Der Witwer und seine Witwe

Von Anatol Stefanowitsch

In der Diskus­sion zu meinem Beitrag vom Mon­tag wird unter anderem die Frage disku­tiert, ob die Tat­sache, dass weib­liche Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen häu­fig von männlichen Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen abgeleit­et sind, aber fast nie umgekehrt, auf einen struk­turellen Sex­is­mus der deutschen Sprache hin­weist. Mir ist unklar, wie man ern­sthaft der Mei­n­ung sein kann, dass das nicht der Fall ist: Man müsste dazu entwed­er davon aus­ge­hen, dass die Rich­tung der Ableitung hier rein­er Zufall ist, oder, dass sprach­liche Struk­turen grund­sät­zlich keine Bedeu­tung trans­portieren, sodass die Rich­tung der Ableitung keine Rolle spielt. Bei­de Annah­men scheinen mir abso­lut unplausibel.

Nicht nur offen­sichtliche Aspek­te der Sprach­struk­tur trans­portieren aber ein sex­is­tis­ches Men­schen­bild; auch in ver­steck­ten Muster des Sprachge­brauchs schlägt es sich nieder. Diese Muster kann man nicht durch die Betra­ch­tung einzel­ner Beispiele aufdeck­en, son­dern nur durch die quan­ti­ta­tive Analyse größer­er Textmen­gen. Die Wörter Witwe und Witwer liefern ein schönes Beispiel dafür.

Witwe und Witwer sind ja Ver­wand­schafts­beze­ich­nun­gen, und als solche kön­nen sie auf zwei ver­schiedene Weisen ver­wen­det wer­den, die ich hier „rela­tion­al“ und „abso­lut“ nen­nen will. Bei der rela­tionalen Ver­wen­dung wird die hin­ter der Beze­ich­nung ste­hende Ver­wand­schafts­beziehung sprach­lich offen­gelegt — durch ein Pos­ses­sivpronomen (1a, 2a), einen Gen­i­tiv (1b, 2b), oder die Prä­po­si­tion von (1c,2c) (alle Beispiele sind aus dem Deutschen Ref­eren­zko­r­pus des Insti­tuts für Deutsche Sprache). Witwe/Witwer bedeutet hier „Frau/Mann des/der ver­stor­be­nen Per­son X“:

(1a)Nach dem Tod ihres Mannes Patrick Swayze … spürt seine Witwe Lisa Nie­mi seine Gegen­wart noch immer.
(1b)Die Witwe des früheren Fußball-Nation­al­tor­warts hat Anzeige erstat­tet
(1c)Die Witwe von Kurt Cobain zeigt bei Twit­ter stolz ihre neuen Tat­toos.

(2a)Nach ihrem Tod set­zte ihr Witwer Paul von Schell die Arbeit fort.
(2b)[D]er Witwer der ermorde­ten Jes­si­ca P. … muss doch nicht ins Gefäng­nis.
(2c)Der Witwer von Jes­si­ca P. sitzt in Haft.

Bei der absoluten Ver­wen­dung ste­ht die Ver­wand­schafts­beziehung völ­lig im Hin­ter­grund, Witwe/Witwer bedeutet hier lediglich „Frau/Mann, dessen/deren Ehep­art­ner gestor­ben ist“:

(3) Sie ist allein­erziehende Witwe

(4)Der Witwer und Vater zweier Kinder arbeit­et Tag und Nacht, um über die Run­den zu kom­men.

Und nun wird es inter­es­sant: Struk­turell scheinen die Wörter Witwe und Witwer sich sym­metrisch zu ver­hal­ten, bei­de kön­nen sowohl rela­tion­al als auch abso­lut, also mit oder ohne Bezug auf den ver­stor­be­nen Part­ner ver­wen­det wer­den. Im tat­säch­lichen Sprachge­brauch zeigt sich aber eine klare Asym­me­trie: Das Wort Witwer wird in der über­wälti­gen­den Mehrzahl der Fälle abso­lut ver­wen­det, bei dem Wort Witwe hal­ten sich dage­gen rela­tionale und absolute Ver­wen­dun­gen die Waage (der Unter­schied zwis­chen den Wörtern ist sta­tis­tisch höchst signifikant):

Absolute und relationale Verwendungen von Verwandschaftsbezeichnungen Witwe/Witwer, Ehemann/Ehefrau (Stichprobe von je 150 Vorkommen im Deutschen Referenzkorpus, X2=32.56, df = 1, p < 0,001)

Absolute und rela­tionale Ver­wen­dun­gen von Ver­wand­schafts­beze­ich­nun­gen Witwe/Witwer, Ehemann/Ehefrau (Stich­probe von je 150 Vorkom­men im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus, X2=32.56, df = 1, p < 0,001)

Ein Mann, dessen Frau gestor­ben ist, wird also zwar als Witwer beze­ich­net, aber so gut wie nie als Witwer von jeman­dem. Seine Frau ist tot, und wer sie war, spielt keine Rolle. Frauen, deren Män­ner gestor­ben sind, wer­den dage­gen in fast der Hälfte aller Fälle als Witwen von jeman­dem beze­ich­net — sie wer­den über den Tod ihrer Män­ner hin­aus in Bezug auf diese Män­ner definiert.

Nun stellt sich natür­lich die Frage, ob sich diese Asym­me­trie auch find­et, solange bei­de Eheleute noch leben. Um das her­auszufind­en habe ich mir die Wörter Ehe­frau und Ehe­mann ange­se­hen und eben­falls in „rela­tionale“ und „absolute“ Ver­wen­dun­gen kat­e­goriesiert. Bei diesen Wörtern gibt es eine kleine Beson­der­heit zu beacht­en: die Ver­wand­schafts­beziehung kann nicht nur durch Pos­ses­sivpronomen, Gen­i­tiv oder von aus­ge­drückt wer­den, son­dern auch durch den Satz­zusam­men­hang, wie in fol­gen­den Beispielen:

(5) Seniorchef Ger­hard Ziebart und Ehe­frau Edel­traut erin­nern sich

(6) Bir­git I. bringt Ehe­mann Har­ry Friedel mit, der mit vier Rock’n’Roll-Songs die Stim­mung anheizt.

Hier ist jew­eils klar, wessen Ehefrau/Ehemann die beze­ich­neten sind: in (5) ist klar, dass der Seniorchef sich nicht mit irgen­dein­er Ehe­frau, son­dern mit sein­er Ehe­frau erin­nert, und in (6) bringt Bir­git I. nicht irgen­deinen Ehe­mann, son­dern ihren Ehe­mann mit. Solche Beispiele habe ich als „impliz­it rela­tion­al“ gewertet.

Das Ergeb­nis ist ein­deutig: Solange bei­de Eheleute noch leben, find­et sich keine solche Asym­me­trie, die Wörter Ehe­mann und Ehe­frau unter­schei­den sich nicht sig­nifikant bezüglich der Häu­figkeit expliz­it rela­tionaler, impliz­it rela­tionaler und absoluter Verwendungen:

Absolute und relationale Verwendungen von Ehefrau und Ehemann (Stichprobe von je 150 Vorkommen im Deutschen Referenzkorpus, X2=0.51, df = 2, p > 0.05).

Absolute und rela­tionale Ver­wen­dun­gen von Ehe­frau und Ehe­mann
(Stich­probe von je 150 Vorkom­men im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus, X2=0.51, df = 2, p > 0.05).

Solange ihre Ehep­art­ner am Leben sind, wer­den Män­ner und Frauen bezüglich ihres Ehe­s­tandes also sprach­lich gle­ich behan­delt. Aber Män­ner wer­den nach dem Tod ihrer Frauen wieder zu eigen­ständi­gen Indi­viduen. Frauen wer­den dage­gen über ihre Ehemän­ner definiert, auch über deren Tod hin­aus. Nur für Män­ner gilt also tat­säch­lich „bis das der Tod euch scheidet“.

 

[Die Idee zu diesem Blog­beitrag stammt aus ein­er Fußnote in Igor Mel’čuk (2004): Actants in seman­tics and syn­tax I: actants in seman­tics. Lin­guis­tics 42(1), 1– 66; für diese Fußnote habe ich vor vie­len Jahren eine Analyse der englis­chen Wörter wid­ow und wid­ow­er durchge­führt, die zum sel­ben Ergeb­nis kommt wie die hier präsentierte].

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

32 Gedanken zu „Der Witwer und seine Witwe

  1. gnaddrig

    @ Julius — Zahnarztfrau
    Sie meinen die “Frau Dok­tor”? Oder ihre Nach­barin, die Frau Regierungsrat?

  2. Gregor

    Lebenser­wartung
    Kann das nicht auch an der höheren Lebenser­wartun­gen der Frauen liegen? Gibt es ein­fach mehr Witwen als Witwer?
    Durch den “Cougar/Toy Boy-Trend” mag sich das ändern: Ältere promi­nente und reiche Damen heirat­en jün­gere Män­ner, seg­nen das Zeitliche, hin­ter­lassen jede Menge “Witwer von…” und mis­chen so die Sta­tis­tik auf.

  3. anderer Daniel

    Die Fußnote
    „für diese Fußnote habe ich vor vie­len Jahren eine Analyse der englis­chen Wörter wid­ow und wid­ow­er durchge­führt, die zum sel­ben Ergeb­nis kommt wie die hier präsentierte“
    Ist denn dann die englis­che Sprache genau so struk­turell sex­is­tisch, wie Sie das nen­nen, wie die deutsche? Gibt es denn andere, sagen wir mal europäis­che Sprachen, in denen es gerechter zugeht?
    Übri­gens, es wird ja gemein­hin angenom­men, dass sprach­liche Ungerechtigkeit Frauen benachteiligt, aber hier sieht es danach aus, dass sich ganz ein­fach kein­er für die männlichen Hin­terbliebe­nen von bekan­nten Frauen interessiert 😉

  4. Kristin

    @Gregor
    Da ja jew­eils 150 Vorkom­men unter­sucht wur­den, spielt der Fak­tor hier gar keine Rolle, es geht ja nur um die Ver­wen­dungsverteilung inner­halb zweier gle­ich­großer Stichproben.

  5. Panama

    Die Erk­lärung
    dafür liegt doch aber auf der Hand, oder nicht? Die unter­schiedliche Ver­wen­dung ist nicht sex­is­tisch, son­dern nur prag­ma­tisch. Wenn die gesellschaftlich rel­e­van­ten Posi­tio­nen vor­wiegend von Män­nern beset­zt sind, wer­den deren (weniger ein­flussre­iche) Frauen eben nur durch ihre Beziehung zu diesen Män­nern öffentlich inter­es­sant. Wäre Amy Wine­house ver­heiratet gewe­sen, gäbe es jet­zt sich­er einen Typen, der sein Leben lang “Witwer von Amy Wine­house” bliebe. Ändert sich die gesellschaftliche Stel­lung von Frauen (etwa durch Posi­tio­nen in Auf­sicht­sräte etc.), ändert sich selb­stver­ständlich auch der Sprachgebrauch.

  6. Anatol Stefanowitsch

    Englisch, Prag­matik
    @anderer Daniel: Die englis­che Sprache ist inter­es­san­ter­weise nicht ganz so sex­is­tisch wie die deutsche (dazu in einem der näch­sten Beiträge mehr). Selb­stzufrieden zurück­lehnen kann sich aber auch das Englis­che nicht.
    @Panama: „Sex­is­tisch“ und „prag­ma­tisch“ schließen sich (lei­der) nicht gegen­seit­ig aus. Ich denke aber, Ihr Vorschlag (der sich­er nicht ganz falsch ist) kann nicht die ganze Erk­lärung sein, denn dann müsste man den Effekt auch bei „Ehemann/Ehefrau“ beobacht­en kön­nen. Das ist aber eben nicht der Fall.

  7. Martin Holzherr

    @Panama: Sexismus+Rolle
    Sie schreiben:

    Die unter­schiedliche Ver­wen­dung (Witwer vs. Witwe) ist nicht sex­is­tisch, son­dern nur prag­ma­tisch. Wenn die gesellschaftlich rel­e­van­ten Posi­tio­nen vor­wiegend von Män­nern beset­zt sind, wer­den deren (weniger ein­flussre­iche) Frauen eben nur durch ihre Beziehung zu diesen Män­nern öffentlich interessant. 

    Wahrschein­lich entspringt der Sex­imus ja ger­ade der unter­schiedlichen gesellschaftlich rel­e­van­ten Posi­tion von Frauen und Männern.
    Nach Wikipedia unterteilt [der Sex­is­mus] alle Men­schen anhand ihrer biol­o­gis­chen Geschlechtsmerk­male in Frauen und Män­ner, unter­stellt ihnen damit eine grundle­gende Unter­schiedlichkeit und weist ihnen auf dieser Basis unter­schiedliche Rechte und Pflicht­en zu.
    Mir scheint aber die tief­ere Logik hin­ter dem Sex­is­mus ist ger­ade eine Recht­fer­ti­gung von vorbeste­hen­den unter­schiedlichen gesellschaftlichen Rollen. Da der Men­sch immer nach Erk­lärun­gen sucht und auch Sex­is­ten Men­schen sind und sich sel­ber und anderen die Welt erk­lären wollen, liegt es für den Sex­is­ten nahe, dass die unter­schiedlichen gesellschaftlichen Rollen nicht willkür­lich son­dern biol­o­gisch begrün­det sind.
    Sex­is­tisch und prag­ma­tis­che Begrün­dung des aktuellen “sex­is­tis­chen” Sprachge­brauchs sind also let­ztlich iden­tisch oder haben min­destens die gle­iche Wurzel.

  8. Panama

    @ Mar­tin Holzherr
    Na, da möchte ich nochmal wider­sprechen. Es ist doch schon allein für das Textver­ständ­nis nicht unwichtig, z. B. Inge Buback als “Witwe von Siegfried Buback” einzuord­nen. Hel­mut Kohl dage­gen musste nach dem Tod sein­er ersten Frau nicht als “Witwer von Han­nelore Kohl” fir­mieren. Der Grund dafür sind real vorhan­dene Ungle­ichgewichte, nicht eine sex­is­tis­che Sprech­weise die diese Ungle­ichgewichte zemen­tieren würde. Ändern sich die Umstände, ändert sich die Sprache.

  9. LMK

    @panama
    Sie erk­lären die Aus­nahme zur Regel. Selb­stver­ständlich kann es in gewis­sen Zusam­men­hän­gen sin­nvoll sein, auf die Beziehung zwis­chen Per­so­n­en hinzuweisen — auch unab­hängig davon, ob sie noch leben oder nicht. Mir fällt bei dem The­ma regelmäßig ein, was ich vor Jahren gele­sen habe: “Frau ver­witwete Gen­er­al­stab­sarzt a. D.”. Für sehr unwahrschein­lich halte ich die Beschrei­bung eines Mannes als “Herr ver­witweter Ober­stu­di­en­rätin a. D.”.

  10. Studierendenfutter

    .

    struk­turellen Sex­is­mus der deutschen Sprache

    es gibt struk­turellen sex­is­mus. in der gesellschaft. im men­schen­bild und in der reli­gion. dort wird die frau vom mann »abgeleit­et«. und all das find­et seinen aus­druck in der sprache und ihrer ver­wen­dung. es wäre auch ver­wun­der­lich, wenn das nicht der fall wäre.

    Frauen (…) wer­den über den Tod ihrer Män­ner hin­aus in Bezug auf diese Män­ner definiert. 

    ja, sie wer­den aber auch im leben stark über ihre män­ner definiert und definieren sie selb­st so. bere­its während kleine jungs mit autos und bauk­lötzen oder fußball spie­len brin­gen müt­ter und tan­ten kleinen mäd­chen bei, dass sie ein­mal heirat­en und kinder bekom­men wer­den und dafür möglichst brav zu sein haben, damit sie einen mann abbekom­men (ja, das ist verkürzt, aber lei­der zutreffend!).
    es wäre töricht, keinen wider­hall dieser asym­metrischen ver­hält­nisse in der sprache vorfind­en zu wollen.
    der ver­gle­ich zu ehemann/frau ist an dieser stelle gar nicht so passend, wie es den anschein hat, wie man an den absoluten ver­wen­dun­gen erken­nt. »sie ist ehe­frau« empfind­et man als unvoll­ständi­ge aus­sage. »sie ist witwe« bedarf kein­er weit­eren erklärung.
    eine schnelle (und natür­lich nicht repräsen­ta­tive) google-suche nach »die frau von« ergibt Unge­fähr 10.900.000 Ergeb­nisse , »der mann von« schon etwas weniger, näm­lich Unge­fähr 9.910.000 Ergeb­nisse. Unge­fähr 592.000 Ergeb­nisse gibts für »der ehe­mann von« und Unge­fähr 1.030.000 Ergeb­nisse für »die ehe­frau von«. »ehe­mann« allein Unge­fähr 7.990.000 Ergeb­nisse und «ehe­frau« Unge­fähr 22.800.000 Ergebnisse.
    hier haben wir die gle­iche asym­me­trie wie bei witwe und witwer. und das besagt nichts anderes, als dass frauen häu­figer als »frau von« definiert wer­den und män­ner weniger als »mann von«. das ist auch keine große erken­nt­nis. man kann es täglich selb­st beobachten.

    Aber Män­ner wer­den nach dem Tod ihrer Frauen wieder zu eigen­ständi­gen Individuen.

    im umkehrschuss würde das bedeuten, dass män­ner – ver­heiratet – den gle­ichen sta­tus in sachen eigen­ständigkeit haben wie frauen. und das wäre schon fast ein emanzi­pa­torisches utopia, denn auch ver­heiratete män­ner wer­den indi­vidu­eller (autonomer, flex­i­bler, disponibler, selb­st­bes­timmter) wahrgenom­men als ver­heiratete frauen und sind es de fac­to mehrheitlich.
    worauf will ich hin­aus? ich weiß nicht, wie belast­bar ihre zahlen zu »ehe­frau« und »ehe­mann« sind. wären sie und die schlussfol­gerung zutr­e­f­fend, so wäre das ein ein­ma­liger fall: die sprach­lichen ver­hält­nisse wären bess­er als die wirk­lichen, und die sprache wäre kein aus­druck der realität.

  11. phaeake

    Har­ter und weich­er Sexismus
    Ich finde die her­aus­gear­beit­eten sta­tisitschen Unter­schiede sehr beein­druck­end. Ich hätte vor Lek­türe des Artikels gesagt: Die For­mulierung “Der Witwer von Frau X” oder gar “ihr Witwer” klingt anders als die rezipro­ken For­mulierun­gen “irgend­wie komisch”. Jet­zt wis­sen wir es sehr viel genauer. Schö­nen Dank!
    Ich habe ein grund­sät­zlich­es Prob­lem mit der Qual­i­fizierung sprach­lich­er Struk­turen oder eines Sprachge­brauch als sex­is­tisch. Das hängt vielle­icht mit der heute sehr schillern­den Bedeu­tung des Begriffs “Sex­is­mus” zusam­men. In seinem Begriffskern bedeutet er — und die Brock­haus Enzyk­lopädie von 1993 legt diese Def­i­n­i­tion dem “Schlüs­sel­be­griff” Sex­is­mus zugrunde — “die Diskri­m­inierung, Unter­drück­ung, Zurück­set­zung oder Benachteili­gung von Men­schen wegen ihres Geschlechts” (das nenne ich im Fol­gen­den hart definierten Sex­is­mus). Dage­gen lehrt ein Blick in Wikipedia, dass man heute auch sehr viel weit­erge­hend unter Sex­is­mus stereo­type Merk­mal­szuschrei­bun­gen ver­ste­hen kann oder auch die (bloße) Erwartung, dass Men­schen Geschlechter­nor­men verkör­pern. Nach­fol­gend nenne ich das weich definierten Sex­is­mus. Selb­stver­ständlich kann man weich definierten Sex­is­mus fast über­all fest­stellen auch in Sprach­struk­turen. Für hart definierten Sex­is­mus fällt mir das sehr viel schw­er­er. Ich kann darin, dass sich “Bäck­erin” von “Bäck­er” ableit­et, keine Zurück­set­zung der Frauen erken­nen, solange diese den Beruf ergreifen dür­fen und nicht etwa durch ein nur für Frauen gel­tendes Nachtar­beitsver­bot daran gehin­dert wer­den. Ich sehe darin, dass man bei Witwen häu­figer den Namen des ver­stor­be­nen Ehe­manns nen­nt, keine Benachteili­gung, son­dern — ähn­lich wie Pana­ma — einen Reflex darauf, dass sich die Öffentlichkeit für die hin­terbliebe­nen Frauen berühmter Män­ner mehr inter­essiert als für die hin­terbliebe­nen Män­ner berühmter Frauen, vielle­icht weil es von let­zteren weniger gibt, vielle­icht weil erfol­gre­iche Frauen in höherem Maße als erfol­gre­iche Män­ner danach streben, einen noch erfol­gre­icheren Men­schen als Ehep­art­ner zu haben.
    Man kön­nte im imkri­m­inierten Sprachge­brauch sog­ar den Beleg ein­er Bevorzu­gung der Frauen sehen: In Form von öffentlich­er Beach­tung prof­i­tieren Frauen von der Bekan­ntheit ihres Ehe­manns auch über dessen Tod hin­aus in höherem Maße als vice ver­sa. Dieser gesellschaftliche Fakt, der sich im Sprachge­brauch nieder­schlägt, wäre Zeichen ein­er krassen Benachteili­gung, wenn der einzige Weg zu öffentlich­er Aufmerk­samkeit für eine Frau über den Ruhm ihres Mannes führte. Das ist aber nicht so. Jede Frau kann sich dafür entschei­den, sel­ber eine her­aus­ra­gende Posi­tion zu erre­ichen, um nicht nach dem Tod ihres Mannes nur als die Witwe des berühmten Chemiepro­fes­sors Joachim Sauer ange­se­hen zu wer­den. Für das Ziel, “irgend­wie” berühmt zu wer­den, haben Frauen bei real­is­tis­ch­er Betra­ch­tung eine Option mehr als Männer.
    PS: Bei „Frau/Mann des/der ver­stor­be­nen Per­son X“ muss m.E. das “des/” getil­gt werden.

  12. Thomas Mueller

    In der Diskus­sion zu meinem Beitrag vom Mon­tag wird unter anderem die Frage disku­tiert, ob die Tat­sache, dass weib­liche Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen häu­fig von männlichen Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen abgeleit­et sind, aber fast nie umgekehrt, auf einen struk­turellen Sex­is­mus der deutschen Sprache hinweist.”
    Ich finde, Sie machen hier den gle­ichen Fehler, den son­st die Sprach­nör­gler so gerne machen: Sie nehmen ein Wort zu wörtlich und bege­hen let­ztlich einen ety­mol­o­gis­chen Fehlschluss.
    Dieses Ableitung­sprinzip ist ja nicht erst gestern ent­standen, son­dern zu Zeit­en, in denen ohne jeden Zweifel das Patri­ar­chat herrschte. Und solche sprach­lichen Struk­turen wer­den nicht regelmäßig auf ihren Bezug zur außer­sprach­lichen Real­ität über­prüft und eventuell angepasst. Das ist doch ger­ade das Grund­prinzip hin­ter den meis­ten Ihrer Blog­beiträge. Nur weil diese sprach­liche Struk­tur früher mal außer­sprach­lichen Sex­is­mus abbildete und dadurch dur­chaus selb­st sex­is­tisch war, muss das nicht auch heute gelten.
    Ich erin­nere mich, in einem Raum­fahrtheft vor vie­len Jahren im Edi­to­r­i­al gele­sen zu haben, dass die Redak­tion zukün­ftig statt von der “beman­nten Raum­fahrt” aus Grün­den der Gle­ich­berech­ti­gung von der “bemen­scht­en Raum­fahrt” sprechen wollte. Das illus­tri­ert mein Argu­ment her­vor­ra­gend, finde ich: ich fand diese Entschei­dung völ­lig grotesk, weil ich “beman­nte Raum­fahrt” niemals mit Männlichkeit oder auch bloß mit dem Wort “Mann” in Verbindung gebracht hätte. Die Phrase war, emp­fand ich, schon lexikalisiert, ohne erkennbaren Bezug zu ihrem Ursprung.
    Mit dem Ableit­en weib­lich­er Beze­ich­nun­gen von männlichen ver­hält es sich, meine ich, genau­so. Ich inter­pretiere “Wis­senschaft­lerin” nicht als “weib­lichen Wis­senschaftler”, obwohl der Begriff ursprünglich exakt so entstand.
    Sie pochen auf die wörtliche (die ety­mol­o­gis­che) Bedeu­tung dieser gram­ma­tis­chen Eigen­heit des Deutschen. Der VDS ernen­nt Sie noch zum Ehren­mit­glied! (Bes­timmt kann man Sie mit nichts bess­er ärg­ern als mit solchen, wie ich beto­nen möchte: nicht ern­st­ge­mein­ten Vor­wür­fen, oder?)

  13. Dierk

    Irre ich mich oder wird hier der neu­trale Befund ‘Sex­is­mus’ mit dem moralis­chen vermengt?

  14. Dierk

    Hop­pla, da bin ich wohl irgend­wie nüchtern vom Pferd gefallen.
    Sprach­liche Eigen­heit­en sind doch erst ein­mal nur Symp­tom gesellschaftlich­er Entwick­lung und per­sön­lich­er Per­spek­tive. Der zweite Teil inter­essiert uns im Moment eher nicht. Die bloße Fest­stel­lung, dass z.B. das Deutsche nach männlich und weib­lich schei­det, mit einem ver­mut­lich zahlen­mäßig erhe­blich kleineren Anteil eines drit­ten Geschlechts, macht sie erst ein­mal sex­is­tisch im Sinne ein­er Unter­schei­dung nach Geschlechtern. Diese mag ursprünglich auf eine natür­liche [Mann und Frau sind nun mal unter­schiedlich], später auch auf eine metapho­rische [Sonne vs. Mond] und let­z­tendlich eine gesellschaftliche Unter­schei­dung zurück­ge­hen. Diese spie­len allerd­ings in der Sprache an sich gar keine Rolle, das gram­ma­tis­che Geschlecht ist wesentlich arbi­trär, eine weib­liche Entität wird säch­lich [Mäd­chen], diverse Sachen sind männlich oder weib­lich [der Tisch, die Kanne], metapho­risches Geschlecht war immer schon willkür­lich [siehe der Mond/die Sonne — la lune/le soleil].
    Der moralis­che Befund ‘Sex­is­mus’ kann über­haupt erst in der Anwen­dung der Sprache zum Tra­gen kom­men. Wenn in Stel­lenanzeigen für ange­blich typ­isch männliche Berufe nur die männliche Form ver­wen­det wird oder vice ver­sa, ist das ein­fach nicht in Ord­nung. Eine sta­tis­tis­che Unter­suchung, wie von Ana­tol Ste­fanow­itsch hier vorgenom­men, macht wiederum auch ver­steck­ten Sex­is­mus anhand des Sprachge­brauchs deut­lich. Ob jemand Witwe oder Witwer ist, hängt auf jeden Fall am Geschlecht der Ver­stor­be­nen*, nicht an irgendwelchen Diskri­m­inierungsver­suchen. ABER, wir hören und lesen häu­figer ‘Witwe’, nicht weil Män­ner öfter ster­ben, son­dern weil Frauen bis heute häu­figer Anhängsel ihres Mannes sind.
    Eine weit­ere Sache, die durch solche Unter­suchun­gen offen­bar wer­den kann, ist Gedanken­losigkeit. Mag sein, das ‘bemen­scht’ uns selt­sam klingt, allerd­ings klin­gen viele unser­er Wörter und Phonemkom­plexe für, sagen wir, Goethe auch selt­sam. Das macht sie aber nicht inhärent schlecht. Wer auf ‘bemen­scht’ zick­ig reagiert, und dies für sich damit erk­lärt, ‘beman­nt’ wäre ihm nie als auss­chließend in den Sinn gekom­men, sollte froh sein, sich durch die Gegenüber­stel­lung mal Gedanken über seine Wörter zu machen.
    *Mehrzahl

  15. plusquamperfekt

    Wer auf ‘bemen­scht’ zick­ig reagiert, und dies für sich damit erk­lärt, ‘beman­nt’ wäre ihm nie als auss­chließend in den Sinn gekom­men, sollte froh sein, sich durch die Gegenüber­stel­lung mal Gedanken über seine Wörter zu machen.

    fakt ist doch, dass ein begriff eine bedeu­tung haben kann, die aus der reinen kom­bi­na­tion von buch­staben nicht zu ent­nehmen ist, da sie sich im laufe der zeit gewan­delt hat. darüber schreibt der blo­gau­tor ja auch ziem­lich gern.
    wenn im worten wie beman­nt oder mannschaft “frau” nicht vorkommt, so bedeutet es nicht, dass frauen tat­säch­lich aus­geschlossen wer­den, da es begriffe gibt die sich in ihrer bedeu­tung heute von “männlich” zu “neu­tralgeschlechtlich” gewan­delt haben. es ist also nicht unbe­d­ingt notwendig, dass, wenn frauen eben­falls in mannschaften spie­len und ins weltall fliegen, die wörter mannschaft und beman­nt geän­dert wer­den müssen, denn das inhaltliche poten­zial dieser worte ändert sich hin­sichtlich der gemein­ten per­so­n­en und damit ist dem umstand genüge getan, dass in der sprache die außer­sprach­liche real­ität zum aus­druck kommt.

  16. Stefan

    Ver­wen­dung und Bildung
    Die Ver­wen­dung von Woert­ern sagt erst­mal gar nichts ueber einen struk­turellen Sex­is­mus in der Sprache aus. Ob nun Witwer oder Witwe haeu­figer in welchem Zusam­men­hang gebraucht wer­den ist Sex­is­mus in der (aktuellen) Sprachge­mein­schaft aber nicht der Sprache ansich. Sex­is­mus in der Sprache ist die ueber­wiegende Ableitung von Begrif­f­en eines Geschlechts von einem andweren.
    @Dierk
    DAS Maed­chen ist eine voel­lig nor­male Her­leitung mit ‑chen, bei der immer das gram­ma­tis­che Geschlecht ins Neu­trum wech­selt. Warum allerd­ings die Sprachge­mein­schaft es als notwendig emp­fand das fuer Maed­chen aber nicht fuer Jun­gen zu machen, das waere inter­es­sant. Ver­mut­lich haengt das damit zusam­men das Maed­chen ziem­lich lange suess und niedlichen sein ‘duerfen/muessen’ waehrend Jun­gen schneller echte Maen­ner wer­den ‘duerfen/muessen’ 😀

  17. Dominik

    Gege­nar­gu­mente
    Auf den ersten Blick habe ich Ihrer Analyse recht gegeben und in dem beschriebe­nen Fall ein Beispiel für den (sich­er häufigen)strukturellen Sex­is­mus in der deutschen Sprache gesehen.
    Nach näherem Nach­denken kam ich aber auf zwei Gründe, die dieses Phänomen ausser­sprach­lich erk­lären könnten:
    Eine rela­tionale Ver­wen­dung wird ja in der Regel dann stat­tfind­en, wenn der ver­stor­bene Ehep­art­ner in irgen­dein­er Weise eine her­aus­ge­hobene gesellschaftliche Stellung/Prominenz innehat­te. Wenn man dann noch das Durch­schnittsalter der Ver­stor­be­nen bedenkt, kann man sich denken, dass der Anteil der Män­ner deut­lich höher liegen dürfte. Damit kann das Ungle­ichgewicht zwar auf Sex­is­mus zurück­ge­führt wer­den, nicht jedoch auf einen sprach­struk­turellen Sexismus.
    Ausser­dem habe ich das (nicht empirisch über­prüfte) Gefühl, dass der Boule­vard (aus dem die meis­ten Äusserun­gen über Witwen/Witwer stam­men dürften) bevorzugt über die Frauen berühmter Män­ner berichtet, die Män­ner berühmter Frauen wer­den sel­tener The­ma öffentlich­er Diskus­sio­nen. Dies gilt schon zu Lebzeit­en der Berühmtheit­en und set­zt sich nach deren Tod natür­lich entsprechend fort. Ob das nun einen sex­is­tis­chen Hin­ter­grund hat, darüber kann man stre­it­en. Jeden­falls keinen sprach­struk­turell sexistischen.

  18. Dominik

    Die Wahl von “Ehe­frau / Ehe­mann” als Gegen­beispiel erscheint mir etwas unglück­lich gewählt, da es (meinem Sprachge­fühl nach) aus einem vol­lkom­men anderen Reg­is­ter stammt. Während Witwe/Witwer fest in der All­t­agssprache ver­ankert sind, wird statt Ehe­frau/-mann im rela­tionalen Kon­text nor­maler­weise ein­fach von Frau/Mann gesprochen; im absoluten Kon­text wird wohl eher eine Kon­struk­tion mit “ver­heiratet” ver­wen­det. “Ehefrau/Ehemann” würde ich nur in einem sehr offiziellen Kon­text ver­wen­den, es erscheint mir sehr technisch.

  19. NörglerIn

    @Dierk

    Ob jemand Witwe oder Witwer ist, hängt auf jeden Fall am Geschlecht der Verstorbenen

    Mir scheint, es hängt am Geschlecht der Über­leben­den, jeden­falls in den Län­dern, die die gle­ichgeschlechtliche Ehe haben.

    ABER, wir hören und lesen häu­figer ‘Witwe’, nicht weil Män­ner öfter sterben …

    Das ist natür­lich schon deshalb richtig, weil Män­ner nicht “häu­figer ster­ben”. Allerd­ings ster­ben Män­ner häu­figer vor ihren Ehe­frauen als umgekehrt (1. haben Män­ner eine kürzere Lebenser­wartung; 2. sind Män­ner immer noch über­wiegend älter als ihre Ehefrau).
    Es ist also unbe­stre­it­bar, daß es mehr Witwen als Witwer gibt. Allein daraus ergibt sich schon zwin­gend, daß wir mehr von der Witwe als vom Witwer hören oder lesen. Natür­lich dürfte das nicht der einzige Grund sein.

  20. NörglerIn

    Nach­trag
    Laut Sta­tis­tis­chem Jahres­bericht gab es am 31.12.2008 in Deutschland:
    1,440 Mio Witwer
    4,792 Mio Witwen

  21. Martin

    @NörglerIn
    Die absolute Zahl an Witwen und Witwern ist für die Sta­tis­tik nicht rel­e­vant, weil für bei­de Begriffe die gle­iche Stich­proben­größe ver­wen­det wurde.
    Bei der Sta­tis­tik für die Ehefrauen/Ehemänner ist mir allerd­ings nicht ganz klar, wie die absolute Ver­wen­dung ausse­hen sollte. Mir fall­en nur Sätze ein wie “Ehe­mann Rolf geht während­dessen einkaufen”, die allerd­ings auch immer noch m.E. rela­tion­al sind, weil sie sich auf einem im Kon­text angegebe­nen Ehep­art­ner beziehen müssen. Gäbe es da denn ein Beispiel für einen Satz aus der Statistik?

  22. phaeake

    Kün­stler­witwe
    Die Kün­stler­witwe liefert bei Google 4670 Tre­f­fer. Der Kün­st­lerin­nen­witwer zwei (bald wohl drei), von denen ein­er (bald wohl zwei) the­ma­tisiert, dass es ihn eigentlich nicht gibt.

  23. NörglerIn

    @Martin
    Mein Kom­men­tar bezog sich auf den Beitrag von Dierk, ins­beson­der seine Aussage

    ABER, wir hören und lesen häu­figer ‘Witwe’, nicht weil Män­ner öfter sterben …

    Ihre Aus­sage:

    Die absolute Zahl an Witwen und Witwern ist für die Sta­tis­tik nicht rel­e­vant, weil für bei­de Begriffe die gle­iche Stich­proben­größe ver­wen­det wurde.

    ist aber so all­ge­mein auch nicht richtig.
    Zu Begrün­dung muß ich etwas ausholen:
    A.S. gliedert seine Stich­proben nach zwei Kat­e­gorien, näm­lich „rela­tion­al“ (Die Witwe von Kurt Cobain) und „abso­lut“ (Sie ist allein­erziehende Witwe). Die bei­den Beispiele haben allerd­ings eins gemein­sam: sie beziehen sich auf bes­timmte konkrete Per­so­n­en. Solche per­so­n­en­be­zo­gene Aus­sagen beze­ichne ich mal als „konkret“. Daneben gibt es auch Aus­sagen, die sich nicht auf bes­timmte Per­so­n­en, son­dern auf Witwen und/oder Witwer in ihrer All­ge­mein­heit beziehen: Witwen und Witwer haben Anspruch auf Hin­terbliebe­nen­rente, Witwen und Witwer erhal­ten eine Fahrpreis­er­mäßi­gung. Solche Aus­sagen nenne ich mal „abstrakt“.
    Unter den absoluten Aus­sagen gibt es offen­sichtlich sowohl konkrete (per­so­n­en­be­zo­gene) als auch abstrak­te. Rela­tionale Aus­sagen sind dage­gen immer auch konkrete.
    Nun gibt es in Deutsch­land fast dreimal so viel Witwen wie Witwer. Es ist daher höchst plau­si­bel, daß es auch deut­lich mehr konkrete (per­so­n­en­be­zo­gene) Aus­sagen über Witwen als über Witwer gibt. Dage­gen ist es pri­ma facie nicht ersichtlich, warum die Zahl abstrak­ter (nicht per­so­n­en­be­zo­gen­er) Aus­sagen über Witwen und Witwer gle­icher­maßen von der rel­a­tiv­en Häu­figkeit von Witwen/Witwern abhän­gen sollte.
    Daher wird eine zufäl­lige Stich­probe zu Witwen wahrschein­lich rel­a­tiv mehr konkrete als abstrak­te Aus­sagen enthal­ten als eine entsprechende Stich­probe zu Witwern. Da die abstrak­ten Aus­sagen eine Unter­menge der absoluten Aus­sagen sind, wird – ceteribus paribus — auch das Ver­hält­nis von rela­tionalen zu absoluten Aus­sagen bei Witwen höher sein als bei Witwern.
    Natür­lich ist die höhere Zahl von Witwen als von Witwern nur ein Ein­fluß­fak­tor unter mehreren. Die gesellschaftliche Wirk­lichkeit, daß es wohl immer noch mehr männliche Promi­nente als weib­liche gibt (s. Kom­men­tar von Pana­ma) ist ein ander­er, ver­mut­lich noch wichtiger­er, Einflußfaktor.
    Übri­gens will ich mit meinen Aus­führun­gen nur begrün­den, daß Ihre Aus­sage, die absolute Zahl an Witwen und Witwern sei für die Sta­tis­tik nicht rel­e­vant, so all­ge­mein nicht zutr­e­f­fend ist. Ob das für die Sta­tis­tiken von A.S. von Bedeu­tung ist, weiß ich nicht, weil ich nicht weiß, wie er genau zu seinen Stich­proben gekom­men ist.

  24. Dierk

    @Nörgler
    Sie haben vol­lkom­men Recht, dass es aus diversen Grün­den mehr Witwen als Witwer gibt, aber das war gar nicht mein Punkt. Es geht hier näm­lich nicht darum, wie viele A oder B rum­laufen, son­dern wie wir auf sie ref­eren­zieren und warum wir das so tun.
    Wenn Frauen nur 2% der Führungskräfte ein­er Gesellschaft aus­machen, ist es kaum ver­wun­der­lich, wenn wir sie immer nur als Anhängsel ihrer erfol­gre­ichen Män­ner sehen — selb­st wenn sie eine ganz eigene öffentliche Leis­tung erbracht haben. Die Aus­nah­men bestäti­gen hier nur wieder ein­mal, dass es eine Regel gibt.

  25. Wentus

    ursprünglich weib­liche Formen
    Anscheinend misst die deutsche Sprache den Weibchen einiger Tier­arten eine größere Bedeu­tung zu, so dass die männlichen For­men aus den weib­lichen abgeleit­et wer­den: Ente, Gans, Katze, Reh. Daraus kann man zumin­d­est erken­nen, dass die deutsche Sprache dur­chaus dazu in der Lage ist.
    Einige mod­erne Wörter nutzen diese alte Wort­bil­dung anscheinend wieder häu­figer: Les­be (statt Les­bierin), Transe.
    Die ungarische Sprache ist eigentlich geschlechterneu­tral: “özv­e­gy” bedeutet gle­ichzeit­ig Witwe und Witwer. In dieser Weise kön­nten die Ungarn prob­lem­los eine gerechte Sprache benutzen, wenn sie nicht eine weib­liche Form einge­führt hät­ten: “barát” ist nur “der Fre­und”, für “die Fre­undin” muss man noch das Wort für “Frau” anfü­gen: ‑nö.
    Ganz ähn­lich ist es im chi­ne­sis­chen, dort ste­ht das Wort für Frau vor dem Rest und klingt ganz ähn­lich: nü-.
    In bei­den Sprachen gibt es nur ein Wort für “er” und “sie”. In der Schrift machen die Chi­ne­sen allerd­ings einen Unter­schied. Daraus kann man wohl ableit­en, dass ihre Sprache weniger sex­is­tisch ist als ihre Schrift.

  26. Wentus

    Men­sch” ist auch sexistisch
    Auch das Wort “Men­sch” ist nicht geschlecht­sneu­tral! Es leit­et sich aus dem Adjek­tiv von “Mann” ab (man­nisch) und wird deshalb auch schwach dekliniert.
    Das gle­iche gilt natür­lich auch für “human”, sowohl ober­fläch­lich (weil es “man” enthält), als auch im Ursprung aus “homo”.
    Um gerecht zu sprechen, müssten wir also häu­figer “Leute” bzw. “peo­ple” benutzen. Schließlich hört sich “Feuer­wehrleute” min­destens genau­so gut an wie “Feuer­wehrmän­ner”. Nur schade, dass es keinen Sin­gu­lar dazu gibt! Also dort müssten wir sprach­schöpferisch ein­greifen, damit jedes Land­sleut gerecht sprechen kann.

  27. Anatol Stefanowitsch

    Stich­probe, Reh, Mensch
    @Nörgler: Ein aufmerk­samer method­is­ch­er Ein­wand, danke. Tat­säch­lich enthält mein Sam­ple aber auss­chließlich Ver­wen­dun­gen, die sich auf konkrete Indi­viduen beziehen (wahrschein­lich, weil ich nur die Sin­gu­lar­for­men betra­chtet habe).
    @Wentus: Reh ist natür­lich kein Fem­i­ninum, son­dern ein Neu­trum, anson­sten ist Ihre Beobach­tung zur Endung -e aber korrekt.
    Nochmal @Wentus: Das Wort Men­sch ist geschlecht­sneu­tral. Dass es ety­mol­o­gisch mit Mann ver­wandt ist, ist zwar kul­turgeschichtlich inter­es­sant, spielt aber im heuti­gen Sprachge­brauch keine Rolle (man darf nicht den Ety­mol­o­gis­chen Fehlschluss begehen).

  28. Studierendenfutter

    Schließlich hört sich “Feuer­wehrleute” min­destens genau­so gut an wie “Feuer­wehrmän­ner”

    wenn es auch feuer­wehrfrauen gäbe, wäre “feuer­wehrleute” sich­er ange­bracht. soweit ich weiß, gibts aber keine (oder sehr wenige) feuer­wehrfrauen, sodass “feuer­wehrmann” den ist-zus­tand präzise beschreibt. das gle­iche gibt für bergmän­ner. auch wenn man “bergleute” sagen würde, stellt man sich keine beliebi­gen “leute” vor, wie sie auf der straße herum­laufen, son­dern männer.

  29. Jochen

    Ich finde, dass die aktuelle Debat­te ein gutes Beispiel dafür ist, dass struk­tureller Sex­is­mus zwar in der Sprache vorhan­den ist, jedoch nun­mal durch den gesellschaftlichen Sex­imus maßge­blich geprägt ist. Weit­er­hin spielt auch dadurch ver­bun­den wohl die Tat­sache eine Rolle, dass über “nor­male” Leute eben nie­mand ständig schreibt, ob sie Witwen oder Witwer sind.
    Dass aktuell nun mal Frauen sel­tener wegen ihrer beru­flichen Erfolge (Aus­nahme im Show­biz) in den Medi­en erwäh­nt wer­den, ist für mich der primäre Fak­tor, dass dadurch es eben weniger erwähenswerte Witwer gibt. Die Sprache ist hier mein­er Mei­n­ung nach nicht wer­tend, das Resul­tat zeigt nur indi­rekt die Folge jahrhun­dert­er­langer Ungleichbehandlung.
    Ich erkenne wie oben angedeutet an, dass Sprachge­brauch in vie­len Bere­ichen von fehlen­der Gle­ich­berech­ti­gung (nicht nur zwis­chen Mann und Frau) geprägt wurde. Aber ich halte es für einen Fehlschluß, dass diese Sprache rück­wärts genau so stark auf das eigene Ver­hal­ten wirkt, wie bei der Entwick­lung sprach­lich­er Gewohn­heit­en, die durch zu dem Zeit­punkt “nor­male” Gewohn­heit­en geprägt wurden.
    Denn das, auf was es ankommt, ist die Sen­si­bil­ität und auch Fähigkeit von Men­schen, wirk­liche Ungle­ich­be­hand­lung zu erken­nen. Wäre die Wirkung so stark, würde Gle­ich­berech­ti­gung in rel­e­van­ten Sit­u­a­tio­nen nicht immer “nor­maler” (auch wenn es in manchen Bere­ichen immer noch schwierig ist). Eine bewußte Sprachän­derung kann für mich kein sin­nvoller und v.a. erfol­gsver­sprechen­der Weg sein, Gle­ich­berech­ti­gung zu fördern.
    Im Gegen­satz zur Debat­te bei ras­sis­tisch geprägten Begrif­f­en, glaube ich, daß ger­ade bei der Nutzung von struk­turell sex­is­tis­ch­er Sprache, die Inten­tion des Sprech­ers oft eine andere ist. Oben wurde ja das Beispiel mit “beman­nter Raum­fahrt” genan­nt, dass wohl auch andere kaum bei der Aussprache damit verknüpfen, Frauen dabei auszuschließen. Wenn nun auch die Wirkung beim Empfänger keine andere ist, sehe ich keinen Anlaß, sich eine andere Wort­wahl zu wünschen.
    Bei der Nutzung ras­sis­tisch geprägter Sprache unter­schei­det sich meist näm­lich die Inten­tion, was man denn eigentlich sagen will. Men­schen mit bes­timmten kör­per­lichen Merk­malen anders zu beze­ich­nen ist im Kern ras­sis­tisch, da bedarf es let­ztlich nicht der Debat­te um das poli­tisch kor­rek­te Wort für eine Bezeichnung.

  30. impala

    beman­nt etc. sich­er nicht sexistisch
    Hin­ter Wörtern wie beman­nt noch zu ver­muten, dass Frauen durch das Wort aus­geschlossen wer­den, halte ich eben­falls für hanebüchen. Der Ursprung des Worts mag die sex­is­tis­chen Gesellschaftsstruk­turen wider­spiegeln, aber bei einem Satz wie Chi­na schickt unbe­man­nte Raumkapsel ins All dürfte klar sein, dass keine Kon­no­ta­tion wie “auss­chließlich Män­ner” im Gegen­warts­deutschen vor­liegt, da der Leser beim Wort unbe­man­nt weiß, dass die Raumkapsel leer ist und nicht allein von Frauen besetzt.

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