Die unverbesserliche Seichtigkeit der Sprachnörgler (Teil 1)

Von Anatol Stefanowitsch

Die ganze lange und trüb­sin­nige Tra­di­tion der Sprach­nörgelei entspringt einem bedauer­lichen Missver­ständ­nis: Die Sprach­nör­gler unter­schätzen sowohl die Kom­plex­ität von Sprachen als auch die Intel­li­genz von Sprecher/innen (ob let­zteres darin begrün­det liegt, dass sie von sich auf andere schließen, sei dahingestellt).

Drei Vorstel­lun­gen sind für den Sprach­nör­gler nicht fass­bar. Erstens, Sprache verän­dert sich. Zweit­ens, Wörter (und andere sprach­liche Zeichen) kön­nen mehr als eine Bedeu­tung haben. Drit­tens, Ver­ste­hen beste­ht nicht in einem mech­a­nis­chen Dekodieren von Wortbe­deu­tun­gen, son­dern in einem aktiv­en Deuten von Äußerun­gen in konkreten Sit­u­a­tio­nen und im sprach­lichen Zusammenhang.

Die Sprach­wis­senschaft erschöpft sich nicht in diesen drei ein­fachen Erken­nt­nis­sen, aber wenn es uns irgend­wie gelin­gen würde, sie den Sprach­nör­glern einzutrichtern, wären das für alle Beteiligten das Beste. Die Nör­gler kön­nten sich ein weniger pen­e­trantes und eben­so erfül­len­des Hob­by suchen — zum Beispiel kön­nten Sie ver­suchen, Wass­er in einem Sieb zu sam­meln. Und der Rest von uns kön­nte sich entspan­nt zurück­lehnen und Sprache ein­fach nur zum Sprechen benutzen.

Und vor allem blieben uns Lis­ten erspart, wie die, die der Autor und Schreib­train­er Andreas Busch auf zehn.de veröf­fentlicht und die Bild.de aufge­grif­f­en hat: „Die 10 am häu­fig­sten falsch ver­wen­de­ten Wörter“.

Wenn Sie die Liste noch nicht aus meinem Gast­beitrag im BILD­blog ken­nen, will ich Sie nicht lange auf die Folter span­nen. Die 10 am häu­fig­sten falsch ver­wen­de­ten Wörter sind die fol­gen­den (und nein, Busch ver­rät nicht, wie er die Häu­figkeit ihrer falschen Ver­wen­dung ermit­telt hat):

  1. Wollte
  2. Irri­tiert
  3. Ver­stor­ben
  4. Mann statt Frau
  5. Sor­gen
  6. Kult
  7. Reifen­wech­sel
  8. Busen
  9. Sym­pa­thie
  10. Pub­lic Viewing

Pub­lic View­ing ist dabei natür­lich ein alter Bekan­nter, aber eins muss man Busch lassen: die Plätze 2 bis 10 sind  mal nicht die übliche Sprach­nör­glerkost. Was möglicher­weise daran liegt, dass auch der durch­schnit­tliche Sprach­nör­gler über­rascht sein dürfte, dass es sich hier um häu­fig falsch ver­wen­dete Wörter han­deln soll.

Zum Glück liefert uns Busch ja Begrün­dun­gen, und die möchte ich im Laufe der Woche näher betra­cht­en. Heute beginne ich mit den Wörtern sor­gen, Kult und Busen, die alle Beispiele für das erste oben genan­nte Prob­lem der Sprach­nör­gler sind: Die Unfähigkeit, zu ver­ste­hen und zu akzep­tieren, dass Sprache sich ändert.

Was Busch im Falle dieser drei Wörter bege­ht, kann man als „ety­mol­o­gis­chen Fehlschluss“ beze­ich­nen. Unter Sprach­nör­glern ist die fol­gende Vorstel­lung weit ver­bre­it­et: Weil ein Wort irgend­wann ein­mal Bedeu­tung A hat­te, ist diese Bedeu­tung die einzig zuläs­sige, die neueren Bedeu­tun­gen B und C sind ein Zeichen für Sprachver­fall und müssen aus­ge­merzt werden.

Dass diese Vorstel­lung ein Fehlschluss ist, hat min­destens zwei Gründe: Erstens geht sie fälschlicher­weise davon aus, dass es wün­schenswert und mach­bar sei, Sprach­wan­del aufzuhal­ten, und zweit­ens set­zt sie voraus, dass man eine Ursprungs­be­deu­tung find­en kann, der keine weit­eren Bedeu­tun­gen vorausgehen.

Bei­des ist falsch, und das Beispiel von sor­gen zeigt das sehr schön. Nach Busch wird dieses Verb „ständig“ falsch verwendet:

Ein Beispiel gefäl­lig? „Blitzeis sorgt für Verkehrschaos“. Noch eines? „Börsen­crash sorgt für Verun­sicherung“. Was die Schreiber der bei­den Schlagzeilen in Wirk­lichkeit mein­ten, war das Verb „verur­sachen“. Blitzeis und Börsen­crash kön­nen für nichts und nie­man­den sor­gen. Müt­ter sor­gen für Kinder, Lehrer für ihre Schüler, da stimmt das Verb. [zehn.de]

Wo genau liegt hier für Busch das Prob­lem? Schlägt man im Wörter­buch nach, so find­et man drei Hauptbe­deu­tun­gen des Verbs sor­gen: 1) „sich Sor­gen machen“ (Ich sorge mich um die Gesund­heit meines Ham­sters), 2) „sich küm­mern“ und 3) „verur­sachen“ (Die Kun­st­stücke meines Ham­sters sor­gen für Heit­erkeit). Die zweite Hauptbe­deu­tung ist noch ein­mal aus­d­if­feren­ziert, man kann sich 2a) „um jeman­den küm­mern“ (Ich sorge für meinen Ham­ster), 2b) „darum küm­mern, dass etwas vorhan­den ist“ (Ich sorge für Fut­ter und frisches Wass­er), 2c) „darum küm­mern, dass etwas geschieht“ (Ich sorge dafür, dass mein Ham­ster seine Imp­fun­gen bekommt).

Es ist intu­itiv klar, dass die Bedeu­tun­gen irgend­wie miteinan­der zusam­men­hän­gen. Unklar ist dage­gen, wie Busch darauf kommt, dass aus­gerech­net 2a) die richtige Bedeu­tung ist.

Gehen wir sprachgeschichtlich vor und begin­nen in der Gegen­wart: Die Ver­wen­dung, die Busch kri­tisiert, ist tat­säch­lich sprachgeschichtlich die jüng­ste. Sie find­et sich noch nicht im Grimm­schen Wörter­buch, muss also aus dem späten 19. oder aus dem 20. Jahrhun­dert stam­men. Sie lässt sich rel­a­tiv prob­lem­los auf die ältere Bedeu­tung 2b) zurück­führen: Von Ich sorge für frisches Wass­er ist es nur ein klein­er Schritt zu Die Kun­st­stücke meines Ham­sters sor­gen für Heit­erkeit: Es fällt nur die Beschränkung weg, dass das Sub­jekt ein mit Absicht han­del­ndes belebtes Wesen sein muss. Dieser kleine Bedeu­tungswan­del ist übri­gens nichts, was aus­gerech­net für sor­gen beson­ders typ­isch wäre — er funk­tion­iert bei vie­len Ver­ben: Mein Ham­ster hat sein Laufrad zer­schla­gen – Der Sieg meines Ham­sters bei der Wahl zum Hausti­er des Jahres hat die Träume der Konkur­renz zer­schla­gen; Mein Ham­ster kommt nicht vom Fleck – die Diskus­sion kommt nicht vom Fleck; usw.

Aber Busch will ja auch die Ver­wen­dung 2b nicht zulassen, obwohl die sich schon bei Goethe find­et (Ich werde sor­gen, dass Sie den Betrag dafür so bald als möglich erhal­ten, Goethe, Briefe, 1780), für ihn muss es 2a) sein. Diese Ver­wen­dung ist sprachgeschichtlich tat­säch­lich noch etwas älter, sie find­et sich beispiel­sweise in Luthers Bibelüber­set­zung (Alle ewer sorge werf­fet auff jn / Denn er sor­get fur euch, 1. Petrus­brief 5:7)

Aber wenn sprachgeschichtlich­es Alter ein Argu­ment sein soll, dür­fen wir uns mit dieser Ver­wen­dung nicht zufriedengeben. Sie geht ihrer­seits auf die noch ältere Ver­wen­dung „sich wegen etwas Sor­gen machen“. Auch die find­et sich in der Luther­bibel (dein Vater hat die Esel aus der acht gelassen / vnd sor­get vmb euch, 1. Samuel 10:2).

Und auch das ist nicht die ursprüngliche Bedeu­tung. Sie geht ihrer­seits zurück auf die Bedeu­tung „trau­rig sein“. In der goth­is­chen Bibelüber­set­zung find­et sich diese Ver­wen­dung noch: jus saur­gan­dans wairþiþ (Johannes 16:20), bei Luther ste­ht dort schon Jr aber werdet trawrig sein.

Das Verb sor­gen kommt also von ein­er pro­to-ger­man­is­chen Wurzel, die „trau­rig sein“ heißt. Ihre Bedeu­tung hat sich zunächst auf die all­ge­meinere Bedeu­tung „bedrück­endes, quälen­des Gefühl“ aus­geweit­et, beson­ders in Zusam­men­hän­gen, in denen man Angst vor der Zukun­ft oder Angst um das Woh­lerge­hen von jeman­dem hat. Wenn man ein solch­es Gefühl hat, tut man häu­fig bes­timmte Dinge, damit die neg­a­tiv­en Befürch­tun­gen nicht ein­tr­e­f­fen — man küm­mert sich um Men­schen und man küm­mert sich um Dinge, die benötigt wer­den. So kam die Über­tra­gung auf die oben genan­nten Bedeu­tun­gen 2a/b) zus­tande. Von dort aus wurde die Bedeu­tung noch all­ge­mein­er und kon­nte sich dann auch auf Ereignisse beziehen, die jemand her­beiführt. Dann kam der let­zte, oben schon beschriebene Schritt hin zur all­ge­meinen Verur­sachung von Ereignis­sen durch andere Ereignisse.

Nach Buschs Logik müsste man also min­destens bis zum Pro­to-Ger­man­is­chen zurück­ge­hen und nur die Ver­wen­dung „trau­rig sein“ erlauben. Auch das wäre aber beliebig. Auch diese Bedeu­tung ist näm­lich nicht die Ursprungs­be­deu­tung, denn Wörter haben schlicht keine „Ursprungs­be­deu­tung“. Jede Bedeu­tung geht aus ein­er anderen Bedeu­tung her­vor, und so kön­nen wir vor jed­er „Ursprungs­be­deu­tung“ eines deutschen Wortes eine Ursprungs­be­deu­tung dieser Ursprungs­be­deu­tung find­en, bis die Herkun­ft des Wortes sich in den Nebeln der indoeu­ropäis­chen Ver­gan­gen­heit verliert.

Wir müssten jedes Wort bis zu sein­er ersten Ver­wen­dung zurück­ver­fol­gen, wenn wir ern­sthaft nach dem Prinzip ver­fahren woll­ten, nur Ursprungs­be­deu­tun­gen zuzu­lassen. Da selb­st die opti­mistis­chsten Rekon­struk­tio­nen uns max­i­mal 10 000 Jahre in die Ver­gan­gen­heit blick­en lassen, men­schliche Sprache aber ver­mut­lich 50 000 bis 80 000 Jahre alt ist, wür­den wir so auf einen Schlag den größten Teil unseres Wortschatzes nicht mehr ver­wen­den kön­nen, da sich die Ursprungs­be­deu­tun­gen nicht mehr ermit­teln lassen.

Ein­fach irgen­deine Bedeu­tung aus dem uns bekan­nten Teil der Geschichte eines Wortes her­auszu­greifen und sie zur „eigentlichen“ Bedeu­tung zu erk­lären, wie Busch es tut, hat aber mit Sprach­pflege nichts zu tun, es ist reine Willkür nach dem Mot­to „Früher war alles bess­er, und mit früher meine ich eine Zeit, die ich nach Gut­dünken festlege“.

Beim Wort Kult gilt das natür­lich auch, seine Spur ist aber kürz­er und ver­liert sich schneller, weshalb wir es rel­a­tiv kurz abhan­deln kön­nen. Busch sagt dazu Folgendes:

Das ist Kult!“ Klingt oft abso­lut und duldet keinen Wider­spruch, auch wenn es sich dabei nur um einen neuar­ti­gen Lip­pen­s­tift, einen alten Song, ein fast vergessenes Klei­dungsstück oder ein ver­rostetes Auto wie eine „Ente“, einen „Käfer“ oder einen (tier­freien) Renault R 4 han­delt. „Kult“ bedeutet ursprünglich die Reli­gion­sausübung mit fest­gelegten Hand­lun­gen. Die fest­gelegten Hand­lun­gen mag es auch bei den oben erwäh­n­ten Old­timern geben — aber „Kult“? [zehn.de]

Hat er Recht? Ja und nein. Sich­er, das Wort ist im 17. Jahrhun­dert mit der Bedeu­tung „religiös­es Rit­u­al“ aus dem Lateinis­chen ins Deutsche entlehnt wor­den. Die all­ge­meinere, nicht mehr nur auf Göt­ter bezo­gene Bedeu­tung „(über­triebene) Verehrung ein­er Per­son oder Sache“ hat sich erst später entwick­elt. Aber ist sie deswe­gen falsch? Genau­sogut kön­nte man die ursprüngliche Bedeu­tung als falsch beze­ich­nen, denn sie beschränkt zunächst die eigentlich viel all­ge­meinere Bedeu­tung des lateinis­chen Wort­stammes cult-, der neben der Verehrung ein­er Got­theit auch die Bedeu­tun­gen „Pflege“, „Bebau­ung von Land“ und „Bil­dung“ hat­te (man ver­gle­iche Wörter wie Kul­tur, Kultus(ministerium), kul­tivieren, usw.).

Anders gelagert ist der Fall bei Busen. Auch dieses Wort hat laut Busch eine Bedeu­tungsverän­derung durchlaufen:

Einen schö­nen Busen haben viele Frauen. Schöne Brüste haben sie deswe­gen noch lange nicht. Wo liegt der feine Unter­schied? Antwort: In der Mitte liegt er, genau in der Mitte. Denn der Busen ist in sein­er Ursprungs­be­deu­tung nichts anderes als das Tal zwis­chen den Brüsten. Das Dekol­leté, mit anderen Worten. [zehn.de]

Nehmen wir mal an, Busch hätte recht. Dann kön­nte man das­selbe ent­geg­nen, wie bei den anderen bei­den Wörtern: Warum sollte uns inter­essieren, was das Wort in ein­er aus dem andauern­den Bedeu­tungswan­del beliebig her­aus­ge­grif­f­e­nen „Ursprungs­be­deu­tung“ beze­ich­net hat? Was macht diese Bedeu­tung bess­er oder schlechter als die aktuelle?

Die Frage erübrigt sich hier aber zunächst, denn das Wort Busen hat zwar vor nicht allzu langer Zeit eine Bedeu­tungsverän­derung durch­laufen, aber nicht die, die Busch uns weis­machen will. Das Wort beze­ich­nete näm­lich bis in die (sprachgeschichtlich betra­chtet) jün­gere Zeit jede men­schliche Brust, ob männlich oder weib­lich. So schrieb Goethe noch Anfang des 19. Jahrhun­derts ganz selb­stver­ständlich Kön­nen wir wis­sen, was in dem Busen der Män­ner schlägt (Stel­la, 3. Akt) und sog­ar zu Beginn des 20. Jahrhun­derts find­en sich noch Ver­wen­dun­gen wie Pla­ton, … dessen Busen von dich­ter­ischem Schwunge belebt war (Otto Apelt, Pla­tonis­che Auf­sätze). Auch das Wort Busen­fre­und (in der Bedeu­tung „bester Fre­und“, nicht in der Bedeu­tung „Leser von Her­ren­magazi­nen“) zeigt, dass das Wort ursprünglich nicht auf die weib­lichen Brüste beschränkt war.

Der Jadebusen

Der Jade­busen

Achtung, nicht jugend­frei: Ein Bild von einem Busen
(Abbil­dung von Open­StreetMap — Veröf­fentlicht unter CC-BY-SA 2.0)

Das allein macht es schon äußerst unwahrschein­lich, dass es zu irgen­deinem Zeit­punkt „das Tal zwis­chen den Brüsten“ beze­ich­net hat, und tat­säch­lich hat es das auch nie. Ich weiß nicht, woher Busch diese Fehlin­for­ma­tion hat, aber wenn man den ety­mol­o­gis­chen Fehlschluss schon in spracherzieherische Vorschriften ummünzen will, dann sollte man sich die Ety­molo­gie der betr­e­f­fend­en Wörter vorher kurz anse­hen. Der ety­mol­o­gis­che Fehlschluss lässt Sprach­nör­gler schon für sich genom­men eher ver­staubt als gelehrt wirken, aber wenn man ihn mit falschen Ety­molo­gien ver­mis­cht, die man auf der Rück­seite ein­er Corn­flakespack­ung oder in einem Glückskeks gefun­den hat, ist man, um es mit einem Fach­be­griff der Sprach­nör­gler­forschung zu sagen, ein Vollpfosten.

Und nur, damit das klar ist: Es wäre nichts gewon­nen, wenn wir nun herum­liefen und alle, die die weib­liche Brust als Busen beze­ich­nen darauf hin­wiesen, dass das Wort in sein­er „Ursprungs­be­deu­tung“ auch die männliche Brust ein­schließe. Denn, wir wieder­holen alle gemein­sam: Eine Ursprungs­be­deu­tung haben Wörter nicht.

Die Wurzel, aus der das Wort Busen ent­standen ist, find­et sich in allen west­ger­man­is­chen Sprachen mit der Bedeu­tung „Brust“. Davor wird es schon etwas nebliger, aber es ist wahrschein­lich, dass sie auf das indoeu­ropäis­chen *bheu- zurück­ge­ht, das etwa „auf­blasen, schwellen“ bedeutet (das Wort Beule hat densel­ben Ursprung). Alter­na­tiv käme aber auch der Stamm *bhâghu‑s infrage, der in dieser Form für das Indoarische rekon­stru­iert wer­den kann und „Arm“ bedeutete — der Busen wäre also so etwas wie „die Stelle zwis­chen den Armen“.

Wer also der Mei­n­ung ist, dass Wörter nur in der ältesten bekan­nten Bedeu­tung ver­wen­det wer­den dür­fen, der hat jet­zt die Wahl, ob er seinen Mit­men­schen mit der Behaup­tung auf die Ner­ven gehen will, dass Busen eigentlich „Arm“ bedeutet, oder mit der, dass es jede Art von „Beule“ oder „Schwellung“ bezeichnet.

Noch bess­er wäre es natür­lich, einzuse­hen, dass Wortbe­deu­tun­gen sich immer verän­dert haben und immer verän­dern wer­den. Sprache lässt sich nicht fix­ieren, prä­pari­eren und in Muse­umsvit­ri­nen stellen. Sie ist ein Werkzeug. Ein großar­tiges, kom­plex­es und wun­der­schönes Werkzeug, aber trotz­dem ein Werkzeug, dessen Nutzen in seinem alltäglichen Gebrauch liegt.

 

[Nach­trag: Die Fort­set­zung dieser Serie find­et sich hier.]

BUSCH, Andreas (2011) Die 10 am häu­fig­sten falsch ver­wen­de­ten Wörter. Zehn.de [Link]

DUDEN (2001) Das Herkun­ftswörter­buch: Ety­molo­gie der deutschen Sprache. Die Geschichte der deutschen Wörter bis zur Gegen­wart. Dritte Auflage. Bib­li­ographis­ches Insti­tut, Mannheim.

GRIMM, Jacob, und Wil­helm GRIMM (1854–1960) Deutsches Wörter­buch. [Link]

HARPER, Dou­glas (2001–2010) Online Ety­mol­o­gy Dic­tio­nary. [Link]

SIMPSON, John (Hg., 1989) Oxford Eng­lish Dic­tio­nary. Zweite Auflage. Oxford Uni­ver­si­ty Press.

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

61 Gedanken zu „Die unverbesserliche Seichtigkeit der Sprachnörgler (Teil 1)

  1. Dierk

    Kön­nte es sein, dass Herr Busch in Ham­burg Anglis­tik studiert hat? Dort geis­terte diese Busen­num­mer zwis­chen 1986 und 1990 promi­nent umher [und auch ich fiel darauf rein].
    Übri­gens auch immer sehr schön sind die recht schnell oszil­lieren­den Bedeu­tungswan­del des deutschen ‘geil’ und des englis­chen ‘gay’, ger­ade das zweite scheint die Hauptbe­deu­tung im Halb­dekaden­ab­stand zu wechseln.

  2. Ludwig Trepl

    Drei Vorstel­lun­gen sind für den Sprach­nör­gler nicht fassbar.”
    Ich bin ein lei­den­schaftlich­er, ja, besessen­er Sprach­nör­gler, aber die drei Vorstel­lun­gen sind für mich dur­chaus faßbar. Etwas ver­wun­der­lich finde ich nur, daß sie als Erken­nt­nisse der Sprach­wis­senschaft beze­ich­net wer­den. Ich dachte, das weiß sowieso jeder.
    “Unter Sprach­nör­glern ist die fol­gende Vorstel­lung weit ver­bre­it­et: Weil ein Wort irgend­wann ein­mal Bedeu­tung A hat­te, ist diese Bedeu­tung die einzig zuläs­sige, die neueren Bedeu­tun­gen B und C sind ein Zeichen für Sprachver­fall und müssen aus­ge­merzt werden.”
    Ja, das stimmt lei­der, da sind meine Mit-Nör­gler zu kri­tisieren. Aber es stimmt halt auch: Wer meint, daß man deshalb, weil ein Wort, das die Bedeu­tung A hat, nur deshalb, weil es irgend­wann ein­mal die Bedeu­tung X haben kön­nte und vielle­icht in eini­gen Kreisen schon so gebraucht wird, jet­zt in der Bedeu­tung X gebraucht wer­den darf, bege­ht einen entsprechen­den Sein-Sol­lens-Fehlschluß. Ob ein Wort irgend­wann, sei es früher, jet­zt oder in Zukun­ft, so oder so gebraucht wurde, wird oder wer­den wird, ist eine ganz andere Frage als die, wie es gebraucht zu wer­den hat.
    Herr Ste­fanow­itsch meint, die Sprach­nör­gler gin­gen davon aus, dass es “wün­schenswert und mach­bar sei, Sprach­wan­del aufzuhal­ten”. Das ist inter­es­sant, denn so hab ich meine Mis­sion bish­er nicht gese­hen. Ich meine vielmehr, daß ein Sprach­wan­del wün­schenswert ist, son­st würde ich ja nicht an der real existieren­den Sprache herum­nörgeln. Daß der wün­schenswerte Sprach­wan­del “mach­bar” ist, glaube ich allerd­ings nicht.

  3. zsezse

    Ich freue mich schon darauf, wenn Sie “Mann statt Frau” auseinan­der nehmen.

  4. BILDblog.

    Der Bock ist immer der Gärt­ner­Aus­führlichere sprach­wis­senschaftliche Betra­ch­tun­gen zu den “Sprach-Fall­en” wird er im Laufe dieser Woche bei sich im Blog veröf­fentlichen. Vorher doku­men­tiert er bei uns, wie sich Bild.de (nicht) an die eige­nen Ratschläge hält…

  5. D.A.

    […] Ver­ste­hen beste­ht nicht in einem mech­a­nis­chen Dekodieren von Wortbedeutungen […]”
    — So abso­lut for­muliert wür­den da zumin­d­est for­male Seman­tik­er wider­sprechen 😉 (Aber keine Frage, das mech­a­nis­che Dekodieren kann höch­stens der Anfang des Ver­ste­hen­sprozess­es sein, das sagen natür­lich auch for­male Semantiker …).
    “Der ety­mol­o­gis­che Fehlschluss lässt Sprach­nör­gler schon für sich genom­men eher ver­staubt als gelehrt wirken, aber wenn man ihn mit falschen Ety­molo­gien ver­mis­cht, die man auf der Rück­seite ein­er Corn­flakespack­ung oder in einem Glückskeks gefun­den hat, ist man, um es mit einem Fach­be­griff der Sprach­nör­gler­forschung zu sagen, ein Vollpfosten.”
    — Der beste Satz, den ich seit langem gele­sen habe. Genial!

  6. Jörg Friedrich

    Der Begriff “Sprach­nör­gler” selb­st zeigt m.E., wie sehr dieser Artikel eigentlich an der Sache selb­st vor­bei geht. Dieser Begriff hat über­haupt keine fass­bare, aus seinen Bestandteilen her­leit­bare Bedeu­tung und das, was der Artikel qua­si als “hin­weisende Def­i­n­i­tion” für den Begriff hergibt hat nichts mit der Ver­wen­dung des Verbs “nörgeln” im son­sti­gen Sprachge­brauch zu tun. Möglicher­weise wird der Begriff ein­fach ver­wen­det weil “Nörgelei” nir­gends gemocht wird und sich die Zuschrei­bung so wun­der­bar eignet um jeman­den als Spiel-und Spaßverder­ber kennze­ich­nen zu können.Dabei kann ger­ade das Her­ausar­beit­en älter­er Ver­wen­dun­gen von Wörtern ein dur­chaus spaßiges Spiel sein, das sehr erhel­lend ist.
    Sprach­dy­namik entste­ht durch das Span­nungs­feld von Inno­va­tion und Kon­ser­va­tion, wed­er ohne das eine noch ohne das andere ist Ver­ständi­gung auf Dauer möglich. Auch diejeni­gen, die die Verän­der­lichkeit als Wert an sich hin­stellen, kann man zurecht als Nör­gler beze­ich­nen ‑nörgeln sie doch ständig am beste­hen­den, herge­bracht­en herum.

  7. amfenster

    @Jörg Friedrich
    “Dabei kann ger­ade das Her­ausar­beit­en älter­er Ver­wen­dun­gen von Wörtern ein dur­chaus spaßiges Spiel sein, das sehr erhel­lend ist.”
    Als lei­den­schaftlich­er Quar­tals-Sprach­his­torik­er kann ich das nur unterschreiben.
    Prob­lema­tisch wird es allerd­ings dann (und hier set­zt Ste­fanow­itschs Kri­tik an), wenn aus den so gewonnenen Erken­nt­nis­sen “eigentliche” Bedeu­tun­gen nor­ma­tiv geset­zt wer­den und die Beschäf­ti­gung mit älteren Ver­wen­dun­gen nur dazu dient, den aktuellen Gebrauch zu desavouieren.
    Da geht es eben nicht um die Freude an der Sache oder die Ein­sicht in sprach­his­torische Zusam­men­hänge, son­dern um — naja, Sprachnörgelei.

  8. Philipp

    Mein männlich­er Busen
    Also ist der Goethe voll in die fiese Sprach­falle getappt, hätte er doch nur Bild gelesen…
    Vie­len Dank, dass Sie sich die Mühe machen, sich mit diesem haarsträuben­den Unsinn auseinanderzusetzen.
    Vielle­icht irrt mein Sprachge­fühl, aber wenn sich bei dick­eren Män­nern etwas bildet, was wie ein Busen aussieht (und es muss nicht immer Übergewicht sein, auch einige Medika­mente kön­nen Gynäko­mastie verursachen—nicht nur Hor­mone zur Geschlecht­sumwand­lung, auch mal ein Anti­de­pres­sivum), kann man das auch Busen nen­nen. Mache ich zumin­d­est bei mir selbst.
    Wäre es nicht viel schön­er, man riefe in den Zeitun­gen dazu auf, Sprache kreativ zu ver­wen­den und sich nicht jed­er ungewöhn­lichen Wort­wahl gle­ich zu schämen?

  9. Malus

    Schön­er Artikel!
    Buschs “Busen”-Fehlinformation kön­nte ganz pro­fan aus der Wikipedia stammen:
    “Die Lücke, bzw. Rinne zwis­chen den bei­den Brüsten heißt Busen; auf lateinisch: sul­cus, bzw. sinus intermammarius”
    (http://de.wikipedia.org/wiki/Weibliche_Brust)
    Als Quelle ist dort der “Taschen­at­las Anatomie Bd.2” von H. Fritsch/W. Küh­nel angegeben.

  10. Martin Holzherr

    Jed­er ein verkappter Sprachnörgler?
    Dass Richtig/Falsch für Sprach­phänomene meist die falsche Kat­e­gorie ist, darauf ver­weisen mehrere Kom­mentare zum Busch-Artikel Die 10 am häu­fig­sten falsch ver­wen­de­ten Wörter und ich nehme ein­mal an, dass die meis­ten Leser dies ähn­lich sehen. Warum aber wer­den solche Artikel dann trotz­dem gern gele­sen und erscheinen sog­ar in ein­er Besten­liste. Mir fall­en drei Gründe ein: 1) Die meis­ten von uns sind Sprachkon­sumenten und Sprach­pro­duzen­ten und deshalb gibt es ein natür­lich­es Inter­esse für Sprach­fra­gen 2) Ger­ade weil es oft kein Richtig/Falsch gibt, sind viele verun­sichert, was den Sprachge­brauch ange­ht. Sprach­nör­gler-Artikel bedi­enen also die Neugi­er, ob man sel­ber richtig liegt mit dem eige­nen Sprachgebrauch
    3) Nicht wenige (Pedan­ten?, Anankas­ten?) neigen selb­st zur Sprach­nörgelei oder haben sich schon am Sprachge­brauch ihrer Kol­le­gen, Kinder oder Ehep­art­ner gestört.
    Natür­lich kann man Wörter auch wirk­lich falsch ver­wen­den. So falsch, dass das Kon­strukt nie­mand mehr ver­ste­ht, dass es gram­matikalisch falsch ist oder ein­fach störend wirkt: Man kann sich blamieren, sich sel­ber ins Abseits stellen, sich amüsieren über falsch ver­wen­dete Wörter ander­er und in falsch ver­wen­de­ten Wörtern einen Hin­weis auf die Bildung/Intelligenz des Gegenübers erken­nen. Sprach­liche Äusserun­gen also als vielle­icht unfrei­wl­lig vorgewiesene Visitenkarte.
    Darum wird den Sprach­nör­glern und Sprach­lehrern wohl nie Arbeit aus­ge­hen, ihnen immer eine gewisse Aufmerk­samkeit gewiss sein.

  11. Jet Lag

    Zur (falschen) Herkun­ft von Busen
    „Ich weiß nicht, woher Busch diese Fehlin­for­ma­tion hat … “
    Das mit der Bedeu­tung vom Busen als Tal zwis­chen den Brüsten ste­ht wort­gle­ich so in Gis­bert Haefs „Hand­buch des nut­zlosen Wissens“.
    Nur weist Haefs ja immer wieder auf die Nicht-Gesichertheit bzw. Nicht-Wis­senschaftlichkeit sein­er Infor­ma­tio­nen hin.

  12. Schreibnudel

    Fund­stück: Sprachlog – “Sprachfallen”Darin geht er auf einen Beitrag in der BILD ein, der eine “Top 10 falsch ver­wen­de­ter Wörter” aufstellt…

  13. Jörg Friedrich

    Ein biss­chen nörgeln
    “dass es gram­matikalisch falsch ist” — da kön­nte man auch dran nörgeln und fra­gen, warum hier “gram­matikalisch” geschrieben wird, wo doch “gram­ma­tisch” reichen würde ‑natür­lich kann man sagen, dass Sprache nun­mal dynamisch ist, aber die Gründe für diese Intellek­tu­al­isierung der Sprache kann man (im “ursprünglichen” Sinn des Wortes Kri­tik) sich­er kritisieren.

  14. BissiWissi

    Zunächst
    Sehr schön geschrieben.
    Was ist denn mit fol­gen­der Vor­mulierung, die ständig zu lesen ist:
    Ein siebzehn­jähriger wurde bewußt­los im Park gefun­den. Of ein Gewaltver­brechen geschehen war, war zunächst unklar.
    Der Artikel hört an der Stelle auf. Nach “zunächst” müsste doch noch ein “später jedoch” oder etwas in der Art fol­gen, oder?

  15. BissiWissi

    Vor­mulierung
    haha, der Rächtschreibkiller.
    Ich meinte natür­lich die “For­mulierung”…

  16. Martin Holzherr

    @Friederich:grammatisch/grammatiikalisch
    Der Spiegel­sprach­hüter vom Dienst Bas­t­ian Sick schreibt zu grammatisch/grammatikalisch :

    In dem Film “Die zwölf Geschwore­nen” mit Hen­ry Fon­da ereiferte sich ein­er der Geschwore­nen über die ver­meintlich “gram­ma­tisch falsche” Aus­druck­sweise des Angeklagten und wurde dafür — aus­gerech­net von einem Immi­granten* — mit den Worten verbessert: “Es heißt gram­matikalisch.” Das war 1957, und damals galt “gram­matikalisch” noch als stan­dard­sprach­lich. Inzwis­chen ist es ver­al­tet, das kürzere Adjek­tiv “gram­ma­tisch” hat sich durchgesetzt.

    Doch wie kommt Sick darauf “gram­matikalisch sei ver­al­tet? Sind es sta­tis­tis­che Auswer­tun­gen? Oder ist es sein per­sön­lich­es Geschmäckle?
    gram­ma­tisch liefert bei Google etwa einein­halb Mal soviele Tre­f­fer wie gram­matikalisch und auf der Web­site Wort­ge­brauch und Ver­wech­slun­gen liest man Hat im Web gram­ma­tisch die Ober­hand, so ist es in den News genau umgekehrt. Ver­al­tet ist gram­matikalisch also mit­nicht­en; vielmehr erfreuen sich bei­de For­men offen­bar bester Gesundheit.….Beliebig aus­tauschbar sind gram­ma­tisch und gram­matikalisch jedoch nicht; vielmehr hat sich seit ihrer Bil­dung eine feine Dif­feren­zierung her­aus­ge­bildet. So verze­ich­nen der sechs­bändi­ge Wahrig, der zehn­bändi­ge Duden und der Fremd­wör­ter­du­den für gram­matikalisch auss­chließlich die Bedeu­tung die Gram­matik betr­e­f­fend, zu ihr gehörend, auf ihr beruhend, für gram­ma­tisch zusät­zlich die Bedeu­tung der Gram­matik gemäß, ihren Regeln entsprechend. Kon­se­quenter­weise ist in den ersten bei­den Werken auch nur ungram­ma­tisch (in der Bedeu­tung nicht der Sprach­lehre gemäß) verze­ich­net, nicht jedoch ungrammatikalisch.
    Am Schluss dieses Absatzes zum Paar grammatisch/grammatikalisch liest man:
    gram­ma­tisch in all seinen Bedeu­tun­gen bietet sich für den an, der nicht tren­nen mag oder der den Bannstrahl deutsch­er Lin­guis­ten fürchtet. Wer nicht alle sprach­lichen Fein­heit­en eineb­nen möchte und es gerne etwas nuanciert­er hätte, dem sei für die Bedeu­tung die Gram­matik betr­e­f­fend das Wort gram­matikalisch nahegelegt.

    Mir selb­st war schon vorher bewusst, dass sowohl gram­ma­tisch als auch gram­matikalisch in Gebrauch sind und dass es einen feinen Bedeu­tung­sun­ter­schied gibt. Ich hätte ihn jedoch nicht benen­nen könne — wohl darum weil der grösste Teil meines Sprach­wis­sens pas­siv ist.
    Doch damit bin ich wohl nicht allein. Unsicher­heit gehört wohl zur Sprach­prax­is. Und Sprach­päp­ste geben vor, diese Unsicher­heit sei nur ein Prob­lem der Uneingeweihten.

  17. Patrick Schulz

    @Martin Holzherr: grammatisch/grammatika
    gram­ma­tisch oder ungram­ma­tisch sind für mich sprach­liche Äußerun­gen, gram­matikalisch ist für mich ein bes­timmtes Phänomen, das seinen Ursprung in der Gram­matik ein­er Sprache hat:

    Ich lese das Buch

    ist gram­ma­tisch,

    *Ich lese der Buch

    ist ungram­ma­tisch,
    das Phänomen, dass Artikel und Kopfnomen bzgl. Kasus kon­gruieren ist ein gram­matikalis­ches (und nicht etwa ein lexikalis­ches [oder war es kein „lexikales“?])

  18. Seehmann

    Ursprungs­be­deu­tung
    sehr gute Info, den­noch bezweifele ich, dass Wörter keine Ursprungs­be­deu­tung haben, das ist wie ein Samenko­rn. Dann im Laufe des Lebens wird daraus ein Wortbe­deu­tun­sge­bilde, wau!

  19. mikerolli

    Busen =Beule
    Das mit der Beule scheint plausibel.Woher käme son­st der Meerbusen?

  20. Peer

    @seehmann
    Ich bin kein Sprach­wis­senschaftler, aber ich ver­ste­he das so: Es gibt (meis­tens) keine Urspungs­be­deu­tung, weil sich Wörter immer wieder ändern, bzw. neu ange­wand werden.
    Das ist ein evo­lu­tionär­er Prozess: Was war der erste ursprüngliche Men­sch? Ab wann ist eine Ansamm­lung von Sand­körn­ern ein Berg? Da kann man keine klare Gren­ze ziehen und sagen: Hier: davor war das Wort was ganz anderes, ab jet­zt ist es das, was wir wollen.

  21. Helmut Wicht

    Reifen­wech­sel
    Ah! Der Reifen­wech­sel ist auch in der Liste?
    “Vet­tel kommt in die Box. Jet­zt kommt’s auf jede Zehn­telsekunde an, die Regen­reifen müssen drauf … uaah­hh … was macht denn dieser Mechaniker da? … Seh’n Sie das? .. wie der mit dem Mon­tiereisen den Reifen von der Felge mostet … rutscht ab .. Mann, das DAUERT…”
    “Wie erk­lären Sie sich den Ver­lust des sich­er geglaubten Sieges, Herr Vettel?”
    “Ver­fehlte Per­son­alpoli­tik! Nie wieder einen Mechaniker, der im VDS ist!”

  22. Michwitz

    Nervtö­tend
    Mag ja sein, dass die Sprach­nör­gler nervig sind. Aber Ste­fanow­itsch kommt mir zunehmend wie eine umge­drehte Ver­sion von Sebas­t­ian Sick vor. Diese “ich sage euch, wie es wirk­lich ist”-Mentalität kommt in der Schule nicht gut an und im Inter­net auch nicht.

  23. Jörg Friedrich

    @Martin Holzherr grammatisch
    Danke für die umfan­gre­iche Aufk­lärung, ich bin kein Sprach­wis­senschaftler und habe hier wieder recher­chiert noch Sta­tis­tiken gezo­gen. “Gram­matikalisch” bezieht sich nach meinem Ver­ständ­nis auf die Gram­matik als Sys­tem, als Regel­w­erk, während sich “gram­ma­tisch” auf den einzel­nen Fall der Ver­wen­dung bezieht. Grammatisch/Grammatikalisch ist für mich ein Wort­paar wie technisch/technologisch oder moralisch/ethisch. Ich finde es gut, dass man da sprach­lich dif­feren­zieren kann, deshalb fall­en mir abwe­ichende Ver­wen­dun­gen auf und ich frage mich, warum sie auftreten. Aber wie gesagt, ich bin da Laie (und hab ja auch nur “genörgelt”).

  24. Gute Texte sind gut fürs Geschäft

    Lek­türeempfehlungDer Autor befasst sich mit der „lan­gen und trüb­sin­ni­gen Tra­di­tion der Sprach­nörgelei” und mit der von vie­len Sprach­nör­glern unter­schätzten Kom­plex­ität der Sprache.

  25. newsabstracts

    Wichtige Nachricht­en – 31.05.2011Eine im Inter­net veröf­fentlichte und von der Bild-Zeitung aufge­grif­f­ene Liste von ange­blich falsch benutzten Wörtern der deutschen Sprache zeigt wieder ein großes Missver­ständ­nis über die Natur der Sprache an sich. An drei Beispielen…

  26. Ludwig Trepl

    @Martin Holzherr @Friederich:grammatisch
    „Doch wie kommt Sick darauf “gram­matikalisch sei ver­al­tet? Sind es sta­tis­tis­che Auswer­tun­gen? Oder ist es sein per­sön­lich­es Geschmäck­le?
gram­ma­tisch liefert bei Google etwa einein­halb Mal soviele Tre­f­fer .… Ver­al­tet ist gram­matikalisch also mitnichten“.
    Ich kenne den Unter­schied zwis­chen gram­ma­tisch und gram­matikalisch nicht und habe darum auch keine Ahnung, ob let­zteres ver­al­tet ist. Sich­er ist aber: Mit der Meth­ode, mit Hil­fe von Google zu ermit­teln, wie oft es gebraucht wird, kann man das nicht her­aus­find­en. Nicht nur, weil es ja sein kön­nte, daß diejeni­gen, die die ver­al­tete Form benutzen, im Inter­net über­durch­schnit­tlich häu­fig sind, son­dern weil es ja sein kön­nte, daß die Mehrheit diese ver­al­tete Form benutzt, so wie die große Mehrheit der Men­schen zur Zeit der Aufk­lärung nicht im Sinne der Aufk­lärung dachte, son­dern in den Bah­nen ver­al­teter kirch­lich­er Ortho­dox­ie (woran man sieht, daß „ver­al­tet“ nicht bedeutet, daß die Mehrheit etwas nicht mehr gebraucht). Man kön­nte dann zwar ver­suchen, mit Google oder sonst­wie her­auszufind­en, ob „gram­matikalisch“ im Abnehmen begrif­f­en ist. Daraus aber den Schluß zu ziehen, es sei ver­al­tend (auf den Schluß „ver­al­tet“ wird man hier sich­er nicht kom­men), ist allerd­ings nicht zuläs­sig. Es wäre ja z. B. möglich, daß „gram­matikalisch“ eine etwas andere, aber doch nicht ver­al­tende Bedeu­tung angenom­men hat, daß der Anwen­dungs­bere­ich geschrumpft ist, vielle­icht auf einen Bruchteil sein­er früheren Größe, man im neuen Anwen­dungs­bere­ich aber keineswegs von ver­al­ten sprechen kann usw.
    Mit quan­tifizieren­den Meth­o­d­en kommt man in dieser Frage über­haupt nicht weit­er. Man muß Fra­gen stellen wie: Wer gebraucht das Wort warum und wie in welchem Kon­text? Gibt es Kon­texte, seien sie auch noch so sel­ten, in denen dieses Wort durch das andere nicht erset­zbar ist? Auch, um es im modis­chen Jar­gon zu for­mulieren: Besitzen die, die es gebrauchen, über­haupt die nötige Sprachkompetenz?
    Das heißt, man braucht nicht empirisch-ana­lytis­che, quan­tifizierende Meth­o­d­en, son­dern soge­nan­nte qual­i­ta­tive, vor allem phänom­e­nol­o­gis­che und hermeneutis­che. Nun sagt man aber seit wer weiß wann und zu Recht, daß die Hermeneu­tik nicht nur Meth­ode, son­dern auch Kun­st sei. Das impliziert, daß man auf so etwas wie Gespür (was etwas anderes ist als „Geschmäck­le“) nicht verzicht­en kann. Es bleibt nichts anderes übrig, als die Antwort der Diskus­sion der­er zu über­lassen, die dieses Gespür haben; ob sie es haben, muß sich in dieser Diskus­sion erweisen. Ich habe es, wie gesagt, jeden­falls nicht und ob Herr Sick es hat, darf man wohl auch bezweifeln. Aber ein­fach­er, so daß der im Geiste der empirisch-ana­lytis­chen Wis­senschaft großge­zo­gene Wis­senschaftler zufrieden wäre, geht es nicht.

  27. Michael Allers

    Wass­er in einem Sieb zu sammeln”?
    Zum Blog­post an sich: Für mich der beste seit langem, beson­ders die Quin­tes­senz im zweit­en Absatz:

    Drei Vorstel­lun­gen sind für den Sprach­nör­gler nicht fassbar. …

    Nicht-lin­guis­tis­che Ergänzung: Viertens, etwas mit dem Attrib­ut ‘deutsch’ ist nicht auf­grund dessen per se bess­er als alles andere.
    Auch humoris­tisch ist der Beitrag wieder vom Fein­sten. Jedoch: So urkomisch die Vorstel­lung ist, wie die K.u.K.-Monarchen eines ein­schlägi­gen Vere­ins versuchen, 

    Wass­er in einem Sieb zu sammeln

    ,
    befällt einen doch fol­gende düstere Vision:
    1. Nach 1024 verge­blichen Ver­suchen kon­sta­tieren die Hob­by­is­ten, die deutsche Physik sei im Nieder­gang begrif­f­en. Zu Ein­steins Zeit­en seien Siebe noch wasserdicht gewe­sen. Diese, dem Land der Dichter [sic!] und Denker eigene Dichtigkeit werde von angloamerikanis­chen Schwarzen Löch­ern zersetzt.
    2. Ein Bot­trop­er Pro­fes­sor für Empirische Musik­sozi­olo­gie grün­det den ‘Vere­in Deutsche Physik’.
    3. Erste Pressemit­teilung: ‘Sieben’, eine deutsch-physikalisch fundierte Tätigkeit zur Tren­nung von Materie, werde durch das US-impe­ri­al­is­tis­che ’sev­en’ verdrängt!
    4. Kon­se­quenz: Ein ‘Phy­sizis­men-Index’ wird erstellt. Grig­ori Potjomkin rotiert vor Freude im Grabe.
    5. VDP-Koryphäe S. betont in der ‘Phoenix-Runde’, dass sich die deutsche Physik gegenüber der bul­gar­ischen und dänis­chen “irgend­wie ausze­ich­nen würde”.
    6. Der VDP ver­laut­bart: E = mc^2 heißt in Ameri­ka E = mc donald’s und wird auss­chließlich im Zusam­men­hang mit Todes­fällen ver­wen­det. Diese Erken­nt­nis wird als­bald in sämtlichen Medi­en kri­tik­los ad infini­tum wiedergekäut.
    7. Eine über­wälti­gende Mehrheit von ca. 50.000 Deutschen erhebt die Forderung nach ein­er Grundge­set­zergänzung: “Die Physik der Bun­desre­pub­lik ist Deutsch.”
    Wollen wir das den Physik­ern wirk­lich antun?

  28. Lars Träger

    Vor­sicht bei Scherzen “deutsche Physik”
    Die “deutsche Physik” gab es näm­lich schon: http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Physik
    So war das Welt­bild der Deutschen Physik ein­er­seits nation­al­sozial­is­tisch geprägt und lehnte ander­er­seits die von Albert Ein­stein entwick­elte Rel­a­tiv­ität­s­the­o­rie und die Quan­ten­mechanik ab. Diese bei­den Stand­punk­te wur­den dabei in einen ide­ol­o­gis­chen Bezug zueinan­der gesetzt.
    Soviel zum The­ma das selb­st die absur­desten Witze nicht von jeman­dem todernst genom­men wer­den — auch wenn das inzwis­chen wieder vergessen wurde.

  29. Michael Allers

    PC?
    @Lars Träger:
    Es ist mir wohl bewusst, dass es eine “Deutsche Physik” und auch “Deutsche Math­e­matik” gab. Hätte ich mich darauf bezo­gen, hätte ich den Begriff genau­so, in Anführungsze­ichen geschrieben.
    Ander­er­seits ist — ungeachtet poli­tis­ch­er Imp­lika­tio­nen — die Argu­men­ta­tion der Sprach­nör­gler m.E. ähn­lich absurd wie die dama­liger “Arischen Wissenschaften”.

  30. Ludwig Trepl

    @Michael Allers PC?
    “die Argu­men­ta­tion der Sprach­nör­gler m.E. ähn­lich absurd wie die dama­liger “Arischen Wissenschaften”.”
    Was genau ist die Argu­men­ta­tion der Sprach­nör­gler? Da ich ja ein­er bin, würde mich das sehr interessieren.

  31. Analphabet

    @“Ludwig Tre­pl
    “[…] son­st würde ich ja nicht an der real existieren­den Sprache herumnörgeln.”
    Ich hoffe doch, dass Sie, mein wert­er Herr, stattdessen Fol­gen­des zu schreiben meinten:
    “[…] son­st nörgelte ich ja nicht an der real existieren­den Sprache herum.”

  32. pseudonym

    Immer­hin sind wir jetzt…
    … endlich beim Nazi-Ver­gle­ich gelandet.

  33. Ludwig Trepl

    Anal­pha­bet “@“Ludwig Trepl
    Doch, “würde”. ich bedi­ene mich, wenig­sten oft und so auch hier, dur­chaus der Umgangssprache, auch gerne eines Jar­gons oder ich spreche Dialekt, und dann nör­gle ich an denen herum, die das nicht kor­rekt tun.

  34. Michael Allers

    Hätte ich geschwiegen …
    @Ludwig Trepl:

    Was genau ist die Argu­men­ta­tion der Sprach­nör­gler? Da ich ja ein­er bin, würde mich das sehr interessieren.

    Sie waren nicht gemeint. Sie sind m.E. kein typ­is­ch­er Sprach­nör­gler, auch wenn Sie als solchen sehen. Zur Argu­men­ta­tion der typ­is­chen ~: Lesen Sie doch ein­fach nochmal den Beitrag von A.S.!
    @pseudonym:

    Immer­hin sind wir jet­zt … endlich beim Nazi-Ver­gle­ich gelandet.

    Wer ist denn da gelandet? Ich bes­timmt nicht; son­st hät­ten sich meine fik­tionalen Physiknör­gler wohl kaum auf Ein­stein berufen.

  35. Anton Maier

    @ Ana­tol Stefanowitsch
    Vie­len Dank für diesen schö­nen Beitrag. Was mir beson­ders gefällt ist die stich­haltige Bewe­is­führung statt ein­er reinen Argu­men­ta­tion. Das fes­tigt den Stand­punkt so, dass er repro­duzier­bar ist. Andern­falls neigt man manch­mal dazu wieder zum Sprach­nör­gler zu wer­den. Ich hoffe Sie ver­ste­hen was ich meine.

  36. Logiker

    Wie üblich suppi
    von unserem Nörgler-Nörgler.….
    Ich liebe ihn dafür.…
    Meine Mut­ti war mal Sick-hörig, davon ist sie kuri­ert, und wenn die alte Dame im August ihren 70. Geburt­stag feiert, kriegt sie ein “Best off” von Ana­tols Beiträgen.…
    Schön in bunt.… mit Farbe.…..

  37. pseudonym

    Schlecht­es Gedächt­nis, Herr Allers?
    “Ander­er­seits ist — ungeachtet poli­tis­ch­er Imp­lika­tio­nen — die Argu­men­ta­tion der Sprach­nör­gler m.E. ähn­lich absurd wie die dama­liger “Arischen Wissenschaften”.”

  38. Michael Allers

    Gedächt­nis?
    Äääh … worum ging es denn? 😉
    Ja, es sollte heißen: dama­liger “Arischer Wissenschaften”.
    Im Ernst: Wer unter behar­rlich­er Ignorierung aller wis­senschaftlichen Erken­nt­nisse behauptet, die deutsche Sprache sei ‘aus­drucksstärk­er’ und ‘wertvoller’ als andere, argu­men­tiert m.E. genau­so absurd wie jemand, der pos­tuliert, in Deutsch­land gel­ten andere physikalis­che Geset­ze als im Rest der Welt.
    Im übri­gen disku­tiere ich ungern mit Leuten, die sich hin­ter einem “pseu­do­nym” ver­steck­en und lese jet­zt lieber Teil 2 der Nör­gler-kri­tik von A.S. 🙂

  39. pseudonym

    und ich, Herr Allers
    disku­tiere ungern mit Leuten, die Naziver­gle­iche anstellen, die dümm­lich­er nicht sein könnten.

  40. David

    @Michael Allers:
    Der erste, der sich durch die empörende Unsitte her­vor­ge­tan hat, manche Dinge ähn­lich absurd zu find­en wie andere Dinge, die von den Nazis gemacht wur­den, war übri­gens Hitler!

  41. Michael Allers

    @pseudonym und David

    disku­tiere ungern mit Leuten, die Naziver­gle­iche anstellen, die dümm­lich­er nicht sein könnten.

    Nochmals: Ich habe keinen Nazi-Ver­gle­ich angestellt! Ich habe beim Beschreiben mein­er ‘Vision’ die LeserIn­nen hier für intel­li­gent genug gehal­ten, bewusst gezo­gene Par­al­le­len zum Sprach­nör­gler­tum zu erken­nen und bewusst ver­miedene Par­al­le­len zur Nazi-“Wissenschaft” nicht hineinzuinterpretieren. 

    Der erste, der sich durch die empörende Unsitte her­vor­ge­tan hat, manche Dinge ähn­lich absurd zu find­en wie andere Dinge, die von den Nazis gemacht wur­den, war übri­gens Hitler!

    Was soll das jet­zt sein? Ein “Hitler-Ver­gle­ich”?
    Wenn ich A absurd finde und B absurd finde, finde ich bei­des gle­icher­maßen absurd. Wenn Hitler eben­so dachte, ist das nicht mein Problem.

  42. Hegel

    Busen
    Unbe­strit­ten ist, dass jed­er unter ‘Busen’ heute die Brüste ein­er Frau beze­ich­net. Auch nach meinem Wis­sen beze­ich­net ‘Busen’ aber genau genom­men das Tal zwis­chen den Brüsten. Schon die Tat­sache, dass es den Busen nur im Sin­gu­lar gibt, die Frau der Brüste aber zwei hat, kön­nte hier stutzig machen.
    Das, was hier mit dem Meer­busen als ‘Gegen­be­weis’ ange­führt wird, belegt eher die Richtigkeit des Hin­weis­es auf die frühere Bedeu­tung, wird doch die Bucht beze­ich­net, also die Auss­parung zwis­chen zwei Land­stück­en — eben wie bei der Frau 🙂

  43. pseudonym

    @pseudonym2
    Kann man Ver­gle­iche beleidigen?
    Wenn ja, dann bitte ich sie um Entschuldigung.

  44. Kai Weber

    Gegen chro­nol­o­gis­che Schichtenbildung
    “Geist ist nur möglich auf­grund der Unord­nung des Gedächt­niss­es. Dank dieser Unord­nung, dank dem Zer­reißen des chro­nol­o­gis­chen Ban­des sind beim Men­schen neue Umverteilun­gen möglich. Dieses Ver­mö­gen zur Kon­struk­tion, das von Dis­sozi­a­tio­nen aus­ge­ht, wird durch die Sprachen max­imiert. Das Wörter­buch ist ein Agent gegen die chro­nol­o­gis­che Schichtenbildung.
    Man stelle sich ein­mal vor, daß bei jedem einzel­nen Wort das Datum und die Umstände sein­er Aneig­nung ver­merkt wären.”
    Paul Valéry, Ich grase meine Gehirn­wiese ab, S. 203

  45. Alexandra Preis

    @Hegel
    Sehr richtig. Darum hat sich auch nie der Kom­plet­tbe­griff “die Brust” einge­bürg­ert. Sagt man ja bekan­nter­weise bei Frauen nicht.
    Und genau­so ist es unmöglich, dass der Meeres­busen nicht die Ein­buch­tung des Lan­des ist, son­der sozusagen die Aus­beu­lung des Meeres.

  46. Paul R. woods

    Bedeu­tungsver­schiebung von Wörtern
    Aus dem “Atlas der deutschen Mundarten” (bei dtv) nur zwei Beispiele:
    Frauen­z­im­mer (ursprünglich der Wohn­raum der adeli­gen Dame)
    Dirne (ursprünglich jungfräulich­es junges Mädchen)
    für die Bedeu­tungsver­schiebung von Worten.
    Generell dient Sprache der Kom­mu­nika­tion zwis­chen Indi­viduen, meist Mit­glieder der­sel­ben sozialen Gruppe.
    Und solange diese Kom­mu­nika­tion funk­tion­iert, weil die Mit­glieder sich auf eine bes­timmte Bedeu­tung eines Wortes geeinigt haben, ist die Ver­wen­dung legitim.
    Sei es ein Teenag­er, der “affengeil” als “Kult”-Wort ver­wen­det oder der Physik­er, der “Quark” mit “Geschmäk­ern” (engl. flavours) kennze­ich­net — bei­des ist legit­im, wird aber einem “Sprach­nör­gler” nicht gefallen.

  47. Ludwig Trepl

    @Paul R. woods Bedeutungsverschiebung ..
    “Und solange diese Kom­mu­nika­tion funk­tion­iert, weil die Mit­glieder sich auf eine bes­timmte Bedeu­tung eines Wortes geeinigt haben, ist die Ver­wen­dung legitim.
    Sei es ein Teenag­er, der “affengeil” als “Kult”-Wort ver­wen­det oder der Physik­er, der “Quark” mit “Geschmäk­ern” (engl. flavours) kennze­ich­net — bei­des ist legit­im, wird aber einem “Sprach­nör­gler” nicht gefallen.”
    Ja, schon, die Sache hat aber ein paar Hak­en. Die Ver­wen­dung kann “legit­im” sein, aber trotz­dem däm­lich. Und wenn der Sprech­er z. B., um sich aufzublasen, Wörter, die unter den “Mit­gliedern” ein­er bes­timmten von ihm verehrten Gruppe — z. B. der Wis­senschaftler, der Bürokrat­en, der Amerikan­er — “funk­tion­ieren”, in den Sprachge­brauch sein­er eige­nen Gruppe ein­führen will, wird’s in der Regel sehr däm­lich, und das mögen wir Sprach­nör­gler nicht.

  48. NörglerIn

    grammatisch/grammatikalisch
    Schon Grimm und Adelung haben gram­matikalisch als ver­al­tet ange­se­hen. Lt. Grimm ist gram­ma­tisch die ältere Form. Zeitweise (17. Jhdt. bis Mitte des 18. Jhdt.) sei gram­matikalisch vorherrschend, im 19. Jhdt. aber stark rück­läu­fig gewesen.
    Der Duden von 1900 unter­schei­det zwis­chen gram­ma­tisch (“der Sprach­lehre gemäß”) und gram­matikalisch (“die Sprach­lehre betr­e­f­fend”). Spätestens seit 1961 erwäh­nt der Duden keinen Bedeu­tung­sun­ter­schied mehr, beze­ich­net nur gram­matikalisch als “sel­tener”.
    Ich bezwei­fle, daß ein solch­er Bedeu­tung­sun­ter­schied jemals der Sprach­wirk­lichkeit entsprochen hat. Ich ver­mute, daß er nach dem Vor­bild psychisch/psychologisch oder technisch/technologisch hineinge­heimnißt wor­den ist.
    Grimm führt die zeitweise vorherrschende Form gram­matikalisch auf das franzö­sis­che gram­mat­i­cal zurück. Es scheint mir dur­chaus möglich, daß gram­matikalisch heute wegen des englis­chen gram­mat­i­cal wieder an Bedeu­tung gewinnt.
    Da es im Englis­chen nur gram­mat­i­cal gibt, kann es in der Orig­i­nalver­sion der “Zwölf Geschwore­nen” nicht darum gegan­gen sein. Ich ver­mute, daß es eher um economic/economical ging. Der Ver­such, das mit grammatisch/grammatikalisch ana­log ins Deutsche zu über­tra­gen, war aber schon damals reich­lich mißglückt. Eben­so mißglückt sind die Behaup­tun­gen von Bas­t­ian Sick.

  49. Astrodicticum Simplex

    Math­e­ma­tis­che Sprachnörgler: Pi ist nicht falsch!In den let­zten Tagen war in diversen Medi­en (und auch nebe­nan im Math­log) die Behaup­tung des amerikanis­chen Physik­ers Michael Hartl zu lesen der meinte, die Kreiszahl Pi wäre “falsch”. Das ist natür­lich erst­mal Unsinn. Pi ist das Verhältnis von Umfang…

  50. Studierendenfutter

    wan­del­nde Studierende

    Noch bess­er wäre es natür­lich, einzuse­hen, dass Wortbe­deu­tun­gen sich immer verän­dert haben und immer verän­dern werden.

    In der Tat. Dann müssten Sie aber auch ein­se­hen, dass sich der Begriff “Stu­den­ten” längst in sein­er Bedeu­tung gwan­delt hat und nun­mehr alle beze­ich­net, die ein Studi­um absolvieren.
    Gar nicht so schwierig, was, wenn man es erst ein­mal eige­se­hen hat?

  51. mixedfrog

    Busen
    Buschs Kri­tik an der Ver­wen­dung des Wortes Busen geht doch völ­lig ins Leere. In der Bild wer­den die Beulen der Frau doch meis­tens eh “Tit­ten” genannt.

  52. phaeake

    Nun sag schon: der Busen!
    “Nun sag schon: der Busen! Eine wun­der­schöne Stelle ist das!” (Latein­lehrer zu einem Schüler, der “sinus” bei Ovid mit “Gewand­bausch” über­set­zen wollte)
    Ich finde die Hal­tung und den Stil dieses Blogs sehr erfrischend, obwohl oder weil ich manche hier kri­tisierte Sprach­nörgelei auch schon sel­ber betrieben habe. Der Kri­tik von A. Ste­fanow­itsch an A. Busch stimme ich größ­ten­teils zu. Den­noch finde ich, dass sie an ein­er Stelle deut­lich über das Ziel hin­auss­chießt, näm­lich mit der Behaup­tung, dass das Wort “Busen” zu KEINEM Zeit­punkt „das Tal zwis­chen den Brüsten“ beze­ich­net habe.
    Wenn man ‑wie ich — Wikipedia und Haefs für mit­telser­iös hält, hil­ft ein Blick in die Brock­haus Enzyk­lopädie (1987):
    “Busen: 1) allg. die weibl. Brüste; Brust; Herz (als Sitz der Empfind­ung und des Gefühls, v.a. in der Dichtersprache).
    2) Anatomie: sinus mam­marum, Bez. für die Ein­buch­tung zwis­chen der recht­en und linken weibl Brust.”
    Ich per­sön­lich ver­wende “Busen” auss­chließlich im Sinne von 2. Das liegt ein­er­seits daran, dass ich gerne Fach­sprache spreche, auch die Sprachen mir fremder Fäch­er, vor allem aber an einem ganz prak­tis­chen Umstand: Die weib­lichen Brüste haben doch schon einen so schö­nen Namen und dann gibt es noch Dutzende weit­er­er Beze­ich­nun­gen dafür. Dage­gen gibt es für den sinus mam­marum m.W. nur ein einziges deutsches Wort: Busen. Und das soll ich jet­zt aus­gerech­net so ver­wen­den, dass es die vielfach benan­nten Brüste beze­ich­net und nicht mehr den damit namensver­wais­ten sinus mam­marum? Das wäre ein­fach ungerecht. Und eben auch unpraktisch.
    Ich würde aber nie jeman­dem vor­w­er­fen, dass er das Wort “Busen” falsch ver­wen­det, wenn er die all­ge­meine Bedeu­tung meint.
    Hat denn Ihres Eracht­ens, lieber Herr Ste­fanow­itsch so ein Prak­tik­a­bil­ität­sar­gu­ment in der Seman­tik oder Lin­guis­tik über­haupt etwas verloren?
    M.E. ist das Beispiel Busen eher ein Beleg dafür, dass Busch nicht akzep­tiert, dass ein Wort mehrere Bedeu­tun­gen haben kann und würde daher bess­er in Ihren zweit­en Teil passen.

  53. Anatol Stefanowitsch

    Prak­tik­a­bil­ität
    @ phaeake
    Zum Busen in der Anatomie und der All­t­agssprache kommt bei Gele­gen­heit noch ein klein­er Nach­trag, das ist näm­lich eine span­nende Geschichte.
    Prak­tik­a­bil­ität­sar­gu­mente all­ge­mein kön­nen in der Lin­guis­tik in gewiss­er Weise dur­chaus einen Platz haben, aber nur, wenn sie im tat­säch­lichen Sprachge­brauch ein­er Sprachge­mein­schaft Effek­te haben. So haben Sprachge­mein­schaften zum Beispiel eine Ten­denz, voll­ständi­ge Syn­onymie zu mei­den — wenn zwei Wörter exakt die gle­iche Bedeu­tung haben, ver­schwindet häu­fig eins davon oder es bildet eine eigene Bedeu­tungss­chat­tierung her­aus. Allerd­ings geben Sprachge­mein­schaften auch gerne ungerührt Bedeu­tung­sun­ter­schei­dun­gen auf — klingt unprak­tik­a­bel, hat aber sel­ten tat­säch­lich neg­a­tive Konsequenzen.
    Die Lin­guis­tik ist eine Wis­senschaft, die beschreibt und erk­lärt, wie die Dinge sind — nicht, wie man sie gerne hätte. Und das jahrhun­derte­lange Scheit­ern sprach­pflegerisch­er Bemühun­gen zeigt, dass man die Sprache selb­st dann nicht nach seinen Vorstel­lun­gen for­men kann, wenn man es versucht.

  54. phaeake

    Busen und Sprachpflege
    »Zum Busen in der Anatomie und der All­t­agssprache kommt bei Gele­gen­heit noch ein klein­er Nach­trag, das ist näm­lich eine span­nende Geschichte.> Allerd­ings geben Sprachge­mein­schaften auch gerne ungerührt Bedeu­tung­sun­ter­schei­dun­gen auf — klingt unprak­tik­a­bel, hat aber sel­ten tat­säch­lich neg­a­tive Konsequenzen.>Und das jahrhun­derte­lange Scheit­ern sprach­pflegerisch­er Bemühun­gen zeigt, dass man die Sprache selb­st dann nicht nach seinen Vorstel­lun­gen for­men kann, wenn man es versucht.

  55. phaeake

    Busen und Zeesen
    (Entschuldigung, das mit dem Zitieren beherrsche ich noch nicht.)
    >Zum Busen in der Anatomie und der All­t­agssprache kommt bei Gele­gen­heit noch ein klein­er Nach­trag, das ist näm­lich eine span­nende Geschichte.
    Darauf freue ich mich schon jetzt.
    > Allerd­ings geben Sprachge­mein­schaften auch gerne ungerührt Bedeu­tung­sun­ter­schei­dun­gen auf — klingt unprak­tik­a­bel, hat aber sel­ten tat­säch­lich neg­a­tive Konsequenzen.
    Als lin­guis­tis­ch­er Laie hätte ich jet­zt gedacht, dass der Ver­lust, eine Bedeu­tungs­d­if­ferenz ein­fach­st­möglich, i.e. durch Wahl eines anderen Wortes zu beze­ich­nen, wäre per se eine neg­a­tive Konsequenz.
    >Und das jahrhun­derte­lange Scheit­ern sprach­pflegerisch­er Bemühun­gen zeigt, dass man die Sprache selb­st dann nicht nach seinen Vorstel­lun­gen for­men kann, wenn man es versucht.
    Scheit­ern die sprach­pflegerischen Bemühun­gen wirk­lich immer? Phil­hipp von Zeesen war doch mit vie­len sein­er Ein­deutschungsvorschlä­gen sehr erfol­gre­ich — was ein­schließt, dass er mit anderen grandios scheiterte.

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