Wenn, in seiner wirklich einfachsten und stark verkürzten Form, der bestimmte Artikel einen Referenten (z.B. ein Objekt oder eine Person) als bestimmt oder definit markiert, dann ist der Artikel in vielen im vorigen Beitrag angeführten Kontexten eigentlich überflüssig. Ein Frühling, in welchem ich nach England fahre, ist immer noch der gleiche Frühling, ob mit oder ohne bestimmten Artikel.
Noch “unlogischer” wird es bei Artikeln in Verbindung mit Namen.
Namen bezeichnen Personen und diese sind in den allermeisten Kontexten inhärent definit, oder anders ausgedrückt: sie können nicht unbestimmt sein. Der Artikel ist hier also unlogisch. In meinem Korpus habe ich einige rare Beispiele — neben konventionalisierten Konstruktionen mit Reverend (the Rev John Smith) — in denen der Artikel mit Namen oder Titeln verwendet wird:
And if you see any of them give My Respects to Mrs Kilpatrick and the Miss Bars [Fermanagh, Ulster, 1890]
In vielen Sprachen ist der Artikel vor einem Personennamen sogar obligatorisch. Und wir müssen noch nicht mal ins Griechische oder Hebräische schauen: In allen südlichen Dialekten des Deutschen klingt das Weglassen des Artikels vor einem Personennamen* höchst seltsam und würde jeden Dialektimitator vermutlich sofort überführen.
- Frag mol d’Petra.
- Dә Michael isch krank.
- Sell hat mir dә Daniel gsait.
Apropos überführen: die Tatsache, dass der anonyme Anrufer in einem Radio Tatort** bei einem Drohanruf in sonst lupenreinem Bairisch den Artikel vor einem Personennamen vergaß, überführte ihn als einzigen Nichteingeborenen im Dorf tatsächlich als Täter.
Für mehr Linguistik in Drehbüchern!
*Der angesprochene Artikelgebrauch in diesen Dialekten (z.B. Alemannisch, Bairisch) ist in nicht-abschätziger Bedeutung und ohne Funktion eines Demonstrativ- und/oder Relativpronomens gemeint; also nicht wie z.B. bei ‘der Thomas, nicht dieser’, ‘der Thomas, der gestern hier war’. Im (gesprochenen) Hochdeutsch ähneln die Demonstrativ- und Relativpronomen (Deixis-DER bzw. der, die, das ‘welcher, welches, welche’) den bestimmten Artikeln in Form und Funktion. In einem solchen Fall (DER Thomas, der gestern hier war) wäre der Artikel also notwendig/möglich, auch — aber nicht nur — für besondere Betonung und Fokusierung.
**Menschen, die linguistisch nördlich des Weißwurschtäquators zu Hause sind: viel Spaß bei eurem ersten fremdsprachlichen Tatort! Das Drehbuch hat ein extremes, aber im deutschen Mediendschungel leider sehr selten gewordenes Lokalkolorit. (Äh, so nebenbei — für mich ist Lokalkolorit maskulin, aber sei’s drum. Der Herr Duden sagt, es sei ein Neutrum; Google favourisiert n:m 4:1.)