Mitgefühl oder Entschuldigung

Von Anatol Stefanowitsch

XKCDs Lösung für ein klas­sis­ches prag­ma­tis­ches Problem:

 

Du weißt, ich habe sie immer gehasst.

Du weißt, ich habe sie immer gehasst.

Die Dop­peldeutigkeit von „Es tut mir leid“ (und auch „I’m sor­ry“) wird übri­gens gerne in umgekehrter Weise aus­genutzt — um Entschuldigun­gen auszus­prechen, die bei näherem Hin­se­hen gar keine sind. Ein (lei­der) immer noch höchst aktuelles Beispiel dafür habe ich vor ein paar Jahren im Bre­mer Sprach­blog disku­tiert (War­nung: Es geht um den Papst — wer über den aus gegeben­em Anlass nichts kri­tis­ches mehr hören mag, verzichte darauf, auf den Link zu klicken).

© 2011, xkcd (Deutsche Über­set­zung © 2011, Ana­tol Ste­fanow­itsch). Sowohl das Orig­i­nal als auch die deutsche Bear­beitung ste­hen unter der Creative-Commons-BY-NC‑2.5‑Lizenz

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

9 Gedanken zu „Mitgefühl oder Entschuldigung

  1. Johann

    Bish­er bin ich auf solche For­mulierun­gen (fast) immer gestoßen, wenn sich die Diskus­sion fol­gen­der­maßen abspielt:
    A: „Wie geht es x?“
    B: „x ist let­ztes Jahr gestorben.“
    A: „Das tut mir Leid.“
    In dieser Sit­u­a­tion inter­pretierte ich das „Leid tun“ nicht als Aus­drucks des Mit­ge­fühls – nicht, dass man kein Mit­ge­fühl hätte – son­dern stets als Entschuldigung für das Aufwühlen von unan­genehmen Erin­nerun­gen. Eine Erk­lärung die ich für schlüs­sig halte, die jedoch nicht bei Szenen wie der im Com­ic funk­tion­iert, in der ja die Ereignisse nicht vom Gesprächspart­ner son­dern von der Per­son selb­st offen­bart werden.

  2. Ihr Name

    Wer im Han­del oder Dien­stleis­tungs­gewerbe tätig ist, wird es ken­nen: Der Kunde kommt auf einen zu und redet einen mit “Entschuldigung” an. Er entschuldigt sich im Voraus dafür, eine Frage zu haben oder etwas kaufen zu wollen. Ich bin’s leid, dass zu hören. Nie­mand braucht sich dafür zu entschuldigen. Einen Kun­den zu bedi­enen oder zu berat­en ist der Sinn jed­er Tätigkeit im Han­del. Ich wün­schte, die Kun­den wür­den mich ein­fach als Men­schen wahrnehmen und “Hal­lo” sagen.

  3. toma behlsum

    bre­mer sprachbloglink
    nicht weit­er aufge­fall­en ist anscheinend, dass die Zeit damals geschrieben hat
    Papst verurteilt Missbrauchskandal,
    statt Papst verurteilt Missbrauch.

  4. Joachim

    @Ihr Name
    Da kann ich Sie beruhi­gen. Der Kunde entschuldigt sich nicht dafür, dass er eine Frage hat oder was kaufen möchte. Er entschuldigt sich dafür, dass er Sie bei dem unter­bricht, was sie ger­ade tun.

  5. Dierk

    wg. Kunde
    Tat­säch­lich benutzt der Kunde eine Formel, um der Kon­ven­tion gerecht zu wer­den, andere Men­schen nicht aus nichtigem Anlass zu belästi­gen. Eben­so wie die Frage ‘Darf ich sie etwas fra­gen?’ eine soziale Formel ohne inhaltliche Bedeu­tung ist. Oder ‘Kannst du mir bitte das Salz reichen?’ nicht nach den kör­per­lichen, geisti­gen, geografis­chen Fähigkeit­en des Gegenüber fragt. Aber das wurde in diesem Blog — oder bringe ich jet­zt meine Lek­türe durcheinan­der? — schon ein­mal besprochen.
    … dann gäbe es da natür­lich noch rhetorische Fragen.

  6. Bernhard H.

    Und ganz ähn­lich bei den Pseu­doentschuldigun­gen ist das Umdrehen der Entschuldigung in eine Beleidigung.
    “Tut mir leid, dass du dich da jet­zt ange­grif­f­en fühlst.”
    “I’m sor­ry peo­ple are so jeal­ous of me, but I can’t help it that I’m popular.”

  7. rauskucker

    Ich erlaube mir, zu ziteren, was ich damals schrieb (ohne deinen schö­nen Artikel gele­sen zu haben):
    Der Papst murmelt in Aus­tralien wegen der Fälle von sex­uellem Mißbrauch durch Priester etwas von “Sor­ry”. Die “Ver­ant­wortlichen soll­ten vor Gericht gebracht wer­den.” (OT). Eine klares Schuldeingeständ­nis den Opfern gegenüber ver­mei­det er. Son­st müßte der “Unfehlbare” ja als Hauptschuldiger sich sel­ber der Jus­tiz stellen…
    Um aber Ähn­lichem in Zukun­ft vorzubeu­gen, dür­fen ab sofort auch Priester heirat­en. Frauen und Schwule dür­fen jet­zt ganz offen Priester und Bis­chöfe wer­den. Als Ratzingers Nach­fol­gerin ist Alice Schwarz­er im Gespräch. Ange­blich wollen die bei­den sog­ar heiraten.
    Und einen Tag später:
    Fast alle Sender brin­gen die Falschin­for­ma­tion, der Papst habe sich für die sex­uellen Über­griffe entschuldigt. Hat er aber nicht. Er hat nur gesagt, daß es ihm “zutief­st leid tue, was die Opfer zu erlei­den hat­ten”. Kon­se­quen­zen bleiben auch aus. Eine Abkehr von der sex­u­alfeindlichen Poli­tik hat er nicht angekündigt. Aus­gerech­net RTL hat dies in seinem Mini­be­trag kor­rekt dargestellt.

  8. Philippe Jaeck

    Zu »Entschuldigung«
    Da fällt mir doch glatt eine nette Anek­dote ein:
    Stu­dent kommt zu spät in die Vor­lesung, die schon begonnen wurde. Der errötet und stam­melt: »Entschuldigung«. Der Pro­fes­sor antwortet: »Gut, dann brauchen wir das ja nicht mehr zu machen!«

  9. Michael Khan

    Walther Matthau

    Eben­so wie die Frage ‘Darf ich sie etwas fra­gen?’ eine soziale Formel ohne inhaltliche Bedeu­tung ist.

    Szene aus dem Film Charley Var­rick mit Walther Matthau. Charley Var­rick (Matthau) kauft in einem Laden für Bauzube­hör einige Stan­gen Dyna­mit (mit denen er einen Mafia-Killer umbrin­gen will, der hin­ter ihm her ist). Dem Verkäufer ist das verdächtig und er fragt: “Darf ich fra­gen, was Sie damit vorhaben?”.
    Darauf antwortet Var­rick fre­undlich lächel­nd: “Aber natür­lich dür­fen Sie das!” und ver­lässt den Laden.

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