Ich werde immer wieder dafür kritisiert, dass ich mich um politisch korrekte Sprache bemühe (siehe z.B. hier, hier und hier), obwohl dies doch im direkten Gegensatz zu meiner Grundüberzeugung stünde, dass ein normatives Herangehen an Sprache sinnlos und falsch sei. Sehr klar hat diese Kritik Sprachlogleser Gregor in einem Kommentar zu meinem Beitrag über das Wort Rehkid formuliert:
Ich finde diesen Blog durchaus interessant und relevant, und obwohl ich persönlich durchaus für eine behutsame Sprachpflege bin, kann ich vieles, was hier gesagt wird, nachvollziehen.
Ich finde nur, dass A.S. zwei Rollen einnimmt, die er aus meiner Sicht etwas sauberer trennen sollte.
Einerseits tritt er uns als der entspannte Sprachexperte entgegen, der übereifrigen Sprachpuristen die Sinnlosigkeit ihres Treibens auf wissenschaftlich fundierte Weise vorhält.
Andererseits ist er selbst engagierter Sprachpolitiker, der bestimmte Positionen zum Thema Sprache von seinen Normen her polemisch kritisiert und andere positiv darstellt.
Beides ist legitim. Allerdings fände ich es fairer, wenn er offen sagen würde „ich lehne von meiner gesellschaftspolitischen Position her das Bemühen ab, die deutsche Sprache von Anglizismen zu reinigen, weil dieses Bestreben historisch oft mit nationalistischem Gedankengut gepaart war und bin für eine politisch korrekte Sprache, weil diese Diskriminierung entgegenwirken kann“ (oder so ähnlich). Anstatt dessen wechselt er je nach Bedarf zwischen der Rolle des neutralen Experten, der das Tun anderer analysiert, und des Sprachpolitikers, der uns seine eigene Meinung unterjubeln will.
Wenn ich mich nicht irre, habe ich auf diese Kritik noch nie eine ausführliche Antwort gegeben. Höchste Zeit also.
Um zu verstehen, warum der Widerspruch in meinem Verhalten, der sich in dieser Kritik äußert, nur ein scheinbarer ist, muss man zunächst zwei Fragen auseinanderhalten.
- Kann man den Sprachgebrauch einer Sprachgemeinschaft gezielt beeinflussen, und wenn ja, wie?
- Sollte man es überhaupt versuchen, und wenn ja, in welchen Fällen?
Fangen wir mit der zweiten Frage an. Diese wäre selbst dann interessant, wenn die Antwort auf die erste Frage „Nein“ wäre, denn man sollte auch dort das Richtige tun, wo man keine Aussicht auf Erfolg hat.
Meine Antwort mag zunächst überraschen und tatsächlich im Widerspruch zu einer wissenschaftlichen Herangehensweise zu stehen scheinen: Ja, es kann durchaus Situationen geben, in denen man versuchen sollte, den Sprachgebrauch einer Sprachgemeinschaft gezielt zu beeinflussen.
Allerdings sollte man sich im Klaren darüber sein, warum man das tun will. Es besteht nämlich ein grundlegender Unterschied zwischen dem Bemühen um eine Sprache, die frei von Lehnwörtern ist, und dem Bemühen um eine Sprache, die frei von rassistischen, sexistischen oder sonst wie ‑istischen Wörtern und Konstruktionen ist.
Bei der Vermeidung von Lehnwörtern soll an der Sprache um ihrer selbst willen etwas verändert werden: Die Sprache ist es, die angeblich unter der Last des Lehnguts ächzt, die ihre Ausdruckskraft und Vitalität verliert, um deren Überleben wir uns sorgen müssen.
Hier hake ich als Sprachwissenschaftler ein und sage (und damit befinde ich mich im Konsens mit der überwältigenden Mehrheit meiner Fachkolleg/innen): Nichts davon wird passieren. Sprache ist in einem stetigen Veränderungsprozess, unter anderem deshalb, weil die Sprachgemeinschaft sie ständig ihren kommunikativen Anforderungen anpasst. Dabei spielt, ob es einem nun gefällt oder nicht, die Entlehnung von Wörtern eine zentrale Rolle und zwar nicht erst heute und nicht nur im Deutschen, sondern schon immer und überall. Und noch nie ist eine Sprache deswegen ausgestorben oder hat auch nur das kleinste bisschen an Ausdruckskraft eingebüßt. Die Sprachwissenschaft kann helfen, das zu erkennen.
Bei der Vermeidung von sexistischer oder rassistischer Sprache geht es um etwas völlig anderes als bei der Vermeidung von Anglizismen. Hier soll die Sprache dagegen nicht um ihrer selbst willen verändert werden. Niemand will etwa das N‑Wort aus der deutschen Sprache tilgen, weil es deren Ausdruckskraft gefährdet. Niemand sagt, dass wir eine gemischte Gruppe von (weiblichen) Studentinnen und (männlichen) Studenten deshalb nicht mit dem Maskulinum Studenten bezeichnen sollten, weil die deutsche Sprache dadurch in ihrem Fortbestand gefährdet wäre. Stattdessen wollen die Vertreter einer politisch korrekten Sprache solche Wörter und Konstruktionen vermeiden, weil diese dazu beitragen, Menschen zu demütigen, auszugrenzen und sprachlich unsichtbar zu machen.
Als ich meiner Tochter vor einigen Jahren Pippi Langstrumpf vorgelesen habe, habe ich das N‑Wort nicht aus sprachwissenschaftlichen Überlegungen heraus durch das Wort Inselbewohner ersetzt, sondern, um die rassistischen Konnotationen des Wortes zu vermeiden, die Lindgren ja nicht im Sinn hatte, als sie das Wort vor mehr als einem halben Jahrhundert verwendet hat. Auch wenn ich versuche, geschlechtsneutrale Wörter wie Studierende oder Schrägstrichformen wie Student/innen zu verwenden, tue ich das nicht als vorrangig als Linguist, sondern als Mensch, der Frauen nicht als eine Art unsichtbare Unterkategorie von Männern darstellen möchte.
Die Sprachwissenschaft ist, wie alle Wissenschaften, auf die Beschreibung der Wirklichkeit ausgerichtet, und so lässt sich aus ihr ebenso wenig eine Begründung für die Verwendung nicht-sexistischer und nicht-rassistischer Sprache ableiten, wie sich aus der Virologie eine Begründung für das Heilen von Krankheiten ableiten lässt. Die Sprachwissenschaft kann dabei helfen, sprachliche Diskriminierung zu erkennen und zu erklären, und sie kann auf vorhandene Alternativen hinweisen, aber die Entscheidung, auf sprachliche Diskriminierung zu verzichten oder eben nicht, muss jeder für sich aus ethischen Überlegungen heraus treffen. Ich möchte auf sprachliche Diskriminierung verzichten, wo immer ich kann, und nehme den unvermeidlichen Spott gerne in Kauf.
An dieser Stelle ist ein kleiner Exkurs notwendig: Was, wenn jemand aus rein ästhetischen Gründen auf Lehngut oder politisch korrekte Sprache verzichten möchte? Es gibt ja unter den Anglizimenhassern nicht nur diejenigen, die sich (tatsächlich oder vorgeblich) Sorgen um die Zukunft der deutschen Sprache machen, sondern auch diejenigen, die bestimmte Lehnwörter schlicht hässlich finden. Und auch unter den Gegnern politisch korrekter Sprache gibt es viele, die sich (tatsächlich oder vorgeblich) aus stilistischen Gründen nicht mit Alternativen zum traditionellen Sprachgebrauch anfreunden können.
Den anglizismenscheuen Ästheten kann ich nur raten, auf die verhassten Lehnwörter zu verzichten. Es spricht nichts dagegen, auszuprobieren, wie weit man damit kommt (ich habe das selbst auch schon getan). Es gibt sprachliche Varietäten — etwa die „gehobene“ Schriftsprache — in der stilistische Überlegungen ihren selbstverständlichen Platz haben. Ich wäge beim Schreiben ständig lexikalische und grammatische Alternative gegeneinander ab, im Bemühen, nicht nur inhaltlich angemessene, sondern auch schöne, und gut lesbare Texte zu schreiben. Warum sollte ich bei dieser Abwägung die Entscheidung zwischen neueren und älteren Lehnwörtern oder zwischen Lehnwörtern und germanisch-stämmigen Wörtern außen vor lassen? Auch hier wäge ich natürlich ab, mit welchem Wort ich am besten ausdrücken kann, worum es mir gerade geht. Wenn das ein Lehnwort ist, nehme ich es, wenn ein „deutsches“ Wort treffender ist oder mir eine ausdrucksstarker selbstgeschöpfter Begriff einfällt, verwende ich den. Aber das ist etwas völlig anderes, als sich in Vereinen zu organisieren, um anderen die Verwendung von Lehnwörtern zu verbieten.
Den ästhetischen Gegnern politisch korrekter Sprache kann ich dagegen nur freundlich raten, noch einmal in sich zu gehen und zu überlegen, ob ihr ästhetisches Empfinden schwerer wiegt als ihr Bedürfnis, auch Menschen, die nicht weiß, männlich, heterosexuell und im mittleren Alter sind, sprachlich gerecht zu behandeln. Wie gesagt, ich rate es ihnen. Ich gründe keinen Verein, der sie dazu zwingen will und ich breche den Kontakt mit jemandem nicht ab, weil er/sie ein „generisches“ Maskulinum verwendet.
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Was ungerechte Sprache ist und was nicht, darüber kann und muss man streiten (und man muss es wissenschaftlich erforschen). Mitmenschen, die hier meinen, eine absolute Wahrheit zu kennen, sind mit Argwohn zu betrachten, und für eine Durchsetzung von gerechter Sprache mittels Sprachverboten bin ich schon deshalb nicht zu haben, weil ich das Recht auf freie Meinungsäußerung in Deutschland eher noch gestärkt als geschwächt sehen möchte, und weil mir die Sprache meines Gegenübers wertvolle Hinweise auf dessen Gesinnung liefert, auf die ich nicht verzichten möchte.
Nach diesem Exkurs können wir zur ersten Frage zurückkommen: Kann man den Sprachgebrauch einer Sprachgemeinschaft gezielt beeinflussen, und wenn ja, wie?
Die Antwort ist auch hier natürlich „Ja“, und wen es überrascht, das von mir zu hören, der hat mir nie richtig zugehört. Ich habe das nicht nur im Bremer Sprachblog und hier im Sprachlog immer wieder einmal klargestellt, sondern vor einiger Zeit sogar einmal im Hamburger Abendblatt. Zunächst ist klar, dass die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft den Sprachgebrauch jedes Mal beeinflussen, wenn sie den Mund aufmachen. Sprache entwickelt sich jeden Tag in unzähligen Kommunikationsereignissen weiter und alle können dabei mitmachen. Statt anderen vorzuschreiben, wie sie sprechen und schreiben sollen, kann jedes Mitglied der Gemeinschaft mit gutem Beispiel vorangehen.
Nun kann man einwenden, dass so keine gezielte Beeinflussung möglich ist. Die deutsche Sprache hat hundert Millionen Muttersprachler/innen, und die meisten von ihnen werden sich nie begegnen. Wenn ich also jemanden davon überzeugen will, statt Laptop „Klapprechner“ oder statt Studenten „Studierende“ zu sagen, so liegt der Gedanke nahe, dass ich dies am Besten tun kann, indem ich den Leuten explizit sage, dass sie es tun sollen. Und wenn ich darüber nachdenke, wie ich sie dazu bekomme, das zu tun, was ich sage, liegt der Gedanke nahe, ihnen einzureden, dass sie sich sonst als bildungsferne Witzfiguren outen (das ist Bastian Sicks Strategie), oder als amerikahörige Duckmäuser (das ist die Strategie des Verein Deutsche Sprache); oder sie gar gesetzlich dazu zu zwingen (auch das ist eine Wunschstrategie des VDS, die er kurioserweise mit manchen Verfechtern politisch korrekter Sprache teilt).
Das Problem an all diesen Strategien ist, dass sie wirkungslos sind. Sprache lässt sich von außen nicht regulieren, das lehrt und die Geschichte des Sprachpurismus in all seinen Spielarten. Wer die Sprache verändern will, muss es von innen tun. Wem es nicht ausreicht, ein gutes sprachliches Vorbild für sein direktes Umfeld zu sein (wie auch immer er/sie sprachliche Güte definiert), der muss seine kommunikative Reichweite vergrößern. Schriftsteller/innen, Journalist/innen, Übersetzer/innen und natürlich auch Blogger/innen erreichen mit ihren sprachlichen Produkten ungleich mehr Mitglieder der Sprachgemeinschaft als durchschnittliche Sprecher/innen und können so eine gewichtigere Rolle im Entwicklungsprozess der Sprache spielen. Wie gewichtig, das hängt davon ab, wie interessant, überzeugend und relevant das ist, was sie von sich geben, und wie gut es ihnen gelingt, die vorhandenen sprachlichen Mittel auszuschöpfen und zu erweitern.
Den Sprachnörglern gelingt das meinem Empfinden nach selten besonders gut. Aber wer ständig auf der Ausschau nach den sprachlichen Sünden anderer ist, der hat wohl nicht die Zeit, sich um den eigenen Sprachgebrauch zu kümmern.
[Hinweis: Einige Kommentare zitieren Beispiele rassistischer und sexistischer Sprache.]
[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Version enthält möglicherweise Korrekturen und Aktualisierungen. Auch die Kommentare wurden möglicherweise nicht vollständig übernommen.]
Motivation
“Bei der Vermeidung von Lehnwörtern soll an der Sprache um ihrer selbst willen etwas verändert werden” — das ist in den meisten Fällen richtig, würde ich sagen. Allerdings scheint es mir auch die andere Motivation zu geben, derzufolge die Verwendung einer “puren Sprache” eine Art Dienst an der Allgemeinheit sein soll, was durch das “amerikahörige Duckmäusertum” angedeutet wird. Kurz: Wer auf Anglizismen etc. verzichtet, sorgt für eine Stärkung der nationalen Identität oder verhindert eine Verdummung der Gesellschaft (da ja Sprache das Denken formen soll usw.). Diese Einstellung ist von der, die hinter der politisch korrekten steckt, nicht so sehr verschieden. Da könnten Missverständnisse entstehen.
@Klausi
Herzlichen Glückwunsch zum heutigen “Am-Text-vorbeiargumentieren”-Award. Niemand hat behauptet Eindeutschungen und Wortprägungen könnten nicht passieren, das tun sie, häufig sogar. Aber das können sie nicht per *Anordnung* — sondern sie setzen sich durch, weil viele Leute sie besser finden und daher verwenden. Übrigens ist diese List ein bisschen gemischt — teilweise synonym, teilweise nicht. Und teilweise ist das Fremdwort auch viel gebräuchlicher, aber das nur so am Rande erwähnt.
@A.S.
Großartiger Text!
Selektives generisches Maskulinum
Warum bekommen ausgerechnet die Gegner und die Sprachnörgler kein „/innen“?
Gesinnung von SchreiberInnen
Ich habe eher das Gefühl, dass diejenigen, die konsequent die feminine Form mit-verwenden, eher eine politische Grundeinstellung zum Ausdruck bringen als eine sexistische oder anti-sexistische “Gesinnung”.
Zumindest was den Binnenmajuskel betrifft: Da würde ich jemanden, der oder die z.B. “AutorInnen” schreibt, als politisch recht links einordnen, ebenso wie jemand, der oder die konsequent klein schreibt.
Ich habe nichts dagegen, dass man das generische Maskulinum vermeidet und eine Sprachänderung in der Hinsicht wünscht, verwehre mich jedoch dagegen, in eine bestimmte Ecke gestellt zu werden, wenn ich dies selber nicht tue. Zumal es fast alle Frauen, die ich kenne, ebensowenig machen, und denen würde ich ihre Emanzipation gewiss nicht absprechen.
Was die männlichen Sprachnörgler und Gegner betrifft: Da kann man sich ein Beispiel an Alice Schwarzer nehmen, bei der Opfer grundsätzlich weiblich benannt, neutrale Personen mit einem ‑Innen versehen und pöse Menschen grundsätzlich nur in der männlichen Form benannt werden, egal ob das Geschlecht dabei eine Rolle spielt.
Vielen Dank…
…für diese interessanten und ausgewogenen Erläuterungen.
Daß sich Sprache aktiv verändern läßt, halte ich für zutreffend, aber ich frage mich, ob sie tatsächlich auch das Denken verändert. Oder werden neue Formen nicht vor allem von denen übernommen, die ohnehin schon eine entsprechende Geisteshaltung haben?
Geht ein Rückggang im Gebrauch des Wortes “Neger” auch tatsächlich mit einer Änderung im Verhalten der Menschen einher? Also: Haben Menschen mit schwarzer Hautfarbe dadurch bessere Chancen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, werden sie seltener dumm angeredet? Lässt sih das überhaupt aussagekräftig nachvollziehen?
Die Kritik am selektiven Gebrauch der Geschlechterformen (“Sprachnörgler”/“StudentInnen”) kann ich nachvollziehen.
@Gregor:
Ob der Rückgang des “Negers” zu einer Verbesserung im Umgang mit Menschen mit farbiger Hautfarbe geführt hat, wage ich zu bezweifeln; auf jeden Fall wäre es interessant, das zu erforschen, vielleicht aber auch unmöglich, schließlich sind die Ursachen für mehr oder weniger gute Behandlung kaum zu erfassen.
In diesem Fall ist es aber so, dass das Wort mittlerweile einen eindeutig beleidigenden Charakter hat. Man macht also auf jeden Fall etwas falsch, wenn es bewusst heute noch verwendet. Ich denke, darüber brauchen wir nicht lange zu diskutieren.
Interessant wäre allerdings auch, ob eine Art vorauseilender Gehorsam im Sprachgebrauch nicht den negativen Charakter eines Wortes überhaupt erst fördert. Vielleicht hätte “Neger” nie diese negative Konnotation erfahren, wenn nicht progressive Sprecher irgendwann angefangen hätten, darauf zu achten, es nicht mehr zu verwenden.
In dieser Phase sehe ich momentan das Wort “Eskimo”. Ich war ganz überrascht, als ich erfuhr, dass es eine Beleidigung sei, weil es eigentlich “Fischfresser” hieße, und man solle doch lieber “Inuit” sagen. Das wiederum stellt mich vor Probleme, denn nicht alle Eskimos sind Inuit, und wenn man Wikipedia glauben kann, dann verwahren sich die Nicht-Inuit-Eskimos dagegen, als Inuit bezeichnet zu werden; sie sind eben Eskimos.
Wenn jetzt aber alle Sprecher anfangen, auf das Wort Eskimo zu verzichten, weil es beleidigend sei, dann *ist* es irgendwann auch beleidigend.
“Gesinnung”
Stimmt, das Wort finde ich auch irgendwie kritisch. Als Schlagwort für eine weitere Diskussion scheint mir “Einstellung” unverfänglicher. Also:
Ich glaube der Zusammenhang zwischen der Verwendung des Wortes “Studierende” bzw “Studenten” und der jeweiligen Einstellung ist kein direkter sondern eher ein Teil des Gesamteindrucks.
Ähnlich sieht es generell mit dem generischen Maskulinum aus. Wenn man es nicht verwendet ist man nciht automatisch rechts, aber wenn man es verwendet dann tendenziell um P.C. bemüht.
Der Maßstab ob etwas beleidigend ist oder nicht ist übrigens nicht irgendjemandes Bauchgefühl sondern hängt von der Wahrnehmung der Betroffenen ab. Die Situation der schwarzen hat sich schon deshalb für sie verbessert weil sie nun nicht mehr mit einem Schumpfwort bezeichnet werden. Ähnliches gilt auch für Inuit. Wenn die mir sagen das Eskimo beleidigend ist und sie als gerne Inuit bezeichnet werden wollen dann mach ich das, und schreibe denen nicht vor wie sie meine Worte zu verstehen haben.
schöner Artikel
Als Kommentar zu den Kommentaren über mir: Neger ist deshalb problematisch, weil es eine Gruppe von Menschen mit bestenfalls ähnlicher Hautfarbe zu einer anonymen, mit gleichen negativen Eigenschaften gesegneter Masse herabwürdigt. Die Indianer, die Afrikaner, die Ausländer, die Eskimos, die Zigeuner, hier werden zumeist aus reinen Äußerlichkeiten und bestenfalls geringen Gemeinsamkeiten negative Stereotype konstruiert. Und das kann man eben nur durch komplexere Sprachregelungen lösen.
Im Grunde steckt darin auch eine mangelnde Präzision in der Sprache: In der Regel meint man ja ein bestimmtes afrikanisches Volk, ein bestimmte Gruppe unter den Ausländern (oder sogar eine Einzelperson); es ist also letzten Endes Denkfaulheit oder mangelnde Ehrlichkeit, die einen zu solchen Pauschalsierungen führt.
Wo läge der Nutzen?
Mir soll’s recht sein, wenn jemand seinen Sprachgebrauch nach seinen Überzeugungen ausrichtet. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob das mehr ist als eine Attitüde, ein Statement, ein intellektuelles Kleidungsstück. Und ob es überhaupt mehr sein soll. Deshalb:
Welchen realen Nutzen hätte die geschlechtergerecht gewandelte Sprache? Oder anhand eines Beispiels gefragt, was wäre gewonnen, sprächen wir etwa konsequent von Päpstinnen und Päpsten?
@Domingo
‘Kommentare über mir’ ist deshalb problematisch, weil es eine Gruppe von Kommentare mit bestenfalls ähnlicher Aussage zu einer anonymen, mit gleichen negativen Eigenschaften gesegneter Masse herabwürdigt.
Im Ernst: können Sie ein Beispiel anführen, wie man sprechen oder denken kann, ohne Einzelheiten mit ähnlichen Eigenschaften zu Gruppen zusammenzufassen?
@Michael Kuhlmann
Diese Bemerkung darf in solchen Diskussionen irgendwie nie fehlen — ein Argument ist sie meiner Meinung nach deshalb trotzdem noch lange nicht.
Frauen können genauso wie Männer diskriminieren, auch die Gruppe, der sie selbst angehören. (Das wird in den meisten Fällen unbewusst ablaufen, ich behaupte also nicht, dass diese Frauen bewusst das eben-nicht-wirklich-generische Maskulinum benutzen um sich unsichtbar zu machen o.ä.)
@Jürgen Bolt, Domingos
Es bedarf keines anderen “objektiven” Grundes ein Wort für eine Menschengruppe nicht mehr zu verwenden als dass diese Gruppe sich durch diesen Begriff diskriminiert fühlt. Das Problem liegt nicht in der Etymologie des Wortes oder sonstwo außerhalb seiner praktischen Verwendung. Das selbe gilt auch für “Eskimo” — das Problem liegt nicht daran was das Wort objektiv bedeutet sondern wie die so Bezeichneten es wahrnehmen. Wenn sie um eine andere Bezeichnung bitten, dann gibt es keine Grund warum wir dem nicht entsprechen sollten.
Belege?
Kennen Sie eigentlich tatsächliche Belege, die die Behauptungen der feministischen Linguistik stützen? Das einzig halbwegs seriöse was ich in diese Richtung gefunden hab, war leider nicht sonderlich ergiebig.
Aber das Argument das Frauen “mitgemeint” sind ist meiner Meinung noch so alt wie falsch — dazu verweise ich etwas auf meinen letzten Kommentar, wonach Personen, die das generische Maskulinum verwenden und befürworten, den Frauenanteil damit tatsächlich HÖHER einschätzen als Gegner. Für Befürworter sind Frauen nicht mitgemeint sondern gemeint. Genauso wie Männer, Kinder und Transgender oder wie man das auch immer auf Deutsch nennt. Beachten Sie auch, wie “Person” ein generisches Femininum ist, wäre es Ihnen sofort aufgefallen? Ich habe das nicht bewusst so verwendet, musste aber, als ich mir den Absatz angeschaut habe durchaus nochmal schmunzeln.
Meiner Erfahrung nach laufen viele (genaugenommen alle die ich gefunden habe außer einer, interessanterweise von einer feministischen Wissenschaftlerin) Untersuchungen dieser “diskriminierenden” Sprache darauf hinaus, das ein höherer geschätzter Männeranteil bei der Interpretation von Formulierungen nicht mit dem tatsächlichen Männeranteil abgeglichen wird. Ähnlich wie bei Ihrem Beitrag zum “McJob” passt sich das Verständnis der Sprache eventuell der Realität an.
Der wichtigste Grund warum ich feministische Linguistik ablehne, ist derselbe warum ich Sprachnörgler ablehne: Beide Strömungen machen Sprache komplizierter und langwieriger ohne Notwendigkeit. Es wird immer schwerer, fast unmöglich, Gruppen von Menschen generisch zu bezeichnen, ohne Langformen zu verwenden. Ich muss also deutlich mehr Wörter verwenden, um genau dasselbe zu sagen wie jemand der eine “normale” oder “unangepasste” Sprache verwendet.
Ich will jetzt nicht alle “Standard”-Einwände gegen feministische Linguistik im allgemeinen hier wieder aufführen, Interessierten dürften die eh bekannt sein und mit einer kleinen Suche im Internet (z.B. Wikipedia) kann man sie auch selbst finden.
@Andreas S.
Was sollten wir mit Verbrechern tun, die sich durch die Bezeichnung Verbrecher diskriminiert fühlen? Allgemeiner gefragt, funktioniert dieses Nichtdiskriminierungsprinzip auch dann noch, wenn man mehr daraus macht als eine persönliche Vorstellung von Höflichkeit?
Grundsätzlich ist es natürlich so: Wenn sich eine Gruppe von dem für die verwendeten Begriff beleidigt fühlt, dann verwendet man ihn einfach nicht mehr. Punkt.
Leider ist es nicht immer so einfach, wie beim Beispiel Eskimo: Nicht alle Eskimos sind Inuit, daher gibt es keinen passenden Alternativausdruck.
Es ist natürlich die Frage, ob man für Eskimos überhaupt einen zusammenfassenden Begriff geben muss, wenn es denn kein zusammengefasstes Volk ist. Es gibt ja auch keinen Begriff für, sagen wir, Slawen und Germanen, eben weil sie sich nicht ausreichend von anderen abgrenzen.
Genauso gibt es ursprünglich keinen Begriff für Menschen mit dunkler Hautfarbe, weil Afrikaner, Jamaikaner und Aborigines nun mal keine Gemeinsamkeiten ahben, jedenfalls nicht mehr als Menschen mit braunen Augen. Sie haben halt dunkle Haut, mehr nicht.
Das hilft einem nur leider nicht, wenn man die Menschen mit dunkler Haut in Brooklyn oder Namibia irgendwie bezeichnen und als Gruppe gegenüber den Weißen benennen will. Da kommt man anscheinend immer in Konflikte. Eine Welt, in der man diese Gruppenbildung auch in der Sprache nicht bräuchte, wäre sicher schöner, aber auch eine Utopie.
Zum generischen Maskulinum:
Wenn Frauen mit dem generischen Maskulinum diskrimiert werden, dann will ich ihn nicht mehr verwenden. Ich versuche diesen Zeitpunkt aber so weit wie möglich hinauszuzögern, weil alle Alternativen die Sprache deutlich verkomplizieren oder verflachen (z.B. bei Studierenden: Man kann StudierendeR sein, ohne Student zu sein, während lägst nicht alle Stundenten auch Studierende sind. Und führt man das weiter, haben wir bald nur noch Lehrende, Arbeitende und Politisierende.)
Es wäre schön, wenn alle Frauen grundsätzlich gleichberechtigt und “mitgemeint” sind, sodass wir die explizite feminie Form nicht bräuchten. Leider ist auch hier die Realität anders. Daher habe ich großes Verständnis für Leute, die alles mit ‑innen bezeichnen, versuche aber trotzdem, ohne solches auszukommen. Ich will mir ja nicht dauernd die Zunge brechen.
Übrigens haben es die Leute im Englischen leichter: Da wird oft bei anonymen Personen einfach von “she” gesprochen, vor allem bei Anleitungen für irgendwelche Benutzer. Ein sehr sympathischer Zug, wie ich finde. Allerdings nciht sehr konsequent: Solange es um den einfachen “User” geht, wird “she” bevorzugt, kommt dagegen der ebenso anonyme “Boss” ins Spiel, dann ist der “he”.
@Michael Kuhlmann
Naja, ich will ja nicht Korinthen kacken, aber man kann auch Student sein, ohne Student zu sein. Also man kann Student [Status ggü. der Krankenkasse] sein, ohne Student [Teilnehmend am Lehrbetrieb] sein und umgekehrt. So gesehen läuft Ihre Argumentation sogar darauf hinaus, dass Studierende vs. Student eine Polysemie differenzieren würde und somit nicht als “Verflachung” interpretiert werden müsste. (Und ich sehe da auch keine Verkomplizierung, aber nu gut.) Aber aus diesem Grund ist man m.E. nicht zu Studierende® übergegangen.
@Michael Khan
Meine Güte, gibt es wirklich Erwachsene, die sich noch vor den Lehrer_innen und Kindergärtner_innen(*) ihrer Kinder fürchten? Da hat wohl jemand ganze Arbeit geleistet. Welcher tatsächliche Nutzen rechtfertigt denn die Mühe, stets sorgsam darauf zu achten, was die Leute wohl denken mögen? Und sich dabei nicht an den wenigen praktischen Erfordernissen des Zusammenlebens auszurichten, sondern an den ins Groteske überdrehten Verhaltensregeln einer kleinen Szene? Beim Vorlesen von Kinderbüchern Anerkennung als Weltverbesserer zu suchen, das ist an Originalität schwer zu überbieten.
(*) Um mal aufs ursprüngliche Thema zurückzukommen, Hand aufs Herz: wer hat an dieser Stelle Erzieher mitgedacht? Und was verrät uns die Antwort über den Nutzen des Schönredens?
Erzieher mitgedacht?
Ich muss sagen, ich bin mir nicht sicher das ich die Frage richtig verstehe.
Implizieren sie, das die Bezeichnung “Kindergärtner_innen” keine Bezeichnung für Erzieher ist?
@Sven Türpe
Keine Ahnung, und es interessiert mich auch nicht, denn es hat wenig mit meiner Aussage zu tun.
Bitte langweilen Sie uns jetzt nicht mit dem Versuch, so zu tun, als hätten Sie nicht ganz genau verstanden, worauf ich Bezug nahm.
@Michael Khan
Ich habe verstanden, man müsse mit alten Texten Vorsicht walten lassen, da sie durch den gewandelten Kontext nicht etwa einer eventuellen rassistischen Grundierung entkleidet seien, sondern im Gegenteil heute schlimemr als zur Zeit ihrer Entstehung. War das falsch? Ich meine, niemand wird heute hier ein spezifisches Stereotyp mit Schmulchen Schievelbeiner verbinden. Die zitierte Strophe dürfte weithin vor allem für ratloses Achselzucken sorgen, weil alle Referenzen in der Alltagserfahrung ins Leere zeigen. Aber anscheinend gibt es Kreise, die das anders sehen, und vor denen muss man sich fürchten. Ehrlich, ich möchte einfach die Gedankengänge dahinter verstehen. Dass sich Eltern sorgen machen mussten, von ihren Sprösslingen in Bildungseinrichtungen verpfiffen zu werden, kenne ich bislang nur aus Geschichtsbüchern.
@TMP
Nein, sondern ich frage mich, ob die in gewissen Kreisen als korrekt und gerecht geltende Bezeichnung Kindergärtner_innen irgend jemanden an etwas anderes denken lässt als Kindergärtnerinnen. Ob also die ganze Quälerei tatsächlich andere Vorstellungen hervorruft als jene, die durch vielfache Realitätserfahrung geprägt sind.
Inselbewohner
Ich habe Michael Khan so verstanden, dass es für ihn schlicht einen Unterschied macht, ob man mit seinem Sprössling in der U‑Bahn sitzt und der Sohn plötzlich sagt, “Papa schau mal, ein Neger” oder “Papa guck, ein Inselbewohner”. Wobei der liebe Sohn letzteres wohl gar nicht sagen würde — Was für A.S. intelligente Übersetzung spricht!
Eine kurze Frage an Herrn Stefanowitsch
Genderstudien sind die Disziplin, welche meiner Einschätzung nach schlechterdings am weitesten von den von Ihnen benannten Kriterien der Wissenschaftlichkeit entfernt sind. Nehmen Sie diese Fachrichtung dennoch ernst?
Nur aus Interesse.
Ihr
Menschenfreund
Disclaimer:
Ich stimme dem Beitrag, dessen Kommentarsektion für andere Diskussionen okkupiert wird, zu, sehe kein Problem darin, “Inselbewohner” einsetzen noch habe ich sonstige massive Einwände gegen den Gebrauch gereinigter Sprache.
Nein, nein, ich bin kein Reaktionär, ich bin nur neugierig.
@Sven Türpe
Bitte setzen Sie der Einfachheit halber einfach voraus, dass ich das, was ich schrieb, auch genau so meine, wie ich es schrieb. Ich habe keine Lust, mich über kreative Interpretationen meiner Aussagen zu unterhalten. Gegen die altbekannte “Du hast doch gesagt, dass …”-Taktik bin ich schon seit meinen Usenet-Zeiten weitgehend immun.
Sven Türpe,
Weil es heutzutage keinen Antisemitismus mehr gibt? Da sind Sie aber ganz schlecht informiert.
@Markus Dahlem
So ist es. Wobei es, wenn ich beispielsweise Mark Twains “Huckleberry Finn” komplett vorgelesen hätte, sehr wohl sein könnte, dass der Sprössling loskräht: “Guck mal, ein Nigger!”. Dieses Wort kommt in dem Buch unzählige Male vor.
Das läge dann noch nicht einmal daran, dass Mark Twain selbst an dieser abfälligen Bezeichnung Gefallen fand (dies ist bei Wilhelm Buschs antisemitischen Äusserung anders) oder dass er unkritisch den ganz normalen Rassismus in der Gesellschaft verinnerlicht hat.
Twain lässt seine Figuren so reden, wie man damals eben redete. Alles andere wäre forciert und unrealistisch.
Leider ist heutzutage ein Klassiker wie “Huckleberry Finn” nicht mehr allgemein bekannt. Der Geschichte, die im Buch erzählt wird, kann man sich, je nach Alter, auf verschiedenen Ebenen nähern.
Als Kind nimmt man zuerst die Abenteuerstory wahr. Als Jugendlicher fällen einem der Humor auf, der in verschiedenen ironischen Referenzen auf andere Jugendbuchklassiker und den Aberglauben und die Leichtgläbigkeit der Kleinstadtbevökerung steckt.
Als Erwachsener sieht man die tragische Seite: die Konflikte des Protagonisten, eines Aussenseiters in einer Kleinstadtgesellschaft, der von seinem Alkoholiker-Vater misshandelt wird (bis hin zum Mordversuch) und nach seiner geglückten Flucht einerseits einem entflohenen Sklaven hilft, andererseits aber in schwere Gewissensnot gerät, weil er glaubt, sich dadurch an schwerem Diebstahl mitschildig zu machen — schliesslich gehört der Sklave ja jemandem.
Ich habe dieses Buch selbst in meinem Leben mehrmals gelesen und finde es gut, wenn Kinder das tun. Trotzdem möchte ich aber nicht, dass meine Kinder, solange sie noch zu klein sind, um sich darüber Gedanken zu machen, “Nigger” sagen. Ist einfach so. Um zu verhindern, dass sie das tun, lese ich halt selektiv vor.
Wenn es jemandem nicht passt, wie ich meine Kinder erziehe, ist mir das vollkommen egal, also ist auch eine entsprechende Belehrung überflüssig. Ich schreieb ja auch anderen nicht vor, wie die ihre Kinder zu erziehen haben.
@Michael Khan
Ich wüsste trotzdem gerne, was wirklich gemeint war.
@Gareth
Nein, weil er sich heute anders äußert und weil man ihn gerade nicht bekämpft, indem man demonstrativ an alten Texten schraubt (und auf dem Heimweg noch ein wenig “Israelkritik” übt).
@Michael Khan
Ich zähle mich durchaus auch zu den Eltern, die nachdenken, bevor sie ihren Kindern etwas vorlesen. Dennoch “säubere” ich die Lektüre meiner Kinder (haupts. meiner Tochter, 5 Jahre) keineswegs. (Ich lese auch Märchen in alter Sprache vor, so wie auch ich sie kennengelernt habe, und suche nicht krampfhaft nach einer modernisierten Version.)
Meine Vorgehensweise ist die, daß ich ihr an Ort und Stelle erkläre, was die Wörter bedeuten und warum man manche von ihnen nicht mehr verwenden sollte. Ich erkläre dazu, daß z.B. Pippi Langstrumpf schon ein recht altes Buch ist und deshalb dort Wörter drinstehen, die man heute aber nicht mehr gut findet, weil sie andere Leute beleidigen.
Ja, meine Tochter versteht das durchaus. Darüber hinaus lernt sie auch gleich, daß Sprache sich mit der Zeit verändert. Daß das Denken sich verändert. Und sie weiß dann, wenn jemand das Wort “Neger” benutzt, was derjenige damit meint bzw. daß derjenige Menschen mit dunkler Haut nicht sonderlich mag. Das wiederum wird ihr — wenn nicht jetzt, dann später — helfen, andere Menschen besser einzuschätzen.
Wichtig ist nicht, welche Wörter Kinder kennenlernen und ggf. mal irgendwo ausprobieren. Wichtig ist, was man selbst als Eltern vorlebt. Wichtig ist, was man den Kindern zu diesen Wörtern erklärt. Wichtig ist auch ein gewisses Maß an Vertrauen ins Kind und in die eigene Erziehung.
Meine Tochter kann Texte in Großbuchstaben bereits problemlos lesen. In ein paar Wochen werden es alle Texte sein. Spätestens dann wird’s schwierig mit der Zensur. Meine Eltern (blind) konnten meine Lektüre von Anfang an nicht zensieren. Ich konnte ebenfalls selbst lesen, bevor ich in die Schule kam. Und aus mir ist auch kein Rassist geworden.
Ich kann die Gedanken von Herrn Türpe zumindest im Grundsatz nachvollziehen. Rassismus entsteht nicht durch Wörter. Die Wörter werden geprägt, um eine bestimmte Denkweise auszudrücken — der Rassismus ist also zuerst da. Und die dazugehörige Terminologie zu unterdrücken, führt m. E. auch nicht zum Umdenken der Gesellschaft. Es führt nur dazu, daß Rassismus sich gewählter ausdrückt. (Mittels Tabletten den Schmerz zu unterdrücken führt ja auch nicht zur Beseitigung der Grunderkrankung.)
Bei “Ausrutschern” in Kindergarten oder Schule — was bisher noch nicht vorgekommen ist — vertraue ich mal darauf, daß die Erzieher das schon einordnen können. Immerhin bin ich in diesen Institutionen ja keine völlig unbekannte Größe. Und wenn nicht, wird das Verhalten meiner Kinder auf die Dauer eh für sich sprechen.
Im Zweifelsfall gehen Sie der Einfachheit halber am besten davon aus, dass ich genau das meinte, was ich schrieb.
Wenn da nichts von Dingen wie dem “Schrauben an alten Texten” oder Angst vor Lehrer_innen steht, dann versichere ich Ihnen hiermit, dass Sie getrost davon ausgehen können, dass das auch nicht gemeint war.
Sollte es so sein, dass Sie eigentlich über ganz andere Sachen reden wollen, ich aber Ihnen aber nicht den Gefallen getan habe, Ihnen einen geeigneten Aufhänger zu liefern, dann bitte ich Sie, das Einbringen Ihres Lieblingsthemas nicht als Interpretation meines Kommentars zu tarnen.
P.S.
Zitat: “Nein, weil er sich heute anders äußert und weil man ihn gerade nicht bekämpft, indem man demonstrativ an alten Texten schraubt (…)”
Genau das denke ich ebenfalls. Man sagt nicht mehr “Neger” oder “Ausländer”, sondern “Farbige”, “Mitbürger mit Migrationshintergrund” oder was immer gerade “in” ist. Man drückt sich aus, wie es erwartet wird, wenn man keine Schwierigkeiten bekommen möchte. Aber den türkischen Nachbarn zum Geburtstag einladen…? ^^
Da liegt doch der Hase im Pfeffer.
@Ute
Ich stimme Ihnen weitestgehend zu. Aber Sie sprechen eigentlich von einem Thema, um das es mir noch nicht einmal geht.
Ich habe gar nicht an eine Bekäupfung des Rassismus in der Gesellschaft gedacht. Ich kann nicht jede Minute meiner Zeit mit Kämpfen für gesellschaftliche Fragen einsetzen. Ich lebe ein normales Leben und wenn es um Kindererziehung geht, dann hat das für mich erst einmal mit konkreteren Dingen zu tun.
Ich will eigentlich nichts weiter als zum Ausdruck bringen, als dass dies erst einmal etwas ganz Normales ist, was zum Elterndasein gehört und nicht etwas so Absurdes und Abstruses, dass es im Hohlspiegel gut aufgehoben wäre.
Ich will in der Tat nicht, dass mein Kind mit rassistisch belegten Schimpfworten wie “Nigger” um sich wirft, auch dann nicht, wenn dies unreflektiert geschieht, weil das Kind noch viel zu klein ist, um so etwas richtig einzuordnen und sich einfach gar nichts dabei denkt oder gemerkt hat, dass das Anstoß erregt. Dies gilt aber auch für Kraftausdrücke aus dem Fákal- und Sexualbereich.
Dass es so etwas ohnehin einmal aufschnappen wird, ist sicher richtig, aber ich muss den Prozess nicht noch selbst beschleunigen.
Es geht mir bestimmt nicht darum, Teile der Wirklichkeit auszublenden. Es kommt aber schon darauf an, wie und wann ein Sachverhalt vermittelt wird. Alles zu seiner Zeit.
Im Übrigen respektiere ich es, wenn andere Eltern, die die Sache im Grunde genau so sehen wie ich, in der Erziehung ihrer Kinder zu einer anderen Handhabung kommen als ich.
Diskriminierung
@ A.S. „Ob es das Verhalten ändert, weiß ich nicht. Auf jeden Fall ändert es den kommunikativen Umgang, das ist doch schon etwas.“
Das ist genau der Punkt. Ist das wirklich „schon etwas“? Und wen ja, was? Geht es hier nur darum, dass die Verfechter dieser Sprache sich gegenüber denen positionieren, die diese Akrobatik ablehnen? Ich habe noch nie erlebt, dass Kritiker von Anglizismen in der persönlichen Interaktion jemanden anblaffen, der beispielsweise „cool“ sagt. Die Anglizismenjagd ist eher eine Sache von Sprachkolumnen. Die Verfechter der PC-Sprache greifen hingegen regelmäßig die Verweigerer persönlich an. Hier scheint mir der eigentliche Sinn der Übung zu liegen: Eine Möglichkeit, über andere herzufallen. Davon haben die Betroffenen herzlich wenig.
@ Andreas S. „Es bedarf keines anderen ‚objektiven’ Grundes ein Wort für eine Menschengruppe nicht mehr zu verwenden als dass diese Gruppe sich durch diesen Begriff diskriminiert fühlt.“
Hier sehe ich das Problem, dass sich Gruppen als Opfer gerieren, um bestimmte Privilegien leichter einfordern zu können oder einfach um ihr Image aufzupolieren.
Zwei Beispiele:
1.) Die von mir schon erwähnten Friseusen, die „Friseurinnen“ sein wollen. Mir ist nicht aufgefallen, dass Friseusen diskriminiert würden, dass dieser Beruf bestimmte vielleicht nicht sehr schmeichelhafte Assoziationen hervorruft, ist noch kein Grund für eine Umbenennung. Viele Berufe haben Imageprobleme, das heißt jedoch nicht, dass man die alle umbenennen müsste.
2) Ukrainische Nationalisten kritisieren, dass der Name ihres Landes so etwas wie „Randgebiet“ bedeute (könnte aber auch als „Grenzland“ gedeutet werden). Dies sei eine russozentrische Sicht. Da sich nun aber der Name des Landes nicht so einfach ändern lässt, verlangen sie von den Russen, dass diese nicht mehr, wie bisher „na Ukraine“ („auf“ der Ukraine, „auf dem Rand“) sondern „w Ukraine“ („in“ der Ukraine, „im Rand“) sagen. „Auf“ der Ukraine sei angeblich diskriminierend. Diese Diskussion spielt sich vor dem Hintergrund ab, dass die ukrainischen Nationalisten ihr Land generell als Opfer Russlands positionieren und damit u. a. auch die Kollaboration bestimmter politischer Gruppen mit der Wehrmacht rechtfertigen.
Ukrainische Politiker versuchen darüber hinaus seit längerem, den sogenannten „Holodomor“, die Hungersnot in den Jahren 1932/33 international als von Russland herbeigeführten Genozid am ukrainischen Volk anerkennen zu lassen. Kritiker dieser Position bestreiten nicht, dass diese Hungersnot bewusst vom Sowjetregime herbeigeführt worden ist, allerdings um wohlhabende, antikommunistische Bauern zu vernichten („Liquidierung der Kulaken“). Zudem waren Bauern im ganzen Gebiet der Sowjetunion betroffen. Es sei also kein Genozid.
Mit diesem Exkurs möchte ich darlegen, dass nicht jeder, der ruft „Hilfe, ich werde diskriminiert, ich will jetzt soundso heißen“ ein automatisches Anrecht hat, diese Forderung durchzubringen.
Sven Türpe,
Ich bin mir der Problematik des Antizionismus bewusst. Das heißt aber noch lange nicht, dass alte Stereotypen nicht immer noch problematisch sein können. Sie unterstellen hier ja symbolpolitische Handlungen, die ich aber nicht erkennen kann. Weil sich Antisemitismus heute in angeblicher Israelkritik äußert, kann man “alten” Antisemitismus unkommentiert reproduzieren? Die Logik erschließt sich mir nicht.
@Gareth
Sie sind es aber nicht automatisch, schon gar nicht, wenn wir allein auf die Syntax als Oberfläche starren. Unter dieser Oberfläche lauern Semantik und Pragmatik und entziehen dem Versuch plakativen Wohlverhaltens schnell die Grundlage. Dürfen wir Lutheraner noch — oder wieder — Lutheraner nennen? Oder Heiden als Heiden bezeichnen?
Anders herum wird es einem Rassisten spielend gelingen, seinen sehr verehrten Mitbürgerinnen und Mitbürgern mit Migrationshintergrund mit überschwänglicher Korrektheit und Freundlichkeit — eine gute Reise nach Hause zu wünschen. Eben weil er verstanden hat, dass es auf formale Syntaxregeln überhaupt nicht ankommt, sondern darauf, dass der Empfänger versteht, was gemeint ist.
an A.S.
“Das Problem an all diesen Strategien ist, dass sie wirkungslos sind. Sprache lässt sich von außen nicht regulieren, das lehrt und die Geschichte des Sprachpurismus in all seinen Spielarten. Wer die Sprache verändern will, muss es von innen tun. Wem es nicht ausreicht, ein gutes sprachliches Vorbild für sein direktes Umfeld zu sein (wie auch immer er/sie sprachliche Güte definiert), der muss seine kommunikative Reichweite vergrößern. Schriftsteller/innen, Journalist/innen, Übersetzer/innen und natürlich auch Blogger/innen erreichen mit ihren sprachlichen Produkten ungleich mehr Mitglieder der Sprachgemeinschaft als durchschnittliche Sprecher/innen und können so eine gewichtigere Rolle im Entwicklungsprozess der Sprache spielen. Wie gewichtig, das hängt davon ab, wie interessant, überzeugend und relevant das ist, was sie von sich geben, und wie gut es ihnen gelingt, die vorhandenen sprachlichen Mittel auszuschöpfen und zu erweitern.”
Ich finde diese Aussage von Ihnen widersprüchlich.
Den FrauenrechtlerInnen und politisch Korrekten ist doch genau das gelungen, was sie ansonsten abstreiten, dass es je gelänge, jedoch dem VDS als Mittel zum Zweck absprechen wollen, nämlich durch politischen Druck, also von außen, Einfluss auf den Sprachgebrauch in Deutschland zu nehmen.
Dem Grunde nach hat man erfolgreich moralisch argumentiert, so dass sich heute niemand mehr traut, öffentlich z.B. ausschließlich die männliche Form oder Unworte wie “Neger” oder “Zigeuner” in den Mund zu nehmen.
Das Anliegen und die Vorgehensweise des VDS sind jedoch durchaus vergleichbar, er macht politischen Druck und argumentiert moralisch und wertend (“Anglizismen sind unschön und verschandeln unsere Sprache. Pfui dem, der sie in den Mund nimmt! Wir brauchen sie nicht, unsere Sprache ist so reich”… usw.)
Schaffte der VDS das, müssten wir unsere politische Korrekheit in Zukunft nur noch um die Vermeidung von Anglizismen erweitern. Wir würdigten dann sprachlich weiterhin keine soziale Randgruppen herab und setzten uns sprachlich weiter für die Gleichberechtigung der Geschlechter ein, verzichteten zusätzlich jedoch auf den unsere Muttersprache herabwürdigenden Gebrauch von Anglizismen.
@Klausi:
“Dem Grunde nach hat man erfolgreich moralisch argumentiert, so dass sich heute niemand mehr traut, öffentlich z.B. ausschließlich die männliche Form oder Unworte wie “Neger” oder “Zigeuner” in den Mund zu nehmen.
Das Anliegen und die Vorgehensweise des VDS sind jedoch durchaus vergleichbar, er macht politischen Druck und argumentiert moralisch und wertend ”
Dass sich niemand mehr trauen würde, ausschließlich die männliche Form zu benutzen, bemerke ich so nicht. Aber abgeshen davon: Natürlich kann und darf der VDS auch moralisch wertend argumentieren und — soweit er kann — politischen Druck ausüben. Aber er tut es halt mit wenig Erfolg, einfach weil das moralische Anliegen die Sprache zu schützen nicht besonders überzeugend ist.
Es ist mir zum Beispiel völlig unklar, wieso es die Würde einer Sprache verletzen sollte, wenn sie um neue Worte bereichert oder sagen wir lieber neutral erweitert wird. Einen “herabwürdigenden Gebrauch von Anglizismen” kann es vermutlich gar nicht geben.
An Joachim
“Einen ‘herabwürdigenden Gebrauch von Anglizismen’ kann es vermutlich gar nicht geben.”
Das ist natürlich richtig, Sprache kann man nicht beleidigen, das ist Menschen vorbehalten. Dass ich micht vielleicht beleidigt fühle, ändert an der Tatsache nichts.
An Klausi
Fühlen Sie sich denn beleidigt, wenn andere Anglizismen benutzen? Und wenn ja, was ist daran beleidigend?
@Klausi
Ich verstehe die Logik von A.S. und seiner Mitstreiter so:
Für PC-Sprache zu streiten ist gerechtfertigt, weil es einer guten Sache dient. Wer die Verfechter dieser Sprach-Variante kritisiert, ist letztlich für Diskriminierung.
Gegen Anglizismen zu streiten ist sinnlos und dient nur fragwürdigen Zwecken: Selbstbestätigung, Lust an der Kritik, elitärer Ästhetizismus.
Aus meiner Sicht lässt sich diese Kritik auch auf die PC-Sprache anwenden: Daß sie den Betroffenen hilft, kann nicht belegt werden. Dafür dient sie trefflich dazu, sich selbst als moralisch höherwertig und andere als böswillig zu positionieren.
An Joachim
“Fühlen Sie sich denn beleidigt, wenn andere Anglizismen benutzen? Und wenn ja, was ist daran beleidigend?”
Sagen wir es einmal so: Ich bin auf meine Sprache in gewisser Weise stolz, nicht etwa, weil ich sie für besser als andere Sprachen halte, sondern zunächst einmal nur weil es meine ist. Da bin ich eigen.
Hinzu kommt, dass viele andere der englischen Sprache ein Mehr an Ausdruckskraft und ‑fähigkeit zusprechen. Das ist natürlich Unsinn, was z.B. A.S jederzeit bestätigen wird.
Über diese Überbewertung und Falscheinschätzung des Englischen und vor allem über die bei uns im Zuge dessen weit verbreitete Abwertung der eigenen Sprache bin ich stinkesauer. (Beleidigt ist demnach auch nicht ganz unpassend)
Meine Abneigung gegen Anglizismen rührt also von der Missachtung der eigenen Sprache her. Das muss sich niemand zu eigen machen, aber ich sehe das so. Rein gefühlsmäßig und wenig Verstandes geprägt. Das Stichwort Wettberwerbsnachteile, die ich in vielen Bereichen sehe, lasse ich mal weg, das führte hier zu weit, zumal ich meinen Hauptbeweggrund ja bereits genannt habe.
Derart gläubig, kann man mir mit anderen Religionen, schon gar nicht mit Wissenschaftlichkeit, nicht kommen.
@Klausi
Nun, es ist Ihre Sprache. Aber eben nicht exklusiv Ihre, sondern eben auch meine. Meine Sprache ist aber eine lebendige, die sich mit der Zeit ändert, und zwar auch, weil ich das so will (ich finde zum Beispiel, dass ich eigentlich auf “äh” in meinen Sätzen verzichten sollte, um mal ein ganz unverfängliches Beispiel zu nennen). Was machen wir nun?
@Lars Fischer
Nun denken wir alle zusammen einmal darüber nach, dass uns diese Sprache voraussichtlich überdauern und sich ohne unsere Mitwirkung weiterentwickeln wird. All die Neger, Eskimos und Indianer sowie die jeweiligen ‑innen dazu werden eines Tages nur noch Randnotizen der Geschichte sein, für die sich außer einigen Wissenschaftlern niemand interessiert. Ganz gleich, wie wir heute mit diesen Worten umgehen: rückblickend wird man uns dann für ganz schön blöd halten.
Ich werte meine eigene Sprache nicht ab, wenn ich Ihnen jetzt zum Beispiel rate, cool zu bleiben, weil ich Anglizismen gar nicht erst als Fremdkörper betrachte. Das was Sie beschreiben, klingt fast wie die Beschreibung einer Allergie, die ja auch kein gesunder Zustand ist.
@Sven Türpe
Oder die ‘innen bleiben erhalten. Oder wir bekommen eine weitgehend geschlechtsneutrale Sprache [historisches Beispiel: Englisch].
Wir sprechen und schreiben nicht wie Bismarck, Goethe, Grimmelshausen, Luther, Charlemagnes Chronisten und Ausfertiger. Engländer haben mindestens ebenso viel Schwierigkeiten, Beowulf zu lesen wie Deutsche, möglicherweise mehr. Was aber sagt uns das? Ziemlich wenig, außer, dass Sprache sich wandelt, ob irgendjemand möchte oder nicht. Oder: Sprache kümmert sich einen feuchten um die Befindlichkeiten einzelner.
Wer ernsthaft glaubt, eine Ächtung des Wortes ‘Neger’ wäre gleichzusetzen mit einem grundgesetzlichen Gebot, ‘Rechner’ zu sagen, auch wenn Computer gemeint ist, hat ein Problem mit seinem moralischen Kompass. Und ein zweites mit seinen analytischen Fähigkeiten.
An Lars Fischer
“Nun, es ist Ihre Sprache. Aber eben nicht exklusiv Ihre, sondern eben auch meine. Meine Sprache ist aber eine lebendige, die sich mit der Zeit ändert, und zwar auch, weil ich das so will (ich finde zum Beispiel, dass ich eigentlich auf “äh” in meinen Sätzen verzichten sollte, um mal ein ganz unverfängliches Beispiel zu nennen). Was machen wir nun?”
Dass Sprache sich ändert, ändern muss, um lebendig zu bleiben, damit kann ich gut leben. Es fragt sich nur, in welchem Tempo und ob jede Änderung wünschenswert ist. Das muss zunächst jeder mit sich selbst ausmachen, aber darüber nachdenken sollte man schon. Ich zum Beispiel fühle mich nicht nur nicht mehr in der Sprache so richtig zuhause, sondern mir graut sogar schon davor, das Radio anzuschalten. Was mir da entgegenschallt, wirkt auf mich eher befremdlich als anheimelnd. Wir sind anscheinend schon gar nicht mehr willens und kaum noch in der Lage, unsere Belange und Befindlichkeiten künstlerisch und gesanglich in der eigenen Sprache auszudrücken. Das ist nicht nur bedauerlich, sondern eigentlich ein Armutszeugnis für den kulturellen Zustand unseres Landes.
@Klausi:
Nun ja, Es scheint genug Leute zu geben, die noch ohne Grausen das Radio anschalten (was mir aus anderen als sprachlichen Gründen auch nicht mehr möglich ist). Und ich würde argumentieren, dass die Sprache, in der ich meine tiefsten Empfindungen ausdrücken kann, per Definition meine eigene ist.
Wenn Sie nun Unbehagen angesichts der Sprache aller anderen plagt. Tja. Eine wie auch immer geartete kulturelle Verarmung aller anderen können Sie jedenfalls nicht einfach anhand Ihres Bauchgefühls postulieren.
Sie kennen vielleicht den uralten Witz mit dem Geisterfahrer…
An Lars Fischer
“Wenn Sie nun Unbehagen angesichts der Sprache aller anderen plagt. Tja. Eine wie auch immer geartete kulturelle Verarmung aller anderen können Sie jedenfalls nicht einfach anhand Ihres Bauchgefühls postulieren.”
Mich plagt nur mein eigenes Unbehagen, bei anderen plagt mich lediglich die Frage, weshalb die nicht auch Unbehagen verspüren.
Bauchgefühl
Dieses Wort — Bauchgefühl — scheint ein Schlüsselwort derer zu sein, die jegliche Kritik an Anglizismen als illegitim oder albern abtun.
Aber was ist Sprachgefühl anderes als Bauchgefühl? Wenn eine bestimmte Sprache von einem als schön, von anderen als hässlich empfunden wird. Aus vielen Bauchgefühlen wird eine Übereinkunft. Als das Bauchgefühl von immer mehr Leuten die zahllosen französischen Lehnwörter als affig empfunden hat, sind sie entweder verschwunden oder wurden bis zur Unkenntlichkeit eingedeutscht.
@ Lars / der Witz mit dem Geisterfahrer
Lars,
ist nicht mitunter gerade der sprachliche GEISTERFAHRER, also der, der gegen alle Konventionen anfährt, der eigentliche literarische Held? Denk’ doch mal an die Dadaisten…
Ich grüße mit Hugo Ball und einem herzlichen “Ba-Umpf”
Karawane
jolifanto bambla ô falli bambla
grossiga m’pfa habla horem
égiga goramen
higo bloiko russula huju
hollaka hollala
anlogo bung
blago bung
blago bung
bosso fataka
ü üü ü
schampa wulla wussa ólobo
hej tatta gôrem
eschige zunbada
wulubu ssubudu uluw ssubudu
tumba ba- umf
kusagauma
ba — umf
@Klausi
“Ich zum Beispiel fühle mich nicht nur nicht mehr in der Sprache so richtig zuhause, sondern mir graut sogar schon davor, das Radio anzuschalten. Was mir da entgegenschallt, wirkt auf mich eher befremdlich als anheimelnd.”
Ja, so geht’s mir auch jeden Tag seit ich vor 4 Jahren aus Österreich nach (Mittel)Deutschland gezogen bin;-) Immer diese Leut’ die da ‘Stuhl’ sagen wenn’s einen Sessel meinen, oder dieses unsägliche ‘Quark’ (lässt mich an Enten denken aber nicht an Topfen), Und erst wie die ‘Kaffee’ immer falsch betonen. Ich könnt’ die Liste der sprachlichen Grausamkeiten beliebig fortsetzen.
Allerdings, so mein Eindruck, kommen die meisten Leut hier ganz gut mit ihrer Version des Deutschen klar; jedenfalls haben linguistischen Bekehrungsversuche in meiner näheren Umgebung bisher wenig Widerhall gefunden.
Vielleicht sollt’ma einfach ein bisserl entspannter werden. Leben und leben lassen. Selber müass’ma ja nicht jeden Schas mitmachen.
@Helmut
Zweifellos. Aber der literarische Geisterfahrer erschafft ja auch, statt sich nur über anderer Leute Sprache zu mokieren. Der eine lebt sein Sprachgefühl aus, der andere lässt es aus, und zwar an anderen. Das ist der Unterschied.
Schwul
Ein Beispiel für eine erfolgreiche Sprachpolitik im Kampf gegen Diskriminierung liefert die Schwulenbewegung.
Hier hat man auf Wortakrobatik verzichtet („Menschen mit alternativer Sexualpräferenz“ oder so) sondern einfach das durchaus auch abwertend verwendete Wort „schwul“ als Eigenbezeichnung gewählt. „Ich bin schwul und das ist gut so“ ist für mich stärker als es irgendein PC-Begriff sein könnte und zeugt von mehr Selbstbewusstsein. So lassen sich sicherlich mehr Menschen überzeugen als durch ein Sprachverbot.
Gregor,
Wie zu sehen an den Beispielen Restaurant, Trikot, Plädoyer, Foyer, Soirée, Resümee, Portemonnaie, Balkon, Garage, Journalist, Bonbon, Terrain, Büro, Café, Chance, Dossier, Regisseur, Chauffeur, Friseur, Hotel, Parfüm, Parterre, Terrasse, Taille etc.? Und das sind nur die, die mir jetzt in 2 Minuten spontan eingefallen sind. Bis zur Unkenntlichkeit eingedeutscht? Das halte ich eher für die Ausnahme als die Regel.
innen
die feministen/innen beanspruchen …innen eigentlich immer nur für gesellschaftsfähige personengruppen, zu denen frauen sich selber gern zählen… ich habe in reden, nachrichten oder beiträgen noch nie gehört oder gelesen von mördern und mörderinnen, drogendealern und drogendealerinnen, bergarbeitern und bergarbeiterinnen, vergewaltigern und vergewaltigerinnen…
statt dessen lese ich absurderweise am eingang berliner museen: …das museum hat für besucher und besucherinnen von 8 bis 18 uhr geöffnet…
Stilkritik
Oft wird politisch korrekte Sprache von ihren Gegnern so dargestellt, als erkaufe man sich die gewünschten gesellschaftlichen Aspekte mit Maßnahmen, die Sprache komplizierter oder irgendwie “schlechter” machen.
Man könnte darin aber auch einfach einen Gewinn an Präzision sehen. Ein m. E. einschlägiges Beispiel steht in der heutigen NZZ (S. 36):
Dieser Satz ist offensichtlich unter den Bedingungen einer politisch korrekten Sprachregelung entstanden, und das, wie ich finde, weder zum Nachteil der Kürze noch des “Stils”. So ist etwa in einer Umgebung, wo das generische Maskulinum unüblich ist (wie inzwischen eben in der NZZ und, wie mir scheint, in der Schweiz überhaupt), ohne zusätzliche Auszeichnung klar, dass das Wort “Schüler” männliche Personen bezeichnet – eine Distinktion, auf die es im Kontext des Artikels ankommt.
Gerechte Sprache und Sprachpurismus
“Das Problem an all diesen Strategien ist, dass sie wirkungslos sind. Sprache lässt sich von außen nicht regulieren, das lehrt und die Geschichte des Sprachpurismus in all seinen Spielarten. Wer die Sprache verändern will, muss es von innen tun.”
Hier eine Auswahl von
Gelungenen Eindeutschungen und Wortprägungen
[Eine Auswahl aus 3500 Vorschlägen
des J.H.Campe (1746–1818)]
Adresse (Empfehlungsschreiben), Affektation (Anstellerei), Akademie, Universität (Hochschule), antik (altertümlich), approvisionieren (bevorraten), Arkanum (Geheimmittel), Attribut (Beigabe), Barrikade (Straßensperrung), belletristisch (schöngeistig), Bill (Gesetzentwurf), Botanik (Pflanzenkunde), Brigg (Einmaster), calquiren (durchzeichnen+), Crème (Rahmspeise), Delikatesse (Feingefühl, Zartgefühl), delikat (feinfühlig), desabusiren (enttäuschen), Despotismus (Gewaltherrschaft), Detailhandel (Kleinhandel), Diakon (Hilfsprediger), Diplom (Ernennungsurkunde), Dormeuse (Schlafwagen), Entréebillet (Einlaßkarte), Insekt (Kerbtier), insolvent (zahlungsunfähig), invalid (dienstunfähig), Inventar (Sachverzeichnis), kausal (ursächlich+), Kompilation (Sammelwerk), Komplott (Geheimbund), Konstitution (Körperbau), konträr (gegenteilig), konventionell (herkömmlich), Kursus (Lehrgang), Lokalität (Örtlichkeit), lyrisches Gedicht (Sinngedicht+), Markise (Sonnendach), materiell (stofflich+), mineralische Quelle (Heilquelle+), Motto (Sinnspruch+), Mundum (Reinschrift), Ochlokratie (Pöbelherrschaft), Original (Urschrift+), Ostrazismus (Scherbengericht), Parterre (Erdgeschoß), Photometer (Lichtmesser).
Hier zu finden: http://www.deutsch-nix-wichtig.de/Leseproben.html
Den Autor kenne ich nicht, mein Fund war ein Zufallsfund im Netz.
Gibt es Evidenz, daß Deutsche, die ‘StudentInnen’ sagen, eine andere Gesinnung haben als die, die ‘Studenten’ bevorzugen? Oder ist das eine Art linguistische Phrenologie, mit der man zirkulär die eigenen Vorurteile bestätigt?
Übrigens läßt mein persönlicher political-correctness-Detektor ‘Gesinnung’ nicht ohne weiteres passieren. Da sind bei mir anscheinend andere Kriterien geladen als bei Ihnen. Ich ignoriere seine Hinweise aber bisher und hoffe, Sie liefern mir keine Evidenz, die mich veranlassen würde, das zu ändern.
@Klausi: Ich könnte mir kein besseres Beispiel für meine hier geäußerten Thesen vorstellen als Joachim Heinrich Campe. Als Schriftsteller und Verleger hat er seine Eindeutschungen genau auf die Art in die Sprachgemeinschaft eingebracht, die ich hier als einzig erfolgversprechende dargestellt habe: er hat sie weithin sichtbar selbst verwendet. (Und trotzdem haben es laut Wikipedia von 11 500 Vorschlägen nur 300 geschafft, sich zu etablieren.)
@Jan Dönges: Ein guter Einwand. Ich nehme an, wenn es jemandem bei der Vermeidung von englischen Lehnwörtern nicht um eine reine Sprache sondern um eine Ablehnung der amerikanischen Kultur geht, und wenn dieser jemand ernsthaft glaubt, dass Lehnwörter ein Zeichen von kulturellem Duckmäusertum sind, dann sind seine Motivationen mit denen der Befürworter gerechter Sprache vergleichbar. Allerdings sind Lehnwörter kein Zeichen von kulturellem Duckmäusertum.
@Christoph Päper: Keine Absicht. Bei den Sprachnörglern passt es aber irgendwie, da es sich in der Mehrheit um misslaunige alte Männer handelt…
@Jürgen Bolt, Andreas S:
@Michael Kuhlmann: Die Gesinnung fällt bei der Verwendung neuer und markierter Formen wie der Binnenmajuskel vielleicht stärker ins Auge, sie ist aber an der Verwendung traditioneller Formen in gleicher Weise ablesbar. Ich werfe übrigens keinesfalls allen Verwender/innen des „generischen“ Maskulinums eine sexistische Gesinnung vor. So einfach ist das leider auch wieder nicht.
@Gregor: Ob es das Verhalten ändert, weiß ich nicht. Auf jeden Fall ändert es den kommunikativen Umgang, das ist doch schon etwas.
@Michael Kuhlmann, die zweite:
Das ist absolut richtig, ich verweise hier noch einmal auf meinen alten Bremer-Sprachblog-Beitrag zur „konnotativen Leiter“.
Jeder, der Kindern aus Kinderbuch-Klassikern vorliest, kennt das Problem, dass Ausdrücke und Begriffe, die zur Entstehungszeit der Werke niemandem auffielen, genau deswegen so unauffällig waren, weil sie den ganz normalen Rassismus der damaligen Zeit wiederspiegeln. Beispiele gibt es zuhauf, nicht nur in den frühen Comic-Geschichten aus der Tim-und-Struppi-Reihe des belgischen Zeichners “Hergé”, (die sich in späteren Bänden nicht mehr findet), oder auch folgende Beschreibung eines Juden aus der Wilhelm-Busch-Geschichte “Plisch und Plum”:
Kinder in einem gewissen Alter plappern nun einmal auch unschöne Sentenzen dieses Kalibers — und die gibt es wirklich zuhauf, nicht nur bei Busch — unreflektiert nach. Oft machen sie absichtlich Äußerungen, bei denen sie die Erfahrung gemacht haben, dass sie damit Anstoß erregen.
Erwachsene können das in den richtigen Kontext einordnen, sie akzeptieren es, oder auch nicht.
Kinder, gerade sehr junge, können das aber nicht unbedingt, auch nicht nach einer Erklärung. Wenn man aber nicht will, dass die in der Schule oder im Kindergarten Spottreime diese Art wiederholen, und, wenn sie zur Rede gestellt werden, antworten “Das hat mir aber der Papa so vorgelesen”, dann überspringt oder “bereinigt” man die anstößigen Stellen.
Wer einem Vierjährigen eine Bildergeschichte über zwei freche Hunde vorliest, will nicht unbedingt, dass daraus eine Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus in Deutschland wird, der der Vierjährige ohnehin nicht wird folgen können.
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