Schneewirklichkeiten der Flachlandtiroler

Von Susanne Flach

Welche Sprache hat die meis­ten Wörter für Schnee?

Na?

Rüschtüsch! Die Sprach­wirk­lichkeit der Norddeutschen.

Ich dachte ja, ich käme ohne Kom­men­tar zu dem Zus­tand aus, den der Nord­deutsche als Bliz­zard beze­ich­net, wenn der Schwarzwälder es gemein­hin “Überzuckerung” nen­nt. Nun sei zur Vertei­di­gung der Ham­burg­er gesagt, dass sie es ja nich so mit Win­ter haben — und der kam auch dieses Jahr natür­lich wieder völ­lig überraschend.

Nur damit man mich nicht missver­ste­ht. Die Neben­straßen der Hans­es­tadt sind in einem erbärm­lichen Zus­tand. In Win­ter­sportkreisen nen­nt man sie Loipen, hier liegen mehrere Zen­time­ter extrem verdichtetes gefrorenes Wass­er mit Fahrrin­nen wie son­st nur in der Elbe, die Gehsteige sind ein riesiges Eisvergnü­gen und wer will, kann mit bekuften Schuhen von Wedel bis Pop­pen­büt­tel schlit­tern. Der Zus­tand ist seit Anfang let­zter Woche, als für einen hal­ben Tag Plus­grade die Win­ter­märchen­land­schaft in einen Eis­park ver­wan­del­ten, unerträglich und gefährlich geworden.

Und als der Sen­at begriff, dass Aus­sitzen momen­tan nicht die Strate­gie der Wahl ist, berief man einen Krisen­stab ein. Ab heute wird im Hafen ger­ade gelöscht­es Streusalz an Bürg­er verteilt. Großes Kino: jet­zt kippt Ham­burg auf das Pack­eis auch noch Salz. Für eine Welt­stadt, die sich ger­ade für fast eine Mil­liarde Euro ein Wahrze­ichen in den Hafen haut, ist das ein erbärm­lich­es Ver­hal­ten. Diese Aufreger sind abso­lut berechtigt.

(Ich per­sön­lich finde ja, dass man —  wenn man sich mit extremen Win­ter­ver­hält­nis­sen nicht so ausken­nt — auch gerne mal bei Men­schen nach­fra­gen kön­nte, die sich mit sowas ausken­nen: momen­tan helfen nur noch raue Men­gen Kies oder die Aus­gabe von Pick­eln. Darüber hin­aus habe ich in den sechs Wochen Schneezeit nicht ein einziges Räumgerät gese­hen, wenn man von den 3PS-starken motorisierten Rasen­mäh­ern mit impro­visiert­er, aber hochge­zo­gen­er Räumvor­rich­tung absieht.)

Lange Rede, eisiger Sinn: Ham­burg­er neigen bei der Sich­tung weniger Schneekristalle gern zu maßlosen Übertrei­bun­gen. Gestern Nacht hat es aufs Eis auch noch ein paar Flock­en Schnee draufge­set­zt (was natür­lich die Gefährlichkeit des Glat­teis­es poten­ziert). Den ganzen Mor­gen schon bit­ten die Radiosender um Schnee­höhen­mel­dun­gen aus dem Nor­den. Let­zte Woche berichtete jemand, in Ham­burg hätte es 80 Zen­time­ter Neuschnee hin­gelegt — nie­mand, der je soviel Neuschnee gese­hen hat, würde sowas behaupten. Heute sollen es 10 cm sein. Wie messen solche Men­schen? In der Bre­ite? Im Schnee­haufen vor der Haustür? Und mor­gen eröffnet der erste Skilift am Ham­burg­er Berg.

Ham­burg hat sein eigenes Vok­ab­u­lar für Schnee. Ham­burgschnee ‘weißlich­er Überzug aus schneeähn­lichem Gemisch, bei dem Ziegeln und Pflaster­steine noch zu sehen sind’, Ham­burgschneep­anik ‘Hang zu Mes­sun­ge­nauigkeit­en bei Schnee­höhen’, Ham­burgschnee­höhen­mess­lat­te ‘Mess­lat­te, deren Mess­werte bei 9 cm begin­nen (wahlweise, je nach Bliz­zard­stufe, auch erst bei 75cm)’ oder ‘In Abwe­sen­heit metrisch­er Mess­lat­ten messen Ham­burg­er mit dem Kör­p­er, der in diesem Fall an der Hüfte begin­nt und zu Mess­werten um “hüfthoch” führt’.

Wenn hier jemand auf den Blog geschlit­tert ist, weil er auf der Suche nach hun­dert Eski­mowörtern für Schnee war, vergesst es. Aber vielle­icht reicht euch ja die Fest­stel­lung, dass man als ehe­ma­liger Leis­tungsportler in Ski­langlauf und Biathlon noch Schneekon­sis­ten­ten und Kom­bi­na­tio­nen aus Schneebeschaf­fen­heit, Luft­feuchte und Tem­per­atur ken­nt, dafür aber gar keine Beze­ich­nung hat oder braucht, son­dern nur das richtige Wachs.

Ham­burg has hit the pan­ic but­ton, and noth­ing is going to stop them.

4 Gedanken zu „Schneewirklichkeiten der Flachlandtiroler

  1. Chris

    *schmun­zel*

    Ja, die Nordlichter sind nicht so win­tergeprüft wie wir hier unten — aber der Fair­ness hal­ber: im ver­gan­genen Win­ter lag in Süd­deutsch­land tat­säch­lich weniger und weniger lang Schnee. Die lang anhal­tenden Minustem­per­a­turen im Nor­den haben die Schmelze, die wir immer wieder hat­ten, verhindert.

    Bin auf des Bestat­ters Empfehlung hier gelandet und hab mich fest­ge­le­sen — ich geh dann mal den Feed abonnieren.

    Liebe Grüße aus’m Raum Freiburg
    Chris

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    1. suz Beitragsautor

      Moin Chris,

      her­zlich Willkom­men! 😉 Ich hat­te mich ein wenig gewun­dert, als das Kom­men­ta­raufkom­men ein­er nor­malen Woche inner­halb von 20 Minuten hier auflief. Aber nu weiß ich auch warum — es war übri­gens auch keine Bitte um Ver­linkung, es war lediglich ein Kom­men­tar beim Bestat­ter zur T‑Shirt-Aktion, dass ich nicht dran teil­nehmen kann, weil ich zu wenige tägliche Besuch­er habe. Es sollte eigentlich ein Scherz sein. Aber gut, ich wehre mich jet­zt ja auch nicht.

      Der Win­ter war wirk­lich hart hier oben, das musste auch ein Hochschwarzwälder ein­se­hen. Aber das Krisen­man­age­ment war unter aller Sau. Hier liegt nor­maler­weise an drei, vier Tagen im Jahr Schnee (nicht aufeinan­der­fol­gende, wohlge­merkt); dieses Jahr von Ende Dezem­ber bis Anfang März. Aber wie gesagt.…

      Viel Spaß beim Lesen, ich hoffe es ist unter­halt­sam genug — auch wenn es teil­weise recht tech­nisch wird.

      Gruß von suz

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  2. Chisa

    Hm…Ich dachte Suo­mi hätte die meis­ten Begriffe für Schnee.
    Oder war es doch eine Inuit-Sprache? 

    Ich bin auch durch den Bestat­ter Weblog hier reingeschneit. Aber da bin ich gestern auch durch Zufall das erste Mal reingeschneit. Und davor war ich in dem Forum XY.…
    Du merkst: Ich umge­he geschickt meine Arbeit. Muss bis näch­ste Woche meine Forschungsergeb­nisse vom Monat März (war zur Recherche in diversen Bibos in Tokyo) in einem Bericht zusam­men fassen. Soll nichts ela­bori­ertes sein, ein halbe Seite habe ich schon, aber nun ja…ARGH

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    1. suz Beitragsautor

      Jo, ich merk’s 🙂

      Also, das Gerücht, die Eski­mos hät­ten die meis­ten Wörter für Schnee, hält sich wirk­lich sehr hart­näck­ig. (Das war ja mit meinem Schlusssatz ein wenig aufs Korn genom­men.) Falls es dich inter­essiert, hier gibt’s einen sprach­wis­senschaftlichen Essay über die Entste­hung (und Fehler) der Leg­ende. Ist recht angenehm zu lesen, passt also auch wun­der­bar in eine kurze Forschungsberichtschreibepause 🙂

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