Seit einigen Tagen braut in den englischsprachigen Medien ein Sturm der Entrüstung über den jüngsten Fall von amerikanischer Zensurwut. Erwischt hat es diesmal Arthur Conan Doyles A Study in Scarlet („Eine Studie in Scharlachrot“), das in einem kleinen Schuldistrikt in Virginia für Unruhe sorgt. Grund dafür ist die unvorteilhafte Darstellung der mormonischen Kultur und Religion darin. Deshalb, so entnimmt man den Meldungen, sei das Buch jetzt „verboten“ worden — ein paar Überschriften zur Illustration: Sherlock Holmes book banned in Albemarle County, Virginia (Los Angeles Times), School board yanks Sherlock Holmes book because it trashes Mormons (Standard Examiner), und sogar Book Banning is Alive and Well in Virginia (Forbes).
Heute erreichen die ersten Vorläufer dieses Sturms auch die deutschen Medien. Das Deutschlandradio Kultur titelte heute früh noch neutral „Erster Sherlock Holmes-Band in Virginia von Literaturliste genommen — angeblich mormonen-feindlich“, spricht dann aber davon, dass das Buch „an Schulen im US-Bundesstaat Virginia nicht mehr erwünscht“ sei. Eine Pressemeldung der DPA, die in diesen Stunden ihren Siegeszug durch die Online-Medien antritt, trägt die etwas aufgeregtere Schlagzeile „Schulbehörde verbannt Sherlock Holmes vom Lehrplan“ und portraitiert das Ganze als quasi-bilderstürmerischen Akt:
Weltweit mögen die Kriminalgeschichten von Arthur Conan Doyle zu den Schätzen der Literaturgeschichte gehören, nicht aber in einem Landkreis im US-Bundesstaat Virginia.
Die Schulbehörde dort hat den Roman „Eine Studie in Scharlachrot“, der erste Auftritt von Meisterdetektiv Sherlock Holmes, aus dem Lehrplan genommen — weil sich Eltern wegen einer angeblichen Beleidigung des mormonischen Glaubens beschwert hatten […]
In der Geschichte von 1887, die der spätere Sir Arthur im Alter von 28 Jahren veröffentlichte, geht es in einer Passage um eine erzwungene Heirat im Mormonen-Milieu.
Das empfanden die Eltern eines Kindes als herabwürdigend und ein Ausschuss der Schulbehörde gab ihnen recht.
Wer auch immer die Presseerklärung verfasst hat, dürfte den Roman, der doch zu den „Schätzen der Literaturgeschichte“ gehört, selbst nicht kennen, aber dazu gleich mehr.
Zunächst weiter im Text:
Die Entscheidung erging in Charlottesville, der Geburtsstadt des Verfassers der Unabhängigkeitserklärung und späteren Präsidenten Thomas Jefferson.
Vor eineinhalb Jahren hatten nach einem Bericht des örtlichen «Star Exponent» Schulen im nahen Culpeper ein anderes Buch wegen «Schilderung sexueller Inhalte» vom Lehrplan verbannt. Es war die ungekürzte Version des „Tagebuchs der Anne Frank“, in dem das jüdische Mädchen in ihrem Versteck vor den Nazis auch Pubertätsgedanken niedergeschrieben hatte.
Die Unabhängigkeitserklärung und das „Tagebuch der Anne Frank“ tun ja eigentlich nichts zur Sache, sie können im Rahmen der Presseerklärung also nur dazu dienen, den kulturkämpferischen Aspekt des Vorfalls noch stärker in den Vordergrund zu stellen — diese prüden amerikanischen Banausen, nehmen erst Anne Frank wegen ein paar Pubertätsgedanken vom Lehrplan, und jetzt auch noch Sherlock Holmes wegen einer mormonischen Zwangsheirat. Wenn dass Thomas Jefferson wüsste, soll seine Erwähnung signalisieren, er würde sich im Grabe umdrehen.
Es kann nur eine Frage der Zeit sein, bis aufgeregte Zeitungs- und Blogbeiträge mit Schlagworten wie „Political Correctness“, „Denkverbot“, „Bücherverbrennung“ und ähnlichem um sich werfen. Als Gegengewicht hier deshalb frühzeitig eine Antwort auf die Frage, die sich der Verfasser der DPA-Meldung und die meisten der englischsprachigen Journalist/innen nicht gestellt haben: Was ist eigentlich wirklich passiert?
Die Geschichte beginnt mit der Initiative der Schulmutter Brette Stephenson. An der Schule, auf die ihr Kind geht, stand das Buch auf einer Liste mit Pflichtlektüre für die sechste Klasse. Als ihr eigenes Kind das Buch pflichtgemäß las, nahm sie das offenbar zum Anlass, auch selbst noch einmal hineinzuschauen. Daraufhin stellte sie im Mai 2011 beim zuständigen School Board einen „Antrag auf Neubewertung von Lehrmaterialien“ (Citizen’s Request for Reconsideration of Learning Resources) stellte. Dass ein solcher Antrag nichts außergewöhnliches ist, zeigt übrigens die Tatsache, dass sie dazu ein vom School Board speziell zu diesem Zweck herausgegebenes Formular verwendete.
In ihrem Antrag stellte Stephenson fest, dass A Study in Scarlett „historische Persönlichkeiten mormonischen Glaubens“ als Menschen portraitiere, die „zu Zwangskonversionen, Entführungen, Verfolgungen, kriminellen und mörderischen Handlungen ermutigen oder diese selbst durchführen“ und dies als für die mormonische Kultur und Religion typisch darstelle. Sie befürchte, dass dies zu „negativen und falschen Beurteilungen von und Vorurteilen gegen Mitglieder des mormonischen Glaubens unter den Mitschülern und anderen Gruppen“ führen könnte und schlägt vor, stattdessen den Roman The Hound of the Baskervilles auf die Lektüreliste zu setzen.
Wer das Buch kennt, wird Stephenson zustimmen: Die darin enthaltene Darstellung von Mormonen, darunter tatsächliche historische Persönlichkeiten wie Brigham Young, ist extrem negativ. Anders als die DPA-Pressemeldung in klarer Unkenntnis des Romans behauptet, beschränkt sich diese Darstellung auch nicht auf eine „Passage um eine erzwungene Heirat im Mormonen-Milieu“, sondern sie bildet das zentrale Motiv der gesamten zweiten Hälfte des Romans — die erzwungene Heirat ist dort nur eine von vielen mormonischen Schandtaten. Ohne Frage ist der Roman dazu geeignet, negative Vorurteile über Mormonen hervorzurufen oder zu verstärken.
Nun ist Conan Doyles negative Darstellung aus meiner Sicht zwar weitgehend gerechtfertigt — zumindest (aber nicht ausschließlich) in Bezug auf die Zeitperiode, zu der A Study in Scarlet spielt. Der eben erwähnte Brigham Young war zum Beispiel für die Institutionalisierung der Polygamie in der mormonischen Kirche ebenso verantwortlich, wie für den Ausschluss von Schwarzen vom Priesteramt und vielen Ritualen. Erstere wurde zwar schon 1890 offiziell wieder abgeschafft, wird aber in fundamentalistischen Strömungen bis heute praktiziert, letzterer wurde erst 1978 aufgehoben.
Aber die Frage ist natürlich, ob eine Diskussion des Mormonentums im Allgemeinen und seiner unschönen Geschichte im Besonderen in den Lehrplan einer staatlichen Schule gehört, und wenn ja, wann und wo diese Diskussion angemessen wäre. In Deutschland wäre möglicherweise der Religions- und/oder Ethinkunterricht ein angemessener Ort, vor allem, wenn die Diskussion sich nicht auf das Mormonentum beschränken sondern die mehr und weniger schönen Aspekte der Geschichte aller Religionen vergleichend diskutieren würde (as if…). In den USA gibt es aber, anders als in Deutschland, eine verfassungsmäßig garantierte Trennung von Staat und Kirche, und demzufolge gibt es an staatlichen Schulen auch keinen Religionsunterricht.
Das School Board setzte sich dann im Juni 2011 mit Stephensons Antrag auseinander und kam zu dem Schluss, dass der Roman A Study in Scarlett in der Tat negative Darstellungen historischer Persönlichkeiten des Mormonentums enthält, die zur Bildung von Vorurteilen beitragen können. Das School Board kam außerdem zu der Einschätzung, dass ein angemessenes Verständnis dieser Darstellung von Sechstklässlern nicht erwartet werden könne und dass das Buch deshalb erst ab der zehnten Klasse zur Lektüre empfohlen werden solle.
Das School Board entschied deshalb, das Buch von der Lektüreliste der sechsten Klasse zu streichen und durch The Hound of the Baskervilles („Der Hund der Baskervilles“) zu ersetzen, es aber in den Schulbibliotheken der Albemarle County Public Schools zu belassen, da es trotz allem „seine Zeit und seinen Ort im Literaturunterricht“ habe.
Die Anti-PC-Hysterie ist weit fortgeschritten, wenn man das ernsthaft als „Verbot“ des Buches, oder auch nur als „Verbannung vom Lehrplan“ bezeichnet.
[Nachtrag. Und die aufgeregten Schlagzeilen haben nicht lange auf sich warten lassen:
- Zensur: Sherlock Holmes aus US-Lehrplan gestrichen (Blick)
- Kurioses: Schulbehörde verbietet Bücher von Sherlock Holmes (Hamburger Abendblatt)
- Leseverbot: US-Schulbehörde verbannt Sherlock Holmes (Spiegel Online)
- Sherlock Holmes wird verboten (Welt Online)
Dabei ginge es doch ganz ruhig und faktisch:
(wobei es noch schöner gewesen wäre, das irreführende Wort Schulbehörde zu vermeiden — School Boards sind eher so etwas wie Schulvorstände, sie treffen zwar Entscheidungen über Lehrpläne, aber nur für einzelne Schulen oder Schuldistrikte — und klarzumachen, dass es um eine Lektüreliste — nicht den Lehrplan — für eine sechste Klasse geht).]
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ALBEMARLE COUNTY SCHOOL BOARD (2011) Recommendation of Reconsideration for the book “A Study in Scarlet” by Sir Arthur Conan Doyle. [Link]
CONAN DOYLE, ARTHUR (1887) A Study in Scarlett. [Project Gutenberg]
DEUTSCHLANDRADIO KULTUR (2011) Erster Sherlock Holmes-Band in Virginia von Literaturliste genommen. Kulturnachrichten vom 17. August 2011 [Link]
[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Version enthält möglicherweise Korrekturen und Aktualisierungen. Auch die Kommentare wurden möglicherweise nicht vollständig übernommen.]
Investigativ?
Eieiei,
Wo haben Sie denn Ihre Informationen her? Mussten Sie Ihre Kollegen in Amerika inständig bitten, doch mal bitte nach Virginia zu fahren, um dort unter großen Anstrengungen die Verantwortlichen zu einem kurzen Statement zu bewegen? Akten zu wälzen und mit beträchtlichen Schmiergeldzahlungen an die zentralen Dokumente zu gelangen? Dann kann ich es verstehen, weshalb solche Agenturmeldungen aus Hörensagen zusammengestückelt werden und außerdem auch ungeprüft übernommen werden.
In jedem anderen Fall (z.B. wenn man viele Fragen durch Lesen der von Ihnen verlinkten Seite des School Boards beantworten konnte) verstehe ich die Genese dieser Nachrichten nicht.
Grüße an den neuen Sherlock Holmes von Hamburg.
Banned Books
Es ist jedoch so, dass es viele Fälle gibt wo in den USA Bücher nicht nur aus dem Unterricht verschwinden soll, sondern aus den Bibliotheken.
Der Jugendbuch-Autor John Green hat dazu mal ein Video gemacht:
http://www.youtube.com/watch?v=fHMPtYvZ8tM
Wenn ich mich nicht täusche, bezeichnet die Formulierung “Bücher von …” im heutigen Deutsch den Autor / die Autorin. Demnach wusste der Abendblatt-Redakteur auch nicht so recht, wer diese Detektivgeschichten geschrieben hatte — und hielt es auch nicht für nötig, ein bisschen zu recherchieren, wozu auch, ist doch Material von dpa (die kannten wenigstens den Unterschied zwischen Figur und Autor.
Kommt vor, so was. Frankenstein ist ja auch mit seinem Monster im kollektiven Gedächtnis irgendwie verschmolzen.
@Thomas
In dem von Ihnen verlinkten Video geht es nicht um Bücher, die aus Bibliotheken verschwinden sollen, sondern um einen Autor, der sich darüber beschwert, dass Eltern an einer einzigen High School sein Buch nicht für geeignetes Unterrichtsmaterial halten, weil es eine Sex-Szene enthält. Niemand hat dort gefordert, dass es aus irgendeiner Bibliothek entfernt werden soll).
Ich kenne das Buch nicht aber ich nehme an, dass diese Eltern überreagieren und dass die Schule gute Gründe hatte, das Buch für den Unterricht zu verwenden.
Andererseits hat der betreffende Autor kein Recht darauf, dass ausgerechnet sein Buch (und nicht eins der fast 300 000 anderen Bücher, die jedes Jahr in den USA publiziert werden), für den Unterricht verwendet wird. Und es hätte keine Zensur dargestellt, wenn es nicht verwendet worden wäre, genausowenig, wie es eine Zensur der übrigen 299 999 Bücher darstellt, dass diese nicht verwendet werden.
Banned and Challenged Books
Das Entfernen von unerwünschten Büchern ist allerdings in amerikanischen Schulen und Leihbüchereien durchaus üblich. Siehe z.B. http://www.ala.org/…uesadvocacy/banned/index.cfm
Insofern kann ich zumindest verstehen, daß man beim ersten Hinschauen auf die Meldung denkt “Ja, klingt plausibel”. Dennoch sollte der vielgelobte Qualitätsjournalismus natürlich in der Lage sein, die paar Minuten in die Überprüfung einer solchen Meldung zu stecken, bevor das Geschrei los geht.
In Deutschland ist das doch auch nicht entscheidend anders, nur dass die Buchempfehlungen für die Jahrgangsstufen hinter geschlosseneren Kulissen getroffen werden als in den USA.
Auch in Deutschland darf nicht jedes Buch in eine Bibliothek. Indizierte Bücher gehören da nicht rein.
Und der Besitzer mancher Bücher ist sogar strafbar und kann mit einem Gefängnisaufenthalt bestraft werden.
Verbotene Bücher
Herr Kühling, der [private] Besitz welcher Bücher führt in Deutschland zu Haftstrafen?
Wo wir dabei sind, es ist ein Irrtum, dass indizierte Medien nicht in eine Bibliothek dürfen, sie dürfen dort nur nicht Kindern und Jugendlichen zugänglich gemacht oder beworben werden.
Ansonsten hatte ich den — offenbar irrigen — Eindruck, dass es in Herrn Stefanowitschs Artikel eben nicht um Verbote, bans oder so ging, sondern um die miserable Recherchierarbeit von Journalisten, die lieber die bösen, bösen USA — bzw. deren ach so bigotten Schulkindeltern — anprangern wollten, als eine ziemlich öde Geschichte zweier kleinerer Lehrplanänderungen zu erzählen.
Der Besitz kinderpornographischer Bücher wird mit bis zu zwei Jahre Haft bestraft. Dazu reichen bereits Illustrationen, Comics (Mangas) oder eine wirklichkeitsnahe schriftliche Beschreibung aus. Wenn Staatsanwälte die Vorschriften dazu richtig ernst nehmen würden, wären da einige Bücher betroffen, die antikes/mittelalterliches Verhalten realistisch schildern.
Abschweifung vom Thema — sorry!
Ihrem Artikel stimme ich grundsätzlich zu, aber eine Kleinigkeit stört mich ein bisschen: auch an einer staatlichen Schule sollte über Religion gesprochen werden; es wird nicht “Religion unterrichtet” wie in unserem Religionsunterricht, der von einer Konfession ausgeht, aber eine kritische Auseinandersetzung grade im historischen Zusammenhang sollte drin sein.
Soweit ich weiß passiert das im Geschichtsunterricht, aber auch im Englischunterricht. (Ich erinnere mich im Deutschunterricht “Das Amulett” von Conrad Ferdinand Meyer gelesen zu haben, und natürlich ging es da auch um Religion, und die Katholiken kommen nicht gut weg.)
Es stört mich, wenn aufgrund einer Beschwerde aus Glaubensgründen Bücher vom Lehrplan genommen werden, auch wenn es m.E. in Doyles Fall kein allzugroßer Verlust ist.
SPON…
…ist nicht mehr lesbar. Traurig, aber wahr. Bogen drum.
@Anatol: Schöner Artikel!
Danke für die unaufgeregte Klarstellung
P.S. Lernen die Schüler im “Ethinkunterricht”, elektronisch verbreitete Meldungen (E-) kognitiv vernünftig zu verarbeiten, statt sie einfach ohne “think” weiter zu verbreiten? Und wenn ja, gibt es da auch Kurse für Journalisten? Schön wär’s 😉
@S. Kühling
Stimmt, an KiPo hatte ich jetzt nicht gedacht, da ist der Hintergrund ursprünglich aber auch ein anderer. Die aktuelle Auslegung des Verbots, die sich auch auf Gezeichnetes und reine Wörter erstreckt, ist sehr jung und problematisch.
@Dierk
Das ist keine Frage der Auslegung, sondern steht so im Gesetz: http://dejure.org/gesetze/StGB/184b.html
Nachtrag
“sehr jung” ist allerdings richtig, das Gesetz wurde im November 2008 geändert. U.a. wurde damals auch der Jugenpornographieparagraph eingeführt.
Recherchedauer
Sehr schöne Zusammenfassung, klingt doch gleich viel unaufgeregter als das, was der sog. “Qualitätsjournalismus” uns erzählen möchte.
Mich würde nun noch interessieren, wie lange die Recherche dazu gedauert hat.
Viele Grüße
Thore
Geschichts‑, nicht Religionsunterrich
@Sonja:
Ich würde zustimmen und ebenfalls einen Unterschied zwischen Geschichtsunterricht und Religionsunterricht machen.
Der Religionsunterricht vermittelt zwar zum Teil auch religionsgeschichtliches Wissen, dient aber, da konfessionsgebunden, eben zur Unterweisung und Einübung einer (konkreten) Religion.
Bei Religionsgeschichte dagegen als Bestandteil von Geschichts- oder Religionsunterricht hingegen zielt nicht auf die sozusagen affirmative Auseinandersetzung damit, sondern eben (im Idealfall) auf einen “kritischen” Umgang. (“Kritik” im ganz allgemeinen Sinne von „Kunst der Beurteilung, des Auseinanderhaltens von Fakten, der Infragestellung“.)
Anders: Religionsunterricht zielt auf die Vermittlung und Bestärkung des Glaubens, Religionsgeschichte auf die Vermittlung von Fakten und Wissen.
Insofern taugt meines Erachtens der Hinweis auf die Trennung von Staat und Religion nicht als Argument für den Ausschluss von (religions-)geschichtlichen Inhalten.
Den Mormomen gefällt die (wie Anatol Stefanowitsch dargestellt hat) auf historischen Tatsachen beruhende negative Darstellung ihrer Vorväter nicht? Nehmen wir das Buch einfach aus dem Unterricht?
Der katholischen Kirche gefällt die Darstellung ihrer historischen Rolle bei der Beteiligung an den Kreuzzügen nicht? Raus damit aus dem Unterricht!
Wir glauben nicht an die Evolutionstheorie? Weg damit, schließlich könnten die Beschäftigung im Unterricht damit geeignet sein, die Anhänger des Creativ Designs verächtlich zu machen.
Was das alles mit Religionsunterricht bzw. dem Verbot von Religionsunterricht an staatlichen Schulen (bezogen auf die USA) zu tun haben soll, bleibt mir schleierhaft.
Sorry, auf mich wirkt das nur wie ein Hebel, den man in den USA geschickt zu nutzen weiß, um aus Glaubensgründen missliebige Inhalte “wegzuzensieren”!
Welche Hysterie?
Sie haben mit Ihrer Meinung im vorliegenden Fall vollkommen recht.
Angesichts zahlreicher Fälle, in denen in den USA tatsächlich Bücher vom Lehrplan verbannt wurden — inklusive Twains Huckelberry Finn wegen der Benutzung des Worts “Nigger” — wäre der Sachverhalt nicht völlig abwegig.
Und noch viel grundsätzlicher:
Amerikanische Organisationen fordern in Zusammenarbeit mit Behörden sogar Verbote von rauchenden Menschen in Filmen(http://www.welt.de/…ert-Rauchverbot-im-Film.html)
Ähnliches schon aus der Türkei herüber.
Fernsehsender in Deutschland diskutieren darüber, ob man noch im Fernsehen Scheiße sagen darf — oder blenden sogar jetzt schon Pieps ein (und blenden aus, dass die Inhalte ihrer Casting- und Talkshows menschenverachtend sind)
Sprachbeflissene PC-Fanatiker erfinden Sprachungetüme wie “Migrationshintergrund” und verhinderten lange so konsequent offene Diskussionen über Integrationsprobleme in Deutschland, dass sich nur noch Halbverrückte wie Sarrazin öffentlich Gegenposition beziehen.
Hier das Wort Hysterie zu benutzen, verdreht die Tatsachen ins Gegenteil. Vielemehr gibt es langsam öffentlich erste ernstzunehmende Meinungsäußerungen gegen PC-Gläubige, die nahezu hysterisch seit Jahren versuchen, freiheitliche Gesellschaften mit Denk- und Handlungsverboten zu gängeln.
Recherchedauer
@Thore Rehbach: „A Study in Scarlet“ auf Project Gutenberg finden: 30 Sekunden. Querlesen, um das Ausmaß des Antimormonischen festzustellen: 5 Minuten (allerdings habe ich das Buch in meiner Jugend schon einmal gelesen und musste nur mein Gedächtnis auffrischen — jemand, der es nicht kennt, hätte möglicherweise 15 Minuten gebraucht). Die Akten des School Board zu dem Fall ergoogeln: 30 Sekunden. Sie ausführlichst studieren: 15 Minuten (könnte mit etwas schlechteren Englischkenntnissen auch 30 Minuten dauern). Ein paar der englischsprachigen Medienberichte querlesen und mit dem Kopf schütteln: vielleicht 10 Minuten. Gesamtdauer der Recherche: 30 Minuten im besten, 55 Minuten im schlimmsten Fall. Ganz nebenbei und ohne Extraaufwand habe ich folgende Dinge herausgefunden, die ich noch hätte nutzen können, wenn ich als Qualitätsjournalist an die Sache herangegangen wäre: 1. Die Telefonnummern und E‑Mail-Adressen der Entscheidungsträger in der Schule und dem School Board, 2. Die Telefonnummer der Mutter, die die Beschwerde eingereicht hat; 3. Berichte über den Fall in Medien der Mormonen, inklusive Namen und Kontaktdaten der Autoren.
@A.S. 30 Minuten für Null-Nachricht
Der Aufwand, den Hintergrund der “Medienzensur” in den USA aufzuklären beträgt also 30 Minunten. Damit hat sich Anatol Stefanowitsch vielleicht in den Olymp der Qualitätstjournalisten hochgearbeitet, jedoch zugleich eine nicht verwertbare Nachricht herausgearbeitet. Es gibt also keinen Lohn für die gute Arbeit.
Qualitätsjournalismus
@Martin Holzherr: Im Gegenzug hätte es für unsere Medienvertreter quasi 15 Minuten gedauert (studieren der Akten) um herauszufinden, das die Nachricht so gesehen keine ist, bzw. keine, die über die Grenzen des Handlungsortes Relevanz haben würde.
Im vorliegenden Kontext finde ich wiederum den Aufwand von AS gerechtfertig, ging es doch in dem Beitrag weniger um die Nachricht an sich, sondern vielmehr um die “Medienschelte”, etwas aufzubauschen, Stimmung zu machen und das vor dem Hintergrund dieser Lokalnachricht.
Ich atme auf
Nach diesem flammenden Plädoyer, unliebsame Bücher nicht verschwinden zu lassen, verstehe ich endlich, dass ihr Beitrag neulich, in dem sie empfohlen haben, Pippi Langstrumpf wegen erwiesener politischer Inkorrektheit am besten dem Vergessen anheim fallen zu lassen, glücklicherweise nur ein Scherz war.
Äh?
@Claus: Ich nehme nicht an, dass ich hier zufällig auf den einzigen Fall gestoßen bin, in dem ein Bericht von Zensur und Bücherverboten sich als völlig übertrieben dargestellt hat. Vielmehr nehme ich an, dass viele dieser Berichte auf einer ähnlich dünnen Grundlage beruhen. Auch wenn es um die USA geht, sollten wir nicht alles glauben, was uns Anti-PC-hysterische Medien von dort berichten (und mit „hysterisch“ meine ich nicht die dpa-Meldung — die war nur falsch und etwas alarmistisch — sondern die am Ende des Beitrags zitierten Schlagzeilen, die ich beim Schreiben schon vorhergesehen hatte).
@Martin Holzherr: Wie Thore Rehbach schon sagt. Außerdem muss es doch zu den Aufgaben von Journalist/innen auch gehören, Nullnachrichten als solche zu identifizieren. Der Zeitaufwand hat sich doch schon dann gelohnt, wenn er dazu führt, dass eine irreführende Pressemeldung nicht an die Leser/innen weitergegeben wird. Davon abgesehen kann man sich ja auch als Qualitätsmedium darauf verlassen, dass andere Qualitätsmedien die Meldungen ungeprüft übernehmen. Wenn man selbst aber immer die tatsächliche Geschichte dahinter mitliefert, gewinnt man an Autorität und vergrößert sein Publikum und seine Werbeeinnahmen.
@Paul:
Äh, flammendes Plädoyer? In diesem Beitrag geht es darum, dass eine Änderung der Lektüreliste einer sechsten Klasse kein „Bücherverbot“ darstellt. Es ist bestenfalls ein Plädoyer für mehr Qualitätsjournalismus und weniger Anti-PC-Hysterie.
@S. Kühling @David @Dierk
Ich glaube, Sie missinterpretieren das Gesetz. Das Wort “wirklichkeitsnah”, was im Gesetzestext benutzt wird, bezeichnet nicht etwa alle fiktiven Darstellungen, sondern bezieht sich auf Darstellungen, die von einem Laien für echte Missbrauchsszenen gehalten werden könnten, z.B. Fotomontagen. (Das Wort “Schriften” wird im Sinne von “Medien” gebraucht.) Es wurde im Gesetzgebungsprozess zwar diskutiert, auch Fiktivpornografie zu verbieten, man hat sich aber dagegen entschieden.
@P
Ah, danke, das ist interessant.
Aber haben Sie irgendwo Belege dafür? Die Interpretationen, die ich bisher gelesen habe, unterstellten — meine ich — durchweg, daß auch klar als Fiktion Erkennbares betroffen sein könne. Möglicherweise ist das dann auch tatsächlich wieder Auslegungssache?
Ah, @P
In diesem Artikel liest man es ähnlich.
Passender Hinweis also in einem Beitrag über Medienenten.
Ausnahme — Regel
@AS
ein widerlegtes Beispiel als Argumentationsgrundlage für vermeintlich viele viele andere falsche Beispiele finde ich ehrlich gesagt nicht ganz überzeugend.
Wenn es mich nur 1,5 Minuten hat es mich gekostet, dieses Beispiel zu ergoogeln, haben wir dann Gleichstand an Beweisen?
http://diepresse.com/…inderbuchErscheinen-in-USA
Und, nein, ich hatte nicht verstanden (und das auch nirgendwo geschrieben), dass die Hysterie sich auf die konkrete Meldung bezog, sondern auf PC allgemein.
Aber da sehe ich die Hysterie (nämlich das maßlose Umgreifen) von PC-gesteuertem Verhalten nach wie vor als die eigentliche Gefahr, noch lange nicht aber die vereinzelte Kritik daran
(wartend auf den Gegenbeweise zu “vereinzelnd”)
@Claus
Was?
Geben Sie uns eine prinzipiell überprüfbare These in möglichst klarer Sprache, damit wir nicht rätseln und interpretieren müssen.
2:0
@ Claus: Ihr Beispiel ist keines, denn die Entscheidung eines Verlages, ein Buch nicht zu veröffentlichen, stellt beim besten Willen kein Verbot dar — Verlage entscheiden immer noch selbst, was sie veröffentlichen wollen und was nicht.
Zweitens hat sich längst ein anderer Verlag gefunden, der das betreffende Buch veröffentlicht hat:
http://www.spiegel.de/…tur/0,1518,529086,00.html
(Die Tatsache, dass dieser Vorgang von Spiegel Online mit Wörtern wie „Zensur“ beschrieben werden, ist nur ein weiteres Beispiel für die Hysterie, von der ich spreche — und ein trauriger Beleg für den ungenauen Umgang mit Begrifflichkeiten, der aus dieser Hysterie folgt).
Damit steht es 2:0 für mich.
Ich verweise auch gern noch einmal auf die Listen der “Banned and Challenged Books” der American Library Association.
http://www.ala.org/…/presskits/bbw2011/index.cfm
Es handelt sich dort nur um punktuelle Zensur an individuellen Schulen, aber genau darum ging es ja auch im ursprünglichen Artikel.
Der Comic Book Legal Defense Fund hat auch ein paar schöne Geschichten über Bücher, deren Besitz oder Verkauf einen direkt ins Gefängnis bringen kann.
http://cbldf.org/about-us/case-files/
Es ist nicht alles Hysterie.
Etwas dünn
Ein paar relevante Informationen wären nett gewesen. Wenn man schon hervorhebt, das es nur(?) um eine Liste mit Schullektüre geht, nicht um einen Lehrplan und ein School Board etwas anderes als eine deutsche(?, ggf. welches Bundesland?) Schulbehörde, ist sonst völlig unklar, wie das Ereignis denn nun korrekt einzuordnen ist. Kann ein Lehrer die Liste jederzeit ignorieren, oder ist er daran gebunden? Ist die Liste nur vergleichbar dem deutschen Lesepeter? Welchen Stellenwert hat der Verbleib in der Schulbibliothek? Kann ein Schüler darauf jederzeit direkt zugreifen, oder braucht er dazu die Erlaubnis des Lehrers oder ein gewisses Alter?
.
@thorsten: Wenn Sie auf den ersten Link in den Quellenangaben klicken, finden Sie alle Informationen zu dem Fall. Wenn Ihnen das zuviel Aufwand ist (was ich absolut verstehen würde, denn der Fall an sich ist tatsächlich äußerst uninteressant und die Akten sind nicht direkt das, was man als anregende Lektüre bezeichnen kann), bleibt Ihnen nur, meiner Darstellung zu vertrauen. Es handelt sich, wie ich schreibe, um eine verbindliche Leseliste (die die Lehrer/innen deshalb natürlich auch nicht ignorieren können) und „Verbleib in der Schulbibliothek“ bedeutet Verbleib in der Schulbibliothek. Das Buch ist weder auf einem Index, noch verboten, noch irgendwie eingeschränkt, sonst hätte ich das in meinem Beitrag geschrieben. Es gibt hier tatsächlich nichts zu sehen. Was ein School Board ist und wie es zu Schulbehörden (Department of Education) in Beziehung steht, lässt sich nur verstehen, wenn man tiefer in das US-amerikanische Bildungssystem einsteigt. Das muss bei Interesse aber jeder für sich machen, es ist nicht Thema dieses Beitrags oder meines Blogs.
Eine interessante Tatsache habe ich nicht erwähnt, weil sie mit dem Thema meines Beitrags (in dem es um Anti-PC-Hysterie und lasche Recherchepraktiken geht) nichts zu tun hatte: die Eltern der Schüler dürfen ihren Kindern untersagen, Bücher von der Leseliste zu lesen, die Kinder bekommen dann eine Alternative angeboten. Solche individuellen elterlichen Eingriffe in die Lehrpläne öffentlicher Schulen halte ich für sehr problematisch — ich würde mich aber wundern, wenn hier auch eine so große Bereitschaft bestünde, von „Zensur“ und „Leseverboten“ zu sprechen.
@ Kreetrapper: Die American Library Association ist eine ehrwürdige Organisation mit ehrwürdigen und unterstützenswerten Zielen, aber die verlinkte Webseite und die Listen und anderen Aktivitäten dort sind problematisch: Erstens wird durchgängig (und offenbar absichtlich) nicht zwischen „challenged“ (hinterfragten/herausgeforderten) und „banned“ (verbotenen) Büchern unterschieden. Nun ist es ein leichtes, ein Buch zu hinterfragen: Da Schulen und School Boards entsprechende Formulare bereithalten, werden Eltern (und andere Bürger) dazu sogar ermutigt. Wirklich wichtig wäre aber die Information, wieviele dieser Bücher tatsächlich auch verboten werden. Die ALA stellt nur allgemein fest, dass die meisten Herausforderungen ohne Erfolg bleiben. Zweitens ist der Begriff „banned“ (verboten) nicht angemessen. Die Tatsache, dass eine Bibliothek (zumal eine Schulbibliothek) ein Buch aus dem Bestand entfernt ist kein Verbot dieses Buches. Die ungenaue Verwendung von Begriffen wie „Verbot“ und „Zensur“ ist bedauerlich. Die ALA bleibt also absichtlich ungenau und übertreibt in ihrer Terminologie, um ihre (wie gesagt ehrenvollen) Ziele zu erreichen. Aber als Grundlage für eine realistische Einschätzung der Situation oder eine differenzierte Diskussion taugen die Listen leider nicht.
Die Fälle des Comic Book Legal Defense Fund (CBLDF) klingen schon in der Darstellung des CBLFDF sehr heterogen, und müssten auch dementsprechend unterschiedlich bewertet werden. Außerdem würde ich nicht einfach das Wort des CBLDF für bare Münze nehmen — es handelt sich (wie bei der ALA) um eine Organisation zur Durchsetzung bestimmter Interessen, die die Darstellung der Fälle beeinträchtigen dürfte.
Zensur ist ein wichtiges Thema, aber der Diskussion dieses Themas ist nicht damit gedient, dass Dinge als „Zensur“ bezeichnet werden, die nicht einmal am Rande in diese Kategorie fallen.
@AS
Ja. 2:0
Respekt.
Ich glaube dennoch, dass es keine Anti-PC-Hysterie gibt, will aber nicht bis in alle Ewigkeit mit Ihnen darüber weiter streiten.
@Dierks
(schreiben Sie eigentlich für mehrere Diskutanten mit, oder warum reden sie von “wir”?)
Meine These
Es gibt immer mehr Regeln/Verbote/Einschränkungen für die Political Correctness als Begründung herhalten muss.
Das ist nach meiner Meinung nicht gut.
Es gibt ein paar Menschen, die sich öffentlich dagegen wehren.
Nach Meinung von AS sind dies viele Menschen und sie übertreiben oft bei ihrer Kritik. Manchmal stellen sie sogar Sachverhalte falsch dar (so wie im Ausgangsbeispiel)
Nach meiner Meinung sind diese Fälle aber Einzelfälle.
Das Wort Hysterie ist daher maßlos übertrieben.
Klar genug für Sie?
@Claus
Gut, jetzt haben Sie bewiesen, dass sie ein oder zwei Meinungen haben, aber eine überprüfbare These haben Sie nicht formuliert. Da ist nichts Konkretes drin, kein Wer, kein Wie viel/oft, kein Was genau.
Wie kommen Sie auf Aussagen wie
?
Steckt hinter diesen angeblich ‘immer mehr’ Regeln echte pc, wird diese nur — wie z.B. bei PI-News — als Popanz künstlich aufgebaut? Ist pc oft nicht nur ein schöner Anti-Begriff, wenn es um grundsätzliche Höflichkeit geht?
Mir ist das alles zu wachsweich und unbestimmt und bauchherausig, was Sie da schreiben.
@dierks
Und Sie sind mir zu sehr nurdagegenseinig
Erst wollen Sie meine Meinung anders formuliert haben
Ich tues. Aber dann wollen Sie die Meinungen (!) bewiesen haben (Schön, dass Sie nicht sagen, womit, dann bleibt Ihnen ja ein “Das reicht nicht” für ihre nächste Antwort)
Eine eigene Meinung — zu irgendwas — bringen Sie erst gar nicht ein.
Außer vielleicht, dass PI (nie von mir genannt) kein Beispiel für zu viel PC ist, oder PC oft mit Höflichkeit verwechselt wird (in welchen Fällen?)
Ach ne, das Strickmuster ist mir zu bekannt und zu nervig.
Claus, ich wollte THESEN. Ihre ursprünglichen Kommentare verstand ich dahingehend, dass sie etwas empirisch zu überprüfendes beizutragen hätten. Offensichtlich irrte ich mich. Dafür entschuldige ich mich bei Ihnen.
Wie ich ohne eigene Meinung ’nurdagegenseinig’ bin, wird mir auch ein Rätsel bleiben. Ansonsten weise ich nun doch daraufhin, dass Sie nicht einmal meinen Namen richtig schreiben wollen, Sie Stiesel.