Beim Herumlesen in frühneuhochdeutschen Texten habe ich eine charmante Betrachtung über das Graphem <sch> gefunden:
Wann das (ch) auf ein (s) folget/so wird ein grobzischender Laut daraus/daß es fast seltzsam ist / wie doch solche drey Búchstaben sich zu der zischenden Stimme gefunden haben ; weil weder einer alleine/noch sie zusammen solchen Tón zugében vermögen : werden demnach ausgesprochen wie das Hebraische ש, als: erfrischen/&c.
Das <sch> ist ein sogenannter “Trigraph”: Man benutzt drei Buchstaben, um einen bedeutungsunterscheidenden Laut (“Phonem”) aufzuschreiben. Das heißt man schreibt z.B. <Sau>, aber <Schau>, dabei werden beide Wörter nur mit jeweils zwei Lauten (einem Frikativ und einem Diphthong) ausgesprochen: /za̯ʊ/ und /ʃa̯ʊ/. Ähnlich geht es mit <ch> (<Bach>, gesprochen /χ/) und <ng> (<hängen>, gesprochen /ŋ/).
Und, wie klug bemerkt, andere Schriftsysteme machen keine derartigen Umstände. Das hebräische Alphabet hat das z.B. <ש> (das allerdings sowohl als [s] als auch als [ʃ] ausgesprochen werden kann), das arabische das <ﺵ> und das kyrillische das <ш>. Und auch das lateinische Alphabet kann man prima anpassen, wie zum Beispiel das Rumänische mit <ș> zeigt.
Der Autor wunderte sich über die seltsame Schreibpraxis, mit <s>, <c> und <h> einen Laut aufzuschreiben, der sich nicht aus den dreien zusammensetzt. Das ist aber gar kein so großes Hexenwerk – in Wirklichkeit reflektiert sie eine ältere Aussprache. Unser heutiger Laut /ʃ/ kommt durch zwei Lautwandelprozesse zustande:
sk wird sch
Die sogenannte “Monophonematisierung” von /sk/ kann man ab der mittelhochdeutschen Zeit beobachten. Während man im Althochdeutschen noch skif ‘Schiff’ oder scuola ‘Schule’ findet, heißt es in den mittelhochdeutschen Quellen schif und schuole.
Wahrscheinlich gab es einen lautlichen Übergang, bei dem man zunächst [sk] sagte, dann [sx] (also <s> und <ch> getrennt gesprochen) und dann [ʃ]. Die “Zwischenstufe” [sx] gibt es übrigens noch heute, und zwar im Niederländischen. Dort heißt das Schiff schip, wie im Namen des Amsterdamer Flughafens Schiphol, gesprochen quasi s‑chip, mit dem ch von ach. (Aussprache z.B. hier ganz am Anfang: “Aankomsthal drie van Schiphol is …”)
Die beiden Wandelprozesse sind ganz graduell: Von k zu x wird die Artikulationsart verändert, der Plosiv wird zu einem Frikativ (Reibelaut). Der Bildungsort bleibt aber gleich. Und bei sx zu ʃ wird dann ein Kompromiss der Artikulationsorte geschlossen: [s] wird am Zahndamm gebildet und [x] hinten am Gaumen. Lässt man sie miteinander verschmelzen, bekommt man das [ʃ], das weiter hinten als [s], aber weiter vorne als [x] gebildet wird. Juhu!
Unsere heutige Schreibung basiert also auf einer älteren Aussprache zweier getrennter Laute, die als <s> und <ch> geschrieben wurden. Als sie dann zu einem Laut verschmolzen, standen alle drei Buchstaben zusammen für diesen neuen “grobzischenden Laut”.
s wird sch
Nun gibt es jedoch auch Fälle, wo man <sch> schreibt, aber keine Form mit <sk> vorausgeht, zum Beispiel bei <Schlinge> (ahd. <slinga>) oder <schnappen> (mhd. <snappen>).
Hier wurde [s] direkt zu [ʃ], ohne Umwege. Das ist etwas später zu beobachten als die Monophonematisierung, in den mittelhochdeutschen Quellen schreibt man noch <slinge> und <ars>. Im Frühneuhochdeutschen bekommt der veränderte Laut dann in den meisten Fällen eine neue Schreibung, das <sch> hatte man ja bereits kreiert.
Dieser Wandel betrifft den s-Laut allerdings nicht grundsätzlich, sondern nur am Anfang einer betonten Silbe vor einem anderen Konsonanten:
- sl: slinge zu Schlinge
- sm: gesmak zu Geschmack
- sn: snappen zu schnappen
- sw: swimmen zu schwimmen
- sp: springen gesprochen zu schpringen
- st: strasse gesprochen zu Schtraße
Im Süden gilt das auch für andere Positionen, weshalb man da Fest als Fescht spricht, oder verhaspeln als verhaschple. Eine Ausnahme gibt’s aber doch, und zwar rs (was nie am Anfang steht) – das wurde oft zu rsch (Arsch, herrschen), aber auch nicht immer (bersten, Vers).
Warum nun grade <st> und <sp> ihre Schreibung nicht angepasst haben, kann ich leider grade nicht erklären – ich bilde mir ein, dazu mal Theorien gehört zu haben, falls mir wieder einfällt, wo, reiche ich das nach. Da die Aussprache aber festen Regeln folgt, ist die Nichtschreibung eh nicht weiter schlimm.
Quellen:
- Harper, Douglas (2001–2010): Online Etymology Dictionary.
- König, Werner (2005): dtv-Atlas Deutsche Sprache. 15. Aufl. München.
- Pfeifer, Wolfgang (1993): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2. Aufl. 2 Bde. Berlin.
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Die Zwischenstufe habe ich vor ein paar Jahrzehnten noch häufiger bei älteren Leuten in Westfalen gehört. Da gibt es auch noch die alte Geschichte von den zwei Männern, die sich im Zugabteil in Frankreich treffen:
“Qu’est-ce que vous s‑chers-chez?”
“Je s‑chers-che mon s‑chapeau”
“Vous venez de Lüdens-cheid?”
“Non. Mes-chede”
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/ʃt/ und /ʃp/ sind die einzigen der mit [ʃ] beginnenden worteinleitenden Onsets nach denen vorm Nukleus noch ein weiterer (Halb-)Konsonant stehen kann, vor allem [r]. Fünf Buchstaben vorm Vokal wären zu viel. Okay, das ist keine belegte etymologische Erklärung, aber mindestens für Schüler reicht’s.
Phonemisch ist die Zwischenstufe sicher wie beschreiben /sk/>/sx/>/ʃ/. Phonetisch was sie wohl eher [sk]>[sç]>[ʃ]; eventuell über eine zweite Zwischenstufe [ɕ], was dann die Verschmelzung mit /s/ (ursprüngliche Realisierung wahrscheinlich irgendwo zwischen [ɕ] und [ʂ]) als Initiallaut in Konsonantengruppen erklärte.