Wenn ein Wort entzweit

Von Susanne Flach

Wann ist ein ‘Wort’ ein Wort und wann ist ein Wort zwei Wörter?

Diese Frage spal­tete auf der StuTS beim abendlichen Grillen die Gruppe. Wir spielte das StuTS-Tra­di­tion­sspiel, bei dem sich die Mit­spiel­er eine Per­son aus­denken und anonym auf einen Zettel schreiben. Diese Zettel kom­men in einen Topf. Zwei Grup­pen wer­den gebildet; dann soll im Wech­sel jew­eils ein Mit­glied einen Zettel ziehen und die Per­son auf dem gezo­ge­nen Zettel sein­er eige­nen Gruppe in max­i­mal drei Wörtern erk­lären. Beispiel: Ich hat­te Heinz Erhardt gezo­gen und beschrieb ihn mit ‘Schaus­piel­er’, ‘Nachkriegszeit’, ‘witzig’ (kam kein­er drauf). Wird die Per­son von der Gruppe errat­en, bekommt die Gruppe einen Punkt; wenn nicht, wan­dert der Zettel in den Topf zurück.

Für Runde Zwei kom­men die Zettel wieder in den Topf, das Spiel wieder­holt sich mit den gle­ichen zu erra­ten­den Per­so­n­en — in der zweit­en Runde dür­fen aber nur noch zwei Wörter zur Umschrei­bung ver­wen­det wer­den, da die Per­so­n­en ja bekan­nt sind und Wörter aus der ersten Runde wieder­holt wer­den dür­fen. In der drit­ten Runde das gle­iche Spiel, dieses Mal darf nur noch ein Wort benutzt wer­den. Alles klar? Wichtig für den weit­eren Ver­lauf ist lediglich, dass es um die Regel ging, ein Wort zur Umschrei­bung ein­er Per­son zu ver­wen­den, um den Punkt zu erhalten.

Die zu erra­tende Per­son war ‘Robin Hood’. Und der Begriff, um den es in der drit­ten Runde ging, war Sher­wood For­est. Let­ztlich ging es also um die Frage, ob es sich bei Sher­wood For­est um ein Wort han­delt oder um zwei. Lassen wir die Möglichkeit außer Acht, dass die Ein­schätzung, ob ein Wort oder zwei, eventuell auch etwas mit der Team­mit­glied­schaft der Disku­tanden zu tun gehabt haben kön­nte. Zweit­ens ziehe ich für den Diskus­sionsver­lauf noch in Betra­cht, dass ich der einzige Anglist in der Diskus­sion war. Entschei­dend und ein­er Lin­guis­tenta­gung ver­mut­lich nicht angemessen war aber das Argu­ment, Sher­wood For­est seien zwei Wörter, weil sie ja auseinan­der geschrieben werden.

Natür­lich ist Sher­wood For­est ein Eigen­name — und somit für eine mögliche und grund­sät­zlich span­nende Unter­suchung, ob wir es mit ein­er mor­phol­o­gis­chen Kon­struk­tion oder ein­er syn­tak­tis­chen Phrase zu tun haben, nicht beson­ders gut geeignet. Aber offen­sichtlich hat die Orthogra­phie selb­st bei (ange­hen­den) Lin­guis­ten immer noch eine starke Anziehungskraft. Würde man alle Kon­struk­tio­nen mit mehr als einem orthographis­chen Wort als Phrasen beze­ich­nen, würde man einem ganzen Zweig der Mor­pholo­gie das Wass­er abgraben (und ver­mut­lich in Teufel­sküche kom­men). Aber wen­den wir uns der Orthogra­phie zu.

Im Deutschen ist es rel­a­tiv ein­fach, auch für den Laien, ein “Wort” zu erken­nen: hier wer­den auch die kom­plex­esten Kom­posi­ta in den aller­meis­ten Fällen zusam­mengeschrieben oder mit Binde­strich ver­bun­den. Wer ken­nt es nicht, das ange­blich läng­ste Wort der deutschen Sprache?

Donau­dampf­schiff­fahrts­ge­sellschaft­skapitän? Ja? Und was ist dann mit Donau­dampf­schiff­fahrts­ge­sellschaft­skapitänsmütze? Oder mit Donau­dampf­schiff­fahrts­ge­sellschaft­skapitänsmützen­stick­erei? Oder Donau­dampf­schiff­fahrts­ge­sellschaft­skapitänsmützen­stick­erei­her­stel­lung?

Man erken­nt zweier­lei: erstens kön­nen Kom­posi­ta spon­tan gebildet wer­den und auch beliebig mehrfach, ohne dass das Ver­ständ­nis der­sel­ben grund­sät­zlich unmöglich ist — an obiges Beispiel ließe sich also noch -(s)verfahren(sprozesse) usw. anhän­gen. Allerd­ings wer­den, zweit­ens, Kom­posi­ta mit zunehmender Länge schw­er analysier­bar (und die Wahrschein­lichkeit sinkt, dass wir das ‘Wort’ repro­duzieren): da der Kopf eines Kom­posi­tums in den meis­ten Fällen das let­zte Ele­ment ist, müssen wir bis zum Ende warten, um zu wis­sen, ob es sich um Mütze, Stick­erei, Her­stel­lung oder Ver­fahren­sprozesse han­delt. Aus diesem Grund sind extrem kom­plexe Kom­posi­ta auch rar — und nicht sel­ten nicht belegte Kun­st­griffe*. Diese und ähn­liche “läng­ste Worte des Deutschen” sind meist nicht mehr als miss­glück­te aber manch­mal erstaunlich ernst genommene Ver­suche, die “irre” Kom­plex­ität des Deutschen darzule­gen — oft mit dem Hin­weis, dass dies im Englis­chen nicht möglich sei.

Nun ist es erst­mal richtig, dass das Englis­che keine orthographis­chen Band­wurmwörter bildet. Aber der Ein­druck täuscht: die Kom­positabil­dung ist auch hier bis auf die Ver­ar­beitungskom­po­nente uneingeschränkt pro­duk­tiv. Nur wer­den hier die “Wörter” eben in mehr als einem “Wort” geschrieben. Fed­er­al elec­tion cam­paign enhance­ment advi­so­ry board mem­ber train­ing ses­sion smoke break dis­cus­sion part­ner ist unnötig kom­plex, in gesproch­en­er Sprache nahezu unin­ter­pretier­bar und wird in freier Wild­bahn schw­er zu find­en sein. Aber immer­hin bringt’s mein Kunst­wort auf stat­tliche 95 Buch­staben (und 12 Leerze­ichen). Trotz­dem würde selt­samer­weise nie­mand auf die Idee kom­men, es als “Wort” zu beze­ich­nen — weil es aus 13 orthographis­chen Wörtern beste­ht, die ja nicht zusam­mengeschrieben sind. Bun­destagswahlkampfkam­pag­nen­verbesserungs­ber­ater­gremien­mit­glieder­schu­lungskön­nte aber eins sein?

Klingt diese Logik für Sie so absurd wie für mich?

Kehren wir in den Wald zurück. Mal abge­se­hen davon, dass bei einem Eigen­na­men natür­lich jed­er Test auf eine syn­tak­tis­che Phrase ver­sagt (*Sher­wood refor­est­ed For­est, *Sherwood’s For­est), bleibt uns hier nur das Kom­posi­tum. Wir haben es auch mit ein­er seman­tis­chen Ein­heit zu tun, Sher­wood und For­est kön­nen nicht alleine ste­hen und dabei das­selbe beze­ich­nen (obgle­ich Sher­wood einen Wald impliziert und ety­mol­o­gisch auf ‘Wald, der zum Shire gehört’ zurück geht). Bei Phrasen ist dies möglich: der dumme Mann dort vs. der Ø Mann dort. Wir fahren in den Schwarzwald, die englis­chsprachige Welt aber in den Black For­est (waren Sie eigentlich schon mal im Teu­to­burg­er Wald?). Dafür haben wir das Schwarze Brett**, die anderen pin­nen ihre Noti­zen ans black­board.

Ver­mut­lich hätte in unserem StuTS-Spiel die Nen­nung von Sher­wood genügt, um die Per­son zu errat­en. Aber darum ging es mir hier nicht. Und es ging eigentlich noch nicht mal um die Frage, ob mor­phol­o­gis­che oder syn­tak­tis­che Kon­struk­tion. Es ging rein um die Frage, ob ein Wort ein ‘Wort’ sein kann, wenn es durch eine Leer­stelle getren­nt ist. Vielle­icht soll­ten die Teil­nehmer der näch­sten StuTS die Regeln konkretisieren und/oder sich auf eine Def­i­n­i­tion von ‘Wort’ verständigen.

Wer hat eigentlich das Spiel gewonnen?

*Belegt ist Rind­fleis­chetiket­tierungsüberwachungsauf­gabenüber­tra­gungs­ge­setz. Allerd­ings geht die Wahrschein­lichkeit gegen Null, dass ich mich in der Kneipe bei der Aus­sage “Hach, was haben die eigentlich wieder für n Käse ver­anstal­tet mit ihrem Rind­fleis­chetiket­tierungsüberwachungsauf­gabenüber­tra­gungs­ge­setz” erwis­che. Außer­dem haben wir es hier sowohl mit einem Kun­st­be­griff als auch — stre­it­bar­erweise — mit ein­er Kun­st­sprache (Juris­ten- oder Beam­ten­deutsch) zu tun.

**Die Frage, ob das Schwarze Brett ein Kom­posi­tum ist oder eine Phrase, ist sehr unein­deutig: es/sie weist alle seman­tis­chen und die meis­ten syn­tak­tis­chen und mor­phopho­nol­o­gis­chen Eigen­schaften eines Kom­posi­tums auf, jedoch trägt nicht der Kopf allein die gram­ma­tis­chen Infor­ma­tio­nen: auch schwarz wird flek­tiert. Das Schwarze Brett, ein Schwarzes Brett, des Schwarzen Bretts — und nicht sel­ten ist es das schwarze Brett.

4 Gedanken zu „Wenn ein Wort entzweit

  1. simop

    So gese­hen hat es das Bil­dung­sprekari­at (immer noch Unwortkan­di­dat, finde ich…) es bei solchen Spie­len leichter — die suchen nach “Jür­gen Drews” mit “Malle” und “König” und sind glück­lich dabei… 😉

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  2. Kristin

    Äh, ja, wer hat eigentlich gewon­nen? Ich musste das Spiel ja lei­der vorzeit­ig ver­lassen, und als ich vom Aufräu­men wiederkam, war die Par­ty irgend­wie gelaufen.

    Aber sag mal, musst Du eigentlich die dreck­ige StuTS-Wäsche hier in aller Öffentlichkeit waschen? Die Ver­fechter der Zwei-Wort-The­o­rie waren doch nur verzweifelte Ange­hörige der Ver­lier­ermannschaft … oder … zumin­d­est saßen sie uns gegenüber 😉

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    1. suz Beitragsautor

      Äh, ich wusste gar nicht, dass es so dreck­ig rüber kam… Denn eigentlich wollte ich nur über die sehr wack­lige Def­i­n­i­tion von “Wort” herziehen. Naja. Und stimmt, die Anderen saßen auf der Fen­ster­bank :). Vielle­icht wäre mir bei entsprechen­dem Promillew­ert auch nicht aufge­fall­en, dass man bei diesem Spiel eigentlich von Anfang an die Punk­te zählen müsste, um einen Sieger zu ermit­teln. Ok, let’s not get technical.

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  3. Pingback: */ˈdɪːkæf/ – coffee & linguistics» Blogarchiv » Twitter: „Baden-Württemberg“ kein Wort

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