Der aktuelle XKCD mit Graf Zahl:
Es gibt tatsächlich Sprachen, in denen es nur sehr wenige Zahlwörter gibt, die sowas wie 1, 2 und ‘viele’ (alles ab 3) bedeuten. Ich würde das allerdings nicht “primitiv”, sondern extrem spannend nennen. WALS, der World Atlas of Language Structures, listet 20 Sprachen mit solchen eingeschränkten (“restricted”) Zahlensystemen auf:
Darunter findet sich z.B. Pirahã, eine Sprache in Brasilien. Für sie wurde tatsächlich zunächst ein 1–2‑viele-System postuliert wurde, mittlerweile ist Dan Everett (der Linguist, der sie erforscht) sogar der (umstrittenen) Meinung, es gebe gar keine Zahlwörter und das, was er zuvor für 1 und 2 gehalten habe, bedeute ‘wenig(er)’.
Comrie (2008) nennt im Begleittext der Karte außerdem noch Mangarrayi (Australien) mit drei Zahlwörtern und Yidiny (auch Australien) mit fünf. Welche Sprachen da noch mitmachen, könnt ihr sehen, wenn ihr auf die Karte klickt und dann auf der WALS-Seite mit der Maus auf die weißen Punkte fahrt.
Solche Systeme sind natürlich enorm bedroht, da durch die Einführung von Geld o.ä. oft auch ganze Zahlensysteme entlehnt werden.
Für Pirahã gibt es auch interessante Untersuchungen, was das Fehlen von Zahlwörtern für Auswirkungen auf die Mengenwahrnehmung hat, z.B. hier (pdf). Ich fasse den Inhalt ganz knapp und hoffentlich trotzdem einigermaßen akkurat zusammen:
Frank et al. stellen fest, dass die Pirahã keine Zahlwörter brauchen, um exakte Mengen bestimmen zu können. Das heißt, wenn man Versuchspersonen in einem Experiment eine Menge von Dingen (hier Garnrollen) vorlegt, können sie eine identische Menge anderer Dinge (hier Luftballons) dazulegen. Die Tatsache, dass sie sowohl 8 als auch 9 Rollen in bestimmten Kontexten als ‘viele’ bezeichnen, bedeutet also nicht, dass sie beide Mengen als gleichgroß wahrnehmen.
In Fällen, in denen sie die Menge der Garnrollen zum Zeitpunkt des Luftballonhinlegens nicht mehr sehen konnten (z.B. weil sie verdeckt wurden), machten die Versuchspersonen mehr Fehler. Frank et al. sehen Zahlwörter daher als eine kognitive Technologie an, die dabei hilft, genaue Mengen zu speichern.
Fußnote:
*Comrie, Bernard. 2008. Numeral Bases. In: Haspelmath, Martin & Dryer, Matthew S. & Gil, David & Comrie, Bernard (eds.) The World Atlas of Language Structures Online. Munich: Max Planck Digital Library, chapter 131. Available online at http://wals.info/feature/131
Update 11.7.2010
Ich habe mich ja schon gefragt, wann das Language Log sich äußern würde. Dass es das allerdings so amüsant tun würde, hätte ich nicht gedacht:
Das ist wirklich sehr spannend. Habe ein paar Paper dazu gelesen. Toll. Irgendwann müssen wir mal was zusammen machen!
Jetzt mit Update 🙂