Achim hat kürzlich in einem Kommentar nach einer speziellen Uhrzeitangabe gefragt:
Mir ist bei den Uhrzeiten eingefallen, dass früher (man findet es z.B. auf alten Theaterzetteln in Programmheften) Uhrzeitangeben wie „7 1/2 Uhr abends“ üblich waren. Ich tippe ja, dass das „19.30“ und nicht „18.30“ bedeutet, aber hat da jemand Handfesteres als meine Vermutung? Ist ja interessant, dass das neben „halb acht“ existiert hat.
Die Schreibweise mit nachgestelltem ½ findet sich tatsächlich häufig in älteren Texten, so zum Beispiel hier:
Dass es sich nicht um eine Variante von ½ 7 (halb sieben) handelt, wird schnell klar, wenn man sich Ablaufpläne etc. anschaut, die die Schreibweise beinhalten. So wird hier um 10 Uhr in nähzimmergeeigneter Kleidung gefrühstückt und ab 10 ½ Uhr wird im Nähzimmer gearbeitet – im Anschluss eben, um halb elf, nicht vorher.
Nun wäre es ja möglich, dass es sich beim nachgestellten ½ um eine reine Schreibkonvention handelte (so wie 1,50 € ausgesprochen ein Euro fünfzig/einsfünfzig wird, nicht einskommafünf(zig) Euro), die Aussprache also dennoch halb acht und nicht siebeneinhalb war. Auch hier hilft die Buchsuche und widerlegt die These zumindest teilweise: Die Sprechweise siebeneinhalb Uhr existierte wirklich:
Ich habe versucht herauszubekommen, wann diese Uhrzeitangabe aus der Mode kam. Erster Test, ganz grob: Der Ngram Viewer. Hier sieht es so aus, als habe die Form schon immer ein Schattendasein geführt:
Sieht man sich nur die siebeneinhalb-Kurve an, so scheint es, als sei es nach dem zweiten Weltkrieg zu einem starken Abfall gekommen.
Lässt sich das vielleicht noch anders testen? Dafür bietet sich das DWDS-Kernkorpus an, in dem man recht trickreich suchen kann. Ich habe die Ergebnisse aus mehreren Einzelabfragen für alle Uhrzeiten zusammengeführt und dabei zwischen 1900 und 1999 grade mal 49 Fälle des nachgestellten ½ gefunden (als Zahl und ausgeschrieben), aber 239 vorangestellte Darstellungen. Das ähnelt also den Ngram-Ergebnissen. Das Ende fällt, bestimmt aufgrund der höchstwahrscheinlich geringeren Textmenge, etwas früher: die letzten nachgestellten ½ finden sich in den 1920ern, ausgeschriebene nachgestellte einhalbs gibt es noch bis in die 1950er. Hier in absoluten Zahlen:
Leider kann ich darin keine kluge Antwort entdecken, warum siebeneinhalb Uhr verschwunden ist, Spekulationen willkommen!
In die andere Richtung, also zu den Anfängen des nachgestellten ½ vorzudringen, ist etwas schwieriger. Den frühesten Buchsuchebeleg mit Ziffernschreibung habe ich 1772 gefunden, ausgeschriebenes halb scheint es aber häufiger und früher gegeben zu haben, oft mit einem verbindenden und. Hier ein paar exemplarische Beispiele, frühere Belege als 1685 habe ich nicht gefunden (für vorangestelltes halb gibt es sie aber schon):
- 1685: Um siben ein halb Uhr kame voran der Vortrab von Cavalieren …
- 1687: (… umb 8. halb Uhr)
- 1718: Die Sonne ging um 8. und 1 halb Uhr auf und um 4. und 1. halb Uhr wieder unter.
- 1719: Um 5. u. 1. halb Uhr ein gählinger Sturm …
- 1730: … um 6. und ein halb Uhr…
- 1741: Den 1sten Augusti 1741 um 8. und ein halb Uhr frühe …
Das alles macht neugierig auf die generelle Geschichte der Uhrzeitdarstellung – sie fängt sicher nicht sooo früh an, es musste ja erst einmal verfügbare Uhren geben. Der DWB-Eintrag zu Uhr klingt schon sehr spannend, eine Suche in den Dialekten ist auch verlockend, aber ich bremse mich jetzt und beginne mit dem Wochenende, vor es siebeneinhalb Uhr wird.
Entschuldige den/die/das Offtopic, aber von wann ist der Beleg mit den “Boardinghäusern”? Der Lehnwortforscher wird grad hellhörig.
Aber kein Problem 🙂 Der Ausschnitt ist mit der Quelle verlinkt, 1854.
Erinnert mich an eine Diskussion, die ich (als Sachse) vor einiger Zeit mit einer Freundin aus Schwaben geführt habe: Sie konnte sowas wie „wir treffen uns um 7“ (ohne „Uhr“) partout nicht verstehen, geschweige denn sowas wie „um halb acht“, was für mich völlig selbstverständlich ist.
Was interessanterweise bei ihr ging war sowas wie „wir treffen uns 7“ (was ich im Gegenzug komisch finde), also ohne „um“ und „Uhr“; oder etwa „wir treffen uns gegen 7“ (für mich ok), aber wiederum nicht „wir treffen uns gegen um 7“ (für mich auch ok).
Falls du also nach diesem (und dem StuTS-)Wochenende etwas Zeit und Lust zur Recherche hast: mich würde sehr interessieren wo man was sagen kann.
Also, „gegen um 7“ geht für mich (Ostösterreicher) gar nicht; ansonsten stimme ich mit deinen Ansichten überein.
Ich bin gleichfalls Sachse, und kann mich des Eindrucks nicht verschliessen, dass “wir” eines der komplexesten und nuanciertesten Systeme haben zeitliche Ausdrücke zu formulieren 😉
Um es vorweg zu nehmen, die folgenden Ausdrücke werden im Freundes- und Bekanntenkreis tatsächlich so auch verwendet und verstanden.
- “Ich bin um sieben da” = Ich bin pünktlich um sieben da.
— “Ich bin gegen sieben da” = Ich bin zwischen 6:45 — 7:15 Uhr da.
— “Ich bin gegen um sieben da.” = Ich will pünktlich da sein, kann das aber nicht garantieren.
Zur Verwendung von viertel/halb/dreiviertel vor/nach X:
— “Ich bin dreiviertel sieben da” = Ich bin 6:45 da, eventuell etwas früher, aber keinesfalls später.
— “Ich bin viertel vor sieben da” = Ich bin 6:45 da, eventuell etwas später, aber keinesfalls früher.
Wo es die meisten Nicht-Sachsen/Nicht-Ostdeutschen für gewöhnlich im chronologischen Verständnis umhaut, sind dann aber Konstruktionen wie diese:
— “Ich mache zehn vor halb sieben los.” = Ich mache 6:20 Uhr los.
Solche Formulierungen beziehen sich aber praktisch immer auf einen anderen fixen Zeitpunkt, der explizit oder implizit bekannt ist. Sie vermitteln vorallem eine Zeitdauer in Bezug auf ein Ereignis.
— “Ich mache zehn vor halb sieben los und hol dich halb sieben ab.” = Für den Weg brauche ich 10 Minuten und bin deshalb 6:30 bei dir.
Wer die Minutenangabe ohne Angabe von “Minute” seltsam findet, sei an die Mahnung “Es ist 5 vor 12!” erinnert. Die kommt auch ohne aus.
Auf eine nähere Untersuchung wäre ich auch gespannt. Allerdings fürchte ich, dass es schwierig wird, es handelt sich fast ausschließlich um gesprochene Formulierungen.
Mh. Für mich wäre „um sieben herum“ 18.45–19.15, „um sieben“ pünktlich, „gegen sieben“ etwas vor sieben oder spätestens pünktlich.
„Zehn vor halb sieben“ schreckt mich allerdings gar nicht, „Minuten“ sagt bei uns auch keiner bei Zeitangaben dazu.
Bei mir (aufgewachsen in Schleswig-Holstein, nach einiger Zeit in Baden-Württemberg nun in Berlin gelandet) gilt für “um sieben” und “gegen sieben” das gleiche wie bei Alexander, “gegen um” finde ich total schräg. “Zehn vor halb sieben” ist natürlich 6.20 Uhr bzw. 18.20 Uhr.
An “drei viertel” habe ich mich nach einigen Jahren in Karlsruhe, Stuttgart und nun Berlin so gewöhnt, dass es in meinen aktiven Wortschatz übergegangen ist.
Interessantes Thema. Auch im Niederländischen sagt man “half acht”, wie heute im Deutschen üblich, aber im Englischen, Französischen, Italienischen wird die halbe Stunde nachgestellt: half past seven, sept heures et demi.
Wenn ich um 8 Uhr irgendwo sein muss, finde ich es logisch, dass ich von dort aus zurückrechne, um zu wissen, wann ich losgehen muss — also halb 8. Vielleicht hat es ja etwas mit Pünktlichkeit zu tun?
Eine ältere Kollegin (jetzt in Rente, Familie wohl aus Schlesien) sprach immer von der “fünften Stunde” o.ä.: “Heute hat es in der fünften Stunde geregnet”; “Wir trafen uns in der sechsten Stunde” usw.
Hatte ich bis dahin nie gehört und seitdem auch nicht wieder. Hat jetzt nichts mit halb und dreiviertel zu tun ;-)) aber assoziierte ich sofort beim Lesen des Artikels.
Vielen Dank für die aufschlussreiche Untersuchung zu diesem Thema. Ich habe mich in den Feldpostbriefen meines Urgroßvaters aus dem Ersten Weltkrieg darüber gewundert. Er benutzt alles durcheinander: ½ 5, 5 ½, 5 ¼, ¼ nach 5, ¾ 5.