Sexismusverdacht

Von Kristin Kopf

In let­zter Zeit ger­at­en immer wieder Leute her, weil es irgend­wo eine (meist niveaulose) Debat­te zu Sex­is­mus gibt. Im Laufe ebendieser zaubert jemand die “däm­lich kommt von Dame”-Behaup­tung aus dem Hut und prompt schreibt jemand anders: “Nein, däm­lich ist nicht sex­is­tisch, das kommt näm­lich gar nicht von Dame!” Drunter dann ein Link zum ein­schlägi­gen Sch­plock-Beitrag.

Aber ist es so leicht?

Dass däm­lich nicht von Dame kommt, ja klar – aber ist es deshalb auch defin­i­tiv nicht sex­is­tisch? Ich finde, hier muss man unter­schei­den: Die Behaup­tung, das Wort sei aus ein­er frauen­ver­ach­t­en­den Hal­tung her­aus ent­standen, ist natür­lich Quatsch. Es gab nie ein däm­lich mit der Bedeu­tung ‘wie eine Dame’, das dann durch den Gebrauch in neg­a­tiv­en Kon­tex­ten zu ‘dumm wie eine Frau’ o.ä. pejorisiert wurde.

Der Trugschluss vom semantischen Gepäck

Ein beliebter Fehlschluss bei Ety­molo­gien ist aber, dass man damit die “echte” Bedeu­tung des heuti­gen Wortes erfassen kann. Die Vorstel­lung viel­er ist: Man macht ein­fach alle Bedeu­tungsverän­derun­gen rück­gängig, und dann hat man richtige Bedeu­tung. Wer heute nicht mehr weiß, was die Ursprungs­be­deu­tung war, wird von so Denk­enden gerne ver­höh­nt und es wird ihm das Recht abge­sprochen, das Wort in ein­er anderen (z.B. der ger­ade aktuell gülti­gen) Bedeu­tung zu verwenden.

Beson­ders gerne passiert so etwas im Fremd­wort­bere­ich, wo die Emo­tio­nen ja sowieso schnell hochkochen. (Meine auch. Aber in eine ganz andere Rich­tung!) Wenn da jemand body bag für eine Art von Tasche benutzt, iss­er gle­ich totaaaal dumm, denn die “echte” Bedeu­tung davon ist ja ‘Leichen­sack’. Däm­lich nur, dass sich Bedeu­tun­gen verän­dern kön­nen und ein Wort eben nicht noch heute sein seman­tis­ches Gepäck aus dem Indoger­man­is­chen oder – bei Entlehnun­gen – aus der Geber­sprache mitschleppt.

Auf däm­lich bezo­gen bedeutet das damit, dass heute nicht zwin­gend ein 1:1‑Verhältnis zur Ursprungs­be­deu­tung beste­ht. War es bei sein­er Bil­dung noch trans­par­ent, ist das heute nicht mehr so. Das Wort, von dem das Adjek­tiv abgeleit­et wurde, gibt es heute nicht mehr (wahrschein­lich dämeln ’sich kindisch benehmen, ver­wirrt sein’). Wir kön­nen es also auch nicht mehr darauf beziehen. Und dann macht unser Gehirn folgendes …

Volksetymologie: Die Adoption in eine Wortfamilie

Es schließt das Wort ein­fach an ein anderes, for­mal ähn­lich­es an. Es hil­ft, wenn auch die Bedeu­tung einiger­maßen passt, aber da ist man nicht so streng. Oder seit wann benutzt ein Maulwurf zum Graben sein Maul?

Für viele Leute gehört däm­lich damit zur Wort­fam­i­lie Dame, wie Damenober­bek­lei­dungsin­dus­trie, damen­haft, Däm­chen und Edel­dame. For­mal passt’s ganz gut und inhaltlich erscheint es einem ja doch ganz plau­si­bel, dass es wirk­lich von Dame kommt und dann in sein­er Bedeu­tung ver­schlechtert wurde. weibisch heißt ja auch nicht mehr ‘wie eine Frau’. (däm­lich find­et sich sog­ar in Olschan­skys Volk­se­t­y­molo­giewörter­buch.)

Nun macht man damit zwar his­torisch gese­hen einen “Fehler”, weil es ‘wie eine Dame’ nie als Ursprungs­be­deu­tung gab – aber ich habe ja eben dafür argu­men­tiert, dass das Her­anziehen von Ursprungs­be­deu­tun­gen sowieso Blödsinn ist.

Sekundärer Sexismus?

Die Leute, bei denen eine solche Wort­feld­verknüp­fung beste­ht, kön­nen das Wort mein­er Mei­n­ung nach dur­chaus sex­is­tisch ver­wen­den und ver­ste­hen. Dabei bauen sie dann eben nicht auf die ver­meintlich von Gen­er­a­tio­nen von SprecherIn­nen vor­angetriebene Ver­schlechterung der Dame, son­dern auf die zufäl­lige laut­liche Ähn­lichkeit mit letzterer.

Das große Prob­lem: Man kann sich hier nicht nach Behaup­tun­gen richt­en. Ich weiß, dass däm­lich nicht von Dame kommt. Heißt das automa­tisch, dass mein Gehirn das auch unbe­wusst “weiß” und alle ein­mal bestanden haben kön­nen­den Verbindun­gen zwis­chen den bei­den Wörtern kappt? Heißt das, man kann den Leuten in diesen Inter­net­foren und Blogs ein­fach sagen, dass däm­lich nicht von Dame kommt, und schwup­ps, ist es auch nicht mehr sex­is­tisch ver­wend- und verstehbar?

Wie kriegt man das zu fassen?

Man kann neu­rolin­guis­tisch zeigen, dass bes­timmte Wörter und Konzepte andere Wörter “aktivieren” kön­nen. Dazu zeigt man den Ver­suchsper­so­n­en z.B. ein Bild und direkt danach ein Wort – hat das Abge­bildete etwas mit dem Wort zu tun, dann ist der Zugriff auf das Wort nor­maler­weise leichter und schneller möglich, als wenn keine Beziehung beste­ht. (Um das her­auszukriegen, benutzt man z.B. EEG- und Reaktionszeitmessungen.)

So ganz hemd­särm­lig gedacht (denn ich habe lei­der nur recht ober­fläch­liche Psy­cholin­guis­tikken­nt­nisse), müsste man so etwas ja mit einem Bild von ein­er Frau und danach dem Stim­u­lus däm­lich unter­suchen kön­nen – und natür­lich müsste man auch eine un- oder anders geprimte Ver­gle­ichs­gruppe haben. (Selb­stver­ständlich bräuchte man außer­dem noch viele andere Bilder und Stim­uli, damit die Leute nicht gle­ich drauf kom­men, was man wis­sen will.) Oder man schaut, ob die Verbindung von däm­lich mit weib­lichen Per­so­n­en leichter klappt als mit männlichen. (Z.B. Sie hat sich wieder däm­lich angestellt! vs. Er hat sich wieder däm­lich angestellt!)

Ich kön­nte mir auch gut vorstellen, dass schon allein die laut­liche Ähn­lichkeit für geistige Verbindun­gen zwis­chen Dame und däm­lich sorgt. Dass ähn­lich klin­gende Wörter einan­der aktivieren kön­nen, sieht man z.B. bei Ver­sprech­ern, wo man zum falschen Wort greift, nur weil es ähn­lich klingt – zum Beispiel Orgas­mus statt Organ­is­mus (vgl. Achilles/Pighin).

Was außer­dem span­nend wäre, ist die konkrete Ver­wen­dung von däm­lich. Worauf bezieht sich das Wort meis­tens? Kann man z.B. zeigen, dass es häu­figer für dumme Hand­lun­gen von Frauen als von Män­nern ver­wen­det wird? Wird das Wort über­haupt noch ern­sthaft ver­wen­det? Von wem? Für so etwas müsste man halt ein geeignetes Tex­tko­r­pus find­en. Ich habe mal ganz sim­pel bei Cos­mas II nach der For­mulierung “däm­lich­er Mann” bzw. “däm­liche Frau” gesucht, aber nur einen einzi­gen Tre­f­fer bekommen:

Die “Sun” kürte den Argen­tinier daraufhin zum “däm­lich­sten Mann des Plan­eten”. (Ham­burg­er Mor­gen­post 2008, die Rede ist von einem Javier Mascher­a­no, das englis­che Wort war dumb.)

Das ist natür­lich nicht aus­sagekräftig. Aber wer weiß, vielle­icht ergibt sich ja was Span­nen­des, wenn man sich mal ern­sthaft einen ganzen Haufen Kon­texte anschaut?

Gesamturteil?

Kön­nte man zeigen, dass wir Dame und däm­lich aufeinan­der beziehen, dann kann man das Wort dur­chaus auch sex­is­tisch gebrauchen. Die lange Geschichte der Diskri­m­inierung von Frauen hat sich zwar in diesem Wort diachron (d.h. in seinem “Lebenslauf” seit sein­er Entste­hung) nicht niedergeschla­gen, schwingt aber syn­chron möglicher­weise doch mit. Dabei spielt es gar keine Rolle, dass unser Kopf sie nur erfun­den hat.

P.S.: nähm­lich!

7 Gedanken zu „Sexismusverdacht

      1. janwo

        yep. 😀

        Aber einen sach­lichen Beitrag zur Wort­bi­ogra­phie hätte ich auch noch zu bieten.
        Das Wort däm­lich ist mit­tel.- bzw. niederdeutsch, seine süliche Ver­wandtschaft ist damisch. Das zugrun­deliegende Verb dämel(e)n ist seit dem 16. JH belegt, insofern also min­destens so alt (wenn nicht älter) als das Lehn­wort Dame, also kann man eine Ableitung daraus auch von da her ausschließen. 

        Mein urme­lal­ter Ety­molo­giedu­den legt für däm­lich ein paar indoeu­ropäis­che Par­al­le­len vor, darunter lat. tēmu­len­tus ‘berauscht’ und mit­telirisch tām ‘Krankheit’.

        Antworten
  1. WFHG

    Ich kenne, als alter Mann (tat­ter), noch das Wort “Däm­lack” (für Idiot o.ä.). Das hat doch sich­er eine gemein­same Wurzel mit dämlich …

    Antworten
  2. Zippe

    Ich habe früher meine Schwest­er damit aufge­zo­gen, dass “Mäd­chen” von “Made” kommt. Ist da irgend­was Wahres dran?

    Antworten
    1. Kristin Beitragsautor

      Nein 🙂
      Made geht zurück auf ger­man­isch *math­ôn ‘Made, Wurm’. Mäd­chen ist dage­gen eine Verkleinerungs­form von Magd (und lautete auch lange Mägd­chen). Magd geht auf ger­man­isch *mag­a­thi- zurück und bedeutete ursprünglich ‘Mäd­chen, Jungfrau, Dienerin’.
      (Alle Angaben aus Kluges ety­mol­o­gis­chem Wörterbuch.)

      Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.