Heute gibt es, wie versprochen, Beispiele für Namen, die sehr kleinräumig verbreitet sind. Im ersten Teil zu Namenlandschaften habe ich geschrieben:
Wenn ich in den Süden fahre, merke ich nicht nur am isch und kannsch und weisch, dass ich zuhause angekommen bin, sondern auch daran, dass die Leute plötzlich Himmelsbach, Göppert und Ohnemus heißen.
Vielleicht hat ja jemand von euch die Namen schon kartiert und festgestellt, dass ich aus dem Ortenaukreis in Baden-Württemberg komme. Einen anderen Schluss lassen sie nämlich wirklich nicht zu:
Die Kleinraumnamen – Beispiel Ortenau
Ich habe aber noch unzählige (oder wenigstens zahlreiche) weitere Namen gefunden, die im Ortenaukreis mit Abstand am frequentesten sind. Und zwar hätten wir da unter den normal- bis überdurchschnittlich frequenten Familiennamen (für die man also relative Karten machen kann):
Basler, Bohnert, Boschert, Göhringer, Griesbaum, Schwendemann, Singler und Zehnle
Und unter den seltenen Familiennamen (weniger als 100 Telefonbucheinträge, hier sind absolute Karten angebrachter):
Billian, Billharz, Brucher, Feißt/Feisst (mit ei!), Firner, Hertenstein, Müllerleile, Offenburger und Spothelfer
Die Darstellungen dazu könnt Ihr selbst basteln, sie zeigen immer einen relativ dunkelroten Fleck im Ortenaukreis und sonst nirgends. Ich will noch ein bißchen auf die Entstehung einiger der Namen eingehen.
Habe ich eigentlich mal die Geschichte erzählt, wie wir im Jahre 2006 in einem Familiennamen-Proseminar über die Pfingstferien eine Hausaufgabe bekamen, bei der man eine ganze Liste von Namen etymologisieren musste? Ich bin brav in die Bibliothek gewandert, habe Kohlheim und Gottschald aus dem Regal genommen, nachgeblättert und alles ganz genau aufgeschrieben. Das ging so ungefähr Lahm, Kahn, Klose, Mertesacker, Hitzelsperger, … ziemlich am Ende ist mir aufgefallen, dass es sich nicht einfach um eine beliebige Liste irgendwelcher Namen handelte. Und ja, ich habe bei der WM dann sogar ein, zwei Spiele gesehen. (Zum Beispiel ganz denkwürdig Deutschland-Schweden, wo wir in den ersten 20 Minuten einen Ort mit Leinwand suchten und in der restlichen Zeit dann kein einziges Tor mehr fiel …)
Aber zurück zum Thema, ich bin also auch gestern wieder in die Bibliothek gegangen und habe einen Blick in die Bücher geworfen. Et voilà:
Griesbaum …
… enthält das alemannische gries ‘Kirsche’. Das Wort kann also schon mal nur in diesem Dialektgebiet entstanden sein. Es wurde ursprünglich als Flur‑, Haus- oder Ortsnamen verwendet (so wie der Kirschgarten in Mainz). Leute, die auf einer solchen Gemarkung oder in einem solchen Haus wohnten, erhielten die Bezeichnung damit als sogenannten Wohnstättennamen. Als Hausname kommt Griesbaum zum Beispiel in Freiburg vor (als Zum Chriesiboum), das (mittlerweile nicht mehr originale) Haus steht in der Nähe des Martinstors – siehe rechts.
Zehnle …
… ist eine Verkleinerungsform zu Zahn, also Zähnlein. Dem -le sind ebenfalls dialektale Grenzen gesetzt, es kommt nur im Alemannischen (oft als -li) und im Schwäbischen vor. Der Zahn im Zehnle muss übrigens kein echter sein, das Wort konnte z.B. auch für eine Felsspitze genutzt werden und wäre dann wahrscheinlich ein Wohnstättenname. (Andernfalls könnte es z.B. für jemanden verwendet worden sein, der besonders auffällige Zähne hatte, und wäre damit ein sogenannter Übername.)
Billian …
.… war echt knifflig! Den Namen gibt es im Telefonbuch gerade 47 mal, 17 davon im Ortenaukreis. Kein anderer Landkreis hat mehr als 3 Telefonanschlüsse auf diesen Namen. Laut Gottschald handelt es sich um ein altes Wort für eine mit Kupfer legierte Silbermünze, alternativ gibt er Billion an. Muss ja fast was mit der Zahl zu tun haben, aber ich habe keine weiteren Hinweise gefunden.
Offenburger …
… ist hingegen offensichtlich ein Herkunftsname, heißt doch der Verwaltungssitz des Ortenaukreises so. Weit sind diese Offenburger ja nicht gerade verzogen.
Ganz grob kann man sagen: Je kleiner der Ort, desto weniger weit der Umzug. Nicht weil Leute aus kleinen Orten sich nicht in die Welt trauen, sondern weil man diese kleinen Orte weiter weg natürlich nicht mehr kennt. Man benannte die Leute dann eher nach der Region, aus der sie stammten. Entsprechend finden sich Familiennamen nach kleineren Orten meist relativ nah am Herkunftsort – aber nicht zu nah, sonst könnte man ja jeden so nennen. Umgekehrt kann man aus dem geballten Vorhandensein eines Herkunftsnamens schließen, wo ungefähr der Herkunftsort gelegen haben müsste. Das ist ganz praktisch, wenn es den Ort heute nicht mehr gibt, es sich also um eine sogenannte “Wüstung” handelt.
Im Fall der Offenburger, deren absolute Karte rechts zu sehen ist, hat es grade noch in die umliegenden Landkreise gereicht, mehr als einen Telefonanschluss gibt es sonst nur in den Kreisen Emmendingen, Schwarzwald-Baar-Kreis und Freudenstadt. Spannend wäre hier eine noch genauere Darstellung, wo sitzen diese 21 Ortenaukreisanschlüsse? Im gerade aktuellen Telefonbuch findet sich auf jeden Fall niemand in Offenburg selbst.
Spothelfer …
… finde ich großartig. Das heißt auf Hochdeutsch wirklich Späthelfer und ist damit ein Übername, also ein Name, der zur Charakterisierung seines Trägers vergeben wurde. (Ein “Spottname” in diesem Fall, wie Wunderlich für einen Sonderling, Siebenhaar für einen Glatzkopf, …) So steht es zumindest in “Die alten Lahrer Familiennamen sprachgeschichtlich untersucht” (Marta Paulus, 1928). Der Spothelfer war damit einer, der immer erst kam, wenn alles schon erledigt war.
Die Form mit o ist für diese Dialektregion ganz charakteristisch, spät heißt schboot, Nacht heißt Noochd, ganz heißt gonz.
Und zuletzt noch mein Favorit: Müllerleile …
Der Name hat zwei Teile, zunächst einmal Müller, also ein Berufsname. Der Müller, der diesen Namen bekam, hatte aber auch einen Rufnamen, und zwar Nikolaus. bzw. hier Nikolai. Wenn man den verkleinert, kriegt man das Nikolaile. Und von da braucht’s nur noch ein bißchen Schnellsprechen und die Verschleifung zu Müllerleile ist komplett. (Quelle ist hier auch das Buch von Paulus.)
Wie kommt’s?
Aus den Beispielen oben konnte man eigentlich schon recht gut erkennen, warum manche Namen nur sehr kleinräumig verteilt sind.
Herkunftsnamen “streuen” nicht so weit und es gibt superviele davon. Jede noch so kleine Ortschaft bietet Material dafür. Wenn man sich die Top 140 in Kunzes dtv-Atlas anschaut, sind die Herkunftsnamen daher ganz schlecht vertreten. Es gibt einfach zu viele, keiner hat eine Chance, richtig häufig zu werden. Der erste Vielleicht-Herkunftsname taucht auf Platz 55 auf (Roth, kann aber auch ein Wohnstätten- oder Übername sein), der erste eindeutige auf Platz 64 (Böhm). Da sind Berufsnamen wie Müller oder Übernamen wie Klein schon wesentlich universeller (wobei Klein sich auch ganz interessant im Westmitteldeutschen ballt!).
Ähnlich schlecht für die Weltherrschaft eignen sich Wohnstättennamen (jemand wird danach benannt, wo er wohnt, nicht danach, woher er zugezogen ist), da auch die Bezeichnungen für Gemarkungen etc. oft sehr speziell sind. (Hier ist auch Roth der erste Vielleicht-Kandidat, und der erste eindeutige ist Busch auf Platz 90.)
Ein zweiter Faktor sind Namen dialektaler Prägung, wie der le-Diminutiv oder die a-Verdumpfung (a > o). Je kleinräumiger solche Phänomene auftreten, desto begrenzter eben auch die Menge derer, in deren Namen sie sich niederschlagen können.
Außerdem spielte bei der Namenvergabe die Heiligenverehrung oft eine wichtige Rolle – je nach Region waren unterschiedliche Heilige wichtig und dienten deshalb als Benennungsmotiv. Kunze (S. 42/43) hat da schöne Beispiele. So gab es den Heiligen Quirinius von Neuß, der für Namen wie Quirein, Quer, Kiri, Gwier, Kehrein und Krings herhalten musste . Als Kirchenpatron im Mittelalter gab es ihn ungefähr im Gebiet Utrecht-Paderborn-Straßburg-Antwerpen mit Köln, Aachen und Trier im Kern. Und tatsächlich ist zum Beispiel Krings noch heute in Aachen am frequentesten. (Wie auch sein Freund Frings, der Hl. Severin.)
Ebenfalls von Bedeutung ist, dass die Familiennamen sich nicht in ganz Deutschland zur selben Zeit festgesetzt haben. Während in Süd- und Westdeutschland die flexiblen Beinamen, die individuell vergeben werden konnten, schon recht früh in feste, erbliche Familiennamen umgewandelt wurden (schriftlich bezeugt ab Anfang des 12. Jh.), dauerte der Prozess im Osten und Norden länger. So zeigen uns die Namen im Süden und Westen einen älteren Sprachstand als die im Norden und Osten.
Was bringt’s?
Abgesehen davon, dass es alles per se superspannend ist, verwenden viele Leute solche Erkenntnisse, um damit Genealogie zu betreiben. Je seltener und lokaler ein Name da ist, desto besser, denn dann weiß man, wo man in die ganzen alten Kirchenbücher etc. schauen muss.
Außerdem könnte ich mir vorstellen, dass so etwas für Schriftsteller interessant sein kann: Eine regionale Verortung kann ziemlich leicht über Namen erfolgen. Meist hat man das ja einigermaßen im Gefühl, aber mal nachschauen schadet sicher nicht und bereichert das Inventar. Was ich richtig cool fände: Wenn man solche Namen mal verwenden würde, wo man sonst immer sagt “Herr Müller hat ein Kilo Äpfel und will es für drei Mark Euro verkaufen …”
Ich lese schon eine Weile deine Blogartikel, und bin regelmäßig begeistert.
Weil es ja öfter auch mal um Dialekte geht, dachte ich, dass dich dies hier evtl. interessiert (falls du es nicht anderweitig schon drauf gestoßen bist):
http://www.wdr.de/mediathek/html/regional/2011/01/07/thema-nrw-dialekt.xml
Hey, vielen Dank! Den Link kenne ich noch nicht — habe ihn gleich mal gebookmarkt 🙂