Morphologie für Anfänger

Von Susanne Flach

Ich beschäftige mich momen­tan aus ver­schiede­nen Grün­den mit Mor­pholo­gie. Mor­pholo­gie ist die Beschrei­bung und Analyse von Wörtern, Wort­struk­turen und Wort­teilen, deren Bil­dung, Ableitung, Flek­tion und Bedeu­tung. Kurz gesagt. Aber begin­nen wir mit ein­er kleinen Anekdote.

Im let­zten Jahr machte ich ja eher zum Spaß ein Prak­tikum bei Stu­dio Ham­burg, was zumin­d­est meinem Hin­terkopf zu kurz­er Berühmtheit ver­half (in der zweit­en Folge war ich auch von vorne im Hin­ter­grund zu sehen). Ich knechtete in einem sehr net­ten Team in der Set-Auf­nah­meleitung, also als “Arsch für alle(s)”; das sind die, die immer sehr wichtig und mit Head­set durch die Gegend laufen.

Zu unseren Auf­gaben gehörte in den frühen Mor­gen­stun­den das Set mit Strom zu ver­sor­gen, für Maske, Wohn­mo­bile und für den Cater­ing­wa­gen. Bei Stu­dio­drehs halfen natür­lich die lokalen Stro­man­schlüsse, bei Außen­drehs hat­ten wir ein mobiles Stromaggregat.

Mein Kol­lege mit langjähriger Seter­fahrung sagte mir am ersten Tag:

Das ist der Jen­ny. Keine Ahnung, sollte eigentlich weib­lich sein, heißt aber immer nur der Jenny.

(Die Wieder­gabe hier mit Jenny dient lediglich der Ver­an­schaulichung der gram­ma­tis­chen Genus­frage. Genaugenom­men wird das Teil in der Film­branche Gen­ny genan­nt, wobei natür­lich bezweifelt wer­den darf, ob Men­schen, die damit zu tun haben, das auch regelmäßig schreiben.)

Lin­guis­tisch haben wir es hier mit einem Hypoko­ris­tikum zu tun, also mir der Verkürzung eines Wortes, ohne eine Abkürzung oder ein Akro­nym im eigentlichen Sinne zu sein; Hypoko­ris­ti­ka kön­nen aber auch Worter­weiterun­gen sein und der Verniedlichung dienen. Zu dieser Kat­e­gorie gehören fol­glich Dimu­ni­tive (Haus > Häuschen) und beson­ders die Bil­dung von Kose­na­men (Georg > Schorsch, Man­fred > Manni).

Der Gen­ny ist also kurz für der Gen­er­a­tor. Und damit erk­lärt sich auch das Maskulinum. Das war auch meine sofor­tige Reak­tion auf die Aus­sage meines Kol­le­gen: ich habe es natür­lich etwas weniger tech­nisch dargelegt. Aber die Herkun­ft von gen­ny aus the gen­er­a­tor lag für mich sofort auf der Hand. Das mag in anderen englis­chen Dialek­ten ähn­lich oft vorkom­men, aber ich kan­nte es aus Aus­tralien. Die Aus­tralier sind übri­gens beson­ders pro­duk­tiv in dieser Hinsicht.

Bei tech­nis­chen Begrif­f­en ist “Kose­name” ver­mut­lich schw­er zu begreifen, aber die Aus­tralier find­en Wörter mit mehr als zwei Sil­ben unglaublich sus­pekt, kürzen gerne ab und hän­gen meist ein -o, -ie, oder -y dran, oft — aber nicht nur — in emo­tionaler und verniedlichen­der Absicht:

  • arvo — ‘after­noon’
  • smoko — Kaf­feep­ause, mit oder ohne Kip­pchen (heutzu­tage meist ohne)
  • car­by — Ver­gas­er, von ‘car­bu­ret­tor’
  • footy/footie — ‘foot­ball’, je nach Staat ‘Rug­by’ oder ‘Aus­tralian “Aussie” Rules’, aber nicht Euro­pean Foot­ball (’soc­cer’*)
  • sick­ie — blau machen, in call in a sickie 
  • com­po — Schadenser­satz, von ‘com­pen­sa­tion’
  • gar­bo — Müllmann

Warum das so ist, damit beschäftigt man sich — unter anderem — in der Mor­pholo­gie. Eine etwas weniger tech­nis­che Erk­lärung liefert man sich in Aus­tralien gerne selb­st: hier wird oft erzählt, dass der Aus­tralier auf­grund der vie­len Mozzies (‘Moski­tos’) schneller und kürz­er sprechen muss.

Auch ’suz’ ist ein Hypoko­ris­tikum. Wir ahnen, wer dafür ver­ant­wortlich ist.

*Möglicher­weise ver­ste­ht man in Aus­tralien seit dem 16. Novem­ber 2005 unter ‘foot­ball’ auch unseren Fußball. An diesem Tag schlug die aus­tralis­che National­mannschaft (the Soc­ceroos) das Team aus Uruguay in Syd­ney mit 4–2 im Elfme­ter­schießen, und qual­i­fizierte sich für die Fußball-WM 2006. Die Medi­en­land­schaft beze­ich­nete in der Zeit danach diese Nacht als “the night when soc­cer became foot­ball” (z.B. Syd­ney Morn­ing Her­ald, 17. Novem­ber 2005, “World Cup here we come”). Aber keinem Aus­tralier würde im Traum ein­fall­en, zu soccer/football ‘footy’ zu sagen.

2 Gedanken zu „Morphologie für Anfänger

  1. Pingback: tráchtas. dialann. tagebuch einer magisterarbeit. » Die Birne ist hinfällig

  2. Max

    Ich sollte so früh am Tag nicht Dein Blog lesen. Jet­zt bin ich richtig wach ob zu viel Konzen­tra­tion. Aber schon wegen des Begriffs “Hypoko­ris­tikum” hat es sich gelohnt.

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