Ich beschäftige mich momentan aus verschiedenen Gründen mit Morphologie. Morphologie ist die Beschreibung und Analyse von Wörtern, Wortstrukturen und Wortteilen, deren Bildung, Ableitung, Flektion und Bedeutung. Kurz gesagt. Aber beginnen wir mit einer kleinen Anekdote.
Im letzten Jahr machte ich ja eher zum Spaß ein Praktikum bei Studio Hamburg, was zumindest meinem Hinterkopf zu kurzer Berühmtheit verhalf (in der zweiten Folge war ich auch von vorne im Hintergrund zu sehen). Ich knechtete in einem sehr netten Team in der Set-Aufnahmeleitung, also als “Arsch für alle(s)”; das sind die, die immer sehr wichtig und mit Headset durch die Gegend laufen.
Zu unseren Aufgaben gehörte in den frühen Morgenstunden das Set mit Strom zu versorgen, für Maske, Wohnmobile und für den Cateringwagen. Bei Studiodrehs halfen natürlich die lokalen Stromanschlüsse, bei Außendrehs hatten wir ein mobiles Stromaggregat.
Mein Kollege mit langjähriger Seterfahrung sagte mir am ersten Tag:
Das ist der Jenny. Keine Ahnung, sollte eigentlich weiblich sein, heißt aber immer nur der Jenny.
(Die Wiedergabe hier mit Jenny dient lediglich der Veranschaulichung der grammatischen Genusfrage. Genaugenommen wird das Teil in der Filmbranche Genny genannt, wobei natürlich bezweifelt werden darf, ob Menschen, die damit zu tun haben, das auch regelmäßig schreiben.)
Linguistisch haben wir es hier mit einem Hypokoristikum zu tun, also mir der Verkürzung eines Wortes, ohne eine Abkürzung oder ein Akronym im eigentlichen Sinne zu sein; Hypokoristika können aber auch Worterweiterungen sein und der Verniedlichung dienen. Zu dieser Kategorie gehören folglich Dimunitive (Haus > Häuschen) und besonders die Bildung von Kosenamen (Georg > Schorsch, Manfred > Manni).
Der Genny ist also kurz für der Generator. Und damit erklärt sich auch das Maskulinum. Das war auch meine sofortige Reaktion auf die Aussage meines Kollegen: ich habe es natürlich etwas weniger technisch dargelegt. Aber die Herkunft von genny aus the generator lag für mich sofort auf der Hand. Das mag in anderen englischen Dialekten ähnlich oft vorkommen, aber ich kannte es aus Australien. Die Australier sind übrigens besonders produktiv in dieser Hinsicht.
Bei technischen Begriffen ist “Kosename” vermutlich schwer zu begreifen, aber die Australier finden Wörter mit mehr als zwei Silben unglaublich suspekt, kürzen gerne ab und hängen meist ein -o, -ie, oder -y dran, oft — aber nicht nur — in emotionaler und verniedlichender Absicht:
- arvo — ‘afternoon’
- smoko — Kaffeepause, mit oder ohne Kippchen (heutzutage meist ohne)
- carby — Vergaser, von ‘carburettor’
- footy/footie — ‘football’, je nach Staat ‘Rugby’ oder ‘Australian “Aussie” Rules’, aber nicht European Football (’soccer’*)
- sickie — blau machen, in call in a sickie
- compo — Schadensersatz, von ‘compensation’
- garbo — Müllmann
- …
Warum das so ist, damit beschäftigt man sich — unter anderem — in der Morphologie. Eine etwas weniger technische Erklärung liefert man sich in Australien gerne selbst: hier wird oft erzählt, dass der Australier aufgrund der vielen Mozzies (‘Moskitos’) schneller und kürzer sprechen muss.
Auch ’suz’ ist ein Hypokoristikum. Wir ahnen, wer dafür verantwortlich ist.
*Möglicherweise versteht man in Australien seit dem 16. November 2005 unter ‘football’ auch unseren Fußball. An diesem Tag schlug die australische Nationalmannschaft (the Socceroos) das Team aus Uruguay in Sydney mit 4–2 im Elfmeterschießen, und qualifizierte sich für die Fußball-WM 2006. Die Medienlandschaft bezeichnete in der Zeit danach diese Nacht als “the night when soccer became football” (z.B. Sydney Morning Herald, 17. November 2005, “World Cup here we come”). Aber keinem Australier würde im Traum einfallen, zu soccer/football ‘footy’ zu sagen.
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Ich sollte so früh am Tag nicht Dein Blog lesen. Jetzt bin ich richtig wach ob zu viel Konzentration. Aber schon wegen des Begriffs “Hypokoristikum” hat es sich gelohnt.