Verzerrte Realitäten

Von Anatol Stefanowitsch

An vie­len Orten der Welt bemühen sich Sprachwissenschaftler/innen darum, ster­bende Sprachen zu doku­men­tieren. Das ist nicht nur für die Sprach­wis­senschaft wichtig, son­dern manch­mal auch für die betrof­fe­nen Sprachge­mein­schaften, wenn die nach­fol­gen­den Gen­er­a­tio­nen die Sprache ihrer Vor­fahren wieder­beleben möcht­en. Wer die Doku­men­ta­tion ster­ben­der Sprachen unter­stützen möchte, kann das z.B. durch eine Spende an die Gesellschaft für Bedro­hte Sprachen tun.

Ab und zu ent­deck­en die Forscher/innen bei ihrer Doku­men­ta­tion­sar­beit sog­ar bis­lang unbekan­nte Sprachen. Aus sprach­wis­senschaftlich­er Sicht ist das beson­ders beson­ders span­nend, weil immer die Möglichkeit beste­ht, dass die neu ent­deck­te Sprache Eigen­schaften hat, die wir vorher für unwahrschein­lich oder sog­ar für unmöglich gehal­ten hät­ten. So zum Beispiel, als der Mis­sion­ar und Feld­forsch­er Desmond Der­byshire im Rah­men sein­er Mis­sion­stätigkeit die Sprache Hixkaryana ent­deck­te, deren grundle­gen­der Satzbau die bis dato für unmöglich gehal­te­nen Rei­hen­folge Objekt-Verb-Sub­jekt aufwies (Der­byshire 1961).

Aber als ich die fol­gende Schlagzeile in meinem Fee­dread­er sah, war ich dann doch über­rascht: „Lin­guis­ten ent­deck­en neue Sprache, die unsere Real­ität verz­er­rt“, schreibt das Tech­nikblog „Giz­mo­do“ (nur, damit kein falsch­er Ein­druck entste­ht: Ich lese Giz­mo­do nicht, aber mein Fee­dread­er durch­sucht für mich Google News nach Wörtern wie „Anglizis­mus“, „Sprach­wan­del“ und eben auch „Lin­guis­ten“).

Eine Sprache, die unser­er Real­ität verz­er­rt? Das klang für mich nach Ian Wat­sons spek­takulären Sci­ence-Fic­tion-Meis­ter­w­erk The Embed­ding (dt. „Das Babel-Syn­drom“), in dem es um eine solche Sprache geht. Meine Neugi­er war also geweckt und ich erfuhr

dass Forsch­er eine neue Sprache ent­deckt haben. Eine Sprache die völ­lig anders ist als jede die wir bish­er kennen.

Die bei­den Lin­guis­ten gaben ihr den Namen Koro. Die Wis­senschaftler stießen auf die Sprache am Fuß des Himala­jas. 800 Bewohn­er eines abgele­ge­nen Dor­fes kom­mu­nizieren noch auf diese Weise. Nepal hat über 120 bere­its bekan­nte Dialek­te. Koro ist jedoch vol­lkom­men neu. Die Sprache ist anscheinend anders gegliedert als jede andere uns bekan­nte Kom­mu­nika­tions­form. Die Forsch­er haben dort die Gele­gen­heit mit Men­schen zu inter­agieren, die ein völ­lig anderes Bild von unser­er Welt haben als wir, weil die Sprache die sie benutzen vol­lkom­men anders aufge­baut ist.

Laut den Forsch­ern beschreiben Koro-Sprech­er unsere Welt mit Wort-Struk­turen, die in keine andere uns bekan­nte Sprache über­set­zt wer­den kön­nen, meint Dr. Gre­go­ry Ander­son – ein­er der bei­den Lin­guis­ten. [GIZMODO.de/Roubintchik 2010]

Nun sind die Sprachen der Welt in ihrem Auf­bau tat­säch­lich sehr vielfältig, sodass es zunächst plau­si­bel klin­gen mag, dass es irgend­wo eine der­ar­tig einzi­gar­tige Sprache geben kön­nte. Trotz­dem war mir sofort klar, dass es sich bei diesem Artikel tat­säch­lich um (unfrei­willige) Sci­ence Fic­tion han­delt. Denn zwei Dinge wer­den wir unter den noch unent­deck­ten Sprachen und Sprachge­mein­schaften der Welt mit Sicher­heit nicht find­en: „Wort-Struk­turen, die in keine andere uns bekan­nte Sprache über­set­zt wer­den kön­nen“ und Men­schen, „die ein völ­lig anderes Bild von unser­er Welt haben als wir, weil die Sprache die sie benutzen vol­lkom­men anders aufge­baut ist“.

Natür­lich kann es Sprachen geben, die Wörter nach für uns unge­wohn­ten Prinzip­i­en auf­bauen (zum Beispiel die Eski­mo-Aleut-Sprachen, mit ihrem mythisch über­höht­en Schnee­vok­ab­u­lar, siehe z.B. hier), aber über­set­zen kön­nen wir diese Wörter natür­lich immer, denn für die Über­set­zung spielt die Struk­tur von Wörtern keine Rolle, da ja nur die Bedeu­tung über­tra­gen wer­den soll. Es gibt möglicher­weise auch Men­schen, die die Welt auf eine min­i­mal andere Weise kat­e­gorisieren als wir, weil ihre Sprache ihnen min­i­mal andere Kat­e­gorisierun­gen nahelegt. Vol­lkom­men überzeu­gend ist die Evi­denz dafür nicht, aber selb­st, wenn es so sein sollte gibt es kein­er­lei Hin­weis darauf, dass der Auf­bau unser­er Sprache das „Bild von unser­er Welt“ bestimmt.

Damit stellte sich natür­lich die Frage, wie der Giz­mo­do-Autor auf seine abwegi­gen Behaup­tun­gen gekom­men ist. Zunächst han­delt sich um Nacherzäh­lung eines Beitrags aus dem amerikanis­chen Mut­terblog Gizmodo.com. In diesem Beitrag find­en sich zum Teil diesel­ben Behaup­tun­gen. Über­schrieben ist der Orig­i­nal­beitrag mit „Two lin­guists have dis­cov­ered a com­plete­ly unique, real­i­ty-shift­ing lan­guage in India“ — real­itätsverz­er­rend soll die Sprache also auch dort sein, und auch ihre Struk­tur und die durch sie erzwun­gene Welt­sicht sollen einzi­gar­tig sein:

Koro sounds and is struc­tured like no oth­er lan­guage on earth, giv­ing sci­en­tists an oppor­tu­ni­ty to inter­act with a pop­u­la­tion whose con­cep­tion of the world is, because of the words they use, fun­da­men­tal­ly dif­fer­ent from the rest of us. [GIZMODO.com/Biddle 2010] 

Allerd­ings find­et sich dort auch ein Zitat eines der Ent­deck­er der Sprache, dem amerikanis­chen Sprach­wis­senschaftler Gre­go­ry Anderson:

Koro speak­ers „unique­ly code knowl­edge of the nat­ur­al world in ways that can­not be trans­lat­ed into a major lan­guage,“ explains Dr. Gre­go­ry Ander­son, one of the lin­guists behind the break­through. [GIZMODO.com/Biddle 2010] 

Das klingt deut­lich anders, kön­nte aber die Ursache für das Missver­ständ­nis sein. Ander­son sagt hier nicht, dass die Struk­tur der Sprache nicht über­set­zbar sei oder das die Welt­sicht der Sprech­er in irgen­dein­er Weise durch sie verz­er­rt würde, son­dern, dass das Wis­sen über die Natur auf eine Weise ver­sprach­licht ist, die sich nicht in die großen Welt­sprachen über­set­zen lässt. Das ist aber nicht weit­er über­raschend: Die großen Welt­sprachen wer­den in hochtech­nisierten Gesellschaften gesprochen, sie reflek­tieren dementsprechend in weit­en Teilen eine wis­senschaftliche Sicht der Natur.

So macht sich ein Sprech­er des Deutschen heute poten­ziell lächer­lich, wenn er von einem Wal­fisch spricht, denn wir wis­sen, dass Wale allem äußer­ern Anschein zum Trotz keine Fis­che sind. Die Sprech­er des Koro befind­en sich aber in etwa auf einem bronzezeitlichen Stand der Tech­nik, ihre sprach­liche Tax­onomie der Natur dürfte sich also eher an einem vor­wis­senschaftlichen Ver­ständ­nis der­sel­ben ori­en­tieren. Solche vor­wis­senschaftlichen Ver­sprach­lichun­gen kön­nen dur­chaus ihren Wert haben, da sich in ihnen natür­lich das Erfahrungswis­sen von vie­len Gen­er­a­tio­nen nieder­schlägt. Die Über­set­zbarkeit ist dadurch nicht gefährdet, Ander­son drückt sich in dem Zitat unklar aus. Nur eine Wort-für-Wort-Über­set­zung ist nicht möglich, aber das ist auch unter eng ver­wandten Sprachen wie dem Deutschen und Englis­chen nicht möglich.

Bei­de Giz­mo­do-Artikel beziehen sich übri­gens auf densel­ben Artikel im Wall Street Jour­nal. Wenn die bei­den Giz­mo­do-Autoren sich den genau durchge­le­sen hät­ten, wäre ihnen aufge­fall­en, dass dort eine kleine Vok­a­bel­liste geliefert wird, die den Mythos von der einzi­gar­ti­gen Welt­sicht und Unüber­set­zbarkeit schnell zer­streut hätte:

jew-prah head
ko-play four
soo-fee six
poh-lay bird
leh-leh pig
may-nay sun
may-pah night
keh-peh nose
moo-yoo rain
oh-foh old­er sister
kah-plah-yeh thank you/you’re welcome 

Bei dem let­zten Wort habe ich übri­gens ges­tutzt und kurz kam bei mir die Hoff­nung auf, dass es sich bei den Koro-Sprech­ern möglicher­weise um Außerirdis­che han­deln kön­nte, die dann vielle­icht wirk­lich eine völ­lig andere Welt­sicht hät­ten als wir: kah-plah-yeh klang für mich sehr nach dem Klin­go­nis­chen Gruß Qapla’ (aus­ge­sprochen ka-plach, wörtlich „Erfolg“). Aber die anderen Wörter auf der Liste stim­men nicht („Kopf“ müsste z.B. nach heißen, und „Nacht“ ram), und außer­dem stammt die Wortliste aus einem aus­führlicheren Artikel im Nation­al Geo­graph­ic, dem man wohl get­rost unter­stellen kann, dass man dort, anders als bei Giz­mo­do, Wis­senschaft und Sci­ence Fic­tion auseinan­der­hal­ten kann.

 

Bid­dle, Sam (2010) Two Lin­guists Have Dis­cov­ered a Com­plete­ly Unique, Real­i­ty-Shift­ing Lan­guage in India, Gizmodo.com, 7. Okto­ber 2010. [Link]

Der­byshire, Desmond C. 1961. Hishkaryana (Carib) syn­tax struc­ture: II phrase, sen­tence. Inter­na­tion­al Jour­nal of Amer­i­can Lin­guis­tics 27: 226–236.

Hotz, Robert Lee (2010) Rare Find: a New Lan­guage. Wsj.com, 5. Okto­ber 2010. [Link]

Mor­ri­son, Dan (2010) “Hid­den” Lan­guage Found in Remote Indi­an Tribe, Nationalgeographic.com, 5. Okto­ber 2010. [Link]

Roubintchik, Max­im (2010) Lin­guis­ten ent­deck­en neue Sprache, die unsere Real­ität verz­er­rt, Gizmodo.de, 7. Okto­ber 2010. [Link]

Ste­fanow­itsch, Ana­tol (2007) Schneeschmelze. Bre­mer Sprach­blog, 29. Jan­u­ar 2007. [Link]

Wat­son, Ian (1973) The Embed­ding. Lon­don: Gol­lancz. [Neu aufgelegt 2000 von Ori­on Books/Victor Gol­lancz, Amazon.de]

Wat­son, Ian (1985) Das Babel-Syn­drom. München: Heyne [Ver­grif­f­en].

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

21 Gedanken zu „Verzerrte Realitäten

  1. ZA

    DAS ist jet­zt aber mal mehrfach unglück­lich for­muliert, ver­mut­lich nicht absichtlich, aber doch ziem­lich überheblich.
    Bish­er unbekan­nte Sprache? Also ich bin sich­er, dass zumin­d­est die Sprech­er des Koro ihre Sprache vor ihrer “Ent­deck­ung” durch Lin­guis­ten sehr wohl kannten.
    Die Welt beste­ht nicht nur aus west­lichen weißen Wissenschaftlern …

  2. Anatol Stefanowitsch

    @Martin Huhn
    @ZA: Im Kon­text des Satzes ist doch klar, dass „unbekan­nt“ sich auf die Sicht der Sprach­wis­senschaft bezieht. Ich sehe nicht, warum das über­he­blich sein sollte — das Wort bezieht sich immer auf die Per­spek­tive von irgend­je­man­dem. Sonnst kön­nte man z.B. nicht Anzeige gegen Unbekan­nt erstat­ten, denn man kann ja davon aus­ge­hen, dass der Angezeigte sich sel­ber kennt.
    @Martin Huhn: Hixkaryana wird in Nhamundá im brasil­ian­is­chen Bun­desstaat Ama­zonas gesprochen. Es gehört zur Fam­i­lie der Carib-Sprachen, die derzeit noch etwa 30 lebende Sprachen umfasst, die größ­ten­teils im Nor­den des südamerikanis­chen Kon­ti­nents gesprochen werden.

  3. Philip Newton

    Klin­go­nisch Qapla’
    Klin­go­nisch Qapla’ klingt nicht wie “ka-plach”, son­dern eher wie “kcha-pla”.
    Am Anfang ist ein “kch” wie man’s manch­mal im Schweiz­erdeutschen hört, und am Ende ist ein “glot­tal stop” (Stimm­ritzen­ver­schlus­slaut) wie in “ ‘er’in­nern” oder “ver’eisen” (oder im Cock­ney-Englisch “bo’le” für “bot­tle”).

  4. Tobias Sailer

    Ander­son “The Linguist”?
    Etwa der Gre­go­ry Ander­son, der mit K. David Har­ri­son die großar­tige Doku­men­ta­tion “The Lin­guists” gedreht hat?
    In einem Inter­view mit K. David Har­ri­son, welch­es man bei Youtube anschauen kann sagt er so einiges was zu dem Zitat von Ander­son passt und deut­lich macht, dass sie (zumin­d­est er) nicht davon aus­ge­hen Sprech­er bes­timmter Sprachen hät­ten ein verz­er­rtes Weltbild:
    http://www.youtube.com/watch?v=nmLYo8zQOVs ca. min. 12:50
    Wobei ich mir vorstellen kön­nte, dass sie den Ein­fluss bes­timmter lin­guis­tis­ch­er Struk­turen auf unser Denken etwas höher ein­schätzen als Herr Ste­fanow­itsch, ist aber nur eine Vermutung.
    In dem Inter­view mit Har­ri­son sagt er auch etwas zu der Ver­wen­dung des Begriffs “Ent­deck­ung”…

  5. Dierk

    Wenn ich Artikel wie die oben ange­sproch­enen lese, frage ich mich immer wieder warum Journalisten/Feuilletonisten so gerne das Pferd von hin­ten aufzäu­men. Hier wurde eine sehr kleine Gruppe Men­schen gefun­den, die — davon kann ich bei den vorhan­de­nen Infor­ma­tio­nen wohl aus­ge­hen — kein­er­lei Kon­takt mit der Welt außer­halb ihres Tals hat­ten. Am Fuße des Himalaya gestal­tet sich das Leben­sum­feld sicher­lich ein wenig anders, als, sagen wir, am Nord­seestrand, wo die Fis­che bekan­ntlich sel­ten an Land.
    Ich erwarte nun, dass diese sehr unter­schiedlichen Leben­sum­stände zu ver­schiede­nen Welt­sicht­en führen, und auch zu Sprachd­if­feren­zen [vor­wiegend lexikalis­ch­er Natur]. Wer seit 1 Mio Jahren nicht in der Nähe fis­chre­ich­er Gewäss­er war, dafür aber 10.000 Vari­etäten Gräs­er vor sein­er Tür find­et, wird ver­mut­lich kein oder nur ein Wort für ‘Lebe­we­sen im Wass­er’ haben. Es ist aber wirk­lich nicht so, dass er 10.000 Worte für ‘Poa­les’ hat und es deswe­gen so viele davon bei ihm gibt.
    Sollte der eine oder andere Koro mal einen net­ten län­geren Aufen­thalt in Sin­ga­pur oder Lon­don oder Chica­go ein­schieben, wird er ver­mut­lich so manch ihm bis dato fremdes Konzept und vor allem eine ganze Rei­he von Fremd­wörtern mit­nehmen. So wie wir im Deutschen den Com­put­er haben. Vielle­icht entwick­eln er und seine Fre­unde sog­ar neue Wörter, so was wie das deutsche ‘Handy’.

  6. Jan Wohlgemuth

    > Die bei­den Lin­guis­ten gaben ihr den Namen Koro.
    Das ist ja auch kein Biss­chen verz­er­rt. Das es in der Region eine Sprache namens Koro gab/gibt/mal gegeben haben muss, das war bekan­nt. Die Fach­welt hat­te bis­lang nur noch nie Mut­ter­sprach­ler dieser Sprache interviewt.
    [Die Exis­tenz ein­er eth­nis­chen Gruppe namens Koro wurde, soweit ich weiß, erst­ma­lig in der 16. Auflage des Eth­no­logue von 2009 erwäh­nt, und dort ist auch ver­merkt, dass deren Sprache den sie umgeben­den Sprachen sehr unähn­lich ist. Ander­son führte seine Feld­forschun­gen 2008 durch, sodass unklar ist, ob er zu diesem Zeit­punkt wis­sen kon­nte, dass die Koro eine eigene, nicht doku­men­tierte Sprache haben. Eine wis­senschaftliche Veröf­fentlichung zum Koro ste­ht, soweit ich sehe, bis­lang aus. — A.S.]

  7. DrNI@AM

    Wieder nur Vokabeln
    Schade, jet­zt hat­te ich doch was richtig aber­witziges erwartet, wie z.B. eine Sprache, auf die Grundle­gende Konzepte wie Sub­jekt oder Objek­te nicht anwend­bar sind. Das hätte wirk­lich an mein­er Real­ität gezerrt. 😉
    Aber statt dessen: Sprache ist mal wieder nur Vokabular.

  8. Peer

    Geschlechter
    Bezüglich “Sprache und andere Welt­wahrnehmung”: Gibt es nicht ein südamerikanis­ches Volk, dass jen­seits von Mann und Frau noch weit­ere Geschlechter (auch für Men­schen!) ken­nt, da dort das Geschlecht auch vom Sta­tus abhängt?
    Das käme dem doch sehr nah (wobei die Frage ist was Ursache und Wirkung ist)

  9. Patrick Schulz

    @peer
    Naja, Sudameri­ka: Nah dran, aber nur fast. Im Deutschen haben (hat­ten) wir je nach Stand auch unter­schiedliche Pronomina:
    — Fremder an Frem­den: Haben Sie mal einen Euro
    — Bekan­nter an Bekan­nten: Hast du mal eien Euro 
    — Unter­tan an König: Habt ihr mal einen Gulden?
    — König an Unter­tan: Hat er mal einen Gulden?
    Mit Gram­matik hat das allerd­ings nichts zu tun, son­dern mit Prag­matik (und ja, ich trenne bei­des strikt).

  10. Patrick Schulz

    Nach­trag
    — Arzt an Patien­ten: Haben wir denn 10 Euro?
    Wenn ich grade Zeit zum nach­denken hätte, würde mir bes­timmt auch noch was mit 1.sg einfallen…

  11. Sebastian

    Sub­jekt” und “Objekt”
    @Patrick: Knapp dabei ist auch daneben. Bei deinen Beispie­len han­delt es sich lediglich um Unter­schiede in der Per­son, mit Geschlecht oder Genus hat das nichts zu tun.
    @DrNI@AM: “eine Sprache, auf die Grundle­gende Konzepte wie Sub­jekt oder Objek­te nicht anwend­bar sind”. So aber­witzig ist das nicht. Es ist wohl eher aber­witzig, dass in den uns ach so gut bekan­nten, aber bekan­nter­weise sehr exo­tis­chen (soll heißen von allen anderen Sprachen sehr ver­schiede­nen), europäis­chen Sprachen eine Bün­delung von Vari­ablen (Kasus, Kon­gruenz, Kon­trolle, Anhebung, Kon­junk­tion­sre­duk­tion) gibt, die sich mit dem klas­sis­chen Sub­jek­ts- bzw. Objek­ts­be­griff beschreiben lassen. Man muss ja nur ein­mal auf das Chi­ne­sis­che schauen, da sind “Sub­jekt” und “Objekt” nicht anwend­bar (oder höch­stens sehr, sehr, sehr umstrit­ten; LaPol­la und Li & Thomp­son). oder das Cayu­ga, da gibt es keine Sub­jek­te und Objek­te, weil es nicht ein­mal Argu­mente gibt (Sasse).
    LaPol­la, R. (1993) Argu­ments against ’sub­ject’ and ‘object’ as viable con­cepts in Chi­nese. Bul­letin of the Insti­tute of His­to­ry and Philol­o­gy, Acad­e­mia Sini­ca 63, pp. 759–813.
    Li, C. N. and Thomp­son, S. A. Li, C. N. (ed) (1976) Sub­ject and top­ic: A new typol­o­gy of lan­guage. Sub­ject and top­ic pp. 457–489. Aca­d­e­m­ic Press, New York.
    Sasse, H.-J. (1993). Das Nomen — eine uni­ver­sale Kat­e­gorie? Sprachty­polo­gie und Uni­ver­salien­forschung, 46(3):187–221.

  12. Peer

    @Patrick
    Das Dorf hieß Amarete, ich hab noch mal nachgeguckt. Es liegt in Bolivien. Und die Geschlechter beziehen sich auf Berge, Gegen­stände etc. also nicht nur auf Personen.
    Aber wie gesagt: Wieweit das sprach­lich bed­ingt ist, weiß ich nicht.
    [Die Behaup­tung bezüglich der zehn „Geschlechter“ von Amarete gehen auf die Arbeit­en ein­er einzi­gen Per­son, der Kul­tur­an­thro­polo­gin Ina Rös­ing, zurück; es gibt kein­er­lei Bestä­ti­gung durch andere Forsch­er. Ich kenne Rös­ings Arbeit nicht (sie hat vor ein paar Jahren im Spek­trum der Wis­senschaft eine Zusam­men­fas­sung geschrieben, vielle­icht schickt mir die ein net­ter Men­sch zu, dann kann ich mehr dazu sagen), aber der Ein­druck, den ich aus Rezen­sio­nen und Zitat­en gewon­nen habe, lässt mich stark daran zweifeln, dass hier eine Def­i­n­i­tion von Geschlecht zugrun­degelegt wurde, die in irgen­dein­er Weise mit dem All­t­ags­be­griff übere­in­stimmt. Die Ein­wohn­er des Dor­fes Amarete sel­ber erken­nen ihr Sys­tem von zehn „Geschlechtern“ sel­ber nicht als solch­es (schreibt Rös­ing selb­st), und die Amare­toños scheinen auch ein eher tra­di­tionelles, biol­o­gisch begrün­detes Geschlechter­mod­ell zu pfle­gen: Biol­o­gis­che Män­ner heirat­en nur biol­o­gis­che Frauen, nur biol­o­gis­che Män­ner dür­fen öffentliche Ämter bek­lei­den und an bes­timmten Rit­ualen teil­haben, biol­o­gis­che Män­ner und Frauen klei­den sich sehr unter­schiedlich (vgl. Canes­sa 2000). Die Wahrnehmung der Real­ität wird durch dieses Sys­tem von zehn „Geschlechtern“ also offen­sichtlich nicht sehr stark bee­in­flusst. Vor allem ist aus unser­er Sicht rel­e­vant, dass dieses Sys­tem von zehn „Geschlechtern“, selb­st wenn es existieren sollte, sich offen­sichtlich nicht sprach­lich nieder­schlägt, für den Zusam­men­hang von Sprache und Wahrnehmung also nicht rel­e­vant ist. Lit.: Canes­sa, Andrew (2000) Review of Rös­ing, Ina. Geschletch­liche [sic] Zeit, geschlechtlich­er Raum. Jour­nal of the Roy­al Anthro­po­log­i­cal Insti­tute 6(3), 545–546. — A.S.]

  13. Herr Schulze

    @ Mar­tin Huhn
    Hixkaryana wird im Ama­zonas­beck­en in Brasilien gesprochen, und zwar, wenn ich das richtig sehe, im Bun­desstaat Pará.

  14. Herr Schulze

    @ Mar­tin Huhn und ich selbst
    Wer lesen kann ist klar im Vorteil. Vergessen wir ein­fach meinen Kommentar.

  15. Michael Kuhlmann

    @Dierk wg. “Com­put­er”
    Ich gebe Dir grund­sät­zlich recht, aber das Beispiel “Com­put­er” ist ein schlecht­es. Als Kon­rad Zuse seine Rechen­mas­chine baute, hat er die sich­er nicht Com­put­er genan­nt, und selb­st IBM ste­ht für Inter­na­tion­al Busi­ness Machines, nicht für Inter­na­tion­al Busi­ness Computers.
    Deswe­gen wird an deutschen Infor­matik­fakultäten auch weit­er­hin Rechen­tech­nik an Großrech­n­er oder Par­al­lel­rech­n­ern gelehrt, und auch ich schreibe diesen Kom­men­tar an einem Rechner.
    Beispiele für über­nommene Fremd­wörter für neuar­tige Dinge gibt es aber natür­lich genug, und wenn wir schon in der Infor­ma­tion­stech­nolo­gie wildern, dann nehmen wir eben die Soft­ware, für die es kein deutsches Pen­dant gibt. Ein Koro-Sprech­er hätte sich­er auch erst genug damit zu tun, passende Wörter für Auto, Fahrrad oder Unter­hose zu finden.

  16. Adnan Vatandas

    Ein­fluß von Sprache auf die Denkstruktur
    Ob sich wohl das Welt­bild aus der Sprache oder die Sprache aus dem Welt­bild ergibt…?

  17. Robert M Maier

    @Adnan:
    Das ist natür­lich wieder so eine Frage von Henne und Ei…
    Wenn man an die Möglichkeit kün­stlich­er Sprachen denkt, eröffnet die Alter­na­tive “Sprache-bes­timmt-Welt­sicht” Dik­ta­toren natür­lich ganz ungeah­nte Möglichkeit­en, wie Orwell das am Beispiel des Newspeak in “1984” her­aus­gear­beit­et hat.
    Tat­säch­lich ist die Antwort wohl aber ein entsch­iedenes “Sowohl — als auch”. Egal wie fest­ge­fügt die Sprache zu sein scheint, der men­schliche Drang zur Bezugsh­er­stel­lung macht es immer möglich, alte Wörter und Wen­dun­gen auf neue und ander­sar­tige Phänomene und Gedankengänge anzuwen­den. Selb­st mit rest­los poli­tisch fest­gezur­rten Aus­drucksmöglichkeit­en gibt es noch immer Möglichkeit­en, Mit­tel und Wege — was her­vor­ra­gend illus­tri­ert wird
    von ein­er Erzäh­lung in Gene Wolfes “Citadel of the Autarch” (Kapi­tel “Loy­al to the Group of Seventeen’s Story”).

  18. Patrick Schulz

    @Adnan Vatan­das
    Ich würde ja sagen, “wed­er noch”, aber ich bin sich­er, es gibt Einige, auch Lin­guis­ten, die zu Let­zterem tendieren.
    Mein­er Ansicht nach hängt bei­des zwar zusam­men, ste­ht aber nicht in einem kausalen Ver­hält­nis (im Sinne von X ergibt sich aus Y).
    So kann ich an bes­timmte Dinge denken, ohne, dass ich sie in Worte fassen kann (Wie beschreibt man noch gle­ich den Geruch ein­er Bratwurst?), Ander­er­seits kann ich Sprache ver­wen­den, ohne eine Vorstel­lung davon zu haben, was dieses Ding „Sprache“ eigentlich ist.
    Wobei das natür­lich davon abhängt, was man unter bei­den Begrif­f­en jew­eils ver­ste­hen will.

  19. Martin Huhn

    @ Schulze
    Dop­pelt gemop­pelt hält bess­er. Ich finde so einen Kom­men­tar nicht schlimm, auch wenn die Antwort schon gegeben wurde. Bess­er als Spam oder Beleidigungen.

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