Am 10. September war “Tag der deutschen Sprache”. Keine Sorge — wer jetzt hektisch im Termin- und Gedenktagskalender nachsieht, ob er an diesem Tag einen Schrein angehimmelt hat, der sei beruhigt: Dieser Tag ist eine Aktion des Verein deutsche Sprache (VDS). Damit will der VDS seit 2001 “ein Sprachbewusstsein schaffen und festigen […]”
Jedenfalls kriechen an und vor diesem Tagen die Medien, vorrangig die kleineren, vor dem Altar der Sprachkritik zu Kreuze und veröffentlichen im Zuge ihrer Praktikantenbeschäftigungsprogramme die entsprechenden VDS-Pressemeldungen. Einige Zeitungen versuchen sich gar in Kreativität. Die Badische Zeitung (BZ) ist so ein Beispiel.
Die BZ präsentierte ein kleines “Floskelalphabet” des “Fastfood der Sprache”. Von A bis Z hohle Floskeln. Darunter: Zukunftsperspektive (hä?), Dozierende & Studierende (gähn) oder nicht wirklich (schnarch). Aber mir soll’s heute um Ramschniveau gehen.
Die Redakteure wollen nach eigenen Worten der Wahl zum Unwort des Jahres 2011 nicht vorgreifen — halten sie Ramschniveau doch für einen ausrichtsreichen Kandidaten (mit dieser Einschätzen könnten sie sogar recht gut liegen) und schlagen das Wort denngleich zur Wahl vor.
Aber aus falschen Motiven. Denn der BZ geht es nicht um das Wort Ramschniveau an sich, sondern darum, was gerne mal vor Ramschniveau verwendet wird — und warum diese Konstruktion angeblich ins Floskelalphabet gehört. Die BZ schreibt:
Ramschniveau
Wir wollen der Jury, die das Unwort des Jahres 2011 ermittelt, nicht vorgreifen, aber ihr dieses Wort vorschlagen. “Irland auf Ramschniveau herabgestuft.” Ganz Irland? Natürlich nicht, bloß seine Staatsanleihen. Der Ire muss es unfair finden.
Hier drängt sich also die Frage auf: Werden sich die Iren beleidigt fühlen (müssen/dürfen)?
Na, vielleicht auf Regierungen und Finanzspekulateure, die ihnen die Suppe eingebrockt haben. Aber sprachlich ist hier eigentlich alles in Ordnung. Wenn die BZ sagt: “ ‘Irland auf Ramschniveau herabgestuft’ Ganz Irland? Natürlich nicht, bloß seine Staatsanleihen” — hat da jemand gröbere Verständnisprobleme, dass es eben nicht um die Bewohner geht? Die Floskelanalphabetisierungsbeauftragten der BZ übersehen bei ihrer Kritik nämlich einen alltäglichen und normalen sprachlich-kognitiven Prozess, den wir gar nicht bewusst wahrnehmen; also Laien noch weniger und die meisten Sprachkritiker schon mal gar nicht.
Dieser Prozess nennt sich Metonymie*: Von einem metonymischer Ausdruck spricht man dort, wo ein Begriff nicht in seiner wörtlichen Bedeutung verwendet wird (was immer die sein könnte), sondern es sich in einer Bedeutungserweiterung um eine enge semantische Verwandtschaft zwischen dem Bezeichnenden und Bezeichneten handelt. Soll heißen: Durch Metonymie kann sowohl das “Ganze für einen Teil” stehen (WHOLE-FOR-PART; Ich lese Shakespeare, Shakespeare als Autor für sein(e) Werk(e)), als auch umgekehrt ein Teil der Bedeutungsschattierung für das Ganze (PART-FOR-WHOLE; Superhirn, Hirn als Teil des Menschen für den ganzen Menschen).
Wenn Neuseeland im Halbfinale der Rugby-Weltmeisterschaft Australien geschlagen hat, dann haben weder 20 Millionen Australier gegen vier Millionen Neuseeländer verloren, noch siebeneinhalb Millionen Quadratkilometer gegen eine Viertelmillion — dann haben die Spieler gegeneinander gespielt, die ihr jeweiliges Herkunftsland in einer Mannschaft repräsentieren. Wie unökonomisch wäre es denn, jedes Mal zu sagen: ‘Die Mannschaft mit Spielern australischer Staatsangehörigkeit verlor deutlich gegen die Mannschaft mit den Spielern neuseeländischer Staatsangehörigkeit’?
Als Nichtalkoholiker dürfen Sie zurecht pikiert sein, als Trinker bezeichnet zu werden, auch wenn Sie jeden Tag eine Zwei-Liter-Flasche trinken. Fahren Sie zur Tankstelle, um den Schlauch mit dem Tankstutzen an die Öffnung des Rohrs anzulegen, von wo aus das Benzin in den Tank geleitet wird — oder tanken sie einfach das Auto voll? Ich wünsche viel Spaß beim Entlüften.
Metonymien sind so alltäglich, dass sie uns nicht auffallen: Da ist Washington sauer auf Berlin, London macht Zusagen an Paris oder Deutschland verhandelt mit Peking. Dies sind sowohl Beispiele für das PART-FOR-WHOLE (Landeshauptstadt als Teil des Landes), als auch WHOLE-FOR-PART (Landeshauptstadt für die dort ansässige Regierung bzw. Landesbezeichnung für dessen politische Führung). Sollte sich der Berliner unfair behandelt fühlen, wenn die Griechen sauer auf Angela Merkel sind?
Mal sehen, wie es die Badische Zeitung mit ‘[LAND] auf Ramschniveau’ hält:
Irland rangiert damit nur noch eine Stufe über Ramschniveau.
Badische Zeitung, 16. April 2011.Die Ratingagentur Standard & Poor’s hatte bereits am Montag Griechenland auf das Ramschniveau CCC herabgestuft.
Badische Zeitung, 15. Juni 2011.
Fairerweise muss man dazu sagen, dass sich Ramschniveau bei der BZ tatsächlich in den meisten Fällen auf die Kreditwürdigkeit oder Staatsanleihen bezieht, in 17 von 19 Treffern. Immerhin. Aber trotzdem nutzen natürlich auch die Journalisten bei der BZ die Metonymie, um komplexere oder neue Umstände sprachökonomisch pointiert(er) darzustellen. Und im Kontext wissen wir auch, dass Connemara oder Dublin immer noch reizend und bestimmt nicht billig sind.
Nun ist Ramschniveau vielleicht nicht besonders hübsch. Oder ermunternd. Oder zutreffend. Oder gerecht. Oder psychologisch klug. Für eine Wahl zum Unwort des Jahres wäre es deshalb gar nicht so ungeeignet. Aber der BZ ging es ja um beleidigte Iren.
Bei aller Kritik am einzelnen Begriff — die Konstruktion Irland auf Ramschniveau ist sprachlich keine hohle Floskel, und ganz gedankenlos dahergesagt ist sie auch nicht. Sie ist erklärbar als eine Analogie zu einem gängigen Muster (z.B. Irland mit Defiziten im Staatshaushalt) auf Grundlage eines hundsgewöhnlichen, sprachökonomischen, kognitiven Prozesses.
Ganz nebenbei und weil es mir noch so auffällt: Die Formulierung “Das Fastfood der Sprache”, mit der die BZ ihr Floskelalphabet umschrieben hat, fällt unter den Prozess der Metapher — und ist von der Metonymie gar nicht besonders weit entfernt.
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In einer ersten Version dieses Beitrags habe ich zwei Fragen aufgeworfen. Zur Frage, ob die Iren beleidigt sein dürfen/sollen/müssen kam noch: Was hat Ramschniveau in einem Floskelalphabet der Politikersprache zu suchen? Die Überlegungen dazu uferten etwas aus — aber ich möchte nicht die Arbeit und das Gedankenchaos von Stunden einfach der Entf-Taste übergeben. Wer sich für die zweite Frage interessiert, kann mit meinen unausgereiften Überlegungen zum Begriff Ramschniveau weiterlesen (als mögliche Herleitung des Begriffs, seiner Bedeutung und Erklärung der Verwendung, aber betonterweise nicht als Rechtfertigung derselben):
Ramschniveau ist vermutlich eine Wortschöpfung der Medien. Einerseits aus meiner zugegebenermaßen wackligen subjektiven Einschätzung, aber vor allem aus einer Überlegung heraus, dass politische und diplomatische Strategien verhindern dürften, dass sich hochrangige Politiker in Entscheidungspositionen mit diesem Wortlaut erwischen lassen. Angela Merkel wird es sich auch aus psychologischen Gründen wohl kaum erlauben können, das Wort Ramschniveau in den Mund zu nehmen.
Ramschniveau ist eine Lehnübersetzung des englischen junk status (von junk ‘Ramsch, Schrott, Trödel’). Indikatoren dafür sind, dass es sich a) um Wirtschaftsjargon handelt, b) sich bis zur Etablierung von Ramschniveau auch in deutschen Medien “Junk-Status” finden lässt (mit den Fremdheitstags “”) und c) sich Ramschniveau fast ausschließlich auf finanz- und wirtschaftspolitische Kontexte bezieht. Die 22 Belege für junk status im Corpus of Contemporary American English (COCA) von 1996 bis 2010 finden sich wenig überraschend ausschließlich im Kontext von Finanzthemen in (Wirtschafts-)Zeitungen und Magazinen oder entsprechenden TV-Programmen.
Na, wer hat’s erfunden?
Diese Frage ist natürlich nicht auf die Schnelle zu klären — aber wohl, dass junk status bereits seit den 1940er Jahren belegt ist. Auch damals gab es schon Ratingagenturen. Meine Frage wäre ja indirekt, ob die Ratingagenturen für Ramschniveau/junk status verantwortlich sein könnten. Vermutlich eher nicht. Denn was in den Medien gemeinhin als Ramschniveau bezeichnet wird, ist die Kreditwürdigkeit eines Landes unterhalb einer bestimmten Stufe. Nehmen wir hier die Einteilung von Moody’s: alles ab Ba1 abwärts. Wenn Irland im Juli auf Ba1 herabgestuft wurde und die Tagesschau das Ramschniveau nannte, dann dürfte alles in Rottönen Eingefärbte in der Wikipedialiste dieser Wortverwendung entsprechen. (Wem die Wikipedia zu simpel ist, der darf sich gerne hier durch die Definitionen der Ratingstufen bei Moody’s wühlen.)
So, damit wären wir beim Kern der Sache. Die Ratingstufen sind so detailliert, dass “Kreditwürdigkeit Irlands auf das Niveau einer spekulativen Anlage herabgestuft” oder “Griechenland auf CCC heruntergestuft” für Laien schlicht wenig bis gar keine Aussagekraft haben (ganz gleich, wie ernst die Lage wirklich ist oder wie klug die gewählte Formulierung Ramschniveau ist). Vermutlich bräuchten man für die Unterscheidung “Bei Verschlechterung der Gesamtwirtschaft ist aber mit Problemen zu rechnen” (Baa3) und “bei Verschlechterung der Lage ist mit Ausfällen zu rechnen” (Ba1) tiefergehende wirtschaftliche Kenntnisse — schon die Zahlenskala eines einzigen Ratingunternehmens ist verwirrend. Mit Ramsch weiß aber sofort jeder was gemeint ist: Will eigentlich niemand haben.
Natürlich gibt es auch Ramschliebhaber, sowohl bei Trödelmarktbesuchern, als auch in der Finanzwelt. Dass Ramsch aber überwiegen negativ konnotiert ist, macht eine kleine Kookkurrenzanalyse deutlich: Im Archiv W der geschriebenen Sprache im Projekt COSMAS II habe ich nach Adjektiven gesucht, die direkt vor Ramsch benutzt werden — in absteigender Reihenfolge sind dies: billig, minderwertig, wertlos, alt, unnötig und bunt.
Nun ist die Lage vielleicht nicht ganz so dramatisch, wie uns Ramsch suggeriert: Immerhin gibt es unter der Stufe Ba1 noch 12 bedrohlichere Stufen, die so definiert mit Ramschniveau umschrieben werden, darüber sind es 10. Man könnte also auch sagen: Hier findet mit Ramschniveau eine sehr viel gröbere Kategorisierung statt, die auch so detaillierte Abstufungen wie “bei Verschlechterung der Lage sind Aufälle möglich” vs. “Nur bei günstiger Entwicklung sind keine Ausfälle zu erwarten” kennt.
Aber an dieser Stelle will ich mit der BZ nicht zu hart ins Gericht gehen. Denn 1.) hat die BZ auch Zeitungs- und Journalistensprache in ihre Kritik einbezogen und 2.) wollte ich ursprünglich nur zur Frage hinführen: Haben die Iren ein Recht, sauer zu sein?
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*Ich habe bewusst den englischen Wikipediaartikel verlinkt — der deutsche beschränkt sich auf die Definition von Metonymie als “rhetorische Stilfigur”. Das ist partieller und deshalb irreführender, als ein englischer Wikipediaeintrag.
Was mich an Wörtern wie dem “Ramschniveau” dann doch ziemlich stört, ist die umgangssprachliche Färbung. Es klingt einfach unangemessen, wenn in einem Nachrichtentext plötzlich so ein sprachliches Geschlabber auftaucht. “Gammelfleisch”, das innerhalb weniger Tage vom abfälligen Gossenwort zum Terminus Technicus avancierte, ist auch so ein Beispiel. Was Sprachkritik in den meisten Fällen meint, ist eben nicht Sprach- sondern Stilkritik. Nicht alles, was Sprachnutzer tun — und sei es auch noch so grammatisch-sternchenfrei — ist auch ästhetisch oder textsortlich angemessen.
Keine Einwände. Ich finde Ramschniveau auch nicht angemessen; und Kritik daran fällt u.U. in den berechtigten Teil der Sprachkritik — linguistisch interessiert mich das Zustandekommen und die Verwendung, also das warum.
Aufgrund welcher Kriterien Sie hier allerdings Sprach- und Stilkritik voneinander unterscheiden möchten, ist mir nicht ganz klar (das ist an dieser Stelle eine Frage der Definition der Begriffe). Ich glaube, ich weiß in welche Richtung es gehen soll oder worauf Sie hinaus wollen — aber viel der öffentlichen Sprachkritik basiert auf Stilkritik — und jeder hat eine andere subjektive Auffassung von Stil. Weil es vielen Menschen sauer aufstößt, weil sie z.B. Kiezdeutsch nicht mögen, wird es schnell als “stillos” gebrandmarkt. Und die meiste unreflektierte Sprachkritik basiert eben auf Geschmäckern und subjektiven Einschätzungen.
Keine Frage, eine Stilkritik ist immer Geschmackssache. Der Fehler von B. Sick und Consortium ist eben, daß sie ihren persönlichen Geschmack auf eine überpersönliche, objektiv gültige Begründung stellen und diesen Geschmack somit absolut setzen wollen. Andererseits gibt es ja aber auch so etwas wie eine begründete Ästhetik. Einen guten Zeitungsstil muß und kann man lernen. Es gibt Kriterien, die von vielen Menschen geteilt werden, diese Kriterien sind wandelbar, aber sie haben Geltung. Es gibt ja auch so etwas wie eine begründete Wertung. Auch eine Rezension oder Filmkritik ist nicht objektiv. Trotzdem kann eine begründete Wertung auch für andere interessant, erhellend und sogar geschmacksbildend sein. Manch einer liest ein bislang abgelehntes Buch nach der Lektüre einer wohlmeinden Kritik plötzlich selbst mit Wohlgefallen.
Sprache ist, da werden Sie mir zustimmen, immer auch ein ästhetisches Objekt, auf das wir mit (subjektiven, klar) ästhetischen Kriterien reagieren, mal einig, mal uneins, wie das eben so ist mit der Ästhetik. Ärgerlich wird es eigentlich nur, wenn einer begründeten Wertung der Anstrich einer wissenschaftlichen Analyse gegeben wird.
Sehen Sie, da haben Sie ja eine gute Definition geliefert. Nur sollte man die (Laien-)Kritik an der Sprache in den seltensten Fällen der (künstlerisch-subjektiven) Ästhetik zuordnen. So gesehen würden wir da aneinander vorbeireden — weil Sie die Definition liefern, wissen wir das auch beide 🙂
Wenn ich mir anschaue, was Wolf Schneider so als gutes Deutsch ausgibt, wobei er da sicher auch in einigen Aspekten Recht hat, und das mit meinem Lieblings-Stilisten Stefan Zweig vergleiche, liegen Welten dazwischen.
Ich habe Wolf Schneider nie gelesen — befreundete Menschen, die mit Sprache arbeiten (im Lektorat, Übersetzungen etc.), haben mir aber gesagt, dass er phasenweise durchaus Berechtigung hätte.
Allerdings hat auch er mehr persönlichen Geschmack als wirkliches Gespür für Sprache und seine Feinheiten. Mein Highlight: Besorgte Terroristen.
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Sicher ist die Metonymie in der Überschrift gängiger Sprachgebrauch; und der Artikel stellt auch klar, wie sie zu verstehen ist. Die Sprachkritik ist somit haltlos. Wer allerdings wenig von Wirtschaft versteht und — wie viele Leser — nur die Schlagzeile überfliegt, kann hier durchaus etwas missverstehen. Das ist allerdings kein Problem der “langue”, sondern der Kommunikation, der Bildung und der Rezeptionsgewohnheiten.