Twitter: “Baden-Württemberg” kein Wort

Von Susanne Flach

An dieser Stelle schrieb ich kurz über Koor­di­na­tivkom­posi­ta am Beispiel von Baden-Würt­tem­berg und stellte die Frage, ob Baden-Würt­tem­berg ein solch­es ist. Die patri­o­tis­che Antwort: Es ist ein unmöglich­er Aus­druck. Nun beweist Twit­ter, dass Baden-Würt­tem­berg noch nicht mal ein Wort ist.

Aber der Rei­he nach: Anders als der über­wiegende Teil zusam­menge­set­zter Wörter haben Koor­di­na­tivkom­posi­ta keinen seman­tis­chen Kopf. Das heißt, dass bei Koor­di­na­tivkom­posi­ta der erste Teil des Kom­posi­tums nicht den hin­teren Part mod­i­fiziert. Bei den wesentlich häu­figeren soge­nan­nten Deter­mi­na­tivkom­posi­ta ist das so: Käsekuchen ist eine bes­timmte Art des Kuchens (hier: Kopf), nicht eine Aus­prä­gung von Käse (hier: Modifikator).

Bei den Koor­di­na­tivkom­posi­ta ist diese seman­tis­che Rol­len­verteilung nicht gegeben. Diese Kom­posi­ta sind in ger­man­is­chen Sprachen recht sel­ten und umfassen beispiel­sweise Begriffe wie süß-sauer oder Binde­strichre­gio­nen wie Nor­drhein-West­falen oder Elsass-Lothrin­gen. Mit anderen Worten: Ein Koor­di­na­tivkom­posi­tum ‘AB’ ist die Summe aus seinen Bestandteilen A und B, wobei die Rei­hen­folge der Bestandteile zunächst willkür­lich (also nicht seman­tisch motiviert) ist. Ganz arbi­trär ist diese Rei­hen­folge dann aber doch nicht unbe­d­ingt: Es gibt bei der Lexikalisierung eines Konzepts eine starke Ten­denz zu “kurz vor lang”, wie sie in der Sprache all­ge­mein häu­fig zu find­en ist.

Grund­sät­zlich sind bei­de Bestandteile in Koor­di­na­tivkom­posi­ta also aus­tauschbar, ohne den Sinn zu ver­fälschen. Je stärk­er ein Begriff lexikalisiert (also insti­tu­tion­al­isiert) ist, desto weniger akzept­abel ist das Aus­tauschen der Begriffe, obwohl es seman­tisch möglich ist: nasskalt ist wesentlich häu­figer als kalt­nass und dum­m­dreist häu­figer als dreist­dumm. Auch bei gemis­cht­en Far­ben etwa ist die Rei­hen­folge egal, obgle­ich bei blau­grau und graublau die Wahl der Rei­hen­folge eine Fes­tle­gung darauf bedeuten kann, ob es sich in der Wahrnehmung des Sprech­ers um grau mit blauer oder eher um blau mit grauer Schat­tierung han­delt. Bei Baden-Würt­tem­berg war übri­gens ver­mut­lich nicht allein die Kurz-vor-lang-Präferenz auss­chlaggebend, son­dern die Tat­sache, dass ein­er der drei Grün­dungsstaat­en das kur­zlebige Würt­tem­berg-Baden (1945–1952) war.

Nun ist es kein Geheim­nis, dass ich eine ganz spezielle Mei­n­ung zu “Summe” und “Gle­ich­berech­ti­gung” in Baden-Würt­tem­berg pflege. Ich wollte mit meinen kurzen lin­guis­tis­chen Aus­führun­gen also lediglich die Tat­sache ver­schleiern, dass ich hier erneut in die Patri­o­tismuskerbe schlage. Außer­dem wollte ich dem neuen Lex­em “modus endi” im Zusam­men­hang mit der ersten Abwahl im Län­dle eine angemessene Plat­tform bieten.

Bei mein­er kür­zlich ent­deck­ten Liebe zum Twit­tern lerne ich noch den sin­nvollen und kor­rek­ten Umgang mit Hash­tags. Hier set­zt man ein # (engl. hash) vor Schlag- oder Schlüs­sel­wörter, die dann automa­tisch als Link angezeigt wer­den. Neben all den han­del­süblichen Strate­gien, auf welchen Grund­la­gen ein Wort als Wort ange­se­hen wer­den kön­nte, taucht hier eine inter­es­sante neue Möglichkeit auf: Twit­ter inter­pretiert Binde­striche offen­bar als Wortgren­ze.

Schön war deshalb dieser kleine Lach­er für Zwis­chen­durch, ein Anfänger­fehler mit humoris­tis­chem Nebeneffekt:

Twit­ter erken­nt Baden-Würt­tem­berg nicht (an).

2 Gedanken zu „Twitter: “Baden-Württemberg” kein Wort

  1. Senficon

    Die Ver­wirrung über twit­ters Umgang mit Binde­strichen in Hash­tags leis­tet in mein­er Erfahrung auch dem etwas unfair so betitel­ten “Idioten-Leerze­ichen” Vorschub. Beson­ders, wenn das Wort vor dem Binde­strich eine Partei ist. Schreibe ich z.B. “die #CDU-geführte Regierung”, wertet twit­ter den Hash­tag zwar richtig als #CDU, aber ersten weiß das nicht jed­er und zweit­ens wird es fälschlicher­weise als neg­a­tive Bew­er­tung der CDU inter­pretiert, da die Häu­figkeit von #CDU+ und #CDU- als twit­ter-Stim­mungs­barom­e­ter genutzt wird. Ver­mut­lich deshalb liest man bei twit­ter häu­figer “die #CDU geführte” oder gar “die #CDU+geführte Regierung” – aber das ist wohl ein­fach gelebte Sprache.

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    1. suz Beitragsautor

      Das ist ein sehr inter­es­san­ter Aspekt, dessen Auswirkun­gen ich aber aus zwei Grün­den zurück­weisen würde:

      1.) Würde er Twit­ter eine größere Rolle in der Entwick­lung beimessen, als es mein­er Mei­n­ung nach hat. (Das sagst du jet­zt ja nicht, aber es geht ums “Vorschub leis­ten”.) Ich glaube mit mein­er eher beschränk­ten Twit­ter-Erfahrung sog­ar eher umgekehrt, dass die Binde­strich-Inter­pre­ta­tion häu­figer dazu führt, dass intendierte Hash­tags im Zweifels­fall zusam­men geschrieben wer­den, falls dem Twit­ter­er die Twit­tertren­nung bekan­nt ist, z.B. BadenWürttemberg.

      2.) Dass “#CDU-geführte” (o.ä.) zu ein­er neg­a­tiv­en Bew­er­tung des Hash­tags führt, wusste ich nicht. Das wis­sen ver­mut­lich wirk­lich nur die Nerds. Und außer­dem bleibt dann ja die Frage, wem diese neg­a­tive Bew­er­tung nutzt bzw. schadet und dementsprechend, wer die Tech­nik gezielt ein­set­zt, um das Rank­ing zu beeinflussen.

      Ich ver­mute deshalb, dass die “gefühlte” Steigerung der Auseinan­der­schrei­bung auf Twit­ter eher Aus­druck ein­er all­ge­meinen Ten­denz zum Auseinan­der­schreiben fol­gt, als dass Twit­ter umgekehrt dieser Ten­denz durch seine Tech­nik Vorschub leis­tet. Aber vie­len Dank für den Hinweis!

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