In letzter Zeit geraten immer wieder Leute her, weil es irgendwo eine (meist niveaulose) Debatte zu Sexismus gibt. Im Laufe ebendieser zaubert jemand die “dämlich kommt von Dame”-Behauptung aus dem Hut und prompt schreibt jemand anders: “Nein, dämlich ist nicht sexistisch, das kommt nämlich gar nicht von Dame!” Drunter dann ein Link zum einschlägigen Schplock-Beitrag.
Aber ist es so leicht?
Dass dämlich nicht von Dame kommt, ja klar – aber ist es deshalb auch definitiv nicht sexistisch? Ich finde, hier muss man unterscheiden: Die Behauptung, das Wort sei aus einer frauenverachtenden Haltung heraus entstanden, ist natürlich Quatsch. Es gab nie ein dämlich mit der Bedeutung ‘wie eine Dame’, das dann durch den Gebrauch in negativen Kontexten zu ‘dumm wie eine Frau’ o.ä. pejorisiert wurde.
Der Trugschluss vom semantischen Gepäck
Ein beliebter Fehlschluss bei Etymologien ist aber, dass man damit die “echte” Bedeutung des heutigen Wortes erfassen kann. Die Vorstellung vieler ist: Man macht einfach alle Bedeutungsveränderungen rückgängig, und dann hat man richtige Bedeutung. Wer heute nicht mehr weiß, was die Ursprungsbedeutung war, wird von so Denkenden gerne verhöhnt und es wird ihm das Recht abgesprochen, das Wort in einer anderen (z.B. der gerade aktuell gültigen) Bedeutung zu verwenden.
Besonders gerne passiert so etwas im Fremdwortbereich, wo die Emotionen ja sowieso schnell hochkochen. (Meine auch. Aber in eine ganz andere Richtung!) Wenn da jemand body bag für eine Art von Tasche benutzt, isser gleich totaaaal dumm, denn die “echte” Bedeutung davon ist ja ‘Leichensack’. Dämlich nur, dass sich Bedeutungen verändern können und ein Wort eben nicht noch heute sein semantisches Gepäck aus dem Indogermanischen oder – bei Entlehnungen – aus der Gebersprache mitschleppt.
Auf dämlich bezogen bedeutet das damit, dass heute nicht zwingend ein 1:1‑Verhältnis zur Ursprungsbedeutung besteht. War es bei seiner Bildung noch transparent, ist das heute nicht mehr so. Das Wort, von dem das Adjektiv abgeleitet wurde, gibt es heute nicht mehr (wahrscheinlich dämeln ’sich kindisch benehmen, verwirrt sein’). Wir können es also auch nicht mehr darauf beziehen. Und dann macht unser Gehirn folgendes …
Volksetymologie: Die Adoption in eine Wortfamilie
Es schließt das Wort einfach an ein anderes, formal ähnliches an. Es hilft, wenn auch die Bedeutung einigermaßen passt, aber da ist man nicht so streng. Oder seit wann benutzt ein Maulwurf zum Graben sein Maul?
Für viele Leute gehört dämlich damit zur Wortfamilie Dame, wie Damenoberbekleidungsindustrie, damenhaft, Dämchen und Edeldame. Formal passt’s ganz gut und inhaltlich erscheint es einem ja doch ganz plausibel, dass es wirklich von Dame kommt und dann in seiner Bedeutung verschlechtert wurde. weibisch heißt ja auch nicht mehr ‘wie eine Frau’. (dämlich findet sich sogar in Olschanskys Volksetymologiewörterbuch.)
Nun macht man damit zwar historisch gesehen einen “Fehler”, weil es ‘wie eine Dame’ nie als Ursprungsbedeutung gab – aber ich habe ja eben dafür argumentiert, dass das Heranziehen von Ursprungsbedeutungen sowieso Blödsinn ist.
Sekundärer Sexismus?
Die Leute, bei denen eine solche Wortfeldverknüpfung besteht, können das Wort meiner Meinung nach durchaus sexistisch verwenden und verstehen. Dabei bauen sie dann eben nicht auf die vermeintlich von Generationen von SprecherInnen vorangetriebene Verschlechterung der Dame, sondern auf die zufällige lautliche Ähnlichkeit mit letzterer.
Das große Problem: Man kann sich hier nicht nach Behauptungen richten. Ich weiß, dass dämlich nicht von Dame kommt. Heißt das automatisch, dass mein Gehirn das auch unbewusst “weiß” und alle einmal bestanden haben könnenden Verbindungen zwischen den beiden Wörtern kappt? Heißt das, man kann den Leuten in diesen Internetforen und Blogs einfach sagen, dass dämlich nicht von Dame kommt, und schwupps, ist es auch nicht mehr sexistisch verwend- und verstehbar?
Wie kriegt man das zu fassen?
Man kann neurolinguistisch zeigen, dass bestimmte Wörter und Konzepte andere Wörter “aktivieren” können. Dazu zeigt man den Versuchspersonen z.B. ein Bild und direkt danach ein Wort – hat das Abgebildete etwas mit dem Wort zu tun, dann ist der Zugriff auf das Wort normalerweise leichter und schneller möglich, als wenn keine Beziehung besteht. (Um das herauszukriegen, benutzt man z.B. EEG- und Reaktionszeitmessungen.)
So ganz hemdsärmlig gedacht (denn ich habe leider nur recht oberflächliche Psycholinguistikkenntnisse), müsste man so etwas ja mit einem Bild von einer Frau und danach dem Stimulus dämlich untersuchen können – und natürlich müsste man auch eine un- oder anders geprimte Vergleichsgruppe haben. (Selbstverständlich bräuchte man außerdem noch viele andere Bilder und Stimuli, damit die Leute nicht gleich drauf kommen, was man wissen will.) Oder man schaut, ob die Verbindung von dämlich mit weiblichen Personen leichter klappt als mit männlichen. (Z.B. Sie hat sich wieder dämlich angestellt! vs. Er hat sich wieder dämlich angestellt!)
Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass schon allein die lautliche Ähnlichkeit für geistige Verbindungen zwischen Dame und dämlich sorgt. Dass ähnlich klingende Wörter einander aktivieren können, sieht man z.B. bei Versprechern, wo man zum falschen Wort greift, nur weil es ähnlich klingt – zum Beispiel Orgasmus statt Organismus (vgl. Achilles/Pighin).
Was außerdem spannend wäre, ist die konkrete Verwendung von dämlich. Worauf bezieht sich das Wort meistens? Kann man z.B. zeigen, dass es häufiger für dumme Handlungen von Frauen als von Männern verwendet wird? Wird das Wort überhaupt noch ernsthaft verwendet? Von wem? Für so etwas müsste man halt ein geeignetes Textkorpus finden. Ich habe mal ganz simpel bei Cosmas II nach der Formulierung “dämlicher Mann” bzw. “dämliche Frau” gesucht, aber nur einen einzigen Treffer bekommen:
Die “Sun” kürte den Argentinier daraufhin zum “dämlichsten Mann des Planeten”. (Hamburger Morgenpost 2008, die Rede ist von einem Javier Mascherano, das englische Wort war dumb.)
Das ist natürlich nicht aussagekräftig. Aber wer weiß, vielleicht ergibt sich ja was Spannendes, wenn man sich mal ernsthaft einen ganzen Haufen Kontexte anschaut?
Gesamturteil?
Könnte man zeigen, dass wir Dame und dämlich aufeinander beziehen, dann kann man das Wort durchaus auch sexistisch gebrauchen. Die lange Geschichte der Diskriminierung von Frauen hat sich zwar in diesem Wort diachron (d.h. in seinem “Lebenslauf” seit seiner Entstehung) nicht niedergeschlagen, schwingt aber synchron möglicherweise doch mit. Dabei spielt es gar keine Rolle, dass unser Kopf sie nur erfunden hat.
P.S.: nähmlich!
Wenn ich das jetzt “herrlich” fände, wäre ich dann sexistisch?
Hm, wohl eher ein zwanghafter Wortspieler 😉
yep. 😀
Aber einen sachlichen Beitrag zur Wortbiographie hätte ich auch noch zu bieten.
Das Wort dämlich ist mittel.- bzw. niederdeutsch, seine süliche Verwandtschaft ist damisch. Das zugrundeliegende Verb dämel(e)n ist seit dem 16. JH belegt, insofern also mindestens so alt (wenn nicht älter) als das Lehnwort Dame, also kann man eine Ableitung daraus auch von da her ausschließen.
Mein urmelalter Etymologieduden legt für dämlich ein paar indoeuropäische Parallelen vor, darunter lat. tēmulentus ‘berauscht’ und mittelirisch tām ‘Krankheit’.
Ich kenne, als alter Mann (tatter), noch das Wort “Dämlack” (für Idiot o.ä.). Das hat doch sicher eine gemeinsame Wurzel mit dämlich …
Ja, das geht auch auf das Verb zurück 🙂 Danke für den Hinweis! Man könnte also eine Miniwortfamilie gründen.
Ich habe früher meine Schwester damit aufgezogen, dass “Mädchen” von “Made” kommt. Ist da irgendwas Wahres dran?
Nein 🙂
Made geht zurück auf germanisch *mathôn ‘Made, Wurm’. Mädchen ist dagegen eine Verkleinerungsform von Magd (und lautete auch lange Mägdchen). Magd geht auf germanisch *magathi- zurück und bedeutete ursprünglich ‘Mädchen, Jungfrau, Dienerin’.
(Alle Angaben aus Kluges etymologischem Wörterbuch.)