[Gegenüber dem Original leicht verändert.]
Letzte Woche habe ich Peter Hafen getroffen. Er ist der erste Vorsitzende des Berner Matteänglisch-Clubs (mit der charmanten Abkürzung Mäc). Die Geheimsprache Matteänglisch hat er in seiner Schulzeit – wie schon sein Vater und sein Großvater – von seinen Klassenkameraden gelernt. Die folgenden Erklärungen basieren teils auf seinen Erzählungen, teils auf dem Mäc-Buch Matteänglisch. Geschichte der Matte. Dialekt und Geheimsprache von Stirnemann.
Matteenglisch entstand im Berner Mattequartier und basiert auf dessen Dialekt, dem Mattedialekt (oder Matte-Berndeutsch) – der vielen auch schon wie eine Geheimsprache vorgekommen sein dürfte, aber nicht mit ihr verwechselt werden sollte.
Der Mattedialekt als Soziolekt
Die Matte ‘Wiese’ ist ein besonderer Stadtteil Berns: Sie liegt in der Flußbiegung der Aare direkt am Wasser – und über 30 Meter unter dem Rest der Stadt. Hier waren früher vor allem Schiffer und Handwerker angesiedelt, später dann auch Industrieunternehmen und ihre Arbeiter.
In der Matte konnte sich durch zwei Bedingungen ein sehr eigenständiger Dialekt entwickelt:
- Die Schifffahrt und die Ansiedlung ausländischer Steinmetze brachte Einflüsse aus zahlreichen Sprachen, z.B. Französisch, Italienisch und Rotwelsch. Viele dieser Elemente finden sich aber auch in anderen schweizerdeutschen Dialekten (z.B. Beiz).
- Französisch: Gutti < couteau ‘Messer’, peye < payer ‘bezahlen’, Disser < dix ‘Zehner’
- Italienisch: Garette < caretto ‘Sackkarre’
- Rotwelsch: Schpruss ‘Holz’, Beiz ‘Wirtschaft’, Hach ‘Mann’, Moosseli ‘Frau’, schinagle ‘arbeiten’
- Die räumliche und soziale Trennung von der Oberstadt sorgte für abweichende Entwicklungen gegenüber dem Stadt-Berndeutsch.
Die Mattebewohner hatten einen niedrigen sozialen Status, und entsprechend wurde ihr Dialekt von anderen oft als grob und ungeschliffen angesehen. Heute existiert er so nicht mehr, die Bevölkerung stellt keine homogene und vom Rest der Stadt getrennte soziale Gruppe mehr da.
Ein Beispielsatz aus dem Mattedialekt:
Der Hächu geit mit em Kättu i Dähliger ga schprusse
‘Der Mann geht mit dem Karren in den Dählhölzliwald um Holz zu sammeln’
Vom Dialekt zur Geheimsprache: Matteenglisch
Beim Mättuänglisch ‘Matteenglisch’ handelt es sich um eine schematische Geheimsprache, die es wohl bereits im 16. Jahrhundert gab. Sie wird, aufgrund ihrer Vokalveränderungen, auch als i-e-Sprache bezeichnet. Nach Bern kam sie wohl über die Flussschifffahrt, ihre Ursprünge liegen wahrscheinlich im Hamburger Raum.
Englisch in der Sprachbezeichnung steht wohl einfach für eine unverständliche Sprache, so wie Welsch ‘romanische Sprache’ in Rotwelsch. (Welsch konnte man nicht benutzen, Französisch war zu bekannt.) Als alternative Erklärung gilt eine Anlehnung an die Mattenenge, eine Straße, das wird aber von Stirnemann abgelehnt.
Isde Indgre-Inzippre ‘Das Grundprinzip’
Matteenglisch unterscheidet sich ausschließlich im Wortschatz vom Mattedialekt, in der Grammatik ist es identisch. Die Regeln für die „Übersetzung“ ins Matteenglisch sind daher auch ziemlich schnell erklärt:
- Man nimmt ein Wort aus dem Mattedialekt, zum Beispiel schpuele ‘reden’,
- trennt es nach dem ersten Vokal: schpu|ele
- setzt den ersten Teil nach hinten: ele|schpu
- verändert den letzten Vokal in ein e (=Schwa): eleschpe
- setzt ein i vor das Ganze: ieleschpe
Was mich sehr überrascht hat: Nicht die Silbe dient hier als Bezugsgröße, sondern ein sehr willkürlicher Wortausschnitt – alles bis zum ersten geschriebenen Vokal (bei Diphthongen also nur der erste der beiden Laute).
Ebenfalls interessant ist, dass durch die Umstellung die Flexionsendungen ins Wortinnere geraten: Die dritte Person Singular von ‘ausreichen, langen’ lautet im Mattedialekt längt, im Matteänglisch wird es zu ingtle. Ich frage mich, ob das beim Hören überhaupt noch segmentiert wird, oder ob die Personendifferenzierung nur noch anhand der Personalpronomen erfolgt.
Dass durch die Umstellung zwei gleiche Vokale aufeinandertreffen können, ist übrigens kein Problem:
- Iizbe < Beiz ‘Wirtschaft’
- ifee < ufe ‘(hin)auf’
Inderse-Igelnre ‘Sonderregeln’
Für komplexe Wörter gibt es eine Sonderbehandlung: Sie werden in ihre Bestandteile zerlegt und in der Schreibung durch Bindestrich getrennt. Das ist ziemlich klar bei Komposita:
- Kou+dampf ‘Kohldampf’> Iuke-Impfde
- Mättu+änglisch ‘Matteenglisch’> Ittume-Inglische
Ebenso verfährt man bei Präfixen: ver+kitsche > irve-itscheke. Das gilt sogar dann, wenn das Präfix extrem abgeschliffen ist, wie bei afunele ‘anzünden’ > ie-inelefe. Suffixe werden nicht abgetrennt.
Artikel, Präpositionen und Pronomina müssen nicht verstellt werden, können es aber: ie < i ‘ich’, ide < du ‘du’, ire < er, ive < vo ‘von’.
Kompliziert wird’s, wenn Wörter verschmelzen. Laut Stirnemann werden solche Verbindungen als ein Wort behandelt:
- wi-n-es ‘wie es’ > ineswe,
- wo-n-er ‘wo er’ > inerwe,
- gibmer ‘gib mir’ > ibmerge.
Schaut man sich aber den Beispielteil des Buches an, so entdeckt man schnell Dialoge, wo das nicht gemacht wurde, z.B. unten bei für-e ‘für einen’ > irfe e, nicht irefe. Vielleicht ist das also optional, vielleicht gilt es aber auch nur für bestimmte Verbindungen.
Stirnemann zählt einige Wörter auf, die unverändert bleiben, so affäng < frz. enfin ‘endlich’, difisiu < frz. difficile ’schwierig’, Bandit < it. bandito “weil sie durch die schematische Veränderung selbst für Mätteler unverständlich werden.” Ich persönlich kann nichts übermäßig Unverständliches an iffänge, ifisiude und inditobe entdecken, vielleicht gibt es noch eine andere Erklärung.
Die Bildungsprinzipien für Matteenglisch können natürlich auf jede beliebige Sprache angewendet werden – so kann z.B. auch das Berndeutsche als Basis dienen oder, wie in meinen Überschriften, das Hochdeutsche. Echtes Matteenglisch ist es dann natürlich nicht mehr.
Imze Isenle, Irenhe inde Iuensche ‘Zum Lesen, Hören und Schauen’
Hier ein kleiner Dialog zwischen zwei Fischern – erst Mattedialekt, dann Matteenglisch und zuletzt Hochdeutsch:
A: Miggu, geschter han‑i im Tych e Hecht usegschrisse, mir hei Fleisch für ne ganzi Wuche.
B: U i‑ha hüt e Ascht am Angu gha, dä Schpruss längt üs für‑e ganze Winter.
A: Iggume, ischtergi inihe ime Ichte e Ichthe iseeissegschre, irme iihe Iischfle [sic!] irfe ine inzige Ichewe.
B: U iihe ithe e Ischte ime Ingue ighe, die Issschpre ingtle ise irfe e inzege Interwe.
A: Michel, gestern habe ich einen (solchen) Hecht aus dem Teich geholt, dass wir für eine ganze Woche Fleisch haben.
B: Und ich habe einen Ast an der Angel gehabt, das Holz reicht uns für einen ganzen Winter.
Und schließlich eine kurze Reportage des Schweizer Fernsehens zum Matteenglisch:
[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=TYkoTalmsrE]
Im Film ist von einem Übersetzungsprogramm ins Matteenglische die Rede. Eine Rückübersetzung in den Mattedialekt ist aber nicht möglich, weil ja der erste Vokal des Ausgangswortes immer zu e wird. Ein paar mathematische Bemerkungen dazu gibt es bei Peter.
Weitere Links:
- 50 Jahre Matteänglisch-Club im Berner Oberländer
- Schpuele ir Mättu auf swissinfo.ch
Sehr spannend! Das Umkehren der Silben erinnert mich an verlan, eine französische Geheimsprache. Vielleicht eine Verbindung?
Und wo liegt die Betonung?
Betont wird meines Wissens wie für schweizerdeutsche Dialekte “normal”, also auf der ersten Silbe.
Mit Verlan kenne ich mich nicht genauer aus, aber meines Wissens werden da wirklich ganze Silben vertauscht, was ja beim Matteenglisch kurioserweise nicht der Fall ist.
Das Verlan als Geheimsprache zu bezeichnen, ist ein bisschen weit hergeholt. Immerhin erfahren heutzutage sogar deutsche Jugendliche im Französischunterricht von seiner Existenz und wie die Worte gebildet werden. (Jedenfalls war das zu meiner Zeit so.)