Auf der Suche nach Aufgaben zur Wortbildung bin ich vor einigen Wochen auf die folgende Frage gestoßen:
Beschreiben Sie ausgehend von der zugrunde liegenden Wortbildung den Bedeutungswandel bei den Adjektiven dämlich und herrlich.
Erst fand ich’s lustig, aber dann hat mich das Mitleid mit den armen Bachelors gepackt. Das ist nämlich eine ganz gemeine Falle.
So wie die Aufgabe gestellt ist, würde man ja davon ausgehen, dass man den Wörtern ihre “zugrunde liegende Wortbildung” noch ansehen kann. Damit drängt sich folgende Erklärung auf (Wortbildung, Bedeutungswandel):
- Dame + lich → dämlich ‘wie eine Dame’ → ‘dumm’ (Bedeutungsverschlechterung)
- Herr + lich → herrlich ‘wie ein Herr’ → ‘super’ (Bedeutungsverbesserung)
Ist aber, wie bestimmt schon viele hier wissen, völliger Unsinn. Das ist natürlich auch Busch und Stenschke klar und sie schreiben es entsprechend in die Lösungen:
Auf den ersten Blick handelt es sich bei beiden Wörtern um explizite Suffixderivationen von den Substantiven Dame bzw. Herr. Demnach hätten beide im Laufe der Zeit eine Bedeutungsverschiebung erfahren, die im Falle von dämlich mit einer Bedeutungsabwertung, im Falle von herrlich mit einer Bedeutungsaufwertung einherginge. […]
Woher kommen die Wörter tatsächlich? Die Herren haben sich bei Kluge bedient, wie ich das auch gerne tue, daher zitiere ich einfach:
Tatsächlich jedoch ist dämlich abgeleitet vom nieder- bzw. mitteldeutschen Verb dämeln mit der Bedeutung ‚sich kindisch benehmen, verwirrt sein‘.
Bei herrlich […] handelt es sich ursprünglich um eine Weiterbildung von hehr, das im Westgermanischen ‚ehrwürdig‘ bedeutet und sich im Deutschen zu ‚vornehm‘ weiterentwickelt. Das Substantiv Herr leitet sich ebenfalls von hehr ab und bedeutet im Mhd. zunächst ‚Gebieter‘ bzw. ‚der Hochgeborene‘ (König, Fürst, Ritter).
Im Anschluss daran wird Herren- in Komposita auch allgemein für ‚besser‘, ‚hochstehend‘ verwendet. Darauf bezieht sich dann in neuerer Zeit wiederum herrlich.
herrlich müsste demnach zuerst so etwas wie ‘auf ehrwürdige/vornehme Art’ bedeutet haben, wurde aber später durch Herr (zunächst sowas wie ‘der Ehrwürdige, Vornehme’) beeinflusst, sodass die Bedeutung ‘wie ein Herr’ entstand. Während herrlich also tatsächlich einen (indirekten) Bezug zu Herr aufweist, ist das für dämlich und Dame etymologisch nicht gegeben.
Dass volksetymologisch oft ein Bezug hergestellt wird, bestreite ich natürlich nicht – beim Googlen findet man aber weitaus mehr Richtigstellungen als Weiterverbreitungen der Volksetymologie. Ich musste richtig intensiv nach sowas suchen:
- Wir jubeln über „herrliches Wetter“ und beklagen „dämliche“ Antworten. Den Damen wird über das Adjektiv Blödheit bescheinigt, den Herren Attraktivität. (Quelle)
- Da ja das ‘Herrlich’ eindeutig vom Herr (und damit vom Mann) kommt ist es in unserer Sprache positiv vorbelegt. (Was wohl von der “Vorherrschaft” der Männer in den letzten Jahrhunderten kommt). Dahingegen ist Dämlich, dass wohl eindeutig von Dame kommt, mit negative assoziationen vorbelegt. Das drückt ja auch aus, für was die Herren der Schöpfun damals von den Frauen gehalten haben 😉 (Quelle)
- von ungerecht bis bemerkenswert ist, dass in unserer Gesellschaft alles Doofe “dämlich” = von der Dame kommend, und das SuperSchöne “Herrlich” = vom Herren kommend, ist? Wer hat sich denn so eine Bosheit ausgedacht? Sollten wir das nicht ändern? (Quelle)
Dame stammt übrigens aus einer romanischen Sprache (Kluge bietet Italienisch, Spanisch – dama – oder Französisch – dame – an). Es geht zurück auf Lateinisch domina ‘(Haus)Herrin’. Das ist die weibliche Form zu dominus ‘(Haus)Herr’ und kommt letztlich von domus ‘Haus’. Im Deutschen taucht es im 16. Jahrhundert auf und ist zunächst adligen Frauen vorbehalten.
Dass Frauenbezeichnungen durch Sprachwandel oft ‘verschlechtert’ werden, lässt sich aber an anderen Beispielen eindrucksvoller zeigen – ein andermal dann.
[Hinweis Oktober 2010: Zum sexistischen Potenzial von dämlich gibt’s mittlerweile hier was.]
Recht hast du, allein das Beispiel der “Domina” illustriert es doch treffend, wie Frauenbezeichnungen durch den Sprachwandel leiden — und das, obwohl die Domina heute wahrscheinlich mehr zu sagen hat, als im alten Rom …
Aber Achtung: Der Bedeutungsverschlechterung bei Frauenbezeichnungen liegt keine Frauenfeindlichkeit zu Grunde — im Gegenteil: Der Antrieb ist Höflichkeit. Weil die es gebietet, dass immer die außergewöhnliche Bezeichnung gewählt wird, die extra höfliche, eine Nummer höher im Status, wird die Standardbezeichnung schnell als abwertend empfunden. Aus Weib “verheiratete Frau” wird dadurch Frau (eigentlich: “Adelige”). Statt dem gängigen Frau neigt man jetzt eher dazu, Dame zu sagen, etc.
Rudi Keller nennt das in “Sprachwandel”, glaub ich “Höflichkeitsspiel”, wenn ich mich recht entsinne.
Wahrscheinlich nehm ich jetzt vorweg, was du “ein andermal dann” sagen wolltest, tut mir Leid, aber ich konnte mich nicht zurückhalten. 😉
Oh, Leute die ihr Wissen nicht zurückhalten können, sind mir sympathisch 😉
Das Galanteriegebot Kellers ist aber nicht die einzige mögliche Erklärung für das Phänomen, und sie ist meines Wissens auch nicht unumstritten. Ich zitiere:
(Quelle)
Mit Sexualisierung ist z.B. der Wandel von ahd. diorna ‘junge Frau’ zu mhd. dierne ‘Dienstmagd’ zu nhd. Dirne ‘Prostituierte’ gemeint. (Genauere Beschreibung des Wortfeldwandels hier.)
Hmmm, das ist wohl nicht von der Hand zu weisen.
Ein Galanteriegebot (ich lerne dazu ;-)) deutet offenbar gleichzeitig auf eine subtile Ungleichbehandlung hin. Mich erinnert das irgendwie an die political correctness bei der Bezeichnung von Schwarz…Farb…Afro-Amerikanern. Da scheint mir auch im Hintergrund ein latentes negatives Image zu stecken, das man um jeden Preis vermeiden will.
Wie? Geht das denn jetzt nicht weiter hinab in die Tiefe? Ist es denn von vornherein ausgeschlossen, daß das niederdeutsche Wort Dämeln so rein gar nichts mit dem Wort Dame zu tun hat? Ich meine dessen Semantik ‚sich kindisch benehmen, verwirrt sein‘ schließt es doch nicht schlankweg aus, oder?
Sieht nicht so aus:
Und den semantischen Seitenhieb ignoriere ich lieber 😉
Das ist doch mal ein Fundstück, das dämlich nicht in Zusammenhang zu Dame, sondern zur Dämmerung bringt, und mich insofern überzeugt. Danke
Mensch, das find ich interessant!
Danke, Kristin für die Aufklärung.
Auch wenn ich mich für Etymologie und alles sowas sehr interessiere, bin ich doch Laie und schmöker nur aus Spaß in solchen Büchern, auch wenn ich einige über Etymologie und vergleichende Sprachforschung habe.
Das mit dem Galanteriegebot (ein schönes Wort!) hatte ich mir schon früher als Jugendliche selber herausgedröselt:
Dass man etwas als etwas Besseres bezeichnet, bis dieser bessere Ausdruck durch die ständige Verwendung zum Begriff des Anderen heruntergerutscht war, woraufhin wieder ein anderer höherer Begriff nötig wurde… etc.
So hätte ichs damals ausgedrückt und das mit Dame und dämlich ist ja für viele mit dem Patriarchat erklärt…
ich freue mich jedenfalls, dass Dame und dämlich nicht in dieser Art direkt verwandt sind 😀
Liebe Grüße,
Monika
Eigentlich bin ich ja kein Sprachwissenschaftler und finde es dementsprechend vor allem schön (genau: Literaturwissenschaftler), dass eine gar nicht dämliche Dame es mit zwei nicht wirklich herrlichen Herren aufnimmt und sich dabei beide Parteien klugerweise im Kluge klug machen! So muss Wirklichkeit beschaffen sein!!
Herr ist das Äquivalent von Knecht und nicht von Dame. Und Dame kam auch erst recht spät aus dem französischen hinzu.
Dass die Dame aus dem Französischen kam, können Sie im Beitrag auch nachlesen. Die erste Behauptung dagegen ist Unsinn.
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