Wann ist ein ‘Wort’ ein Wort und wann ist ein Wort zwei Wörter?
Diese Frage spaltete auf der StuTS beim abendlichen Grillen die Gruppe. Wir spielte das StuTS-Traditionsspiel, bei dem sich die Mitspieler eine Person ausdenken und anonym auf einen Zettel schreiben. Diese Zettel kommen in einen Topf. Zwei Gruppen werden gebildet; dann soll im Wechsel jeweils ein Mitglied einen Zettel ziehen und die Person auf dem gezogenen Zettel seiner eigenen Gruppe in maximal drei Wörtern erklären. Beispiel: Ich hatte Heinz Erhardt gezogen und beschrieb ihn mit ‘Schauspieler’, ‘Nachkriegszeit’, ‘witzig’ (kam keiner drauf). Wird die Person von der Gruppe erraten, bekommt die Gruppe einen Punkt; wenn nicht, wandert der Zettel in den Topf zurück.
Für Runde Zwei kommen die Zettel wieder in den Topf, das Spiel wiederholt sich mit den gleichen zu erratenden Personen — in der zweiten Runde dürfen aber nur noch zwei Wörter zur Umschreibung verwendet werden, da die Personen ja bekannt sind und Wörter aus der ersten Runde wiederholt werden dürfen. In der dritten Runde das gleiche Spiel, dieses Mal darf nur noch ein Wort benutzt werden. Alles klar? Wichtig für den weiteren Verlauf ist lediglich, dass es um die Regel ging, ein Wort zur Umschreibung einer Person zu verwenden, um den Punkt zu erhalten.
Die zu erratende Person war ‘Robin Hood’. Und der Begriff, um den es in der dritten Runde ging, war Sherwood Forest. Letztlich ging es also um die Frage, ob es sich bei Sherwood Forest um ein Wort handelt oder um zwei. Lassen wir die Möglichkeit außer Acht, dass die Einschätzung, ob ein Wort oder zwei, eventuell auch etwas mit der Teammitgliedschaft der Diskutanden zu tun gehabt haben könnte. Zweitens ziehe ich für den Diskussionsverlauf noch in Betracht, dass ich der einzige Anglist in der Diskussion war. Entscheidend und einer Linguistentagung vermutlich nicht angemessen war aber das Argument, Sherwood Forest seien zwei Wörter, weil sie ja auseinander geschrieben werden.
Natürlich ist Sherwood Forest ein Eigenname — und somit für eine mögliche und grundsätzlich spannende Untersuchung, ob wir es mit einer morphologischen Konstruktion oder einer syntaktischen Phrase zu tun haben, nicht besonders gut geeignet. Aber offensichtlich hat die Orthographie selbst bei (angehenden) Linguisten immer noch eine starke Anziehungskraft. Würde man alle Konstruktionen mit mehr als einem orthographischen Wort als Phrasen bezeichnen, würde man einem ganzen Zweig der Morphologie das Wasser abgraben (und vermutlich in Teufelsküche kommen). Aber wenden wir uns der Orthographie zu.
Im Deutschen ist es relativ einfach, auch für den Laien, ein “Wort” zu erkennen: hier werden auch die komplexesten Komposita in den allermeisten Fällen zusammengeschrieben oder mit Bindestrich verbunden. Wer kennt es nicht, das angeblich längste Wort der deutschen Sprache?
Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitän? Ja? Und was ist dann mit Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänsmütze? Oder mit Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänsmützenstickerei? Oder Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänsmützenstickereiherstellung?
Man erkennt zweierlei: erstens können Komposita spontan gebildet werden und auch beliebig mehrfach, ohne dass das Verständnis derselben grundsätzlich unmöglich ist — an obiges Beispiel ließe sich also noch -(s)verfahren(sprozesse) usw. anhängen. Allerdings werden, zweitens, Komposita mit zunehmender Länge schwer analysierbar (und die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass wir das ‘Wort’ reproduzieren): da der Kopf eines Kompositums in den meisten Fällen das letzte Element ist, müssen wir bis zum Ende warten, um zu wissen, ob es sich um Mütze, Stickerei, Herstellung oder Verfahrensprozesse handelt. Aus diesem Grund sind extrem komplexe Komposita auch rar — und nicht selten nicht belegte Kunstgriffe*. Diese und ähnliche “längste Worte des Deutschen” sind meist nicht mehr als missglückte aber manchmal erstaunlich ernst genommene Versuche, die “irre” Komplexität des Deutschen darzulegen — oft mit dem Hinweis, dass dies im Englischen nicht möglich sei.
Nun ist es erstmal richtig, dass das Englische keine orthographischen Bandwurmwörter bildet. Aber der Eindruck täuscht: die Kompositabildung ist auch hier bis auf die Verarbeitungskomponente uneingeschränkt produktiv. Nur werden hier die “Wörter” eben in mehr als einem “Wort” geschrieben. Federal election campaign enhancement advisory board member training session smoke break discussion partner ist unnötig komplex, in gesprochener Sprache nahezu uninterpretierbar und wird in freier Wildbahn schwer zu finden sein. Aber immerhin bringt’s mein Kunstwort auf stattliche 95 Buchstaben (und 12 Leerzeichen). Trotzdem würde seltsamerweise niemand auf die Idee kommen, es als “Wort” zu bezeichnen — weil es aus 13 orthographischen Wörtern besteht, die ja nicht zusammengeschrieben sind. Bundestagswahlkampfkampagnenverbesserungsberatergremienmitgliederschulungs… könnte aber eins sein?
Klingt diese Logik für Sie so absurd wie für mich?
Kehren wir in den Wald zurück. Mal abgesehen davon, dass bei einem Eigennamen natürlich jeder Test auf eine syntaktische Phrase versagt (*Sherwood reforested Forest, *Sherwood’s Forest), bleibt uns hier nur das Kompositum. Wir haben es auch mit einer semantischen Einheit zu tun, Sherwood und Forest können nicht alleine stehen und dabei dasselbe bezeichnen (obgleich Sherwood einen Wald impliziert und etymologisch auf ‘Wald, der zum Shire gehört’ zurück geht). Bei Phrasen ist dies möglich: der dumme Mann dort vs. der Ø Mann dort. Wir fahren in den Schwarzwald, die englischsprachige Welt aber in den Black Forest (waren Sie eigentlich schon mal im Teutoburger Wald?). Dafür haben wir das Schwarze Brett**, die anderen pinnen ihre Notizen ans blackboard.
Vermutlich hätte in unserem StuTS-Spiel die Nennung von Sherwood genügt, um die Person zu erraten. Aber darum ging es mir hier nicht. Und es ging eigentlich noch nicht mal um die Frage, ob morphologische oder syntaktische Konstruktion. Es ging rein um die Frage, ob ein Wort ein ‘Wort’ sein kann, wenn es durch eine Leerstelle getrennt ist. Vielleicht sollten die Teilnehmer der nächsten StuTS die Regeln konkretisieren und/oder sich auf eine Definition von ‘Wort’ verständigen.
Wer hat eigentlich das Spiel gewonnen?
*Belegt ist Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz. Allerdings geht die Wahrscheinlichkeit gegen Null, dass ich mich in der Kneipe bei der Aussage “Hach, was haben die eigentlich wieder für n Käse veranstaltet mit ihrem Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz” erwische. Außerdem haben wir es hier sowohl mit einem Kunstbegriff als auch — streitbarerweise — mit einer Kunstsprache (Juristen- oder Beamtendeutsch) zu tun.
**Die Frage, ob das Schwarze Brett ein Kompositum ist oder eine Phrase, ist sehr uneindeutig: es/sie weist alle semantischen und die meisten syntaktischen und morphophonologischen Eigenschaften eines Kompositums auf, jedoch trägt nicht der Kopf allein die grammatischen Informationen: auch schwarz wird flektiert. Das Schwarze Brett, ein Schwarzes Brett, des Schwarzen Bretts — und nicht selten ist es das schwarze Brett.
So gesehen hat es das Bildungsprekariat (immer noch Unwortkandidat, finde ich…) es bei solchen Spielen leichter — die suchen nach “Jürgen Drews” mit “Malle” und “König” und sind glücklich dabei… 😉
Äh, ja, wer hat eigentlich gewonnen? Ich musste das Spiel ja leider vorzeitig verlassen, und als ich vom Aufräumen wiederkam, war die Party irgendwie gelaufen.
Aber sag mal, musst Du eigentlich die dreckige StuTS-Wäsche hier in aller Öffentlichkeit waschen? Die Verfechter der Zwei-Wort-Theorie waren doch nur verzweifelte Angehörige der Verlierermannschaft … oder … zumindest saßen sie uns gegenüber 😉
Äh, ich wusste gar nicht, dass es so dreckig rüber kam… Denn eigentlich wollte ich nur über die sehr wacklige Definition von “Wort” herziehen. Naja. Und stimmt, die Anderen saßen auf der Fensterbank :). Vielleicht wäre mir bei entsprechendem Promillewert auch nicht aufgefallen, dass man bei diesem Spiel eigentlich von Anfang an die Punkte zählen müsste, um einen Sieger zu ermitteln. Ok, let’s not get technical.
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