Englisch vor Gericht

Von Anatol Stefanowitsch

Obwohl es sich die Leser/innen meines alten und auch neuen Blogs
manch­mal anders wün­schen, beschäftigt sich ein ansehn­lich­er Teil meiner
Beiträge mit den Sprachkri­tik­ern, die häu­fig den öffentlichen Diskurs
über Sprache dominieren. Zum einen wäre es aus mein­er Sicht ein großer
Fehler, ihnen unwider­sprochen das Feld zu über­lassen, zum anderen
fasziniert mich die über­hitzte irra­tionale Rhetorik, mit der sie bei
den nichtig­sten Anlässen um sich werfen.

Ein Lehrstück sprachkri­tis­ch­er Redekun­st und Logik bietet eine
Presseerk­lärung des Vere­ins Deutsche Sprache (VDS) vom 11. Jan­u­ar 2010
mit dem leicht größen­wahnsin­ni­gen Titel „Sprach­schützer greifen
Jus­tizmin­is­ter an“. Anlass für diese Presseerk­lärung sind aktuelle
Pläne der Jus­tizmin­is­ter von Nor­drhein-West­falen und Ham­burg, die die
Voraus­set­zun­gen schaf­fen sollen, um inter­na­tionale Wirtschaftsprozesse
vor deutschen Gericht­en in Zukun­ft bei einem entsprechen­den Wun­sch der
Prozess­parteien in englis­ch­er Sprache zu ver­han­deln. Auf diese Art
sollen, wie die FAZ schon am 8. Jan­u­ar 2010 erläuterte, der
Jus­tiz­s­tan­dort Deutsch­land gestärkt und die Inter­essen deutsch­er Firmen
bess­er gewahrt werden: 

Ger­ade die inter­es­san­testen – und für Staatskasse wie
Anwälte lukra­tivsten – Prozesse, an denen deutsche Unternehmen als
Kläger oder Beklagte beteiligt sind, wer­den auf Wun­sch ausländischer
Geschäftspart­ner meist vor angel­säch­sis­chen Gericht­en oder vor privaten
Schieds­gericht­en geführt. Dies hat zur Folge, dass oft schon in den
Verträ­gen eine andere Recht­sor­d­nung vere­in­bart wird (und deshalb
nicht­deutsche Recht­san­wälte die Aufträge zur Beratung erhal­ten). Die
geringe Ver­bre­itung der deutschen Sprache auf der Welt gilt als
wesentlich­er Grund dafür. „Der Gerichts­stan­dort Deutsch­land leidet
darunter, dass das Gerichtsver­fas­sungs­ge­setz Deutsch als
Gerichtssprache vorschreibt“, sagte Müller-Piepenköt­ter dieser Zeitung.
„Aus­ländis­che Ver­tragspart­ner und Prozess­parteien schreck­en davor
zurück, in ein­er frem­den Sprache vor einem deutschen Gericht zu
ver­han­deln.“ [FAZ.net]

Derzeit sind deutsche Fir­men also gezwun­gen, vor Gericht­en in
Großbri­tan­nien oder den USA nach ein­er ihnen wenig vertrauten
Recht­sor­d­nung und unter Hinzuziehen britis­ch­er oder amerikanischer
Anwälte zu ver­han­deln. Dem wollen die Jus­tizmin­is­ter entgegenwirken,
indem sie an eini­gen Gericht­en soge­nan­nte „Kam­mern für internationale
Han­delssachen“ ein­richt­en, an denen vor speziell dafür ausgebildeten
Richtern ganze Prozesse mit allen schriftlichen Eingaben und mündlichen
Ein­las­sun­gen in englis­ch­er Sprache, aber eben nach deutschem Recht
ver­han­delt wer­den können.

Hin­ter dem Plan ste­ht also nicht nur die kon­se­quente Wahrung nationaler
Inter­essen, son­dern auch die Ein­sicht, dass es bei Ver­hand­lun­gen in
deutsch­er Sprache über Verträge in englis­ch­er Sprache leicht zu
Missver­ständ­nis­sen kom­men kann. FAZ.net zitiert die stellvertretende
Vor­sitzende des Deutschen Richter­bunds, Brigitte Kam­phausen, mit den
Worten: „In meinen sieben Jahren als Vor­sitzende ein­er solchen Kammer
habe ich oft erlebt, wie durch die Über­set­zun­gen ins Deutsche viele
Nuan­cen und Details ver­lorenge­hen.“ Dieses Ver­lorenge­hen von Nuancen
bei der Über­set­zung von ein­er Sprache in die andere haben wir ja vor
ein paar Tagen hier im Sprachlog schon in einem anderen Zusam­men­hang disku­tiert — es scheint mir, die Sprachkri­tik­er müssten sich freuen, dass man das ver­mei­den will.

Aber nein. Wed­er die sprach­liche Klarheit noch die Durch­set­zung der
Inter­essen der deutschen Wirtschaft kön­nen die Sprachkritiker
überzeugen:

Sprach­schützer reagieren entset­zt auf Pläne, Deutsch als
verbindliche Gerichtssprache in Deutsch­land abzuschaf­fen. Nach ein­er am
Woch­enende bekan­nt gewor­de­nen Ini­tia­tive der Jus­tizmin­is­ter von
Nor­drhein-West­falen und Ham­burg soll das Gerichtsverfassungsgesetz
dahinge­hend geän­dert wer­den, dass kün­ftig in Deutsch­land Zivilprozesse
auch auf Englisch ver­han­delt wer­den sollen. Wirtschaft­san­wälte erhoffen
sich dadurch bessere Geschäfte. [Presseerk­lärung des VDS

Hier wird zunächst in einem Neben­satz das legit­ime Inter­esse der
deutschen Jus­tiz und der deutschen Wirtschaft, deutsches Recht stärker
in inter­na­tionale Han­dels­beziehun­gen durchzuset­zen, zur
Geschäftemacherei von Wirtschaft­san­wäl­ten umgedeutet. Damit ist die
Bühne frei für die marki­gen Sprüche, die der große Vor­sitzende der
Sprach­nör­gler stets gerne von sich gibt:

„Das ist ein Her­auss­chle­ichen aus der öffentlichen
Ver­ant­wor­tung der Jus­tiz und ein Schlag in das Gesicht all der­er, die
für die sprach­liche Eingliederung von Zuwan­der­ern kämpfen,“
kom­men­tierte der Vor­sitzende des Vere­ins Deutsche Sprache e.V. (VDS),
der Dort­munder Wirtschaft­spro­fes­sor Wal­ter Krämer. „Den Judaslohn, den
einige Anwalt­skan­zleien und ihre min­is­teriellen Hand­langer für diesen
Ver­rat an der deutschen Sprache einzus­tre­ichen hof­fen, wird letztlich
der Steuerzahler zahlen“, warnte Krämer. Denn die Zulas­sung des
Englis­chen als Gerichtssprache verur­sache Fol­gekosten. [Presseerk­lärung
des VDS

Die Gedankengänge hin­ter Kramers Presseerk­lärun­gen sind für
Uneingewei­hte nicht immer leicht nachzu­vol­lziehen, und so scheinen
diese Aus­sagen selb­st an den Stan­dards des VDS gemessen zunächst recht
undurchsichtig.

Die deutsche Jus­tiz hat schließlich die Ver­ant­wor­tung, deutsches Recht
durchzuset­zen. Der gesunde Men­schen­ver­stand sagt uns, dass sie dieser
Ver­ant­wor­tung nicht gerecht wer­den kann, wenn Wirtschaft­sprozesse ins
englis­chsprachige Aus­land ver­lagert wer­den. Mit Maß­nah­men, die dieses
Out­sourc­ing der Recht­sprechung aufhal­ten, stellt sie sich ihrer
Ver­ant­wor­tung also in vor­bildlich­er Weise. Auch was Zivilprozesse
zwis­chen inter­na­tion­al täti­gen Konz­er­nen mit der Eingliederung von
Zuwan­der­ern zu tun haben, bleibt zunächst eben­so Geheim­nis des
Vor­sitzen­den wie die Frage, woher sein im wahrsten Sinne des Wortes
heiliger Zorn auf Anwälte kommt.

Aber erfahrene Beobachter wis­sen, dass Krämers Aus­sagen nur sinnvoll
inter­pretiert wer­den kön­nen, wenn man davon aus­ge­ht, dass es die
ober­ste Pflicht aller Deutschen ist, Deutsch zu sprechen — immer und
über­all und koste es, was es wolle. Das erk­lärt, warum er der Justiz
Ver­ant­wor­tungslosigkeit vor­wirft: Sie müssen an erster Stelle die
deutsche Sprache schützen und erst an zweit­er Stelle deutsches Recht
durch­set­zen. Es erk­lärt, warum er den Anwäl­ten Geldgi­er und den
Min­is­te­rien Hand­langer­tum vor­wirft — auch sie müssen sich seiner
Mei­n­ung nach vor­rangig dem Kampf gegen die sprach­lichen Realitäten
ein­er glob­al­isierten Welt wid­men und erst, wenn der gewon­nen ist, auch
ihren eigentlichen Auf­gaben nachge­hen. Was Zuwan­der­er mit der ganzen
Angele­gen­heit zu tun haben, erschließt sich aus dieser Perspektive
allein aber noch nicht. Dazu muss man weiterlesen:

Der VDS sieht die neuesten Bestre­bun­gen zur Anglisierung
des deutschen Rechtswe­sens als Teil ein­er Kam­pagne vermeintlicher
Eliten, die deutsche Sprache und Kul­tur zugun­sten angelsächsischer
Lebensweisen aufzugeben. „Aber wie wollen wir dann von Zuwanderern
ver­lan­gen, Deutsch zu ler­nen,“ fragt Krämer, „wenn wir ihnen immer
wieder sagen, dass man in Deutsch­land nur mit Englisch weiterkommt?“
[Presseerk­lärung des VDS

Nun ergibt alles ein stim­miges Bild, oder? Zuwan­der­er ver­brin­gen ja –
das ist all­ge­mein bekan­nt — den größten Teil ihres Lebens damit,
Zivil­prozesse gegen inter­na­tionale Konz­erne zu führen. Und wenn sie das
jet­zt auch noch auf Englisch tun kön­nen, haben sie ja tatsächlich
über­haupt keine Ver­an­las­sung mehr, Deutsch zu ler­nen. Womöglich
ver­bün­den sie sich dann gar mit den anglophilen „ver­meintlichen
Eliten“, trinken in den Ver­hand­lungspausen ihrer Wirtschaftsprozesse
Fünf-Uhr-Tee, spie­len nach gewonnen­em Prozess eine Runde Crick­et und
fahren dann im Rolls-Royce auf der linken Straßen­seite zur Fuchsjagd.
Und bezahlen muss das alles natür­lich der deutsche Steuerzahler …

FAZ.net/JAHN, Joachim (2010), Deutsche Gerichte ver­han­deln nun auch auf Englisch. FAZ.net Wirtschaft, 8. Jan­u­ar 2010. [Link].

VEREIN DEUTSCHE SPRACHE (2010), Sprach­schützer greifen Jus­tizmin­is­ter an. Presseerk­lärung vom 11. Jan­u­ar 2010. [Link].

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

Dieser Beitrag wurde unter Altes Sprachlog abgelegt am von .

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

18 Gedanken zu „Englisch vor Gericht

  1. Dierk

    Prov­inzial­ität überwinden
    Als Ham­burg­er kenne ich die Prob­leme, Bedeu­tung in ein­er glob­alen Welt zu heucheln; diese Stadt sieht sich immer als Tor zur Welt, als Welt­stadt — und scheit­ert an diesem Anspruch genau wegen dieses. Ähn­lich­es sehe ich auch bei Lit­er­aturkri­tik­ern, aber dazu hat sich heute schon jemand woan­ders geäußert.
    Wal­ter Krämer, offen­bar ein over­ac­tive under­achiev­er, der seinen Lehrstuhl als nicht groß genug ansieht, ver­sucht wieder ein­mal Deutsch­land und seine [= Krämers] Sprache inter­na­tion­al groß zu machen, indem er alles klein macht. Die guten Gründe für eine inter­na­tionale Verkehrssprache gehen ihm eben­so ab wie ein­fach­stes Lesev­er­ständ­nis und abstrak­tes Denken.
    Erst wer die eigene Prov­inzial­ität [an]erkennt, kann auch zu welt­män­nis­ch­er Größe wach­sen. Blöd nur, dass die prov­inziell­sten Geis­ter gar nicht dazu in der Lade sind — und die laut­stärk­ste Min­der­heit darstellen. Glück­licher­weise inter­essieren sich nur Sprach­wis­senschaftler und einige lang­weilige Plär­rer für Krämers kru­den Deutschna­tion­al­is­mus, dem so genan­nten ein­fachen Mann auf der Straße geht das am Hin­terteil vorbei*.
    *Ich ver­weise auf jene Anek­dote über einen bekan­nten The­at­er­autoren, der einem Kri­tik­er mit­teilte, wo er die Kri­tik lesen werde — und wo sie danach lan­det. Falls der Mann auf der Straße die BILD so benutzen kann …

  2. Luchs

    Ich finde die Idee richtig. Wenn in Deutsch­land kün­ftig mehr englisch-sprachige RA wären, dann kön­nte sich die deutsche Jus­tiz auch nicht länger so viele Rechts­beu­gun­gen erlauben. Zur Zeit ist es wohl so, dass wirk­lich exakt 100% der deutsch-sprachi­gen Beschw­er­den gegen Deutsch­land abgelehnt wer­den, weil der deutsche Richter (die deutsche Rich­terin Frau Jaeger) sich als Anwalt für Deutsch­land ver­ste­ht und jede Beschw­erde als allein ver­ant­wortlich­er Richter ablehnen kann – er legt die Beschw­erde ein­fach zwei nicht deutsch-sprachi­gen Kol­le­gen zur Unterze­ich­nung vor. Beschw­er­den in englisch gegen Deutsch­land, müsste der deutsche Richter satzungs­gemäß zwei Kol­le­gen zur Mit­beurteilung vor­legen, weil ja jed­er Richter am EGMR englisch sprechen kön­nen muss.
    http://leonie-wichmann.blogspot.com/…ei-das.html
    http://www.schultefrohlinde.de/node/31

  3. Michael Khan

    Frage
    Ganz unabängig von der über­zo­ge­nen Reak­tion der Sprach­schützer ist mir nicht klar, wie es in der Prax­is funk­tion­ieren soll, dass Prozesse an deutschen Gericht­en mit deutschen Richtern nach deutschem Recht, aber auf Englisch ver­han­delt werden.
    Ist denn davon auszuge­hen, dass alle Prozess­beteiligten, allen voran der deutsche Richter, der englis­chen Sprache in aus­re­ichen­dem Maße mächtig sind, um sämtliche Details der rel­e­van­ten Doku­mente ohne Missver­ständ­nisse zu verstehen?
    Kann man bei deutschen Juris­ten denn eine solch weit­ge­hende Beherrschung der englis­chen Sprache voraus­set­zen … ist unser Herr Außen­min­is­ter dem­nach in sein­er Branche wirk­lich eine Ausnahme?
    Falls man aber nicht vom Vorhan­den­sein aus­re­ichen­der Englis­chken­nt­nisse aus­ge­hen kann (und ich meine damit objek­tiv vorhan­dene Ken­nt­nisse, nicht nur die entsprechende Selb­stein­schätzung), dann sehe ich nicht, wie die ange­sproch­enen Prob­leme, die man eigentlich auss­chal­ten wollte, ver­mieden werden:
    Entwed­er, man muss doch wieder alles über­set­zen. Aber wo ist dann noch der Vorteil?
    Oder aber, man riskiert ein Missver­ständ­nis. Allerd­ings kann ein infolge man­gel­nder sprach­lich­er Kom­pe­tenz missver­standen­er Text oder eine falsch for­mulierte Urteils­be­grün­dung schw­er­wiegende Fol­gen haben.
    Mir scheint, hier wird die Arbeit, die anson­sten Über­set­zern obliegt, also Men­schen, die in der Regel qual­i­fiziert sind, stattdessen den anderen Prozess­beteiligten aufge­bürdet, die dafür nicht unbe­d­ingt qual­i­fiziert sind.
    Ohne wiederum auf die Sprach­schützer einge­hen zu wollen, sehe ich hier das Poten­zial eines ganz konkreten prak­tis­chen Hindernisses.

  4. Ignaz Wrobel

    Englisch vor (nicht durch das) Gericht
    Diesem Blog kann ich inhaltlich und for­mal nur zus­tim­men. Die Verbindung der Ver­hand­lung inter­na­tionaler Wirtschaft­sprozesse hat nichts mit Zuwan­der­ern zu tun. Und Kri­tik­ern (jed­er Couleur) soll, darf und muss man wider­sprechen, weil jede Diskus­sion son­st ein­seit­ig bleibt.
    Darum wird der Vorschlag aber nicht automa­tisch sin­nvoll. Dazu kurz aus sprach-juris­tis­ch­er Sicht.
    Schon die Ursachen­fest­stel­lung ist min­destens unvol­lkom­men. Zwar gibt es das Sprach­hin­der­nis, gravieren­der scheint aber der kul­turelle Aspekt — hier der der Juris­tenkul­tur. Ganz abge­se­hen von der abwe­ichen­den Meth­ode hat die englis­che Gerichts­barkeit ein anderes Selb­stver­ständ­nis. Zunächst fühlt sich der englis­che Richter viel stärk­er an Ver­tragsklauseln gebun­den, und entsprechend erscheinen aus dor­tiger Sicht die kon­ti­nen­taleu­ropäis­chen Entschei­dun­gen oft willkür­lich, weil sie mehr den mit den Klauseln gemein­ten Sinn suchend. Auch sind englis­che Entschei­dun­gen anders und aus­führlich­er begrün­det. Verkürzt gesagt richt­en sie sich mehr an die Parteien, während ins­beson­dere deutsche Richter sich an abstrakt denk­ende Juris­ten wen­den. Für die Wahl eines bes­timmten Gerichts­standes gibt es aber noch weit mehr (juris­tis­che) Überlegungen.
    Dazu kommt ein Prob­lem im Bezug auf das Rechtssys­tem selb­st. Recht ist stark an Kul­tur gebun­den — deutsches Recht an deutsche Diskus­sion­skul­tur und deutsche Sprache. Alle Diskus­sion und Fort­bil­dung des Rechts erfol­gt auf Deutsch, in deutschen Begrif­flichkeit­en. zur Fortbildung/Ausformung des Rechts gehören aber auch die Urteile — erscheint nun ein Teil zukün­ftig in Englisch, dann wird es eine andere Recht­skul­tur geben (müssen). Das erfordert aber zunächst ein­mal Begriffs­bil­dung: deutsche Konzepte lassen sich kaum über­set­zen. Anders ist dies in Län­dern mit mehreren Nation­al­sprachen (Schweiz, Kana­da). Dort ist das Über­set­zung­sprob­lem gemildert, denn alle Konzepte existieren in allen Sprachen, UND der kul­turelle Hin­ter­grund ist allen Juris­ten gemein­sam — auch wegen der ein­heitlichen Ausbildung.
    Im Rah­men der Europäis­chen Union nähert sich die Juris­tenkul­tur langsam an — wegen des Sprach­prob­lems aber meist nur auf Basis der englis­chen Begrif­flichkeit­en und Konzepte. Das mag man als unab­d­ing­bar anse­hen, es führt aber gewiss zum Ver­lust von Sichtweisen und damit zu (poten­tieller) Einseitigkeit.
    Jeden­falls im Bere­ich nationalen deutschen Rechts scheint daher ein ander­er (Zwischen)Weg sin­nvoll: Mit Zus­tim­mung aller Parteien dür­fen die Parteien Ihre Ansicht­en und Beweise auch in Englisch vor­tra­gen, das Urteil wird dann aber in Deutsch ver­fasst. Dadurch gehen die Nuan­cen der Parteivorträge nicht gle­icher­maßen ver­loren und doch bleibt die rechtliche Dog­matik ein­heitlich — im Zweifel kann das Gericht aber z.B. Ver­tragsklauseln auch englisch zitieren.
    @Luchs: Der EGMR ist kein deutsch­er Gericht­shof und wäre daher von der Änderung deutsch­er Prozess­regeln nicht betroffen.

  5. Luchs

    @Luchs: Der EGMR ist kein deutsch­er Gericht­shof und wäre daher von der Änderung deutsch­er Prozess­regeln nicht betroffen.”
    Dem stimme ich zu. Was ich gemeint habe ist folgendes:
    Wenn es kün­ftig in Deutsch­land zahlre­iche englisch-sprachige Juris­ten geben sollte, denn kön­nen diese auch am EGMR, Straßburg, Beschw­er­den gegen Deutsch­land in der englis­chen Sprache for­mulieren und so ver­hin­dern, dass eine Beschw­erde gegen Deutsch­land einzig durch den deutschen “Richter” beurteilt wird, der zur Zeit — und wohl auch kün­ftig — seine Auf­gabe darin sieht, Deutsch­land möglichst effek­tiv zu verteidigen.
    Englisch-sprache Juris­ten in Deutsch­land wür­den schlicht der Gerechtigkeit zuträglich sein.

  6. Lars Fischer

    Michael Khan hat Recht…
    Ich per­sön­lich habe meine Zweifel, dass der Plan prak­tik­a­bel ist.
    Der Grund ist der, dass englis­chsprachige Urteile ja nur auf der Basis englis­chsprachiger Geset­zes­texte ver­ab­schiedet wer­den kann. Und da es oft auf die genaue For­mulierung ankommt, genügt nicht irgen­deine Über­set­zung, son­dern es muss eine defin­i­tiv gerichts­feste Ver­sion geben.
    Mehr noch, da es sich bei solchen Tex­ten um gel­tendes Recht han­deln soll, muss m.E. jede Über­set­zung ordentlich vom Bun­destag ver­ab­schiedet werden.

  7. Ignaz Worbel

    @Khan & @Fischer — JEIN
    Dass ein Urteil nur auf Geset­zes­tex­ten der­sel­ben Sprache auf­bauen kann, trifft so abso­lut nicht zu. Ein bekan­ntes Beispiel ist das UN-Kaufrecht (CISG) — eine verbindliche deutsche Fas­sung existiert nicht, und doch sprechen deutschsprachige Gerichte deutschsprachige Urteile unter Anwen­dung des CISG. Man kön­nte also dur­chaus auf Basis deutsch­er Geset­ze englis­che Urteile sprechen — aber im deutschen Stil (s.o.).
    Tre­f­fend scheint mir aber die Bemerkung zur Sprachkom­pe­tenz der Richter und Anwälte. Genau Sta­tis­tiken sind mir zwar nicht bekan­nt, doch scheint vor allem die aktive Sprachkom­pe­tenz prob­lema­tisch — das von Lars Fis­ch­er ange­sproch­ene genaue Aus­for­mulieren auf Englisch. Das Ver­ste­hen englis­ch­er Texte funk­tion­iert wohl bess­er, ins­beson­dere bei den Han­del­srecht­skam­mern, die im CISG schon jet­zt auf englis­che Urteile zurückgreifen.
    Daher auch oben mein Kom­pro­missvorschlag: Plädieren auch auf Englisch — das beschle­u­nigt selb­st dann, wenn man in Zweifels­fällen auf einen Über­set­zer zurück­greifen (oder rück­fra­gen) muss. Urteilen dann aber auf Deutsch — so bleibt man in der deutschen Dogmatik.

  8. Gareth

    Dass Wal­ter Krämer sich von der englis­chen Sprache heimge­sucht fühlt und der fes­ten Überzeu­gung ist, dass ihr wirk­lich­er Exis­ten­z­grund die Aus­rot­tung der deutschen Sprache ist, ist ja nichts Neues.
    Wieso er aber glaubt, dass Migranten in Deutsch­land lieber Englisch statt Deutsch ler­nen wollen, wenn man in Gericht­en the­o­retisch auch englis­chsprachige Prozesse führen darf, ist mir — wie allen — ein Rätsel.
    Im Übri­gen kann ich aus per­sön­lich­er Erfahrung sagen, dass man mit Englisch in Deutsch­land über­haupt nicht weit kommt — nicht­mal die Angestell­ten der Aus­län­der­be­hörde, die für die Ausstel­lung von Visa zuständig ist, sprechen Englisch. (Damit will ich nicht bew­erten, ob das gut oder schlecht ist — es ist nur eine Beobachtungstatsache.)
    Zum The­ma Durch­führbarkeit: Ich glaube nicht, dass die Sprachkom­pe­tenz ein Hin­derungs­grund wäre. Man braucht ja erst­mal nicht eine Überzahl an juris­tis­chem Per­son­al, son­dern nur wenige, um die Sache ins Rollen zu brin­gen. Die all­ge­meine Sprachkom­pe­tenz des Englis­chen kann man mit etablierten Tests fest­stellen lassen (z.B. IELTS), das Recht­sen­glis­che zu zer­ti­fizieren dürfte dann auch nicht mehr allzu prob­lema­tisch sein.

  9. Stefan

    Nuja,
    Ich glaube der Grund warum Unternehmen nicht vor deutsche Gerichte wollen liegt eher darin, dass amerikanis­che Gerichte unternehmensfre­undlich­er sind. Zumin­d­est dann, wenn das Unternehmen klagt. Schadenser­satzprozesse würde die Unternehmen ver­mut­lich lieber in Deutsch­land führen…

  10. Anatol Stefanowitsch

    Sprachkom­pe­tenz und Übersetzbarkeit
    Danke für die inter­es­san­ten und teil­weise sehr aus­führlichen Kom­mentare! Als Antwort zwei Nachemerkun­gen, eine zur Sprachkom­pe­tenz, eine zur Übersetzbarkeit.
    Zur Sprachkom­pe­tenz: Es sollen ja spezielle Kam­mern ein­gerichtet wer­den, die dann natür­lich mit entsprechend qual­i­fizierten Richter/innen beset­zt wer­den. Die stel­lvertre­tende Vor­sitzende des Deutschen Richter­bun­des sieht kein Prob­lem bei der Beset­zung: Im ver­link­ten FAZ-Artikel wird sie mit der Aus­sage zitiert, es gebe mit­tler­weile aus­re­ichend viele Richter die Erfahrun­gen in inter­na­tionalen Anwalt­skan­zleien gesam­melt und/oder zusät­zlich inter­na­tionale Abschlüsse (LL.M.) besitzen. Ich denke, man kann ihr das glauben.
    Man muss ja auch bedenken, dass die Verträge, um die es in inter­na­tionalen Wirtschaft­sprozessen geht — der Stre­it­ge­gen­stand selb­st, also — nor­maler­weise auch in englis­ch­er Sprache abge­fasst ist. Richter und Anwälte in solchen Prozessen müssen also ohne­hin sehr gut Englisch können.
    Was die Über­set­zbarkeit deutsch­er Recht­skonzepte bet­rifft, so bin ich überzeugt, dass diese gegeben ist. Es han­delt sich dabei um Fachter­mi­nolo­gie, bei der man eben ver­ste­hen muss, was hin­ter den Begrif­f­en steckt. Dazu muss man die Geset­zes­texte, deren bish­erige Inter­pre­ta­tion durch die Gerichte und die auf ihnen beruhende Rechtssprechung ken­nen, son­st ver­ste­ht man sie in kein­er Sprache.
    Im Prinzip geht es in der Recht­sprechung ja immer darum, Ver­trags- und Geset­zes­texte zu inter­pretieren, oft noch unter Berück­sich­ti­gung unter­schiedlich­er Ver­ständ­nishor­i­zonte. Das Prob­lem der Tex­tin­ter­pre­ta­tion ist also Richtern und Anwäl­ten bestens ver­traut (weshalb es übri­gens oft höchst inter­es­sant ist, sich mit ihnen über Sprache zu unterhalten).
    Und da inzwis­chen ohne­hin eine enge Verzah­nung zwis­chen nationalem, europäis­chem und inter­na­tionalem Recht beste­ht, ist das zusät­zliche Prob­lem der Mehrsprachigkeit für Richter und Anwälte auch nicht neu.
    Am OLG Köln gibt es übri­gens laut FAZ schon jet­zt spezielle Kam­mern, auf denen die gesamte mündliche Ver­hand­lung in englis­ch­er Sprache geführt wer­den kann.

  11. Ingaz Worbel

    Unüber­set­zbarkeit der Rechtsterminologie
    Meine Zweifel bezüglich der Sprachken­nt­nis mögen unbe­grün­det sein — aus der bish­eri­gen Erfahrung sind sie es nicht.
    Ihrer Überzeu­gung zur Über­set­zbarkeit von Recht­ster­mi­nolo­gie aber muss ich ener­gisch wider­sprechen. Das Prob­lem ist dabei nicht die the­o­retis­che Erk­lär­barkeit in ein­er Fremd­sprache — die ist mit entsprechen­der Begriffs­bil­dung und entsprechen­dem Dar­legung­sum­fang möglich, wenn auch schwierig. (Auch weil neue Konzepte erste ein­mal verin­ner­licht wer­den müssen, bevor wir mit ihnen arbeit­en kön­nen. Weil die Kul­turen ver­schieden sind etc.) Allerd­ings wird dann aus der Über­set­zung (meist) ein Lehrbuch! (Einem deutschen Juris­ten das franzö­sis­che Rechtsin­sti­tut der Cause nahezubrin­gen, ist nahezu unmöglich, ohne das gesamte Ver­tragsrecht zu erk­lären und für ihn neu zu erfinden.)
    Prob­lema­tisch ist vielmehr die prak­tis­che Über­set­zbarkeit. Es geht, wie Sie zu Recht schreiben, um Inter­pre­ta­tion von Tex­ten. Doch ist eben jede Über­set­zung auch Inter­pre­ta­tion und bee­in­flusst damit den Inhalt. Genau dort liegt das prak­tis­che Prob­lem. Prob­lema­tisch ist schon die all­ge­meine Wortbe­deu­tung. Das häu­fige Wort “Sache” ken­nt im Franzö­sis­chen die Über­set­zun­gen “bien, chose, matière” und alle sind juris­tisch bedeut­sam, teils in der­sel­ben Norm. Dazu kommt, dass z.B. eine (Kaufpreis)Forderung im franzö­sis­chen Recht dur­chaus ein “bien” ist, aber im deutschen Recht keine “Sache”. Noch schwieriger wird das mit der deutschen “Verord­nung”, sie ist im Euro­parecht das “règle­ment”, kann aber son­st auch “ordon­nance, décret, arrêté” sein. Umgekehrt ist es extrem schwierig, das “règle­ment” ins Deutsche zu über­set­zen — die Bedeu­tun­gen sind zu vielfältig und zu stark im (insofern abwe­ichen­den) grundle­gen­den Rechtsver­ständ­nis ver­ankert. (Siehe: Schmidt-König, Die Prob­lematik der Über­set­zung juris­tis­ch­er Ter­mi­nolo­gie, LIT 2005, S. 83–108.)
    Ähn­lich prob­lema­tisch ist das bei der Über­set­zung ins Englis­che. Beispiel­haft ist hier die Über­set­zung eines franzö­sis­chen Refor­mvorschlages ins Englis­che. Aus Verse­hen dop­pelt erfol­gt, liegen nun zwei deut­lich abwe­ichende Ver­sio­nen vor. Dabei haben die einen Über­set­zer (und Juris­ten) die Rechts­fol­gen englisch gedacht, die anderen franzö­sisch. Die eine Fas­sung ist dem nor­malen englis­chsprachi­gen Juris­ten vol­lkom­men unver­ständlich, die andere ver­ste­ht er gewiss falsch, näm­lich nach seinen nationalen Konzepten. (Siehe mit Ver­weis auf weit­ere Schwierigkeit­en: Moréteau, Revue inter­na­tion­al de droit com­paré 2009, S. 696, 708 — lei­der auf Franzö­sisch, für englis­che Lit­er­atur ver­weist der Autor auf: Moréteau, Project to Reform the Law of Oblig­a­tions (Cata­la Project): One Project, Two Trans­la­tions, France, in Koziol/Steinberger, Euro­pean Tort Law 2006, Springer 2008, S. 196)
    Let­ztlich find­en sich dort aber nur die all­ge­meinene Prob­leme der Kom­mu­nika­tion­spsy­cholo­gie in verdichteter Form wieder. Sinn kann man nicht ver­mit­teln, er wird von jedem Indi­vidu­um selb­st erzeugt. Daher kann und muss Kom­mu­nika­tion immer an ver­gan­gene Kom­mu­nika­tion anschließen. Nur dann hat sie eine Chance richtig (= im Sinne des Absenders) ver­standen zu wer­den. Darum auch soll­ten Urteile deutsch­er Gerichte deutsch bleiben, sie kön­nen an keine ein­heitlich Ter­mi­nolo­gie deutsch­er Recht­skonzepte in englis­ch­er Sprache anschließen. (Bei Parteivorträ­gen beste­ht dieses Prob­lem aber eher ander­sherum — sie müssen ja an ihre bish­erige Kom­mu­nika­tion anschließen und das ist meist leichter in der bish­eri­gen (Verhandlungs)Sprache, auch daher mein obiger Vorschlag.)
    Mit dem Prob­lem fehlen­der Anschlussfähigkeit haben die Juris­ten schon länger im Euro­parecht zu kämpfen (ohne es so zu benen­nen). Aber ger­ade weil sie schon so lange damit kämpfen ist diese Anschlussfähigkeit mehr und mehr gegeben. Ähn­lich­es gilt im UN-Kaufrecht. Es ist mir aber nicht ersich­lich, warum man im inter­nen deutschen Recht der­ar­tige Prob­leme neu auf­machen sollte. Nicht zulet­zt ist selb­st der anvisierte Gewinn sehr fragwürdig.

  12. David Marjanovic

    Judaslohn […] Verrat

    Wow. Just… wow.
    Der ist doch nicht mehr zurechnungsfähig.

  13. Ingaz Worbel

    @Marjanovic: Vielle­icht
    …aber meine Absicht war nicht, Juris­ten zu ver­teufeln. Ich habe nur eine Per­spek­tive dargestellt, die aus dem juris­tis­chen Denken gar nicht sicht­bar sein kann.
    Vielle­icht ken­nen Sie das Ele­fan­ten­gle­ich­nis zu den Fol­gen wis­senschaftlich­er Spezial­isierung. Die Rechtswis­senschaft ist eine Spezial­isierung der (je nach Ansicht) Geistes‑, Sozial- oder Hand­lungs-/Entschei­dungswis­senschaften. Als solche kann sie wie jede Teil­wis­senschaft nur in ihrem eige­nen Rah­men erken­nen, in ihrem Sys­tem. Schlim­mer noch: jede nationale Rechtswis­senschaft ist ein (noch über­wiegend) selb­ständi­ges Sys­tem. Mit den entsprechen­den Prob­le­men “inter­sys­temis­ch­er Kommunikation”.

  14. westernworld

    ”Obwohl es sich die Leser/innen meines alten und auch neuen Blogs manch­mal anders wünschen, …”
    sie haben recht es nervt, daher wün­sche ihnen viel spaß beim reit­en ihres steck­enpfer­des in den sonnenuntergang.
    sie machen mit­tler­weile einen genau­so ver­biesterten ein­druck wie ihre gegenseite.

  15. Wentus

    Nervt es?
    Wir alle mögen gerne neue erfrischende The­men. Wenn wir aber eine Sit­u­a­tion wis­senschaftlich betra­cht­en wollen, müssen wir uns auch auf eine lang­weilige Auseinan­der­set­zung mit allen ihren Aspek­ten ein­lassen. In Sit­u­a­tio­nen, in denen jemand den “gesun­den Men­schen­ver­stand” zitiert, ist genau das meis­tens nicht geschehen. Der gesunde Men­schen­ver­stand ist — dort wo er zitiert wird — die Betra­ch­tungsweise eines Nean­derthalers. Wir hät­ten kein halb­wegs funk­tion­ieren­des Rechtssys­tem und keine Inge­nieurleis­tun­gen, wenn wir uns auf ihn ver­lassen würden.
    Kurz: Wer meint, man kann den gesun­den Men­schen­ver­stand entschei­den lassen, sollte auch wieder zurück in seine Felsen­höh­le ziehen.

  16. Wentus

    Über­set­zun­gen von Konzepten
    Hier ein alltäglich­es Beispiel für die Schwierigkeit, unter­schiedliche Konzepte zu übersetzen:
    als meine Frau vor zwei Jahrzehn­ten nach Deutsch­land kam, wurde sie auch als Ärztin in ihrem Heimat­land noch mit ein­er “Lohn­tüte” bezahlt. Das Kranken­haus war staatlich und berech­nete den Lohn Brut­to für Net­to, weil der Gewinn des Gesund­heitswe­sens sowieso dem Staat zugute kam.
    Dementsprechend kan­nte man in ihrer Sprache keine Wörter für Steuer­erk­lärung, Kon­to, Über­weisung. Immer wenn sie mit ihrer dor­ti­gen Fam­i­lie sprach, benutzte sie dafür die deutschen Wörter und erk­lärte die dahin­ter­liegen­den Konzepte in ihrer Sprache.
    Inzwis­chen haben sich natür­lich neue Wörter in ihrer Sprache einge­bürg­ert, weil alle Bürg­er inzwis­chen Kon­ten besitzen und Steuern zahlen müssen.
    Ich ver­mute, dass ein ähn­lich­er Vor­gang bei der Ein­führung der englis­chen Sprache in das deutsche Rechtssys­tem von­stat­ten gehen müsste: Man wird nicht in jedem Rechtsgutacht­en die zugrunde liegen­den Konzepte erläutern kön­nen. Die englis­chen Wörter beze­ich­nen andere Konzepte, also muss man wohl deutsche Fachaus­drücke einführen.

  17. Stefan H.

    Im Zusam­men­hang mit den an Real­satire gren­zen­den Äußerun­gen Wal­ter Krämers möchte ich auf fol­gende Doku­men­ta­tion verweisen:
    http://www.youtube.com/watch?v=4AtEi-w3Tj4
    Zu Beginn des ver­link­ten Auss­chnitts tätigt der VDS-Vor­sitzende Äußerun­gen, die noch mehr als die Rede vom Judaslohn an sein­er Zurech­nungs­fähigkeit zweifeln lassen (wobei die einge­blende­ten Ani­ma­tio­nen nicht eben dazu beitra­gen, die Seriosität des Gesagten zu untermauern…).
    Überdies ist der gesamte Film ein schönes Beispiel dafür, wie sehr die VDS-Argu­mente den öffentlichen Diskurs bes­tim­men — ich wage zu bezweifeln, dass öffentlich-rechtliche Gebühren­gelder in gle­ichem Maße auch in eine sprach­wis­senschaftlich fundierte Doku­men­ta­tion geflossen wären. Daher kann ich als regelmäßiger Leser des alten wie des neuen Blogs nur dazu ermuntern, die Auseinan­der­set­zung mit den “Sprach­nör­glern”, auch wenn einige davon gen­ervt sein mögen, weiterzuführen.
    Übri­gens: Gibt man in Youtube “Wal­ter Krämer” ein, stößt man zuallererst auf Videos, in denen er als Sta­tis­tik­er vor medi­aler Panikmache warnt. Dur­chaus nicht zu Unrecht — aber wer im Glashaus sitzt…

  18. Nörgler

    Als vor einiger Zeit über die Fes­tle­gung des Deutschen als Staatssprache im Grundge­setz gestrit­ten wurde, haben die Geg­n­er dieses Vorschlags alle damit argu­men­tiert, daß Deutsch als Amts- und Gerichtssprache doch schon geset­zlich fest­gelegt und die Auf­nahme ins Grundge­setz daher über­flüs­sig sei. Kaum ist diese Diskus­sion abgeebbt, wird schon der erste Ver­such gemacht, diese geset­zlichen Regelun­gen zumin­d­est aufzuwe­ichen. Das wird hier auch noch bejubelt, anstatt die eigene dama­lige Argu­men­ta­tion auch nur ansatzweise zu überdenken.
    Dabei ist die Begrün­dung des Vorschlags von Frau Müller-Piepenköt­ter außeror­dentlich schwach. Im Ori­gal­ton Müller-Piepenköt­ters heißt es:

    Wer stre­it­et vor Gericht schon gern in ein­er ihm nicht geläu­fi­gen Sprache?

    Das ist natür­lich richtig. Gilt das für die deutsche Wirtschaft aber nicht auch? Der Vorschlag würde dem schon vorhan­de­nen Ungle­ichgewicht noch ein weit­eres hinzufü­gen, daß näm­lich über deutsches Recht zwar auf Englisch, über englis­ches Recht aber nicht auf Deutsch ver­han­delt wer­den kön­nte. Frau Müller-Piepenköt­ter hat zwar mit Richter- und Anwaltsver­bän­den gesprochen, aber was sagt die deutsche Wirtschaft dazu?
    Weit­er Frau Müller-Piepenkötter:

    Bedeu­tende Wirtschaftsstre­it­igkeit­en wer­den daher oft im englis­chsprachi­gen Aus­land aus­ge­tra­gen. Dabei wird die Anwen­dung des aus­ländis­chen Rechts vere­in­bart. Das Nach­se­hen haben nicht nur der Gerichts­stan­dort Deutsch­land, son­dern vor allem die beteiligten deutschen Unternehmen, die ihre Inter­essen an einem aus­ländis­chen Gericht­splatz wahren und auf das ihnen ver­traute und bewährte deutsche Recht verzicht­en müssen. 

    Damit wer­den in krass­er Weise Ursache und Wirkung ver­wech­selt. Für ein aus­ländis­ches Unternehmen dürfte das anzuwen­dende Recht viel wichtiger sein als die Gerichtssprache. Warum in aller Welt soll­ten sie auf “das ihnen ver­traute und bewährte” englis­che Recht verzicht­en und sich darauf ein­lassen, vor einem deutschen Gericht “ihre Inter­essen wahren zu müssen”? Wenn sie sich auf deutsches Recht ein­lassen, müssen sie so oder so einen deutschen Anwalt beauf­tra­gen, egal in welch­er Sprache ver­han­delt wird.
    Dann wird eine deutsche Rich­terin zitiert, die gesagt habe:

    In meinen sieben Jahren als Vor­sitzende ein­er solchen Kam­mer habe ich oft erlebt, wie durch die Über­set­zun­gen ins Deutsche viele Nuan­cen und Details verlorengehen.

    Wenn schon beruf­s­mäßige Fachüber­set­zer oder ‑dol­metsch­er “viele Nuan­cen und Details” nicht richtig über­set­zen kön­nen, warum soll­ten deutsche Richter das bess­er kön­nen, seien ihre Englis­chken­nt­nisse auch noch so gut?
    Der ganze Vorschlag scheint mir deshalb höchst unzulänglich begrün­det. Aber ange­blich ste­ht dahin­ter ja “nur die kon­se­quente Wahrung nationaler Inter­essen”. Aber wer definiert denn, was die “nationalen Inter­essen” sind? Was wäre, wenn andere, über­ge­ord­nete nationale Inter­essen, z.B. sprach­poli­tis­che Inter­essen dage­gen sprächen? Das wird ja nicht ein­mal ansatzweise in Erwä­gung gezogen.
    Alle Welt scheint heute überzeugt, daß auch die sprach­liche Inte­gra­tion der Ein­wan­der­er in Deutsch­land sehr wichtig ist. Alle Bun­desregierun­gen haben darauf gedrun­gen, daß die EU-Amtssprache Deutsch auch wirk­lich in der EU benutzt wird. Wie sollen wir diese “nationalen Inter­essen” wirkungsvoll vertreten, wenn wir ihnen im eige­nen Hin­ter­hof zuwiderhandeln?
    Insofern ist die Kri­tik des VDS nicht gän­zlich von der Hand zu weisen, mag man auch noch so sehr Form und Aus­druck­sweise der VDS-Presseerk­lärung kritisieren.

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