Über die Feiertage ist mir mal wieder aufgefallen, wie prägend Namen für eine Gegend sein können. Wenn ich in den Süden fahre, merke ich nicht nur am isch und kannsch und weisch, dass ich zuhause angekommen bin, sondern auch daran, dass die Leute plötzlich Himmelsbach, Göppert und Ohnemus heißen.
Und tatsächlich sind alle Namen, die mir typisch vorkamen, in “meinem” Landkreis oder einem direkt angrenzenden mit Abstand am häufigsten. Um noch mehr solcher Namen zu finden, habe ich dann die Facebookfreunde meiner Verwandtschaft durchgeschaut, was sich als exzellente Strategie erwiesen hat. (Man könnte da richtig kreativ werden mit Facebookprofilen: Öffentlich zugängliche Profile mit Wohnortangaben automatisch auswerten und damit ein “Namenprofil” eines Ortes erstellen. Namen von Leuten, die noch zur Schule gehen, könnten dabei ein stärkeres Gewicht bekommen, weil sie eher noch an ihrem Herkunftsort leben. Oder Namen von Leuten, bei denen Wohn- und Schulort identisch sind. Großstädte werden wegen der vielen Umzieherei ignoriert. Etc. Aber ich fürchte, das grenzt dann schon an Illegalität und setzt kein so gutes Zeichen in puncto Datenschutz.)
Wenn man nun Namen als typisch im Verdacht hat, wie kriegt man raus, wie häufig sie wo sind? Als am besten geeignet für solche Zwecke haben sich Daten aus elektronischen Telefonbüchern herausgestellt – darin sind die Namen ja ganz genau bestimmten Postleitzahlenbereichen zugeordnet. Mittels bestimmter Computerprogramme kann man sie dann prima auf einer Deutschlandkarte verorten.
Ideale, aber leider nicht öffentlich zugängliche Möglichkeiten dazu hat der Deutsche Familiennamenatlas (ein Projekt der Unis Mainz und Freiburg, mit Telefonbuchdaten von 2005), aber es gibt auch im Internet eine sehr brauchbare Option, auf die ich hier schon einmal verwiesen habe, nämlich Geogen (mit Telefonbuchdaten von 2002).
Unterteilt in zwei kleinere Beiträge will ich zunächst einmal zeigen, welche Namen es überall gibt und bei welchen man trotz recht weiter Verbreitung großflächige Unterschiede erkennen kann (heute) und dann die eingangs erwähnten Namen zeigen, die für einen ganz bestimmten Landkreis typisch sind und sonst fast nirgends in Deutschland auftreten (later this week).
Die Überall-Namen: Müller und Schmidt
Natürlich gibt es so einige Namen, die überall in Deutschland in großer Zahl auftreten. Die Top 10 aus dem Jahr 2000 finden man zum Beispiel im großartigen (und aus unerklärlichen Gründen nicht mehr aufgelegten) dtv-Atlas Namenkunde von Konrad Kunze: Müller, Schmidt, Schneider, Fischer, Meyer, Weber, Schulz, Wagner, Becker und Hoffmann. Ich habe hier mal drei davon rausgepickt, nämlich Müller (Platz 1), Schmidt (Platz 2) und Fischer (Platz 4):
Wie Ihr seht, sieht man quasi nichts. Diese Namen deuten grade mal auf den deutschen Sprachraum hin und sind vielleicht höchstens auf Karten unserer Nachbarländer interessant.
Die großflächigen Namen
Andere Namen sind nicht in ganz Deutschland zu finden, sondern zeigen charakteristische Verteilungen. Da kann man immerhin grob einschätzen, woher die Namenträger kommen könnten. Das kann ganz verschiedene Gründe haben, zum Beispiel:
Lautliche Unterschiede: Pape und Pfaff
Auf niederdeutschem Gebiet gab es keine Zweite Lautverschiebung (p zu pf oder f/ff), daher sind dort eher unverschobene Varianten zu erwarten (obwohl viele Namen verhochdeutscht wurden). Kunze hat z.B. eine Karte mit Pape und Pfaff (geht beides auf lat. papa zurück und bezeichnet den Pfarrer). Wie erwartet konzentriert sich das verschobene Pfaff im hochdeutschen Sprachraum und das unverschobene Pape im niederdeutschen, hier mit Geogen nachgebastelt:
Wortschatzunterschiede: Das Meierloch
In der Familiennamengeografie Berühmtheit erlangt hat das sogenannte “Meierloch”. Meier steht, nimmt man seine verschiedenen Schreibungen zusammen (wie oben in der Liste nicht geschehen), deutschlandweit auf Platz 3. Dennoch bekommt man als Ergebnis keine komplett dunkelrote Verteilungskarte:
Die Erklärung: Meier ist ein Berufsname und bezeichnete einen Hofverwalter oder ‑pächter. Allerdings nicht in Mitteldeutschland. Dort benutzte man für denselben Job ein anderes Wort, nämlich Hofmann. Und tatsächlich kann man das Meierloch mit den Hoffmanns und Hofmanns ziemlich gut füllen:
Auch spannend ist der Richter. Man sollte ja denken, das Wort sei deutschlandweit bekannt und die Namenträger seien es deshalb auch. Aber nein: Der Name zeigt eine ganz entschiedene Ballung in Sachsen und Umgebung:
Der Grund findet sich im dtv-Atlas: Ostmitteldeutschland und weiter östlich liegende Gebiete (z.B. Böhmen, Mähren und Schlesien) wurden ja erst im Laufe der deutschen Ostsiedlung von Sprechern deutscher Dialekte besiedelt. Dabei gab es immer einen Hauptorganisator, den sogenannten “Lokator”. Der hatte viel Stress und bekam zum Ausgleich ein schönes (und erbliches) Amt, nämlich das des Dorfschulzen. Das hieß in diesem Gebiet aber Richter.
Dass das Richtergebiet auch jenseits der heutigen Grenze noch weiterging, kann man mit älteren Daten herausfinden – und zwar mit dem Reichstelefonbuch von 1942. Das gibt es (ebenso wie Telefonbuchdaten von 1998) auf noch einer sehr nützlichen Seite: Genevolu. (Dank an meine Kollegin Luise, auch für das Richterbeispiel!) Natürlich standen da viel weniger Leute drin, aber man sieht doch was:
Migration: Umzug und Einwanderung
Nachdem der Richter sich schon als ein Besiedlungsphänomen herausgestellt hat, will ich noch zwei andere Beispiele nennen, bei denen ein Ortswechsel interessante Verteilungen verursachte.
Viele Familiennamen sind Herkunftsnamen: Jemand zog von A nach B und wurde fortan A genannt. Das gibt es im Großen, wie z.B. Unger, Schwab oder Sachs, aber auch im Kleinen wie Frankfurter oder Helmstetter. Am Beispiel von Schweizer sieht man ganz schön, wie weit die entsprechenden Namenträger gekommen sind, der Name ist relativ (aber nicht zu) grenznah am typischsten:
Auch spannend sind fremdsprachige Namen. Die türkischen Namen weisen zum Beispiel auf die neuere deutsch-deutsche Geschichte hin: Im Gebiet der ehemaligen DDR, wo es ja keine Gastarbeiter gab, kommen sie kaum vor. Hier am Beispiel der vier ziemlich frequenten Namen Aydin, Yildiz1, Özdemir und Öztürk2:
Demnächst geht’s dann weiter mit Kleinraumnamen. Wenn jemand da schöne Beispiele hat, freue ich mich! Man muss ja auch irgendwo her wissen, was man bei Geogen eingeben will …
Fußnoten:
1 Eigentlich beide ohne i-Punkte geschrieben, aber das berücksichtigen deutsche Telefonbücher wohl nicht.
2 Achtung, die Karte ist auf kuriose Weise erstellt: Da man mit Geogen keine Kombinationskarten machen kann, habe ich die vier Namen übereinander gelegt, wobei der häufigste zuoberst liegt. D.h. nur in den Landkreisen, in denen es keine Aydin gibt, sieht man überhaupt Yildiz, nur wo es keine Aydin und Yildiz gibt, sieht man Öztürk … sehr unsauber (weniger häufige Aydin können häufigere Yildiz in einem Landkreis überdecken etc.), aber es geht mir ja nur darum zu zeigen, dass im Gebiet der ehemaligen DDR keiner dieser Namen flächendeckend frequent ist.
In der DDR gab es Vertragsarbeitnehmer, also auch Gastarbeiter. Sie kamen allerdings zum Großteil aus Vietnam. Vielleicht zeigen also vietnamesische Allerweltsnamen eine umgekehrte Verteilung.
Sonst finde ich »Drews« interessant. Absolut betrachtet sind Berlin und Hamburg Hochburgen, relativ betrachtet hingegen der mecklenburgische Landkreis Demmin.
Ja, das mit den Vietnamesen wusste ich (habe es aber nicht mit der Bezeichnung “Gastarbeiter” in Verbindung gebracht) und habe ich irgendwann letztes Jahr sogar mal gecheckt (mit Nguyen), es kam aber eher eine leichte Konzentration im Westen raus — weil es vietnamesische Einwanderer sowohl in der alten BRD als auch der alten DDR gab (vgl. Wikipedia). Zu den Zahlen sagt Wikipedia:
Zu Drews: Tolles Kartenbild!
Bei frequenten Namen sollte man übrigens immer die relative Darstellung wählen, weil in der absoluten Darstellung die Ballungsräume zu stark ins Gewicht fallen. Die Drewse in Berlin und Hamburg sind wahrscheinlich zugezogen.
Hallo,
hast du mal http://www.verwandt.de/karten/ ausprobiert? Das sind auch Telefonbuchdaten. Leider steht da nicht dabei, wie alt.
Ne, kannte ich noch nicht, danke für den Hinweis! Scheint mir aber schlechter gemacht als Geogen, man kann z.B. die Skala nicht verändern. Die Kartenbilder sehen daher oft krasser aus (mehr rote Flächen z.B.), obwohl die Gesamtzahl nicht ernsthaft von der bei Geogen abweicht. (Habe auch keine Angaben dazu gefunden, von wann die Daten stammen.)
Während Geogen statistisch belastbare Ergebnisse hervorbringen will (daher auch immer die ganzen Warnungen zu Verzerrung etc., ich kann auch echt nur die Infoseite empfehlen, die ist mit Humor geschrieben), kartiert verwandt.de einfach alles — sogar Namen, die nur einmal in ganz Deutschland vorkommen und deshalb eindeutig einer Person zuzuordnen sind. (Es geht sogar noch weiter und nennt auch den Vornamen der Person …)
Wozu es mir aber recht praktisch scheint: Wenn man eine Karte abgefragt hat, sind unten Vorschläge zu weiteren Namen, die man sich anschauen könnte. Dadurch bin ich jetzt noch auf einige Namen gekommen, die für bestimmte Landkreise charakteristisch sind. (Einfach weitergeklickt, und wenn mir der Name selten vorkam, bei Geogen gecheckt.)
Dabei ist mir noch was Lustiges aufgefallen: Die Daten sollten ja im Prinzip bereinigt sein, d.h. Geschäftseinträge etc. sollten beseitigt werden. Dass das nicht hundertprozentig geklappt hat, sieht man daran, dass sowohl verwandt.de als auch Geogen Treffer für Streichinstrumentenlackierung, Malereibetrieb, Friseur, Bäckerei etc. liefern. In sehr kleinen Mengen (meist zu klein für Geogenkarten), d.h. das Gros wurde eliminiert, aber ein paar sind doch dabei.
In der (früher eher bodenständigen) Oberlausitz findet man ortstypische Nachnamen-Konzentrationen. Ein (bei uns) bekanntes Beispiel ist der Name Hultsch, der für Neukirch/Lausitz steht oder der Name Rösler für die Stadt Schirgiswalde. Nicht ganz so eng begrenzt funktioniert Eisold für Radeberg oder Steglich für das Gebiet um Bischofswerda.
Ganz klar wird es bei sorbischen Namen, wie Ritscher (nicht Richter) oder Rietscher, Zuschke oder (sehr exotisch) Wowtscherk.
Bei der Kleinraumuntersuchung ist sicher auch Genvolu zur Querprüfung sinnvoll, da die meisten Bewegungen (Umzüge) nach dem Krieg und nach der dt. Einheit erfolgt sind und dadurch die heutigen Ergebnisse nicht mehr ganz so eindeutig sind.
So konnte ich bis zur Wende beispielsweise am Dialekt erkennen, aus welcher Leipziger Gegend meine Mitschüler stammten, denn damals wohnten z.T. ganze Familienclans über viele Generationen im gleichen Wohnviertel oder der gleichen Straße. Das wäre mal ein Thema für eine Großstadt-Sprach- bzw. Dialektanalyse.