Beim Stöbern in alten Drucken stößt man immer mal wieder auf interessante Dinge. Recht bekannt ist ja die funktionale Schriftartenteilung:
Während gebrochene Schriften für den deutschen Text eingesetzt wurden, wurden in vielen Drucken Antiquaschriften (unsere heutiger Normalfall) für Fremdwörter benutzt. Ein willkürlich gewähltes Beispiel:
Schon spannender wird es, wenn man sich anschaut, wo die Grenzen der Fremdwortmarkierung verlaufen: Was der eine Drucker klar erkennt, ist für den anderen nicht weiter bemerkenswert. So stehen hier zwei Fremdwörter nebeneinander, von denen nur das erste (Interims) als solches markiert wurde, während publication (oder auch in der Zeile drüber Adiaphoris) unmarkiert bleibt:
In diesem Text hingegen wurde satisfaction ‘Befriedigung’, das dem selben lateinischen Muster folgt, klar hervorgehoben:
Interessant auch, dass hier der flämische Name Verheyen ebenfalls als fremd markiert wird. (Sein Buch, von dem im Textausschnitt die Rede ist, ist in der deutschen Übersetzung hier zu finden, der Herr ist dieser.)
Am besten sind aber die haarspalterischen Drucker. Das sind die, die bemerkten, dass an einem Fremdwort ja nicht alles fremd ist: Man verschafft ihm doch oft deutsche Endungen. Und die dann die Antiquaschrift auch nur dem fremden Bestandteil zugestanden. Das wurde z.B. in diesem Druck des Simplicissimus gemacht. Gleich auf der ersten Seite geht es um einen Vaganten. Der kommt vom lateinischen vagāns, vagantēs. Die Pluralbildung mit -en ist damit nicht übernommen, sondern entstammt einer deutschen Deklinationsklasse. Folgerichtig setzte der Drucker:
Das geht dann munter so weiter. Neben deutschen Pluralen wie
Exerciti|en, Studi|en, Materiali|en (lat. māteriālia), Schergiant|en (frz. serg(e)ant, wohl beeinflusst vom deutschen Scherge)
gibt es auch eine Menge Funde in der Wortbildung (das Antiqua-Element ist immer fett), z.B.:
- -ität: Dignit|ät (lat. dignitas), Posterit|ät, Qualit|äten
- -er: Courassir|er (frz. cuirassier)
- -ieren: reguli|ren (lat. rēgulāre), resolvi|ren, exprimi|rt (das i müsste hier allerdings auch immer zur Endung zählen)
- Komposition: Commiss|brot, Kriegs-Disciplin, Fortification-wesen, Folterungs=Instrument|en
Natürlich kommen auch Fälle vor, in denen ein Wort fremden Ursprungs dennoch gebrochen gesetzt wurde, so Creatur, Cavallier, regierte, wahrscheinlich wurden sie als weniger fremd wahrgenommen. Dass ein deutsches Element in die Antiqua integriert wird, ist seltener, aber einmal habe ich den Genitiv deß Gouverneurs gefunden, einmal den Konjunktiv commandire.
In anderen Texten stoßen die Drucker oft auf Schwierigkeiten, wenn ein Substantiv stärker integriert wurde. Das ist in diesem Text nicht der Fall, es wird maximal zum deutschen Plural gegriffen, die Kasusflexion im Singular bleibt aber immer lateinisch oder fällt völlig weg, sodass kein Schriftartenwechsel vorgenommen werden muss:
- Genitiv: Deß Abentheurl. Simplicissimi (o-Deklination, Simplicissimus)
- Dativ: … Andacht / die sonst einem Religioso zuständig … (o-Deklination mit substantiviertem Adjektiv religiosus)
- Akkusativ: … und bedecket mit des Baums Aesten ganz Europam. (a-Deklination, Europa)
- Vokativ: … O du unglückseliger Simplici! (o-Deklination, Simplicius)
Die Zweiteilung wurde allerdings meines Wissens schon vor der völligen Aufgabe gebrochener Schriften nicht mehr genutzt, außer man zitierte fremdsprachige Passagen. Wann genau sie endete, kann ich aber aufgrund meiner Beobachtungen leider nicht sagen.
Eine ähnliche Schriftartenteilung gibt es übrigens im Japanischen: Fremdwörter (außer chinesische) werden in Katakana geschrieben. So zum Beispiel in diesem Satz aus dem japanischen Wikipediaeintrag zu Fußball:
他のフットボールと比較して、手の使用が極端に制限されるという大きな特徴がある。
Während die (sino)japanischen Inhaltswörter in Kanji (schwarz) und die grammatischen Endungen und Partikeln in Hiragana (blau) geschrieben werden, nutzt man für das Fremdwort futtobooru (von engl. football) Katakana (orange). (In dem Satz geht es ganz grob darum, dass das Besondere am Fußball ist, dass man die Hände kaum benutzen darf.)
Heute setzt man im Deutschen ja gelegentlich als fremd wahrgenommene Elemente kursiv, wäre sicher spannend, sich mal anzuschauen, welche Ausmaße das eigentlich hat.
Quellen:
- Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch/ Das ist: Die Beschreibung deß Lebens eines seltzamen Vaganten/ genant Melchior Sternfels von Fuchshaim … / German Schleifheim von Sulsfort. — [Online-Ausg.]. — Monpelgart [i.e. Nürnberg] : Fillion [i.e. Felsecker], 1669.
- Gründlicher vnd warhafftiger Bericht aller Rathschleg vnd antwort … Wittenberg: Georg Rhau, 1559.
- Warhaffte und gründliche C u r aller dem Menschlichen Leibe zustossenden Kranckheiten … Straßburg: Dulßecker, 1712.
Zuerst mal ein dickes Lob für das super-übersichtliche und dadurch verständnisfördernde Layout in diesem Blog. 🙂
Nur über einen Begriff bin ich hier kurz gestolpert:
Mit ‘Drucker’ assoziiert Mensch 2.0 das omnipräsente PC-Peripheriegerät, weswegen mir auf Anhieb ‘fehlender Font’ durch den Kopf schoss. Vielleicht wäre ‘Schriftsetzer’ hier der bessere Ausdruck?
Grundsätzlich halte ich nichts davon, (vermeintlich) fremdsprachliche Wörter in einen anderen Schrifttyp zu setzen.
a) Es ist, wie richtig beschrieben, hochgradig subjektiv, was man als Fremdwort empfindet.
b) Es behindert den Lesefluss; man überlegt spontan, ob und ggfs. warum ein kursiv gedrucktes Wort einem nun fremd vorkommen sollte oder auch nicht.
Hi zusammen,
zuerst mal muss ich Michel Allers bei den ersten zwei Absätzen seines Posts rechtgeben.
Zitat“Am besten sind aber die haarspalterischen Drucker.”
Die haben vielleicht ihren Traumjob nicht machen dürfen (z.B. eine Arbeit hier, war einfach nix mehr frei). Jetzt verwirren sie die Leser_innen mit ihren Interpretationen. Eigentlich schade 🙁
Och, bei einem Text, der mit den Worten “beim Stöbern in alten Drucken” anfängt, denke ich eigentlich nicht an die digitale Welt… Und an die gesonderte Auszeichnung von Fremdwörtern kann man sich gewöhnen; ich kenne das von früher, wenn ich in Fraktur gesetzte Kinder- und Jugendbücher meiner Eltern gelesen habe, in denen fremdsprachliche Wörter oder Äußerungen in Antiqua gesetzt waren. Mit ein bisschen “Warmlaufen” fällt einem das gar nicht mehr auf.
sehr interessant, wieder was neues gelernt 🙂
allerdings muss ich zugeben, ich war auch anfangs verwirrt, da ich eher an ein druckgerät dachte. mir ist gerade bewusst geworden, dass ich es ähnlich mache, wenn ich hausarbeiten schreibe. fremdwörter setz ich da erstmal kursiv (oder sagen wir eher ungeläufige fachtermini, sonst würde eine linguistische arbeit fast ausschießlich kursiv geschrieben sein).
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Ein schöner Artikel! Es steht auch gleich am Anfang dass in “vielen” Drucken Fremdwörter in Antiqua gesetzt wurden. Als Beispiel für einen anderen Fall, wo alles in Fraktur gesetzt wurde, fällt mir ein Buch aus den zwanziger Jahren ein, das ich als Jugendlicher mal gelesen habe. Dort war sogar der Hinweis im Klappentext “Copyright by…” in Fraktur gesetzt, was ziemlich lustig aussah. Dagegen gab es einzelne Beispiele in Antiqua; leider weiß ich nicht mehr, was genau.
Klasse Artikel.
Ich möchte nur anfügen, dass im Japanischen bei der Aussprache von Kanji bzw. deren Verschriftlichung nach deren japanischen bzw. sinojapanischen Wurzeln unterschieden wird.
In Wörterbüchern findet man die ursprünglich aus dem Chinesischen übernommene Lesung in Katakana (v.a. Kanji+Kanji) und Lesungen japanischen Ursprungs in Hiragana (v.a. Kanji+Hiraganaendung). Bei ersteren handelt es sich um Fremdworte, die mit der Schrift aus China ins Japanische übernommen wurden, bei letzterem um japanische Worte, die nach der Einführung der chinesischen Schrift mit einem bedeutungsgleichen oder bedeutungsähnlichen Kanji geschrieben wurden. Daher haben japanische Kanji je nach Zusammenhang unterschiedliche Lesungen, was deren Erlernen zusätzlich erschwert.
Darüberhinaus gibt es dann noch den Sonderfall der Kokuji — Kanji die in Japan entwickelt wurden -, deren Aussprache in Hiragana verschriftlicht wird.
Dass manch Setzer für die deutschen Endungen die gebrochene Schrift beibehielt, war mir neu.
Ich frage mich nun aber, ob es umgekehrt in den anderen europäischen Schriftsprachen üblich war, deutsche Wörter in Fraktur zu schreiben.
Anscheinend war es das (T. Kamusella, “The Politics of Language and Nationalism in Central Europe”, Seitenzahl auf Anfrage, habe das Buch gerade nicht zur Hand). Deutsche Wörter und Wörter aus anderen Sprachen, die üblicherweise in Fraktur gesetzt wurden, wurden auch innerhalb eines Antiquasatzes, etwa auf Französisch oder Latein, in Fraktur gesetzt. Das muss aber ein seltenes Phänomen gewesen sein, denn diese Sprachen haben nur sehr wenige deutsche Wörter entlehnt (von böhmischen, litauischen, dänischen etc. ganz zu schweigen.)