Viola hat mich auf einen Artikel im Guardian hingewiesen, in dem es um eine neue Ausstellung der British Library geht: Evolving English: One Language, Many Voices.
Die Ausstellung, die am 12. November 2010 eröffnet wird und bis zum 3. April 2011 laufen wird, bietet einen umfassenden Einblick in die (dokumentierte) Geschichte der Englischen Sprache. Wertvolle Manuskripte aus den letzten tausend Jahren werden dort ebenso zu bestaunen sein wie Tonaufnahmen verschiedener englischer Dialekte aus der ganzen Welt.
Der Guardian freut sich aber am meisten über ein sogenanntes „Emblematisches Gedicht“ aus dem 19. Jahrhundert, das dort zu sehen sein wird und das zeigt, dass die bei britischen Sprachnörglern besonders verhassten SMS-Abkürzungen schon damals üblich waren:
… 130 years before the arrival of mobile phone texting, Charles C Bombaugh uses phrases such as “I wrote 2 U B 4”. Another verse reads: “He says he loves U 2 X S,/ U R virtuous and Y’s,/ In X L N C U X L/ All others in his i’s.”
Für die Leser/innen des Sprachlogs ist mir kein Aufwand zu groß, deshalb habe ich das vollständige Gedicht bei Google Books gesucht, gefunden und abgetippt:
Essay to Miss Catharine Jay
An S A now I mean to write
To U, sweet K T J,
The girl without a ||,
The belle of U T K.I 1 der if you got that 1
I wrote 2 U B 4
I sailed in the R K D A,
And sent by L N Moore.My M T head will scarce contain
A calm I D A bright;
But A T miles from U I must
M︷ this chance 2 write.And 1st, should N E N V U,
B E Z, mind it not;
Should N E friendship show, B true,
They should not be forgot.But friends and foes alike D K,
As U may plainly C,
In every funeral R A,
Or uncle’s L E G,And if you cannot cut a —,
Or cause an !
I hope U ’ll put a .
2 1 ?R U for an X ation 2,
My cous N? Heart and ☞
He off R’s in a ¶
A § 2 of land.He says he loves U 2 X S,
U R virtuous and Y’s,
In X L N C U X L
All others in his i’s.This S A, until U I C,
I pray U 2 X Q’s,
And do not burn in F E G
My young and wayward muse.Now fare U well dear K T J,
I trust that U R true;
When this U C then you can say,
An S A I O U.
Sprachwissenschaftlich ist zu diesem Gedicht nicht allzuviel Interessantes zu sagen. Wer einen Beleg brauchte, dass SMS-Kürzel kein Zeichen von Sprachverfall sondern eines von sprachlicher Kreativität sind, der kann ihn in diesem Gedicht vielleicht sehen.
Wem Sprachspielereien Spaß machen, der kann einen Sonntagnachmittag damit verbringen, das Gedicht zu dekodieren. An einigen Stellen ist das sehr leicht, an anderen muss man ein bisschen Nachdenken und Ausprobieren. Mir bereitet im Moment die Zeile The girl without a || noch Kopfzerbrechen.
[Nachtrag (22. August 2010): Die obige Version ist nicht die aus Bombaughs „Harvest Fields of Literature“, sie stammt aus dem American Penny Magazine (Band 3) von 1847. Bombaughs Version ist identisch bis auf die fünfte Strophe, die bei ihm folgendermaßen lautet:
From virt U nev R D V 8;
Her influence B 9
A like induces 10 dern S,
Or 40 tude D vine.
Woher das Gedicht ursprünglich stammt, wird übrigens in keiner der Quellen angegeben.]
[Nachtrag (23. August 2010): Ein stark abweichendes aber ebenfalls an „Catherine Jay aus Utica“ gerichtetes Gedicht voller Kürzel findet sich hier. (via Word Routes).]
[Nachtrag (26. August 2010): Hier meine Auflösung, unklare Stellen habe ich mit Fragezeichen markiert:
An essay now I mean to write
To you, sweet Katie J,
The girl without a parallel,
The belle of Utica.
I wonder if you got that one
I wrote to you before
I sailed in the Arcadia,
And sent by Ellen/Allen Moore (?)
My empty head will scarce contain
A calm idea bright;
But eighty miles from you must
Embrace this chance to write.
And first, should any envy you,
Be easy, mind it not;
Should any friendship show, be true,
They should not be forgot.
But friends and foes alike decay,
As you may plainly see,
In every funeral array,
Or uncle’s elegy.
(From virtue never deviate;
Her influence benign
A like induces tendernes,
Or fortitude divine.)
And if you cannot cut a dash,
Or cause an exclamation (?)
I hope you’ll put a period (?)
To one interrogation (?).
Are you for annexation too,
My cousin? Heart and hand
He offers in a paragraph
A section, too, of land.
He says he loves you to excess,
You are virtuous and wise,
In excellency you excel
All others in his eyes.
This essay, until you I see
I pray you to excuse,
And do not burn in effigy,
My young and wayward muse.
Now fare you well dear Katie J,
I trust that you are true;
When this you see then you can say,
An essay I owe you.
Verbesserungsvorschläge sind natürlich willkommen.]
BOMBAUGH, C.C. (1867) Harvest-Fields of Literature. A Melange of Excerpta, Curious, Humorous and Instructive. Baltimore: T. Newton Kurtz. [Google Books (Volltext)]
[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Version enthält möglicherweise Korrekturen und Aktualisierungen. Auch die Kommentare wurden möglicherweise nicht vollständig übernommen.]
The girl without a ||
|| könnte für “parallel” stehen.
könnte. aber dann reimt sich’s nicht
Definitiv “parallel”
Es reimen sich auch jeweils nur Zeile 2 und 4.
Das Ding ist ech ne harte Nuss. Sehr schön. ^^
Doppelstrich
Wenn der Doppelstrich für ´line´ steht, dann wäre es ´das Mädchen ohne eine (Haut-)Falte´
line = Leine, Linie, Haut-Falte, Grenze — sagt mein Langenscheidt
Doppelstrich, 2. Versuch
Jetzt war ich zu einfallslos.
Das optische Doppelstrich-Zeichen dürfte für ´lane´ stehen = Gasse, Fahrspur.
Wegen der ähnlichen Aussprache wie ´line´ dürfte sich dann der Sinn ergeben.
The girl without …
I think it should read:
The girl without a Parallel.
Kind reagards,
Willy
The girl without…
“parallel” könnte eine Alliteration mit “belle” sein.
Kind regards,
Willy
Abtippen
Danke für das Abtippen! (Das ist nämlich wirklich dumme Arbeit, ich habe das Migräne-Gedicht “Geist im Tee” abgetippt, war nervig.)
Ich habe wirklich Probleme den Text zu lesen (und bin wohl auch zu ungeduldig). Will jemand mal es übersetzen?
[Eine Version in normaler Orthografie wird natürlich folgen, aber ich will den Ratespaß jetzt noch nicht verderben. — A.S.]
||
Sehr schön, mir scheint parallel plausibel, da es in den Rhythmus der Zeile passt und inhaltlich plausibel ist (to be without a parallel ist eine feststehende Redewendung). Der interne Reim mit belle ist auch ein guter Hinweis. Ich wäre nicht darauf gekommen, weil ich mich zu sehr an dem Zeichen || verbissen habe, das ja die Bedeutung „Parallel“ nicht hat (das korrekte Zeichen wäre ∥). Aber natürlich darf man hier nicht unbedingt von der heutigen Bedeutung der Zeichen ausgehen.
parallel
“parallel” scheint mir die richtige Übersetzung zu sein. Ich habe nach der Überschrift gegoogelt und diese Seite gefunden: http://www.visualthesaurus.com/…ordroutes/2398/. Wenn man im Text dem Link auf die Version des Gedichts seit 1847 folgt, findet man einen Abdruck in “Dwight’s American magazine, and…”. Dort sind die beiden Striche tatsächlich eng nebeneinander. In einem weiteren Link wird auf eine frühere Version verwiesen. Dort findet man ebenfalls zwei Striche, die aber wohl eher zwei große i sind, also eine römische 2. Der Abstand ist hier auch größer.
pont max tr pot lol
Language Log hatte einen köstlichen Beitrag, dass SMS-Sprache schon zum Fall Roms beigetragen hat:
“pont max tr pot lol”
http://languagelog.ldc.upenn.edu/nll/?p=83
Kann mann
A.S. schrieb:
“Wer einen Beleg brauchte, dass SMS-Kürzel kein Zeichen von Sprachverfall sondern eines von sprachlicher Kreativität sind, der kann ihn in diesem Gedicht vielleicht sehen.”
Alternativ kann man darin auch sehen, dass es zu jeder Zeit “Sprachverfall” (was auch immer das nun heißen mag) gegeben hat.
Mich stört einfach dieses gandenlose Hochloben jeglicher Form von Sprache Seitens der Linguisten. Unabhängig davon, dass soetwas aus wissenschaftlicher Sicht vielleicht toll ist, kann ich jeden verstehen, der solche Textformen nicht mag oder als Kreativität anerkennen möchte.
Gruß
Pansen
Auch wenn’s spät kommt…
Statt “I hope you’ll put a period” wäre auch “I hope you’ll put a stop” oder “I hope you’ll put a full stop” möglich – schließlich heißt der Punkt im Britischen Englisch “full stop”.
Diese Varianten wären m.E. sprachlich schöner, allerdings schmiegt sich “period” besser ins Versmaß.