Das Bremer Sprachblog: (Fast) ein Nachruf

Von Anatol Stefanowitsch

Ich habe es gestern bere­its angedeutet und heute kündi­ge ich es offiziell an: Mor­gen, auf den Tag drei Jahre nach meinem ersten Beitrag hier im Bre­mer Sprach­blog nehme ich meinen Hut, lösche die Lichter, und ziehe die Tür hin­ter mir zu. Grund genug, dem Bre­mer Sprach­blog einen kleinen Nachruf zu gönnen.

Ges­tartet habe ich es unter der Mith­il­fe meines Bre­mer Kol­le­gen Andreas Amman weit­ge­hend unter Auss­chluss der Öffentlichkeit am 24. Jan­u­ar 2007 mit einem Beitrag über den Erst­spracher­werb. Ein paar Wochen später erhiel­ten wir erst­mals einen Schwung auswär­tiger Besuch­er, erst durch einen kol­le­gialen Stre­it um Eski­mowörter für Schnee mit P.J. Blu­men­thal, der damals noch auf den P.M.-Blogs schrieb und sich inzwis­chen selb­st­ständig gemacht hat, dann durch einen Hin­weis in Ines Bal­ciks Sprachblog.

Ab da wuch­sen die Leserzahlen stetig, und aus einem kleinen Insti­tuts­blog wurde schnell eine für mich völ­lig über­raschende Erfol­gs­geschichte. In guten Wochen, zum Beispiel im Feb­ru­ar 2008, als die c’t und Heise Online das Blog emp­fahlen, hat­ten wir 25.000 Seit­e­naufrufe pro Woche. Seine höch­ste Tech­no­rati-Author­ität hat­te das Sprach­blog im Sep­tem­ber 2008 mit einem Wert von 101 (inzwis­chen ist Tech­no­rati lei­der kaputt und der Wert bleibt stur auf 1). In den Wikio-Wis­senschafts­blogcharts belegt es derzeit Platz 15, in den Metaroll-Wis­senschaftscharts sog­ar Platz 4.

Das Bre­mer Sprach­blog wurde im ZDF, der taz, und erst vor ein paar Tagen auf ZEIT Online gefea­tured und hat im ver­gan­genen Jahr sog­ar den Sprung in das Lit­er­aturverze­ich­nis eines wis­senschaftlichen Artikels zum Ver­hält­nis zwis­chen Sprach­wis­senschaft und Sprachkri­tik geschafft. Laut Alexa.com ist es außer­dem eine der zwanzig am häu­fig­sten aufgerufe­nen Seit­en unter dem Domain uni-bremen.de – es wird mehr als dop­pelt so häu­fig aufgerufen wie die Web­seit­en des gesamten Fach­bere­ichs Sprach- und Literaturwissenschaft.

Mehr noch als dieser unge­plante medi­ale Erfolg hat mich das aktive Inter­esse mein­er Leser/innen gefreut. Derzeit ste­hen 389 Beiträ­gen 4725 Kom­mentare gegenüber, ein Durch­schnitt von 12 Kom­mentaren pro Beitrag und ein deut­lich­es Zeichen dafür, dass die Sprachblogleser/innen starke Mei­n­un­gen zu den disku­tierten The­men haben, die nicht immer mit mein­er übere­in­stimmten. Diese Diskus­sio­nen zwis­chen und mit den Leser/innen wur­den für mich schnell der inter­es­san­teste Aspekt des Bloggens und ich hoffe, dass die Leser/innen und Kommentator/innen mir auch über das Bre­mer Sprach­blog hin­aus Ihre treue Fre­und- und Feind­schaft gön­nen werden.

Aber obwohl es mir nicht leicht fällt, die durch viele hun­dert Stun­den har­ter und über­aus vergnüglich­er Arbeit aufge­baute Marke „Bre­mer Sprach­blog“ aufzugeben und noch ein­mal bei Null anz­u­fan­gen, ist es Zeit für einen Wech­sel. Das Sprach­blog war ja ursprünglich ein­mal als Insti­tuts­blog geplant, aber außer meinem frühen Mit­stre­it­er Andreas Amman hat sich kein Insti­tutsmit­glied wirk­lich einge­bracht und auch Andreas musste irgend­wann unter der Arbeit­slast sein­er Dis­ser­ta­tion aufgeben und ließ mich allein zurück.

Ich nehme das meinen Kolleg/innen nicht übel – sie alle sind vielbeschäftigte Men­schen und das Wis­senschafts­bloggen ist schlicht nicht jed­er­manns Sache, wie ich ein­mal in einem Gastkom­men­tar auf Basic Think­ing dargelegt habe. Aber es ist nun mal eine Tat­sache, dass das Bre­mer Sprach­blog seit langer Zeit mein per­sön­lich­es Sprachrohr ist und ich bin zu dem Schluss gekom­men, dass ich diese Tat­sache durch einen Schnitt und einen Neuan­fang offiziell besiegeln sollte.

Das ändert natür­lich nichts an der Tat­sache, dass die Stadt und die Uni­ver­sität Bre­men weit­er­hin eine wichtige Rolle für mich spie­len wer­den (und falls St. Pauli nicht in die erste Bun­desli­ga auf­steigt, bleibe ich, was die erste Liga bet­rifft, auch meinem zweitlieb­sten Fußbal­lvere­in treu).

Aber ab mor­gen blogge ich auf den Wis­senslogs im von Spek­trum der Wis­senschaft betriebe­nen Scilogs-Por­tal. Ich habe mir lange über­legt, ob ich diesen Schritt machen soll, oder ob ich mich, wie der oben erwäh­nte P.J. Blu­men­thal oder mein Bun­des­lands­mann Klaus Jar­chow gän­zlich selb­st­ständig machen soll. Aber obwohl ich mir Let­zteres natür­lich für die Zukun­ft offen halte, habe ich das Gefühl, dass die Wis­senslogs derzeit ein gutes Zuhause für mich sind.

Bei dieser Entschei­dung haben drei Gründe eine Rolle gespielt.

Der erste Grund ist Lars Fis­ch­er, dessen Blog (inzwis­chen hier) ich schon gele­sen habe als es das Sprach­blog noch nicht gab und das, trotz der völ­lig unter­schiedlichen The­matik, mitver­ant­wortlich für meine Idee war, sel­ber ein Wis­senschafts­blog zu grün­den (die the­ma­tis­che Inspi­ra­tion kam damals übri­gens von den englis­chsprachi­gen Sprach­blogs Lan­guage Hat und Lan­guage Log). Lars hat mich vor einiger Zeit auf einen Wech­sel zu den Wis­senslogs ange­sprochen und seine Blog­ger-Cred­i­bil­i­ty (und seine Trink­fes­tigkeit) haben mich überzeugt.

Der zweite Grund sind die Rah­menbe­din­gun­gen, die das Por­tal bietet – ich werde fürs Bloggen nicht bezahlt und behalte so meine absolute inhaltliche Unab­hängigkeit (und da ich einen krisen­festen Job habe, bin ich in der glück­lichen Lage, mir das finanziell leis­ten zu kön­nen). Außer­dem behalte ich die volle und auss­chließliche Kon­trolle über meine Texte. Ich kann schreiben was ich will, kann Texte veröf­fentlichen oder es lassen und für den unwahrschein­lichen Fall, dass ich das irgend­wann will, kann ich das Blog und alle darin enthal­te­nen Texte löschen und ver­wen­den, wie und wo es mir ein­fällt. Für viele Blog­ger, mich eingeschlossen, ist das ein wichtiger Teil des schreiben­den Selbstverständnisses.

Der dritte Grund ist, ich gebe es gerne zu, die Marke http://www.spektrum.de/ Spek­trum der Wis­senschaft, die für mich schon seit mein­er Jugend für Pop­ulär­wis­senschaft im besten Sinne des Wortes ste­ht. Während alle Welt sich über Wis­senschaftler beschw­ert, die unter Auss­chluss der Öffentlichkeit ihre Forschung betreiben, brin­gen Spek­trum der Wis­senschaft und seine Abkömm­linge seit über dreißig Jahren sorgfältig redigierte pop­uläre Texte von den Wissenschaftler/innen direkt zu den Leser/innen.

Ab mor­gen Abend bin ich deshalb unter ein­er neuen URL zu erre­ichen, die ich dann bekan­nt­gebe, und ich werde auch noch ein paar Wochen lang Verknüp­fun­gen auf jeden Beitrag im neuen Blog veröf­fentlichen. Was danach mit dem Bre­mer Sprach­blog passieren wird, kann ich im Moment noch nicht sagen. Bis ich mich für eine dauer­hafte Lösung zur Archivierung mein­er alten Beiträge entsch­ieden habe, wer­den diese weit­er­hin hier erre­ich­bar sein. Ob das Blog dann ver­schwindet, oder ob es doch noch ein Insti­tuts­blog wird, wis­sen nur die Geis­ter des gren­zen­losen Internets.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

23 Gedanken zu „Das Bremer Sprachblog: (Fast) ein Nachruf

  1. jen

    viel spaß und viel erfolg beim neuen pro­jekt! das bre­mer sprach­blog war eine tolle sache, das neue blog bes­timmt auch. mein rss-feed wartet schon! 🙂

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  2. Markus B.

    Dann möchte ich mich ein­fach ein­mal für die ver­gan­genen drei Jahre bedanken, obwohl ich selb­st erst seit knapp zwei Jahren mitlese. Viel Spaß und Erfolg mit deinem neuen Projekt!

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  3. DrNI@AM

    Ich bin schon ges­pan­nt auf den Neustart unter ander­er Flagge. Das Zeit­prob­lem ist omnipräsent, obwohl ich genug Ideen habe, habe ich in meinem com­put­er­lin­guis­tis­chen Blog schon länger nichts mehr geschrieben.

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  4. MM

    Ja, solange es weit­erge­ht — aber kann man bei den sci­blogs *nur* Beiträge per RSS abon­nieren, die einen inter­essieren? Ich will meinen Fee­dread­er nicht überfluten!

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  5. Markus Schäfer

    Ver­flixt! Ich the­ma­tisiere ich das Bre­mer Sprach­blog seit Jahren in mein­er Übung bezüglich Lin­guis­tik im Inter­net. Jet­zt muss ich doch glatt meine The­me­nauswahl anpassen!

    Vie­len Dank für die vie­len tollen Artikel!

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  6. Isabell

    Eigentlich ein biss­chen schade, dass hier nun nichts mehr erscheinen wird! Aber es gibt ja immer noch so viele (ältere) Artikel, die ich noch nicht gele­sen habe. Oder noch ein­mal lesen werde.Vielen Dank dafür!Ich bin neugierig auf das neue Pro­jekt. Vie Erfolg!

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  7. Anatol Stefanowitsch

    Vie­len Dank für die net­ten Worte!

    MM (#7), jedes Blog bei den Wis­senslogs hat natür­lich seinen eige­nen RSS-Feed!

    A.T. (#10), ich bin zwar ein mächtiger, mächtiger Mann an der Uni­ver­sität Bre­men, aber die Domain iaas.uni-bremen.de gehört lei­der nicht mir, son­dern dem Zen­trum für Net­ze, vor dessen All­macht sog­ar ich mich beu­gen muss. Deshalb sind die URLs der Sprach­blog-Beiträge sich­er nichts für die Ewigkeit. Ich hoffe aber, wenig­stens eine Lösung für die näch­sten Jahre zu finden.

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  8. Frank Oswalt

    Ob hier oder woan­ders (oder schreibt man jet­zt “wo anders”?), Haupt­sache es geht weit­er! Udn die Wis­sensLogs sind eine gute Adresse.

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  9. Marc

    Ich per­sön­lich hätte mir ja vorstellen kön­nen, daß das Sprach­blog auch kom­plett eigen­ständig funk­tion­iert (Du bringst selb­st den Ver­weis auf Klaus Jar­chow); aber der Umzug zu den SciLogs hat natür­lich auch unbe­stre­it­bare Vorteile. Du nennst einige davon — insofern: ich bin ges­pan­nt, wie sich das Sprach­blog im neuen Umfeld weit­er­en­twick­elt. Viel Spaß und weit­er­hin fro­hes bloggen. 🙂

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  10. amfenster

    Als ich die Über­schrift las, hätte ich ja beina­he geweint, aber die Zukun­ft­spläne des Blogher­ren stimmten mich dann schnell wieder froh.

    Vielle­icht ein guter Zeit­punkt, Ana­tol Ste­fanow­itsch für dieses wun­der­bare Blog und die dafür aufgewen­dete Zeit und Mühe zu danken und alles Gute für den Umzug zu wünschen.

    Man sieht sich bei den Wissenslogs!

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  11. kreetrapper

    Ich möchte, wie all die anderen Kom­men­ta­toren, die Gele­gen­heit auch nutzen, mich für die schöne Zeit im Bre­mer Sprach­blog zu bedanken.

    Viel Spaß im neuen Umfeld. Man sieht sich dann dort. Eine dauer­hafte Archivierung der alten Ein­träge wäre mir auch sehr wichtig. Gut daß Entsprechen­des bere­its angedacht ist.

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  12. Wolfgang Hömig-Groß

    Auch von mir vie­len Dank und auf jeden Fall Auf Wieder­se­hen. Obwohl ich ja mis­strauisch ver­an­lagt bin bin und fürchte, auf das Haupt­beben fol­gt ein Nach­beben. Any­way — die geistige Nahrung, die ich hier aufgenom­men habe, nimmt mir kein­er mehr weg!

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  13. Till

    Ich weiss ja nicht, wie die Bre­mer Unibib­lio­thek so drauf ist, aber im Zuge der Bib­lio­thekarisierung online erschienen­er Texte beste­ht dort vielle­icht ein Inter­esse an ein­er langfristi­gen Archivierung?

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