Vor ein paar Monaten habe ich meinen Kleiderschrank durchgesehen und eine Menge Zeug zum Roten Kreuz gebracht. Dieses Kleidungsstück lag lange auf dem Weggabestapel, aber schließlich habe ich es aus nostalgischen Gründen doch behalten.
Ja, genau, da gabs mal so ne Kampagne. Ich war in der ersten Klasse, wir bekamen alle diese T‑Shirts, mussten damit für Pressefotos auf dem Schulhof herumlaufen und sahen aus wie kleine Gespenster. Die nächsten zehn Jahre benutzte ich das Ding als Nachthemd, heute passt es halbwegs (siehe links). Und die ganze Zeit über war ich jedes Mal, wenn ich den Slogan sah, leicht irritiert.
Hätte man für das Logo (das heute sehr telekomartig anmutet, aber damals war die Post ja noch gelb) keine Blockbuchstaben genutzt, hätte ich die mir damals unbekannte Konstruktion “Keine Macht dem/den/der …” gelernt und gut wär’s gewesen. So aber war meine persönliche Analyse Keine macht den Drogen, was ich für höchst kurios hielt, müsste es doch Keine macht die Drogen heißen. Nicht, dass das dann irgendeinen Sinn gehabt hätte, denn wer sollte diese Keine eigentlich sein und warum war es so bemerkenswert, dass sie nicht an der Drogenproduktion beteiligt war?
Ich glaube so gegen Ende meiner Schulzeit wurde mir irgendwann klar, wie der Spruch gemeint war.
Die Keine Macht+Dativ-Konstruktion scheint mir durch diese Kampagne ziemlich beliebt geworden zu sein, so findet sich in der Buchsuche bei Google recht gut als direkte Anspielung erkennbar:
Keine Macht den Drögen, Keine Macht den Proben, Keine Macht den Doofen
Und weitere Beispiele, die sich nicht sicher auf die Kampagne zurückführen lassen (erste 300 Suchergebnisse ausgewertet):
Keine Macht den Richtern, Keine Macht den Untergangspropheten, Keine Macht den Dialern, Keine Macht den Gute-Laune-Dieben, Keine Macht den Dieben, Keine Macht den Schmerzen, Keine Macht den Sorgen, Keine Macht den Nebenwirkungen, Keine Macht den Frauen, Keine Macht den Quoten, Keine Macht den Marken, Keine Macht den Tätern, Keine Macht den Ärzten, Keine Macht den Ordinarien, Keine Macht den Institutionen und PR-Maschinen, keine Macht den Ressourcenpools
Sucht man hingegen vor 1990, so sind die Ergebnisse sehr, sehr mager. Im Folgenden eine vollständige Aufzählung der gefundenen 6 Beispiele:
- „Keine Macht den Studenten”, formulierte der Mediziner Christian Gottfried Gruner, und der Historiker Heinrich sprach von „aus Frankreich gekommenen Freiheitsideen und Revolutionstollheiten”. (1983, ähnlich 1962)
- Um Gottes willen, nein, keine Macht den Gewerkschaften. (1971)
- Keine Macht den Kammern (1973)
- Mit dieser Bundesregierung schaffen wir eine Exekutivdemokratie: die Herrschaft der Beamten, alle Macht den Beamten, keine Macht den Parlamenten. Das wollen wir nicht als Zukunft der Europäischen Union. (1976)
- Keine Bürokratie und keine Macht dem Vorstand! (1982) – das einzige Ergebnis der entsprechenden Suche nach “keine Macht dem”
- Nina Grunenberg, Keine Macht den Enkelinnen, in: DIE ZEIT vom 21. 2. 1986. (1987)
Es ist möglich, dass sich hier so wenig findet, weil einfach weniger Bücher aus dem Zeitraum 1500–1989 erfasst sind als aus dem Zeitraum 1990–2010. Die früheren Beispiele beschränken sich aber auch alle recht eindeutig auf politische Macht und können damit in Bezug zu einem anderen Slogan gesetzt werden, nämlich
Alle Macht den Räten – Keine Macht der Partei
dem Motto des Kronstädter Matrosenaufstands (1921).
Natürlich handelt es sich dabei um eine deutsche Übersetzung, auf Russisch riefen die Rebellen laut Wikipedia Власть Советам, а не партиям! (in lateinischer Schrift: vlast’ sovjetam, a ne partijam). Wörtlich heißt das Macht den Räten, und nicht den Parteien.
Gut möglich also, dass die Keinemachtdendrogenkampagne die Konstruktion entpolitisiert hat. Leider lässt sich das nicht so schnell klären, da sie generell selten auftaucht (bei DWDS finden sich z.B. im Kernkorpus grade mal 3 Treffer, alle nach 1990) und außerdem jeder Treffer einzeln überprüft werden muss, um Fälle wie die folgenden – und die sind in der überwältigenden Mehrzahl – auszuschließen:
- Ein Konzil hat keine Macht, den Christen neue Zeremonien als heilsnotwendig zu befehlen.
- … weil ihm keine Macht den Krieg erklärt habe
Ach übrigens, diese T‑Shirts … das wär doch was für den nächsten Diskobesuch? Hier kann man sie noch kaufen, den Klassiker für 8,70 Euro!
Au Backe, jetzt muss ich glatt mal stöbern, ob ich meins noch habe. Reinpassen werd ich nicht mehr, dafür liegen zu viele Jahre und Kilos dazwischen :/
P.S.: Das Logo hat’s in parodierter Form (Keine Macht den Affen) auch mal bis zur stuTS geschafft, “damals”, als in marburg der Affenmann sein Unwesen trieb…
Ähm, Affenmann? Erzähl doch mal!
Kleiner Transkriptionsfehler, es muss vlast’ heißen.
Aaaaah, danke, ist korrigiert! Immer diese falschen Buchstabenfreunde *hmpf*
Ja! Ja! Ja! Ging mir als Kind genau so. Hab’s zwischendurch mal als feministischen Slogan interpretiert. Dass Frauen weniger zum Drogenmissbrauch neigen als Männer.
Du machst mich grade sehr, sehr glücklich!
Otto bzw. seine Gagschreiber hatten ähnliche, allerdings weniger feministische, Assoziationen (“Die Missstände in deutschen Küchen: ‘Keine macht den Abwasch‘”): http://www.youtube.com/watch?v=QuIFijuT0Os (ab 0:12)
Jaa, da schließe ich mich an, auch für mich wars früher immer “Keine macht den Drogen” und somit ein großes Fragezeichen … mag 1.) daran gelegen haben, dass ich mit dem Wort “Drogen” wenig anfangen konnte (dass es “einen Drogen” gibt, hielt ich durchaus für plausibel), und 2.) an dem Logo, das mit dem großen “KEINE” und dem mit dem kleinen Artikel auf einer Stufe stehenden “MACHT” schon irgendwie suggeriert, dass Ersteres das Subjekt und Letzteres das Verb ist …
Welche Farbe hat die Post denn heute? 😉
He, ein bißchen Pragmatik würde Dir beim Lesen nicht schaden! :p
In der “Zeit” gibt’s noch zwei andere Belege vor 1990, die beide recht eindeutig den Bezug zum Slogan “Alle macht den Räten” herstellen:
* “Keine Macht den Räten” (1986): http://www.zeit.de/1986/20/keine-macht-den-raeten
* “Um Gottes willen, nein, keine Macht den Gewerkschaften. […] Alle Macht den Räten” (1968): http://www.zeit.de/1968/11/wogegen-sie-kaempfen-das-wissen-sie?page=all
“Alle Macht den Räten” / “Alle Macht den Arbeiter- und Soldatenräten” / “Alle Macht den Arbeitern und Bauern” ist schon vor Kronstadt — und nicht als Übersetzung — ein geläufiger sozialistischer Wahlspruch [http://bit.ly/gb1920raete u.ö. Ernst Toller beklagt 1925 den Wandel der Prioritäten:
“1918: Alle Macht den Arbeitern und Bauern!
1925: Alle Macht den Industriellen und Agrariern!” (http://bit.ly/toller25)]
Überhaupt gibt es in Google Books vor 1990 sehr viele Hits für “Alle Macht den …”, teils mit klaren Bezug zum Räte-Spruch (“Alle Macht den Drähten”, “alle Macht den Gartengeräten”), teils ohne: “Alle Macht den (Frauen|Spionen|Richtern|Nanas|Eierköpfen|Lesern|Kindern| Intellektuellen|Technikern|Heiligen|usw.) — hier ist die “Entpolitisierung” schon lange durchgesetzt.
Erstaunlich, dass “Keine Macht den …!” so selten auftaucht.
… OMG! Es kann nur an einem liegen: Die neue “Dagegen-Kultur” ist schuld!! Und mit der Anti-Drogen-Kampagne hat alles angefangen!!1! ;p
In der Grundschule war ich noch nicht so linguistisch verseucht, aber der Slogan hat zeitlebens für Verwirrung in meinem Kopf gesorgt, weil “macht” eben immer als Verbform herumfunkte.
Wenn ich heute so drüber nachdenke fehlt mir was in dem Satz. Da müsste noch ein Argument hin. Etwas wie “Keine macht den Drogen Spaß” — aber mir fällt keine sinnvolle Ergänzung dieser Art ein.
Aber Drogen hätte sowieso keiner von uns genommen. Na klar, später dann mit 13 haben einige schon geraucht, und mit 15 waren alle blau oder bekifft. Aber Drogen? Niemals. Das hatte doch nichts mit uns zu tun.
Ich fand den Slogan auch immer etwas merkwürdig. Mir wollte damals nicht in den Kopf, was für eine Macht da gemeint sein sollte. Genausogut hätte man fordern können “Keine Macht den Lakritzschnecken” oder so.
Besteht evtl. ein größerer Zusammenhang zu ähnlichen Konstruktionen? Ich denke zum Beispiel an “Friede den Hütten, Krieg den Palästen”.
Ja, hab ich auch schon überlegt. Muss mal ein bißchen herumgrübeln, wie man an solche Dinger herankommen kann, wenn sie nicht schon feste Wendungen sind, das ist ja schon eine recht abstrakte Konstruktion. Mir fällt auch noch Tod den …, Kampf den …, Heil den … ein, natürlich alles auch im Singular möglich.
Scheint sich ja immer um Wünsche zu handeln, vielleicht mit Wurzeln in einer alten Fluch- und Segensformel?
Lustig war auch immer die Bandenwerbung beim Fussball damals:
Warsteiner, Jägermeister, Veltins, Underberg, Klosterfrau, Brinkoffs, Keine Macht den Drogen!, Krombacher…
Das hatte allerdings schlimme Auswirkungen:
Keine Macht den Drogen!
Kürzlich beim Postillon: