Herrliche Etymologie, dämliche Aufgabe

Von Kristin Kopf

Auf der Suche nach Auf­gaben zur Wort­bil­dung bin ich vor eini­gen Wochen auf die fol­gende Frage gestoßen:

Quelle: Bach­e­lor­wis­sen Ger­man­is­tis­che Lin­guis­tik (Busch/Stenschke)

Beschreiben Sie aus­ge­hend von der zugrunde liegen­den Wort­bil­dung den Bedeu­tungswan­del bei den Adjek­tiv­en däm­lich und her­rlich.

Erst fand ich’s lustig, aber dann hat mich das Mitleid mit den armen Bach­e­lors gepackt. Das ist näm­lich eine ganz gemeine Falle.

So wie die Auf­gabe gestellt ist, würde man ja davon aus­ge­hen, dass man den Wörtern ihre “zugrunde liegende Wort­bil­dung” noch anse­hen kann. Damit drängt sich fol­gende Erk­lärung auf (Wort­bil­dung, Bedeu­tungswan­del):

  • Dame + lichdäm­lich ‘wie eine Dame’ → ‘dumm’ (Bedeu­tungsver­schlechterung)
  • Herr + lichher­rlich ‘wie ein Herr’ → ‘super’ (Bedeu­tungsverbesserung)

Ist aber, wie bes­timmt schon viele hier wis­sen, völ­liger Unsinn. Das ist natür­lich auch Busch und Sten­schke klar und sie schreiben es entsprechend in die Lösun­gen:

Auf den ersten Blick han­delt es sich bei bei­den Wörtern um explizite Suf­fixderiva­tio­nen von den Sub­stan­tiv­en Dame bzw. Herr. Dem­nach hät­ten bei­de im Laufe der Zeit eine Bedeu­tungsver­schiebung erfahren, die im Falle von däm­lich mit ein­er Bedeu­tungsab­w­er­tung, im Falle von her­rlich mit ein­er Bedeu­tungsaufw­er­tung ein­hergin­ge. […]

Woher kom­men die Wörter tat­säch­lich? Die Her­ren haben sich bei Kluge bedi­ent, wie ich das auch gerne tue, daher zitiere ich einfach:

Tat­säch­lich jedoch ist däm­lich abgeleit­et vom nieder- bzw. mit­teldeutschen Verb dämeln mit der Bedeu­tung ‚sich kindisch benehmen, ver­wirrt sein‘.

Bei her­rlich […] han­delt es sich ursprünglich um eine Weit­er­bil­dung von hehr, das im West­ger­man­is­chen ‚ehrwürdig‘ bedeutet und sich im Deutschen zu ‚vornehm‘ weit­er­en­twick­elt. Das Sub­stan­tiv Herr leit­et sich eben­falls von hehr ab und bedeutet im Mhd. zunächst ‚Gebi­eter‘ bzw. ‚der Hochge­borene‘ (König, Fürst, Ritter).
Im Anschluss daran wird Her­ren- in Kom­posi­ta auch all­ge­mein für ‚bess­er‘, ‚hochste­hend‘ ver­wen­det. Darauf bezieht sich dann in neuer­er Zeit wiederum her­rlich.

her­rlich müsste dem­nach zuerst so etwas wie ‘auf ehrwürdige/vornehme Art’ bedeutet haben, wurde aber später durch Herr (zunächst sowas wie ‘der Ehrwürdi­ge, Vornehme’) bee­in­flusst, sodass die Bedeu­tung ‘wie ein Herr’ ent­stand. Während her­rlich also tat­säch­lich einen (indi­rek­ten) Bezug zu Herr aufweist, ist das für däm­lich und Dame ety­mol­o­gisch nicht gegeben.

Dass volk­se­t­y­mol­o­gisch oft ein Bezug hergestellt wird, bestre­ite ich natür­lich nicht – beim Googlen find­et man aber weitaus mehr Richtig­stel­lun­gen als Weit­er­ver­bre­itun­gen der Volk­se­t­y­molo­gie. Ich musste richtig inten­siv nach sowas suchen:

  • Wir jubeln über „her­rlich­es Wet­ter“ und bekla­gen „däm­liche“ Antworten. Den Damen wird über das Adjek­tiv Blöd­heit bescheinigt, den Her­ren Attrak­tiv­ität. (Quelle)
  • Da ja das ‘Her­rlich’ ein­deutig vom Herr (und damit vom Mann) kommt ist es in unser­er Sprache pos­i­tiv vor­belegt. (Was wohl von der “Vorherrschaft” der Män­ner in den let­zten Jahrhun­derten kommt). Dahinge­gen ist Däm­lich, dass wohl ein­deutig von Dame kommt, mit neg­a­tive assozi­a­tio­nen vor­belegt. Das drückt ja auch aus, für was die Her­ren der Schöp­fun damals von den Frauen gehal­ten haben 😉 (Quelle)
  • von ungerecht bis bemerkenswert ist, dass in unser­er Gesellschaft alles Doofe “däm­lich” = von der Dame kom­mend, und das Super­Schöne “Her­rlich” = vom Her­ren kom­mend, ist? Wer hat sich denn so eine Bosheit aus­gedacht? Soll­ten wir das nicht ändern? (Quelle)

Dame stammt übri­gens aus ein­er roman­is­chen Sprache (Kluge bietet Ital­ienisch, Spanisch – dama – oder Franzö­sisch – dame – an). Es geht zurück auf Lateinisch dom­i­na ‘(Haus)Herrin’. Das ist die weib­liche Form zu domi­nus ‘(Haus)Herr’ und kommt let­ztlich von domus ‘Haus’. Im Deutschen taucht es im 16. Jahrhun­dert auf und ist zunächst adli­gen Frauen vorbehalten.

Dass Frauen­beze­ich­nun­gen durch Sprach­wan­del oft ‘ver­schlechtert’ wer­den, lässt sich aber an anderen Beispie­len ein­drucksvoller zeigen – ein ander­mal dann.

[Hin­weis Okto­ber 2010: Zum sex­is­tis­chen Poten­zial von däm­lich gibt’s mit­tler­weile hier was.]

12 Gedanken zu „Herrliche Etymologie, dämliche Aufgabe

  1. Alpha O'Droma

    Recht hast du, allein das Beispiel der “Dom­i­na” illus­tri­ert es doch tre­f­fend, wie Frauen­beze­ich­nun­gen durch den Sprach­wan­del lei­den — und das, obwohl die Dom­i­na heute wahrschein­lich mehr zu sagen hat, als im alten Rom …

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  2. Jan

    Aber Achtung: Der Bedeu­tungsver­schlechterung bei Frauen­beze­ich­nun­gen liegt keine Frauen­feindlichkeit zu Grunde — im Gegen­teil: Der Antrieb ist Höflichkeit. Weil die es gebi­etet, dass immer die außergewöhn­liche Beze­ich­nung gewählt wird, die extra höfliche, eine Num­mer höher im Sta­tus, wird die Stan­dard­beze­ich­nung schnell als abw­er­tend emp­fun­den. Aus Weib “ver­heiratete Frau” wird dadurch Frau (eigentlich: “Adelige”). Statt dem gängi­gen Frau neigt man jet­zt eher dazu, Dame zu sagen, etc.

    Rudi Keller nen­nt das in “Sprach­wan­del”, glaub ich “Höflichkeitsspiel”, wenn ich mich recht entsinne.

    Wahrschein­lich nehm ich jet­zt vor­weg, was du “ein ander­mal dann” sagen woll­test, tut mir Leid, aber ich kon­nte mich nicht zurückhalten. 😉

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    1. Kristin Beitragsautor

      Oh, Leute die ihr Wis­sen nicht zurück­hal­ten kön­nen, sind mir sympathisch 😉
      Das Galanteriege­bot Kellers ist aber nicht die einzige mögliche Erk­lärung für das Phänomen, und sie ist meines Wis­sens auch nicht unum­strit­ten. Ich zitiere:

      Dass Frauen auf diese Weise von ‘adlig’ oder ’sozial hochste­hend’ zu ’nor­mal’ abgestuft wer­den […], mag nachvol­lziehbar sein — sowohl die Anrede Frau als auch Herr haben diese Abstu­fung mit­gemacht. Weniger nachvol­lziehbar ist jedoch, dass die Pejorisierung in Rich­tung ‘Pros­ti­tu­ierte, lieder­lich, sex­uell ver­füg­bar’ ver­laufen. Sex­u­al­isierun­gen leg­en vielmehr die Sicht von Män­nern auf poten­tielle Geschlechtspart­ner­in­nen offen. Weit­er wis­sen wir mit Blick auf his­torische Texte, dass auch Ver­wandte, z.B. die Eltern, sehr höflich ange­sprochen wur­den, die Ver­wandtschafts­beze­ich­nun­gen wie Mut­ter, Schwest­er etc. aber seit Jahrtausenden seman­tisch sta­bil sind — möglicher­weise, weil weib­liche Ver­wandte nicht als Geschlechtspart­ner­in­nen in Frage kom­men. Schließlich hat die kon­trastive Gen­der­forschung längst erwiesen, dass solche Pejorisierun­gen (meist in Form von Sex­u­al­isierun­gen) weib­lich­er Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen auch in Kul­turen fern jeglichen Galanteriege­bots vorkommen.

      (Quelle)
      Mit Sex­u­al­isierung ist z.B. der Wan­del von ahd. dior­na ‘junge Frau’ zu mhd. dierne ‘Dien­st­magd’ zu nhd. Dirne ‘Pros­ti­tu­ierte’ gemeint. (Genauere Beschrei­bung des Wort­feld­wan­dels hier.)

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      1. Jan

        Hmmm, das ist wohl nicht von der Hand zu weisen.

        Ein Galanteriege­bot (ich lerne dazu ;-)) deutet offen­bar gle­ichzeit­ig auf eine sub­tile Ungle­ich­be­hand­lung hin. Mich erin­nert das irgend­wie an die polit­i­cal cor­rect­ness bei der Beze­ich­nung von Schwarz…Farb…Afro-Amerikanern. Da scheint mir auch im Hin­ter­grund ein latentes neg­a­tives Image zu steck­en, das man um jeden Preis ver­mei­den will.

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  3. Thraker

    Wie? Geht das denn jet­zt nicht weit­er hinab in die Tiefe? Ist es denn von vorn­here­in aus­geschlossen, daß das niederdeutsche Wort Dämeln so rein gar nichts mit dem Wort Dame zu tun hat? Ich meine dessen Seman­tik ‚sich kindisch benehmen, ver­wirrt sein‘ schließt es doch nicht schlankweg aus, oder?

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    1. Kristin Beitragsautor

      Sieht nicht so aus:

      dämeln
      (dammeln u.ä. Lit­er­arisch kaum bezeugt, aber region­al häu­fig) schwach­es Verb “sich kindisch benehmen, ver­wirrt sein”, periph­er­er Wortschatz, niederdeutsch, mit­teldeutsch (18. Jh.). Seman­tisch ähn­lich zu beurteilen wie taumeln, for­mal eher zu däm­mern (Däm­mer), also vielle­icht Über­tra­gung des Hal­blichts auf beschränk­te geistige Leis­tun­gen. Grund­lage von Bil­dun­gen wie däm­lich. Der Zusam­men­hang zwis­chen diesen famil­iären Wörtern läßt sich im einzel­nen nicht mehr rekonstruieren.

      Und den seman­tis­chen Seit­en­hieb ignoriere ich lieber 😉

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      1. Thraker

        Das ist doch mal ein Fund­stück, das däm­lich nicht in Zusam­men­hang zu Dame, son­dern zur Däm­merung bringt, und mich insofern überzeugt. Danke

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  4. Monika

    Men­sch, das find ich interessant!
    Danke, Kristin für die Aufklärung. 

    Auch wenn ich mich für Ety­molo­gie und alles sowas sehr inter­essiere, bin ich doch Laie und schmök­er nur aus Spaß in solchen Büch­ern, auch wenn ich einige über Ety­molo­gie und ver­gle­ichende Sprach­forschung habe.

    Das mit dem Galanteriege­bot (ein schönes Wort!) hat­te ich mir schon früher als Jugendliche sel­ber herausgedröselt: 

    Dass man etwas als etwas Besseres beze­ich­net, bis dieser bessere Aus­druck durch die ständi­ge Ver­wen­dung zum Begriff des Anderen herun­tergerutscht war, woraufhin wieder ein ander­er höher­er Begriff nötig wurde… etc.

    So hätte ichs damals aus­ge­drückt und das mit Dame und däm­lich ist ja für viele mit dem Patri­ar­chat erklärt…

    ich freue mich jeden­falls, dass Dame und däm­lich nicht in dieser Art direkt ver­wandt sind 😀

    Liebe Grüße,
    Monika

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  5. Christopher

    Eigentlich bin ich ja kein Sprach­wis­senschaftler und finde es dementsprechend vor allem schön (genau: Lit­er­atur­wis­senschaftler), dass eine gar nicht däm­liche Dame es mit zwei nicht wirk­lich her­rlichen Her­ren aufn­immt und sich dabei bei­de Parteien kluger­weise im Kluge klug machen! So muss Wirk­lichkeit beschaf­fen sein!!

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  6. yesyoah

    Herr ist das Äquiv­a­lent von Knecht und nicht von Dame. Und Dame kam auch erst recht spät aus dem franzö­sis­chen hinzu.

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    1. Kristin Kopf Beitragsautor

      Dass die Dame aus dem Franzö­sis­chen kam, kön­nen Sie im Beitrag auch nach­le­sen. Die erste Behaup­tung dage­gen ist Unsinn.

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  7. Pingback: Gender Data Gap – oder das maskuline Deutsche | Visual-Matter.com

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