Der Mensch liebt Wissensquizze. Warum also nicht mal als eben examierter Sprachwissenschaftler an einem Quiz über Sprache teilnehmen?
Ich war ja selbst mal Quizmaster, also liegt es mir fern, mit den Machern des Quiz all zu hart ins Gericht zu gehen, geschweigedenn das Quiz auf dem Nachrichtenportal RheinNeckar für bare Münze zu nehmen. Aber der Witz ist, dass man mit Wissen über Sprache bei dem Quiz gar nicht die volle Punktzahl erreichen konnte — ist man gnädig, dann sei angemerkt, dass die Fragen zumindest sehr missverständlich formuliert waren.
Schreiten wir zur Analyse:
Das ist eigentlich keine Frage von richtig oder falsch, sondern lediglich eine der Definition. Wann muss eine Sprache vermutlich aussterben, um jetzt als bedrohte Sprache angesehen zu werden? 2050 oder 2100? Wie wenige Sprecher muss eine Sprache haben, um als bedroht zu gelten? 100? 1000? Oder keinen monolingualen Sprecher mehr? Oder nur noch Muttersprachler über, sagen wir, 30 oder 50 Jahren (moribunde Sprachen, oft sogar unabhängig von der Anzahl seiner Sprecher)? Ist Irisch, das so gut wie keine monolingualen Sprechern mehr hat, ähnlich stark bedroht wie kleinere Sprachen, die ohne Schutz oder Förderung auf insitutioneller Ebene mit ihren letzten Sprechern aussterben? Wie wird eine gefährdete Sprache noch weitergereicht: als Zweitsprache oder als exklusive Sprache des familiären Gebrauchs? Ist Deutsch eine bedrohte Sprache, weil sie in Russland von immer weniger Sprechern als Muttersprache gesprochen wird? Sicherlich nicht.
Dieses Thema eignet sich übrigens besonders gut, mit Zahlen seinen Standpunkt zu manipul.… untermauern: schätzt man das Schicksal kleinerer Sprachen pessimistisch ein, ist folgende Aufstellung bombastisch und eindrucksvoll: weniger als 6% der weltweiten Sprachen werden von fast 95% der Weltbevölkerung gesprochen. Tja, wirft der Optimist ein, diese Statistik sagt aber nichts über die Zwei- und Mehrsprachigkeit der Sprecher aus, wie sie für nicht anglo-europäische Gesellschaftsschichten eigentlich die Regel ist (von der Funktion welcher Sprache in welcher Situation ganz zu schweigen). Oder wie wär’s mit diesen Zahlen: 94% der Sprachen haben weniger als eine Million Sprecher. Klingt bedrohlich? Aber auch hier verschleiern nackte Zahlen den Status, den eine kleine Sprache in seinem Verbreitungsgebiet genießt oder eben auch nicht. (Zahlen: Ethnologue, Daten basieren auf der Erstsprache.)
Ich habe für meine Antwort im Quiz lediglich die pessimistische Perspektive gewählt.
Nächste Frage:
Hier habe ich zwar richtig geantwortet, aber wohl eher die Fragestellung (je nach Perspektive auch den Mythos) durchschaut, als mich auf eine definitive Antwort auf diese Frage berufen. Denn diese Frage ist missverständlich: gemeint war vermutlich der Muttersprachenstatus. Aber damit berührt sie auch einen ganz alten Zankapfel: ab wann ist eine Sprache eine Sprache und ab wann verfällt sie in mehr oder weniger untereinander nicht verständliche Dialekte? Was genau versteht man unter Mandarin: ein standardisiertes Hochchinesisch oder die Gesamtheit der Mandarindialekte? Und wirkt die folgende Frage in diesem Kontext nicht irgendwie deplaziert und beinahe absurd: wieviele Sprecher hat Indo-Europäisch? Und wenn ja, wieso? (Tipp: Die Frage ist vermutlich nur aus synchroner Perspektive absurd.)
Gibt man die Muttersprachenperspektive für diese Quizfrage auf und fragt nach gesprochener Sprache allgemein, steht man vor einem nicht weniger ernsten Definitionsproblem: oft hört man, Englisch sei die am meisten gesprochene, weil am häufigsten gelernte Sprache. Aber ab wann ist man ein Sprecher des Englischen? Bei muttersprachlicher Kompetenz, bei funktionaler Beherrschung für eingeschränkte Zwecke oder bei der Kenntnis über ein paar Begriffe und Phrasen? Und ist ein Sprecher von Tok Pisin, einer englischbasierten Kreolsprache in Papua-Neuguinea, kein Sprecher des Englischen, ein Sprecher eines entfernten Mandarindialekts aber Sprecher der “am häufigsten gesprochenen Sprache” ‘Mandarin’?
Auch hier: keine definitive Antwort, weil keine Grenzziehung.
Die letzte hier diskutierte Frage ist aber keine Frage der Perspektive, sondern schlicht klar definiert und lässt keinerlei Zweifel am Unwissen oder der Recherchefaulheit der Quizmaster aufkommen:
Wie die Quizmaster hier auf 45 kommen, ist nicht nachvollziehbar. (Noch nicht mal die beliebte Verwechslung von Europäischer Union und Europarat kann hier Modell gestanden haben. Immerhin war ‘23’ aber eine von drei Auswahlmöglichkeiten.) Gefragt war nach Amtssprachen der EU — Ende der Diskussion.
Fortsetzung folgt: The Mustache Hoax.
Du hast eindeutig zu viel Zeit.… 😉
Ja eben nicht… Drei Wochen ohne Beitrag — das werde ich nicht noch mal zulassen 🙂
[Da sind so unendlich viele Beiträge in der Mache — allein, es fehlt das I‑Tüpfelchen.]