellschaftlicher Konsens, der während der gesamten Geschichte der Bundesrepublik auch ohne grundgesetzlich festgeschriebenen Status nie in Zweifel gezogen worden ist.
Eine Festschreibung des Deutschen als Landessprache im Grundgesetz hätte deshalb eine ausschließlich symbolische Funktion: Sie wäre ein Signal der Abschottung gegen die internationalen Freunde und Verbündeten der Bundesrepublik ebenso, wie gegen die in Deutschland heimischen Mitbürger mit Migrationshintergrund, die einen wichtigen Teil der bundesdeutschen Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur darstellen.
Eine Festschreibung des Deutschen als Landessprache im Grundgesetz würde darüber hinaus in die sprachliche Souveränität der Länder eingreifen, die so in ihren Möglichkeiten eingeschränkt würden, Minderheitensprachen (wie etwa das Friesische oder Sorbische) als wichtigen Teil der eigenen kulturellen Identität anzuerkennen und bei der Festlegung ihrer Amtssprachen angemessen zu berücksichtigen.
In einer Reihe von Artikeln und Blogbeiträgen habe ich diese Begründungen seinerzeit genauer ausgeführt (eine Auswahl findet sich unten). Für einen schnellen Überblick empfehle ich den Artikel Braucht Deutschland eine Staatssprache, den ich für das Web-Dossier „Globalisierung“ des Goethe-Instituts Russland geschrieben habe. Wer tiefer in das Thema einsteigen will, findet in meinem zusammenfassenden Blogeintrag zur Petition eine ausführliche Diskussion mit vielen Hinweisen auf weiterführende Lektüre.
Lektüre zum Thema
Für eine Aufnahme ins Grundgesetz:
Klatte, Holger (2010) Staatsziel Deutsch. Dossier Sprache und Politik, Bundeszentrale für Politische Bildung. [Link]
Kraus, Josef (2008) Deutsch ins Grundgesetz. Ich kreide an. Interview mit dem Rheinischen Merkur [Link]
Gegen eine Aufnahme ins Grundgesetz:
Stefanowitsch, Anatol (2010) Braucht Deutschland eine Staatssprache? Dossier Globalisierung, Goethe-Institut Moskau [Link: de|ru]
Stefanowitsch, Anatol (2010) Auf der Zielgeraden: Keine Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz. [Link]
Sitzung des Petitionsausschusses
Zeit: Montag, 7. November 2011, 12 Uhr
Ort: Paul-Löbe-Haus (Europasaal), Saal 4.900. Konrad-Adernauer-Straße 1, 10117 Berlin
Voranmeldung erforderlich! Von der Webseite des Petitionsausschusses: „Interessierte Zuhörer, und Medienvertreter, die keinen Hausausweis des Bundestages haben, können sich unter Angabe von Namen und Geburtsdatum beim Sekretariat des Petitionsausschuss, Platz der Republik 1, 11011 Berlin (Tel.: 030 / 227–37101, Fax: 030 /227–36053, E‑Mail:vorzimmer.peta@bundestag.de) anmelden. Zur Anhörung wird ein gültiger Personalausweis benötigt.”
Liveübertragung: Auf www.bundestag.de und im Parlamentsfernsehen
Näheres in der Ankündigung der Sitzung auf der Webseite des Petitionsausschusses.
[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Version enthält möglicherweise Korrekturen und Aktualisierungen. Auch die Kommentare wurden möglicherweise nicht vollständig übernommen.]
Kann das dann mal jemand mitschneiden? Der Sitzungstermin kollidiert mit meinen Seminarzeiten… (Oder bleibt das irgendwo von Haus aus verfügbar?)
Hindi
Eine Sprache schützt sich durch ihre Nutzung, nicht per Gesetz.
Wenn der Richter nur Hindi kann, dann sollte er nicht Richter sein oder Hindi sprechen dürfen.
Ich schlage vor per Grundgesetzänderung das Sprechen und Niederschreiben gesprochener und nicht gesprochener Worte zu untersagen, damit die Sprache nicht verpanscht werden kann.
Mitschnitt
Ohja, ich wäre auch immens an einem Mitschnitt der gesamten Sitzung interessiert. Da es sich um eine öffentliche Sitzung handelt, sollte eine entsprechende Genehmigung bei ausreichender Voranmeldung sicher kein Problem sein. Falls es nicht ohnehin von Amts wegen für die Nachwelt aufgezeichnet wird. 😉
*facepalm*
Ich sehe die Notwendigkeit der Festsetzung im Grundgesetz nicht. Das einzige, was ich zu A.S.s Punkten aus der Petition noch hinzufuegen kann, ist, dass das ein Schlag ins Gesicht aller Mitbuerger mit Migrationshintergrund waere.
Ich kann nur mal wieder den Kopf schuetteln.
“Voranmeldung erforderlich”
Jetzt muß ich aber auch mal sprachnörgeln, und dann ausgerechnet im Sprachlog … Warum muß es immer und überall “Voranmeldung” heißen, wenn man sich irgendwo anmelden soll?
Voranmeldung
Ich denke, das ist ein Codewort (yay!) für “Anmeldung im Vorfeld/Voraus”. Denn eine Anmeldung kann prinzipiell ja jederzeit erfolgen, während es in manchen Fällen eben darauf ankommt, dass dies mit entsprechendem Vorlauf geschieht, um besser vorweg planen zu können. Vorläufig. Oder so.
Andererseits könnte es auch einfach eine blöde Sprach-Angewohnheit sein. Jemand sollte darüber eine Studie machen.
Aufzeichnung der Sitzung
Die Sitzung wird im Internet auf http://www.bundestag.de und im Parlamentsfernsehen live übertragen und anschließend auch im Video-on-Demand-Bereich auf der Internetseite des Bundestages bereitgestellt.Eine Aufzeichnung der Sitzung des Petitionsausschusses müsste also sowieso früher oder später hier zu finden sein.
Bin auf jeden Fall schon sehr gespannt, wie diese Sitzung verlaufen wird. Könnte ja durchaus eine interessante Diskussion werden, wenn hier direkt zwei genau entgegengesetzte Petitionen vorgetragen werden.
Englisch vor deutschen Behörden
Lieber Herr Stefanowitsch,
ich habe einige – leider nicht alle – der hier verfügbaren Artikel und Kommentare zu diesem Thema gelesen und möchte Sie aus juristischer Sicht noch auf etwas hinweisen, das Sie möglicherweise für die Anhörung beim Petitionsausschuss verwenden können.
Sie weisen darauf hin, dass manche Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder die Sprachen der Minderheiten als Amtssprachen neben Deutsch zulassen. Aber es gibt auch Vorschriften, die *Englisch* als alternative Sprache vor deutschen Behörden zulassen. Dies betrifft einen zahlenmäßig vermutlich noch kleineren Adressatenkreis als den der Friesen, hat dafür aber wirtschaftlich große Bedeutung.
So normiert zum Beispiel § 7 Absatz 1 Satz 2 der
„Verordnung über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen (GCP-Verordnung — GCP‑V)“
(http://www.gesetze-im-internet.de/…08100004.html):
„Die dem Antrag beizufügenden Unterlagen können in deutscher oder in englischer Sprache abgefasst sein, soweit im Folgenden nichts anderes bestimmt ist.“
Es geht hierbei um Arzneimittelstudien, die häufig an verschiedenen Studienzentren durchgeführt werden. Die oft sehr umfangreichen Studienunterlagen sind dabei meistens (natürlich) in englischer Sprache erarbeitet worden. Es wäre ein riesiger finanzieller Aufwand, wenn jetzt beim ohnehin schon komplizierten Verfahren der Genehmigung in jedem einzelnen “Studienstaat” alle Unterlagen aus dem Englischen in die jeweilige Landessprache übersetzt werden müssen.
Ich fände es schon interessant, ob die Verfechter des Antrags „Deutsch ins Grundgesetz“ die Regelung in der GCP‑V damit verfassungswidrig machen wollen. Wenn ja, würde das zu einer erheblichen Verteuerung grenzüberschreitender medizinischer Forschung führen. Wenn nein, bewiesen sie damit einmal mehr, dass sie nur „normative Lyrik“ (d.h. ohne wirkliche Konsequenzen) einfordern.
(Die Abkürzung „GCP‑V“ ist allerdings in meinen Augen eine eher abschreckend wirkende Konsequenz für diese Offenheit des deutschen Rechts für das Englische: „GCP“ steht für Good Clinical Practice, so dass die Abkürzung “Dschi-Ssi-Pi-Vau” ausgesprochen werden muss.)
Upps!
[*QUOTE*]
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ama Deutsch überlebensnotwendig!
01.11.2011, 18:18
[KOMMENTAR GELÖSCHT. BITTE BEACHTEN SIE DIE KOMMENTARREGELN.]
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[*/QUOTE*]
0:1 für mich. ;O)
Widerspruch
Ist das nicht ein krasser Widerspruch?
Eine „Abschottung“ gegen unsere 17 EU-Partner, die entsprechende Bestimmungen in der Verfassung haben? Eine Abschottung gegen unseren besonderen Freund Frankreich, der darüber hinaus eine weitgehende Sprachgesetzgebung hat? Eine Abschottung gegen Österreich, das Deutsch als Landessprache in der Verfassung verankert hat? Eine Abschottung gegen unsere türkischen Freunde, deren Sprache ebenfalls in der Verfassung verankert ist?
Wenn es sich tatsächlich um eine „Abschottung“ handelte, so wäre es jedenfalls ein völkerrechtlich zulässige Retorsionsmaßnahme gegen die „Abschottungen“ unserer „internationalen Freunde und Verbündeten“.
Beiden Petitionen kann ich wenig abgewinnen. Immerhin kann ich mir nicht verkneifen, darauf hinzuweisen, daß die VDS-Petition mit 5165 gegen 3189 die Nase vorn hat.
Ansonsten kommt mir die Behandlung im Petitionsausschuß wie ein reines Schattenboxen vor. Für eine Änderung des Grundgesetzes bedarf es einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Egal wie der Petitionsausschuß entscheidet, hat er darauf keinen Einfluß. Warum er sich überhaupt mit diesen Petitionen befassen sollte, ist mir deshalb schleierhaft.
@Nörgler:
Weil Ihr erster Einwand immer wieder vorgebracht wird, noch Mal der Hinweis: „Rein Symbolisch“ bedeutet nicht „ohne Wirkung in der echten Welt“. Eine rein symbolische Handlung kann gefährliche Konsequenzen haben (darüber habe ich hier mehrfach geschrieben), und natürlich kann eine rein symbolische Handlung in die Handlungsfreiheit anderer eingreifen.
Ihre Anmerkungen zur Rolle des Petitionsausschusses sind wenig nachvollziehbar: Natürlich entscheidet am Ende nicht der Ausschuss, sondern das Parlament — das gilt für alle Petitionen. Der Ausschuss ist nur eine der Schnittstellen zwischen Parlament und Bevölkerung, über die Anliegen an die Parlamentarier herangetragen werden. Aber das wissen Sie ja alles, Sie waren ja lange genug im Staatsdienst tätig um die demokratischen Institutionen unseres Landes und ihre Funktionen und Aufgaben zu kennen.
Artikel zum Thema
Hallo,
ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen und auf einen Artikel von mir zum Thema hinweisen. Mein Artikel zeigt, wie der VDS gegen die Meinung der Mehrheit (dies denke ich zumindest) und somit auf undemokratische Weise versucht, die Aufnahme von Deutsch ins Grundgesetz durchzudrücken. Ich gehe im Artikel übrigens chronologisch vor und versuche so zu zeigen, wie der VDS schrittweise seinem Ziel näher kommen will:
Pfalzgraf, Falco. “Bestrebungen zur Einführung eines Sprachschutzgesetzes seit der Deutschen Vereinigung”. German Life and Letters 61:4/2008, S. 451–469. ISSN 0016–8777.
@Falco Pfalzgraf
Grundgesetzänderungen kommen in der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich nie auf undemokratische Weise zustande. Man benötigt für sie eine zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und im Bundestag. Ersterer wird vom Volk gewählt. Die Abgeordneten sind dann lediglich ihrem Gewissen verpflichtet, müssen also (zum Glück) nicht so abstimmen, wie die Mehrheit der Deutschen das gerne hätte.
Wie viel monolingualen Habitus kann eine Einwanderungsgesellschaft eigentlich verkraften?
“Anonym @Falco Pfalzgraf
03.11.2011, 11:09
Grundgesetzänderungen kommen in der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich nie auf undemokratische Weise zustande.”
Die Sprachregelung ersetzt die wahrheitsgemäße Berichterstattung glänzend; auch dies ein Beispiel dafür, wie das Sprachsein das Bewußtsein als Steuerungsinstrument beherrschen kann.
“Geraldine Göllner kein Betreff
03.11.2011, 14:35
Wie viel monolingualen Habitus kann eine Einwanderungsgesellschaft eigentlich verkraften?”
Das hängt davon ab, in welcher Sprache diese Frage gestellt wird. Und davon, in welcher Zahl die Einwanderer erscheinen und wie gut ihre Feuerkraft ist.
Letzteres ist teilweise sogar reziprok proportional zu den geistigen Fähigkeiten der Einwanderer. Dänemark lernt gerade eine solche Lektion. Von den Dummen zu lernen ist immer ein Abenteuer…
@ A.S.
Hier wird unzweideutig behauptet, daß eine entsprechende GG-Klausel unmittelbar in die Verfassungsbefugnisse der Länder eingriffe. Eine Handlung, die unmittelbare (verfassungs-)rechtliche Auswirkungen hätte, ist aber nach allgemeinem Sprachgebrauch keine „ausschließlich symbolische“.
Natürlich „kann“ auch eine rein symbolische Handlung irgendwelche Auswirkungen haben – wie jede andere Handlung. Das ist ja das, was der VDS erhofft. Wer aber eine Handlung ablehnt, weil sie unerwünschte Auswirkungen haben „kann“, sollte schon genauer darlegen, wie er das im einzelnen begründet. Sonst könnte man jedwede Handlung ablehnen.
Im übrigen ließen sich ja Sorgen über mögliche unerwünschte Auswirkungen auf Minderheits- oder Regionalsprachen durch einen geeigneten Wortlaut im GG einfach ausräumen, so wie in der österreichischen Verfassung.
Gerade weil ich glaube, von unseren demokratischen Institutionen etwas zu verstehen, halte ich die Befassung des Petitionsausschusses mit einer solchen Verfassungsfrage für einen „ausschließlich symbolischen“ Akt.
@ NörglerIn
Sie schrieben zuvor: “Warum er (sc. der Petitionsausschuss) sich überhaupt mit diesen Petitionen befassen sollte, ist mir deshalb schleierhaft.” Das könnte damit zusammenhängen, dass das Petitionsrecht und auch der Petitionsausschuss zwingend im Grundgesetz vorgesehen sind, woraus sich ergibt, dass sich der Ausschuss auch mit Petitionen zu beschäftigen hat. Beide hier vorliegenden Petitionen sind bestimmt wichtiger und interessanter als der Schnitt dessen, was den Ausschuss sonst so umtreibt.
Im anderen Punkt — “rein symbolische Handlung” vs. “Einschränkung der gesetzgeberischen Möglichkeiten der Länder” — stimme ich Ihnen zu, wobei es freilich primär Aufgabe der “Pro-Petition” wäre, zu beschreiben, ob und wenn ja welche Rechtsfolgen ihr Antrag haben soll. Das ist mir auch dort nicht klar geworden.
Rechtliche Konsequenzen sind die einzige Existenzberechtigung von Rechtsnormen. Deswegen glaube ich auch nicht ernsthaft daran, dass die ganze Petition lediglich Symbolcharakter haben soll, der zwar Wirkung haben kann, aber mehr auf einer nicht durchsetzbaren Ebene. Wenn allerdings eine Bestimmung erstmal im GG steht, lässt sich daraus durchaus die eine oder andere Gesetzesinitiative ableiten. Und dann muss die Sache eigentlich nicht mehr so harmlos, weil “nur” symbolisch, aussehen.
Heidegger vor dem BVG?
Ohne mich in die weiterführende Literatur zum Thema vertieft zu haben, frage ich mich, wie man etwas sich per se Wandelndes zum Bestandteil eines Grundgesetzes machen kann. Was wäre denn dann genau die Referenz dessen, was als “Deutsch” gilt? Alles, was im Duden steht + Neue Deutsche Rechtschreibung? Bezieht sich das nur auf das Vokabular. Was ist dann mit den assimilierten Fremdworten? (“Interessant!”) Und würde man, wenn man wie Heidegger spricht, schon einen Verfassungsbruch begehen? Bezieht sich die Sprachregelung dann auch auf Zitate? (“Kollege Soundso hat gesagt, er habe sein ‘Handy’ verloren?”) Müsste man dann auch eine Zitatform für die mündliche Kommunikation einführen, um sich nicht strafbar zu machen? Was wären denn die Konsequenzen eines lingualen Verfassungsbruchs?
Mir schwirrt der Kopf vor Fragen angesichts dieses recht irrsinnig erscheinenden Vorhabens…
Rechtliche Konsequenzen
Mir ist sehr unwohl bei dem Gedanken, dass die deutsche Sprache ins GG aufgenommen werden sollte. Ich bin Jurist und glaube, dass niemand so richtig abschätzen kann, was ein “Art. 22 Abs. 3 GG” anrichten könnte, wenn er einmal in unser — wenn schon nicht autonomes, dann doch wenigstens nach eigenen diskursiven Gepflogenheiten operierendes — Rechtssystem entlassen wird.
Da wäre es beinahe zu wünschen, wenn man einige Zeit nach so einer Grundgesetzänderung wird sagen können, dass sie “bloß symbolisch” geblieben ist.
Meine juristische Phantasie lässt ganz andere Möglichkeiten plausibel erscheinen, und das liegt nicht daran, dass sie besonders farbenfroh blühen kann. Etwa, dass “In deutscher Sprache formuliert Sein” zu einem Rechtsgut von Verfassungsrang wird, oder zu einer sog. Staatszielbestimmung ähnlich dem Umweltschutz (Art. 20a GG) oder verschiedenen Infrastruktursicherungen (Art. 87d ff. GG). Folge der ersten Interpretation könnte etwa sein, dass ein Berufsverbot wegen unzulänglichen Sprachkenntnissen — das derzeit als Eingriff in Art. 12 GG verfassungswidrig wäre — unter Verweis auf Art. 22 Abs. 3 GG gerechtfertigt werden könnte. Folge der zweiten Interpretation könnte etwa sein ein verfassungsunmittelbarer Anspruch auf eine Finanzierung von “Sprachpflegevereinen”.
Wenn eine Grundgesetzänderung kommen sollte, muss o.G. nicht passieren; man wird verfassungsdogmatisch jeweils dagegen argumentieren können. Aber es wäre vollkommen unseriös, heute juristisch abschließend feststellen zu wollen, dass es nicht passieren kann. Welche Auswirkungen eine Verfassungsänderung auf das Rechtssystem hat, ist nur begrenzt steuer- und vorhersehbar. Erst recht wird sie unkalkulierbar, wenn bei der Änderung die gesetzgeberisch verfolgten Ziele nicht offengelegt werden oder ganz unterschiedliche Intentionen (von “reiner Symbolpolitik” bis zu “keine englischen Wörter mehr im öffentlichen Raum”) sich hinter einer einzigen Verfassungsbestimmung versammeln.
Hoffentlich kommt es soweit nicht.