Welche Sprache hat die meisten Wörter für Schnee?
Na?
Rüschtüsch! Die Sprachwirklichkeit der Norddeutschen.
Ich dachte ja, ich käme ohne Kommentar zu dem Zustand aus, den der Norddeutsche als Blizzard bezeichnet, wenn der Schwarzwälder es gemeinhin “Überzuckerung” nennt. Nun sei zur Verteidigung der Hamburger gesagt, dass sie es ja nich so mit Winter haben — und der kam auch dieses Jahr natürlich wieder völlig überraschend.
Nur damit man mich nicht missversteht. Die Nebenstraßen der Hansestadt sind in einem erbärmlichen Zustand. In Wintersportkreisen nennt man sie Loipen, hier liegen mehrere Zentimeter extrem verdichtetes gefrorenes Wasser mit Fahrrinnen wie sonst nur in der Elbe, die Gehsteige sind ein riesiges Eisvergnügen und wer will, kann mit bekuften Schuhen von Wedel bis Poppenbüttel schlittern. Der Zustand ist seit Anfang letzter Woche, als für einen halben Tag Plusgrade die Wintermärchenlandschaft in einen Eispark verwandelten, unerträglich und gefährlich geworden.
Und als der Senat begriff, dass Aussitzen momentan nicht die Strategie der Wahl ist, berief man einen Krisenstab ein. Ab heute wird im Hafen gerade gelöschtes Streusalz an Bürger verteilt. Großes Kino: jetzt kippt Hamburg auf das Packeis auch noch Salz. Für eine Weltstadt, die sich gerade für fast eine Milliarde Euro ein Wahrzeichen in den Hafen haut, ist das ein erbärmliches Verhalten. Diese Aufreger sind absolut berechtigt.
(Ich persönlich finde ja, dass man — wenn man sich mit extremen Winterverhältnissen nicht so auskennt — auch gerne mal bei Menschen nachfragen könnte, die sich mit sowas auskennen: momentan helfen nur noch raue Mengen Kies oder die Ausgabe von Pickeln. Darüber hinaus habe ich in den sechs Wochen Schneezeit nicht ein einziges Räumgerät gesehen, wenn man von den 3PS-starken motorisierten Rasenmähern mit improvisierter, aber hochgezogener Räumvorrichtung absieht.)
Lange Rede, eisiger Sinn: Hamburger neigen bei der Sichtung weniger Schneekristalle gern zu maßlosen Übertreibungen. Gestern Nacht hat es aufs Eis auch noch ein paar Flocken Schnee draufgesetzt (was natürlich die Gefährlichkeit des Glatteises potenziert). Den ganzen Morgen schon bitten die Radiosender um Schneehöhenmeldungen aus dem Norden. Letzte Woche berichtete jemand, in Hamburg hätte es 80 Zentimeter Neuschnee hingelegt — niemand, der je soviel Neuschnee gesehen hat, würde sowas behaupten. Heute sollen es 10 cm sein. Wie messen solche Menschen? In der Breite? Im Schneehaufen vor der Haustür? Und morgen eröffnet der erste Skilift am Hamburger Berg.
Hamburg hat sein eigenes Vokabular für Schnee. Hamburgschnee ‘weißlicher Überzug aus schneeähnlichem Gemisch, bei dem Ziegeln und Pflastersteine noch zu sehen sind’, Hamburgschneepanik ‘Hang zu Messungenauigkeiten bei Schneehöhen’, Hamburgschneehöhenmesslatte ‘Messlatte, deren Messwerte bei 9 cm beginnen (wahlweise, je nach Blizzardstufe, auch erst bei 75cm)’ oder ‘In Abwesenheit metrischer Messlatten messen Hamburger mit dem Körper, der in diesem Fall an der Hüfte beginnt und zu Messwerten um “hüfthoch” führt’.
Wenn hier jemand auf den Blog geschlittert ist, weil er auf der Suche nach hundert Eskimowörtern für Schnee war, vergesst es. Aber vielleicht reicht euch ja die Feststellung, dass man als ehemaliger Leistungsportler in Skilanglauf und Biathlon noch Schneekonsistenten und Kombinationen aus Schneebeschaffenheit, Luftfeuchte und Temperatur kennt, dafür aber gar keine Bezeichnung hat oder braucht, sondern nur das richtige Wachs.
Hamburg has hit the panic button, and nothing is going to stop them.
*schmunzel*
Ja, die Nordlichter sind nicht so wintergeprüft wie wir hier unten — aber der Fairness halber: im vergangenen Winter lag in Süddeutschland tatsächlich weniger und weniger lang Schnee. Die lang anhaltenden Minustemperaturen im Norden haben die Schmelze, die wir immer wieder hatten, verhindert.
Bin auf des Bestatters Empfehlung hier gelandet und hab mich festgelesen — ich geh dann mal den Feed abonnieren.
Liebe Grüße aus’m Raum Freiburg
Chris
Moin Chris,
herzlich Willkommen! 😉 Ich hatte mich ein wenig gewundert, als das Kommentaraufkommen einer normalen Woche innerhalb von 20 Minuten hier auflief. Aber nu weiß ich auch warum — es war übrigens auch keine Bitte um Verlinkung, es war lediglich ein Kommentar beim Bestatter zur T‑Shirt-Aktion, dass ich nicht dran teilnehmen kann, weil ich zu wenige tägliche Besucher habe. Es sollte eigentlich ein Scherz sein. Aber gut, ich wehre mich jetzt ja auch nicht.
Der Winter war wirklich hart hier oben, das musste auch ein Hochschwarzwälder einsehen. Aber das Krisenmanagement war unter aller Sau. Hier liegt normalerweise an drei, vier Tagen im Jahr Schnee (nicht aufeinanderfolgende, wohlgemerkt); dieses Jahr von Ende Dezember bis Anfang März. Aber wie gesagt.…
Viel Spaß beim Lesen, ich hoffe es ist unterhaltsam genug — auch wenn es teilweise recht technisch wird.
Gruß von suz
Hm…Ich dachte Suomi hätte die meisten Begriffe für Schnee.
Oder war es doch eine Inuit-Sprache?
Ich bin auch durch den Bestatter Weblog hier reingeschneit. Aber da bin ich gestern auch durch Zufall das erste Mal reingeschneit. Und davor war ich in dem Forum XY.…
Du merkst: Ich umgehe geschickt meine Arbeit. Muss bis nächste Woche meine Forschungsergebnisse vom Monat März (war zur Recherche in diversen Bibos in Tokyo) in einem Bericht zusammen fassen. Soll nichts elaboriertes sein, ein halbe Seite habe ich schon, aber nun ja…ARGH
Jo, ich merk’s 🙂
Also, das Gerücht, die Eskimos hätten die meisten Wörter für Schnee, hält sich wirklich sehr hartnäckig. (Das war ja mit meinem Schlusssatz ein wenig aufs Korn genommen.) Falls es dich interessiert, hier gibt’s einen sprachwissenschaftlichen Essay über die Entstehung (und Fehler) der Legende. Ist recht angenehm zu lesen, passt also auch wunderbar in eine kurze Forschungsberichtschreibepause 🙂