Wer in den letzten Wochen Zeit mit mir verbracht hat, weiß, was jetzt kommt:
Wir schenken uns als nichts zu Weihnachten.
Wie versteht ihr das als? Bisherige Vorschläge aus meinem mittel- und norddeutschen Freundes- und Bekanntenkreis umfassen (Spoiler alert!) ‘einmal’, ‘sofort’ und ‘jetzt’. Was natürlich völliger Quatsch ist, also wirklich! 😉 Vielleicht kommt man mit etwas mehr Kontext besser drauf:
wenn nicht, muss es sein, das mein schwein, das als immer schlecken tut, eine krankheit oder so hat, oder macht er das nur so? (Satzzeichen von mir)
Jawohl: Dieses als bedeuted im Niederalemannischen ‘normalerweise’, ‘gewohnheitsmäßig’, ‘in der Regel’ (und extra für Till: ‘ab und zu’). Es vermittelt also, dass etwas immer wieder so getan wird. Wenn wir uns als nichts zu Weihnachten schenken, dann gilt das jedes Jahr, wenn das Saufspiel als immer voll pervers ausartet, dann ist das der Normalfall.
Woher kommt’s und was kann’s heißen?
Die Form geht auf ein älteres alles zurück, im Gegensatz zum hochdeutschen als, das von also kommt1. Ich habe mal einen Blick ins Badische Wörterbuch von Ochs geworfen, und dort vier Verwendungsweisen ausgemacht, von denen ich zwei als stark verbreitet einschätzen würde2: verstärkendes ‘immer’ und „mein” habituelles ‘gewöhnlich, bisweilen’.
- ‘immer’, ‘nur’ (auffordernd/ermutigend):
- er lebt als noch ‘er lebt immer noch’
- khumt er als nonet? ‘kommt er immer noch nicht?’
- als rai! ‘nur hinein!’
- als dsu! ‘nur weiter!’
- ‘gewöhnlich, manchmal, bisweilen’
- ich kum als am achte ‘ich komme gewöhnlich um acht’
- mr ese morchedsch als sube ‘wir essen morgens normalerweise Suppe’
Wo benutzt man’s als?
Dass ‘gewöhnlich, manchmal, bisweilen’ hier zusammengeworfen werden, finde ich etwas unglücklich – für mich persönlich geht nur ‘gewöhnlich’, für andere Leute scheint nur ‘manchmal’ möglich zu sein. Es könnte also eine kleinräumigere Geschichte sein. Darauf deuten auch Funde im pfälzischen und lothringischen Wörterbuch hin (d.h. naheliegenden nicht-alemannischen Dialekten), die von 2. beide nur die ‘manchmal’-Bedeutung kennen3, während das Schweizerische Idiotikon4, das Elsässischen Wörterbuch und das Schwäbische Wörterbuch5 nach meiner Interpretation nur die ‘gewöhnlich’-Bedeutung erwähnen.
Die Einschätzung des Badischen Wörterbuchs, als sei „ein Leibwort von Freiburg bis zur Nordgrenze” ist demnach zu restriktiv, alle angrenzenden Dialekträume besitzen es in denselben oder ähnlichen Bedeutungen.6
Nr. 1 vs. Nr. 2
Die beiden alse (‘immer, nur’ vs. ‘gewöhnlich, bisweilen’) sind zumindest im Badischen recht gut an der Betonung zu unterscheiden: Während das erste fast immer betont ist, ist das zweite immer unbetont. Eine kleine Umfrage unter den Alemanninnen hier im Büro (prozentual sind das viele!) kam zu dem Ergebnis, dass sich das Gewohnheits-als problemlos in die Hochsprache integrieren lässt, während das betonte als völlig aus dem Rahmen fällt7.
Das mag daran liegen, dass sich das unbetonte Element leicht einschmuggeln lässt und von nördlicheren SprecherInnen dann einfach ignoriert wird – während es uns aus dem Süden so gar nicht als dialektaler Einfluss auffällt. Ich war wirklich etwas schockiert über das Ausmaß der Nichtinterpretierbarkeit eines Wortes, das ich bis vor kurzem für völlig standardkonform hielt …
Aber ich werd’s jetzt als álls benutzen!
Fußnoten:
1 Verwechslungsgefahr mit dem hochdeutschen als besteht übrigens nicht – zum einen sind die Kontexte verschieden genug, zum anderen werden für die hochdeutschen Kontexte sowieso meist andere Wörter benutzt (wie, wo).
2 Die anderen beiden sind:
- ‘immerhin’ (oft triumphierend): als hot nix gekhoscht ‘immerhin hat es nichts gekostet’
- ‘gar, doch, doch wohl’: i gläb als, er is ferrügt ‘ich glaube (so)gar, er ist verrückt’
3 Das Pfälzische Wörterbuch kennt die Variante 1. mit Er steht als noch do ‘Er steht immer noch da’. Für 2. geht nur ‘manchmal’: Das kann jo als (alsemol) vorkumme ‘Das kann ja mal vorkommen’. Das Wörterbuch der deutsch-lothringischen Mundarten genauso: 1. Als witersch! ‘immer weiter!’, 2. Er kummt als ‘er kommt zuweilen‘.
4 Das Schweizerische Idiotikon (von dessen Onlineverfügbarkeit ich übrigens heute morgen erst in diesem interessanten Blog erfahren habe), listet für al(l)s die Bedeutungen ‘ganz, gar’ und ‘immer’ mit Beispielen wie
- alls wyter ‘immer weiter’, vgl. oben 1.
- Sust nimmt er d’Schritt als lang un weidli, iez zimperlig as-wie ne Maidli ‘Sonst macht er immer (d.h. normalerweise) lange und schnelle Schritte, jetzt zimperliche wie ein Mädchen’, vgl. oben 2. (Die Bedeutung habe ich aber aus dem folgenden Beispiel erschlossen, wo von regelmäßig die Rede ist, also keine hundertprozentige Garantie!)
2. ‘jedesmal’, ‘gewöhnlich’: sie kommt als selber zu ihm; er machts als oder äls aso
6 Eine Suche im Bayerischen Wörterbuch von Schmeller ist zwar auch erfolgreich, allerdings mit einer etwas seltsamen Ortsangabe, die ich mal nicht als echtes Bairisch gelten lassen würde – wahrscheinlich liegt es daran, dass das Buch das alte Königreich Bayern umfasst. Der Eintrag ist unter alles zu finden:
Unter der Ausspracheform als ist das Wort an Mayn und Rhein für ‘gewöhnlich’ (adv.) beliebt. Ich gê als am Abend spazieren. Ich hab als den andern vorgelesen.
7 Wobei ich mir schon irgendwie vorstellen könnte, entnervt zu sagen: „Und dann kopieren sie die Definitionen für die Hausaufgabe álls wieder aus der Wikipedia!”
Alsooooo, ich hab mal hier auch eine Mini-Umfrage gemacht und hier sehen es alle als “ab und zu”, bzw. “gewöhnlich, bisweilen”, wobei ich da “bisweilen” ja besser finde…
Bin also nicht alleine mit meiner Meinung;)
Ich will mich ja nicht als nativen Dialektsprecher darstellen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es mir bisher nur in der Bedeutung ‘immer’ untergekommen ist.
Bin zwar ein Fischkopf, aber offenbar lange genug im Südwesten gewesen, um als zu kennen. Und zwar in der Verwendung “gewöhnlich”, und die habe ich aus der Gegend Knittlingen / Maulbronn.
Und was ist daran dialektal?
Im Ernst: Mir war das nicht als dialektal bewusst. Ehrlich nicht. Nun weiß ich nicht, wie oft ich es (noch) benutze; da es für mich aber natürlich ist, vermutlich öfter. Und offenbar “fällt” es den Hanseaten auch nicht auf. Denn anders als mit dem wie-Komparativ bin ich hier noch nie korrigiert worden.
Heute einen schönen Musterdialog für das gewohnheitsmäßige als belauscht:
Meine Mutter: “Wo die Kristin zwei Jahre alt gewesen ist, bin ich als mit ihr im Schlitten spazieren gegangen.”
Mein Vater: “ ‘als’??? So oft war das aber nicht!”
Meine Mutter: “Doch, jeden Tag zweimal eine halbe Stunde …”
Im Südhessischen kenne ich “als” ebenfalls im Sinne von “gewöhnlich” oder “, aber auch in Ausdrücken wie “immer als emaa” (dann und wann) oder (in Wegbeschreibungen) “als unn als gradaus” (immer weiter gerade aus). Vermutlich hätte ich “als” eher als “immer” übersetzt.
Danke für die Belege! als unn als gradaus würde ich der oben erwähnten Bedeutung 1 zuordnen (vgl. Beispiel 1.4).