Gestört von sprachwissenschaftlicher Prüfungsliteratur waren die Tiefflieger vom VDS in der letzten Zeit irgendwie von meinem Radar verschwunden. Ein weiterer Grund ist möglicherweise auch, dass ein erneuter Viren- und Trojanerangriff auf meinen Rechner meine Lesezeichenleiste mit den unter „Lustiges Fremdschämen für Fortgeschrittene” abgelegten Forenbeiträgen des Vereins unbrauchbar gemacht hat. Den heutigen Besuch beim VDS verdanke ich einem sehr witzigen Beitrag im Sprachblog über „Sprachpanscher”.
Zur Erinnerung und in Kurzform: eigentlich geht es dem VDS nicht um Sprachpflege, sondern um die angebliche Überfrachtung der deutschen Sprache mit „Denglisch”. Hauptaussagen: Niedergang des Deutschen! Peinliche Angeberei! Heiße Luft! Lehnwörter ergeben keinerlei Sinn in ihrer Herkunftssprache! Muttersprachler lachen sich tot über unseren Gebrauch englischer Lehnwörter! Bedeutung der Lehnwörter im Englischen ganz anders! Goethe würde sich im Grab umdrehen!
Denkbar. Aber vermutlich zur anderen Seite: der bedauernswerte Dichterfürst muss für viel Dünnpfiff herhalten. Diejenigen, die den Verfall unserer Sprache so beweinen und Deutsch so gerne retten würden, haben Goethe vermutlich nie im Original gelesen. Mit der Sprache von 1790 würde ich die Gesellschaft nur bedingt vor der bedrohlichen anglo-amerikanischen Kulturrevolution retten. Probieren Sie’s doch einfach mal mit Schiller bei der nächsten Bewerbung. (Sie werden zumindest auffallen.) Für die Kleinen: nur Mut beim nächsten Deutschaufsatz! Deutschlehrer werden von Goethes Orthographie voll geflasht sein.
Und so zogen sie aus, beim VDS, mit einem Anglizismenindex angeblicher überflüssiger Lehnwörter. Die Nörgler könnten das Potential semantischer Differenzierung vieler Lehnwörter ja nicht mal erkennen, wenn es sie anspringen würde. Auch der einfache, aber triftige Grund für den kreativen Gebrauch von Anglizismen, nämlich, dass ein Lehnwort von seinem Nutzer schlicht als expressiver empfunden wird, ist in den Augen der Kulturpessimisten nur Ausdruck mangelnder Sprachfähigkeit und/oder Angeberei. Und während sich die geprügelten Deutschen ohne Not einem Amerikanismus unterwerfen, guckt der VDSler ganz neidvoll nach Paris, weil sich die Franzosen ja sehr stolz diesen Kulturverrat verbitten.
Wenden wir uns also der neusten Pressemitteilung des VDS vom 3. September zu:„Im Ausland nehmen deutschsprachige Produkt- und Firmennamen zu”. Der VDS bejubelt vollmundig seine „Untersuchung” deutscher Spurenelemente in der weltweiten Werbesprache — und während meine Hände nicht wissen, ob sie möglicherweise gleich ergriffen die Gänsehaut glatt streichen müssen oder doch lieber Haare raufen sollen, kreischt die innere Stimme schon Du lieb’s Herrgöttle, Einbahnstraßenalarm!
Die internationale Bedeutung der eigenen Sprache ist vielen deutschen Unternehmen gar nicht bewusst. Im Ausland jedoch nutzen zahlreiche Firmen die internationale Verbreitung der Sprache Goethes und setzen auf deutschsprachige Namen und Bezeichnungen. Ihre Zahl wird größer, wie eine Untersuchung des Vereins Deutsche Sprache (VDS) beweist.
Geht ja schon mal gut los. Nun sind viele Ergüsse der Werbesprache vergängliche Modeerscheinungen, die Aussage „Zahl wird größer” ist eine plumpe Behauptung, und um’s vorweg zu nehmen — beweisen tut der VDS hier gar nichts, auch keine zahlreichen Firmen, die der internationalen Verbreitung des Deutschen nicht widerstehen können. Aber wir halten fest: man setzt im Ausland halt irgendwie auf die Sprache Goethes!
Ob Goethe Kinderschokolade kannte? Der VDS schreibt, dass die italienische Firma Ferrero Kinder-Produkte in der ganzen Welt unter diesem Namen vertreibt. Das ist richtig — allerdings wurden Produkt und Markenname in den 60ern von der deutschen Tochterfirma zunächst für den deutschen Markt erfunden. Die Beibehaltung eines Markennamens beim Produktexport ist noch nicht mal besonders aufregend, sondern schlicht üblich — zumindest solange durch den Namen in der Kultur des Importeurs kein unangenehmer oder peinlicher Gegenwind droht. Ich halte IKEAs Kinderbett Gutvik nach wie vor trotzdem oder gerade deshalb für volle Absicht.
Man kann die eigene Argumentation natürlich auch in seinem Sinne nach Belieben aufblasen. In Estland heißt eine „der bedeutendsten Kaffeehausketten” Kehrwieder. Bedeutend — bei sechs Filialen? Die ordentliche, aber gesamtwirtschaftlich gesehen doch eher drittklassige Hamburger Kette Balzac hat gefühlt mehr Schuppen allein in Rotherbaum. Und geht’s nur mir so oder weckt die VDS-Beschreibung vom „Kaffeehaus” nicht eher Vorstellungen von biederer Wiener Kaffeehausromantik als von einer modernen Koffeintanke mit Literaturcafé und To-Go-Mentalität?
Nun finde ich das Wort Kehrwieder sehr, sehr schön — bezeichnet es eine Örtlichkeit, erinnert es mich an Hafen, an Wasser, an Schiffe, an Hamburg. Es liegt nahe, daraus die Bedeutungsherkunft aus „Junge, kehr bald wieder heim” abzuleiten. Aber abgesehen vom Seemanngarn der Barkassenkapitäne habe ich Kehrwieder im Sprachgebrauch älterer Hamburger stets in der Bedeutung von ‘Sackgasse’ wahrgenommen.
Mit beinahe kindlicher Begeisterung vermeldet der VDS die Verwendung von Blitz in Namen von asiatischen Boulevardzeitungen (Blitz — Comprehensive Weekly Tabloid). Allein der Zusatz des VDS, dass es sich um englischsprachige Medien handelt, hätte für die Erkenntnis Steilvorlage genug sein können, dass die deutsche Bezeichnung einer Wettererscheinung für diesen Produktnamen nicht Modell gestanden hat. Der OED definiert blitz als ‘attack or offensive launched suddenly with great violence with the object of reducing the defences immediately’ (mit großer Gewalt plötzlich ausgeführter Angriff oder Offensive mit dem Ziel, die Verteidigung augenblicklich zu verringern).
Natürlich geht diese Bedeutung auf Blitzkrieg zurück — hat aber im Englischen seine eigene Dynamik entfaltet. Im American Football bezeichnet blitz sowas wie „Angriff ist die beste Verteidigung”; aus der Sicht eines Autofahrer ist ein traffic blitz in Australien eine hinterlistige und verdeckte Geschwindigkeits- oder Verkehrskontrolle. Mit I was blitzed this morning sagt der Autofahrer aber nicht, dass er fotografiert wurde, sondern allgemein, dass er der Polizei in die Falle gegangen ist. Mit anderen Worten: blitz im Englischen scheint eher weniger mit dem poetischen oder journalistischen Geistesblitz gemein zu haben. Ob hier der Deutschexport so schmeichelhaft ist, wenn nicht sogar völlig belanglos?
Kommen wir zur Kategorie „Lehnwörter mit nichtssagender Bedeutung in der Quellsprache” — für Sprachnörgler haben Anglizismen schon allein deshalb keine Daseinsberechtigung, weil sie für Muttersprachler bedeutungsleer sind oder wir uns gegenüber jenen Muttersprachlern der Lächerlichkeit preisgeben. Teilen Sie die linguistische Begeisterung des VDS für Eisenbahn, eine brasilianische Brauerei? Finden Sie den Landwind aus China semantisch transparent?
Der VDS freut sich über internationale Werbeslogans in deutscher Sprache wie Vorsprung durch Technik (Audi) oder Das gute Bier! (deutscher Besitzer einer chilenischen Brauerei), und hält sie ernsthaft für Indikatoren für die Verbreitung, Bedeutung und Lebendigkeit der deutschen Sprache weltweit. Powered by Emotion (Sat 1) oder Come In & Find Out (Douglas) zeugen vom Untergang unserer schönen Sprache? Ich hoffe, es gibt Ärzte für solche Fälle.
Wenn ein sicherlich interessantes, aber im Groben doch eher (noch) bedeutungsloses “Philosophie- und Kulturmagazin” aus Großbritannien dankenswerterweise Bedeutung heißt, dann muss das für den VDS sein wie reich beschenkt werden. Während man beim VDS nicht merkt, wie man mit dünner Beweislage und wässriger Argumentation eifrig am Gewinnerbeitrag zum Eigentor des Jahres bastelt, zitiert man lieber stolz den Kopf hinter der Namensgebung des Magazins: „Der deutsche Titel ist ästhetischer.“
Express yourself. Just don’t blitz it.
Amüsant wie extraflacher Lingu-Nörgler an konkurrierenden Sprachnörglern herumnörgelt 🙂
jaja, der Herr Krämer und sein VDS. Der wohnt ja bei meinen Eltern um die Ecke, man kennt sich gut. Wie das so auf dem Land ist. Und meine Eltern bekommen das VDS Blatt — weils lustig ist 🙂
Zwei von 32,000 — deine Eltern sind cool! Vermutlich die einzige Annäherung an Pamphlete dieser Art.
“biederer Wiener Kaffeehausromantik”
Wie bitte? ::grummel::
Also ich habe “bieder” in diesem Kontext durchaus als positiv erachtet. Denn traditionelle Kaffeehausromantik und moderne To-Go-Mentalität stehen für mich nicht in wertender Konkurrenz zueinander. (Ich kenne in Hamburg auch nur einen wunderschönen Laden, der für mein Ideal Wiener Tradition steht, Pappbecherkaffee krieg ich überall.…)
Ah, okay – für mich hat “bieder” einen uneingeschränkt negativen Beigeschmack. “Traditionell” hätte ich genommen. 😉
In Ordnung. In jedem Habitat würde ich bieder auch negativ werten. Aber in Verbindung mit Kaffeehausromantik? Nichts läge mir ferner! 🙂
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