Ibere Ittume-Inglische ine ‑Ialektde

Von Kristin Kopf

[Gegenüber dem Orig­i­nal leicht verändert.]

Let­zte Woche habe ich Peter Hafen getrof­fen. Er ist der erste Vor­sitzende des Bern­er Mat­teänglisch-Clubs (mit der char­man­ten Abkürzung Mäc). Die Geheim­sprache Mat­teänglisch hat er in sein­er Schulzeit – wie schon sein Vater und sein Groß­vater – von seinen Klassenkam­er­aden gel­ernt. Die fol­gen­den Erk­lärun­gen basieren teils auf seinen Erzäh­lun­gen, teils auf dem Mäc-Buch Mat­teänglisch. Geschichte der Mat­te. Dialekt und Geheim­sprache von Stirnemann.

Mat­teenglisch ent­stand im Bern­er Mat­te­quarti­er und basiert auf dessen Dialekt, dem Mat­te­di­alekt (oder Mat­te-Bern­deutsch) – der vie­len auch schon wie eine Geheim­sprache vorgekom­men sein dürfte, aber nicht mit ihr ver­wech­selt wer­den sollte.

Der Mattedialekt als Soziolekt

Die Mat­te ‘Wiese’ ist ein beson­der­er Stadt­teil Berns: Sie liegt in der Fluß­biegung der Aare direkt am Wass­er – und über 30 Meter unter dem Rest der Stadt. Hier waren früher vor allem Schif­fer und Handw­erk­er ange­siedelt, später dann auch Indus­trie­un­ternehmen und ihre Arbeiter.

Lage der Mat­te in Bern – Quelle: Tschub­by (cc-by-sa, bearbeitet)

In der Mat­te kon­nte sich durch zwei Bedin­gun­gen ein sehr eigen­ständi­ger Dialekt entwickelt:

  1. Die Schiff­fahrt und die Ansied­lung aus­ländis­ch­er Stein­met­ze brachte Ein­flüsse aus zahlre­ichen Sprachen, z.B. Franzö­sisch, Ital­ienisch und Rotwelsch. Viele dieser Ele­mente find­en sich aber auch in anderen schweiz­erdeutschen Dialek­ten (z.B. Beiz).
    • Franzö­sisch: Gut­ti < couteau ‘Mess­er’, peye < pay­er ‘bezahlen’, Diss­er < dix ‘Zehn­er’
    • Ital­ienisch: Garette < caret­to ‘Sack­karre’
    • Rotwelsch: Sch­pruss ‘Holz’, Beiz ‘Wirtschaft’, Hach ‘Mann’, Moos­seli ‘Frau’, schi­na­gle ‘arbeit­en’
  2. Die räum­liche und soziale Tren­nung von der Ober­stadt sorgte für abwe­ichende Entwick­lun­gen gegenüber dem Stadt-Berndeutsch.

Blick auf die Bern­er Alt­stadt – Quelle: Amstuz­mar­co (cc-by-sa)

Die Mat­te­be­wohn­er hat­ten einen niedri­gen sozialen Sta­tus, und entsprechend wurde ihr Dialekt von anderen oft als grob und ungeschlif­f­en ange­se­hen. Heute existiert er so nicht mehr, die Bevölkerung stellt keine homo­gene und vom Rest der Stadt getren­nte soziale Gruppe mehr da.

Ein Beispiel­satz aus dem Mattedialekt:

Der Hächu geit mit em Kät­tu i Däh­liger ga schprusse

Der Mann geht mit dem Kar­ren in den Dählhöl­zli­wald um Holz zu sammeln’

Vom Dialekt zur Geheimsprache: Matteenglisch

Beim Mät­tuänglisch ‘Mat­teenglisch’ han­delt es sich um eine schema­tis­che Geheim­sprache, die es wohl bere­its im 16. Jahrhun­dert gab. Sie wird, auf­grund ihrer Vokalverän­derun­gen, auch als i-e-Sprache beze­ich­net. Nach Bern kam sie wohl über die Flusss­chiff­fahrt, ihre Ursprünge liegen wahrschein­lich im Ham­burg­er Raum.

Englisch in der Sprach­beze­ich­nung ste­ht wohl ein­fach für eine unver­ständliche Sprache, so wie Welsch ‘roman­is­che Sprache’ in Rotwelsch. (Welsch kon­nte man nicht benutzen, Franzö­sisch war zu bekan­nt.) Als alter­na­tive Erk­lärung gilt eine Anlehnung an die Mat­te­nenge, eine Straße, das wird aber von Stirne­mann abgelehnt.

Isde Indgre-Inzippre ‘Das Grundprinzip’

Mat­teenglisch unter­schei­det sich auss­chließlich im Wortschatz vom Mat­te­di­alekt, in der Gram­matik ist es iden­tisch. Die Regeln für die „Über­set­zung“ ins Mat­teenglisch sind daher auch ziem­lich schnell erklärt:

  1. Man nimmt ein Wort aus dem Mat­te­di­alekt, zum Beispiel sch­puele ‘reden’,
  2. tren­nt es nach dem ersten Vokal: sch­pu|ele
  3. set­zt den ersten Teil nach hin­ten: ele|sch­pu
  4. verän­dert den let­zten Vokal in ein e (=Schwa): eleschpe
  5. set­zt ein i vor das Ganze: ieleschpe

Was mich sehr über­rascht hat: Nicht die Silbe dient hier als Bezugs­größe, son­dern ein sehr willkür­lich­er Wor­tauss­chnitt – alles bis zum ersten geschriebe­nen Vokal (bei Diph­thon­gen also nur der erste der bei­den Laute).

Eben­falls inter­es­sant ist, dass durch die Umstel­lung die Flex­ion­sendun­gen ins Wortin­nere ger­at­en: Die dritte Per­son Sin­gu­lar von ‘aus­re­ichen, lan­gen’ lautet im Mat­te­di­alekt längt, im Mat­teänglisch wird es zu ingtle. Ich frage mich, ob das beim Hören über­haupt noch seg­men­tiert wird, oder ob die Per­so­n­en­dif­feren­zierung nur noch anhand der Per­son­al­pronomen erfolgt.

Dass durch die Umstel­lung zwei gle­iche Vokale aufeinan­dertr­e­f­fen kön­nen, ist übri­gens kein Problem:

  • Iizbe < Beiz ‘Wirtschaft’
  • ifee < ufe ‘(hin)auf’

Inderse-Igelnre ‘Sonderregeln’

Für kom­plexe Wörter gibt es eine Son­der­be­hand­lung: Sie wer­den in ihre Bestandteile zer­legt und in der Schrei­bung durch Binde­strich getren­nt. Das ist ziem­lich klar bei Komposita:

  • Kou+dampf ‘Kohldampf’> Iuke-Impfde
  • Mättu+änglisch ‘Mat­teenglisch’> Ittume-Inglis­che

Eben­so ver­fährt man bei Prä­fix­en: ver+kitsche > irve-itscheke. Das gilt sog­ar dann, wenn das Prä­fix extrem abgeschlif­f­en ist, wie bei afu­nele ‘anzün­den’ > ie-inelefe. Suf­fixe wer­den nicht abgetrennt.

Artikel, Prä­po­si­tio­nen und Pronom­i­na müssen nicht ver­stellt wer­den, kön­nen es aber: ie < i ‘ich’, ide < du ‘du’, ire < er, ive < vo ‘von’.

Kom­pliziert wird’s, wenn Wörter ver­schmelzen. Laut Stirne­mann wer­den solche Verbindun­gen als ein Wort behandelt:

  • wi-n-es ‘wie es’ > ineswe,
  • wo-n-er ‘wo er’ > inerwe,
  • gibmer ‘gib mir’ > ibmerge.

Schaut man sich aber den Beispiel­teil des Buch­es an, so ent­deckt man schnell Dialoge, wo das nicht gemacht wurde, z.B. unten bei für-e ‘für einen’ > irfe e, nicht irefe. Vielle­icht ist das also option­al, vielle­icht gilt es aber auch nur für bes­timmte Verbindungen.

Stirne­mann zählt einige Wörter auf, die unverän­dert bleiben, so affäng < frz. enfin ‘endlich’, difi­siu < frz. dif­fi­cile ’schwierig’, Ban­dit < it. ban­di­to “weil sie durch die schema­tis­che Verän­derung selb­st für Mät­tel­er unver­ständlich wer­den.” Ich per­sön­lich kann nichts über­mäßig Unver­ständlich­es an iffänge, ifi­si­ude und indi­tobe ent­deck­en, vielle­icht gibt es noch eine andere Erklärung.

Die Bil­dung­sprinzip­i­en für Mat­teenglisch kön­nen natür­lich auf jede beliebige Sprache angewen­det wer­den – so kann z.B. auch das Bern­deutsche als Basis dienen oder, wie in meinen Über­schriften, das Hochdeutsche. Echt­es Mat­teenglisch ist es dann natür­lich nicht mehr.

Imze Isenle, Irenhe inde Iuensche ‘Zum Lesen, Hören und Schauen’

Hier ein klein­er Dia­log zwis­chen zwei Fis­ch­ern – erst Mat­te­di­alekt, dann Mat­teenglisch und zulet­zt Hochdeutsch:

A: Miggu, geschter han‑i im Tych e Hecht usegschrisse, mir hei Fleisch für ne ganzi Wuche.
B: U i‑ha hüt e Ascht am Angu gha, dä Sch­pruss längt üs für‑e ganze Winter.

A: Iggume, ischter­gi ini­he ime Ichte e Ichthe iseeis­segschre, irme iihe Iis­chfle [sic!] irfe ine inzige Ichewe.
B: U iihe ithe e Ischte ime Ingue ighe, die Isss­ch­pre ing­tle ise irfe e inzege Interwe.

A: Michel, gestern habe ich einen (solchen) Hecht aus dem Teich geholt, dass wir für eine ganze Woche Fleisch haben.
B: Und ich habe einen Ast an der Angel gehabt, das Holz reicht uns für einen ganzen Winter.

Und schließlich eine kurze Reportage des Schweiz­er Fernse­hens zum Matteenglisch:

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=TYkoTalmsrE]

Im Film ist von einem Über­set­zung­spro­gramm ins Mat­teenglis­che die Rede. Eine Rück­über­set­zung in den Mat­te­di­alekt ist aber nicht möglich, weil ja der erste Vokal des Aus­gangswortes immer zu e wird. Ein paar math­e­ma­tis­che Bemerkun­gen dazu gibt es bei Peter.

Weit­ere Links:

3 Gedanken zu „Ibere Ittume-Inglische ine ‑Ialektde

  1. Søren S.

    Sehr span­nend! Das Umkehren der Sil­ben erin­nert mich an ver­lan, eine franzö­sis­che Geheim­sprache. Vielle­icht eine Verbindung?

    Und wo liegt die Betonung?

    Antworten
    1. Kristin Beitragsautor

      Betont wird meines Wis­sens wie für schweiz­erdeutsche Dialek­te “nor­mal”, also auf der ersten Silbe.

      Mit Ver­lan kenne ich mich nicht genauer aus, aber meines Wis­sens wer­den da wirk­lich ganze Sil­ben ver­tauscht, was ja beim Mat­teenglisch kurioser­weise nicht der Fall ist.

      Antworten
  2. Achim

    Das Ver­lan als Geheim­sprache zu beze­ich­nen, ist ein biss­chen weit herge­holt. Immer­hin erfahren heutzu­tage sog­ar deutsche Jugendliche im Franzö­sis­chunter­richt von sein­er Exis­tenz und wie die Worte gebildet wer­den. (Jeden­falls war das zu mein­er Zeit so.)

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