So, meine Magisterarbeit ist seit Montag abgegeben und die ersten Fehler hab ich auch schon drin gefunden. Ich stehe dem Schplock also wieder zur Verfügung!
Ich liebe alte sprachwissenschaftliche Texte. So ungefähr 1850 bis 1910 war eine goldene Ära. Hier meine beiden Highlight-Sprachbeispiele aus Renward Brandstetters “Der Genitiv der Luzerner Mundart in Gegenwart und Vergangenheit”:
“Veronika wird an ihrem Husten sterben = Uf ’s Vroonis Wueste(n) mues me Häärd tue.”
Das heißt wörtlich: ‘Auf des Vronis Husten muss man Erde (gemeint ist Friedhofserde) tun.’
Dann geht es um den “kosende[n] Stil, den man anwendet, wenn man traulich mit Kindern spricht, wohl auch, wenn Verliebte unter einander reden”:
“In diesem Stil sagt man: Kirchenlöchlein = Chilelöcheli für Graab.”
Hm, niedlich.
Und eine Passage, die belegen soll, dass Brandstetter wirkliche, echte Dialektbeispiele benutzt:
“Nun sagt das aber Suter bloss so, er bringt keinen Beweis dafür. Ich aber habe diesen G[eniti]v in den entlegensten Alpentälern, im Munde von steinalten, von völlig ungebildeten Personen vernommen, und ich kann ihn in den Quellen der alten L[u]z[erner ]M[undart] durch alle Jahrhunderte zurückverfolgen.”
Das heute so zu formulieren, wäre etwas respektlos, aber das Prinzip gilt natürlich noch immer: Wenn man dialektale Erhebungen macht, befragt man Angehörige der Großelterngeneration, idealerweise ortsfest, kein weiterführender Schulbesuch, kein Beruf, bei dem man irgendwie über Sprachverwendung reflektiert und mit einem Ehepartner aus demselben Ort. Das wird zunehmend schwieriger. Für meine Erhebungen ging das noch ganz gut, aber mit der Einschränkung, dass quasi alle Befragten im Laufe ihres Lebens mehr oder weniger Kontakt zu Touristen hatten. Entsprechend kamen auch eine ganze Menge hochdeutsche Einflüsse vor.
Angehörige der jüngeren Generationen sind für solche Erhebungen überhaupt nicht mehr “zu gebrauchen”. Die Anführungszeichen, weil es natürlich auf das Erkenntnisinteresse ankommt. Die Dialekte weichen und machen Platz für etwas Neues – das aber auch wieder Gegenstand der sprachwissenschaftlichen Forschung werden kann. Das macht z.B. grade das Marburger Projekt regionalsprache.de, das ich extrem spannend finde.
Herzlichen Glückwunsch zur fertig gestellten Magisterarbeit von einem stillen, aber ständigen Leser.
Und danke für dieses großartige Blog, das die denkbar beste Antwort auf alle “Und-was-willste-mal-damit-machen”-Fragen ist.
“Und was willste mal damit machen?”
Weiter. Bitte.
Danke. Danke. Ich bin gerührt!
Glückwunsch auch von mir!
Weil’s auch so schön zum Beitrag passt: hattest du den Eindruck, dass deine Erhebung auch davon beeinflusst wurde, dass du eben jemand von der jüngeren, flexibleren, gebildeteren Generation bist? (Äh *schäm* hatte ich dich schon mal gefragt, wo genau du her kommst?).
Mir ist das besonders in der Schweiz aufgefallen, obwohl ich Schweizerdeutsch sehr gut verstehe und die Leute aufgefordert habe, mit mir in ihrem Dialekt zu sprechen, sind alle fast komplett in ihre Hochsprache verfallen.
Meine Mutter macht das auch automatisch so, wenn sie jemanden trifft, der nicht aus unserem Dialektraum kommt. Ob’s was mit Prestige zu tun hat, keine Ahnung, weil unser Familiendialekt für den Rest Deutschlands gut zu verstehen ist, mit entsprechender Färbung, versteht sich (und den üblichen Komparativen und Superlativen natürlich 🙂 )
Ja, natürlich hat meine eigene Sprache eine Rolle gespielt — es war für mich superschwierig, die richtige Sprache für die Befragungen zu finden.
Gut war, dass ich selbst auch aus der Ecke komme und die meisten meiner Gewährsleute mich vorher bereits kannten, manche persönlich, manche kannten meine Eltern. Ich war also kein wirklicher Fremdkörper und es war den Leuten klar, dass ich sie problemlos verstehen würde.
Ich selbst kann leider nur Hochdeutsch mit süddeutschem Einschlag sprechen und den Dialekt nur nachmachen. Weil letzteres natürlich für die Leute künstlich (und lustig) klingen würde, habe ich so gefärbt wie möglich gesprochen, ohne zu versuchen, richtig Dialekt zu sprechen.
Lustigerweise hat das umso besser geklappt, je weniger ich die Leute kannte. Klar — meine Oma ist mein Hochdeutsch schon immer gewöhnt, die hält mich für verrückt, wenn ich plötzlich extrem mundartlich gefärbt spreche. Ihre Schwester, mit der ich vorher noch nie mehr als zwei Sätze gewechselt hatte, hat hingegen kein Problem damit, wenn ich lautliche Anpassungen (wie z.B. n- und Schwa-Apokope) vornehme. Entsprechend hatte ich da auch viel weniger Hemmungen.
Interessant! Bei mir ist es irgendwie andersrum — wenn ich zu Hause bin, spreche ich eher mit Färbung, weil ich mir dumm vorkommen würde, Hochdeutsch zu sprechen. Obwohl — ich merke immer mehr, wie auch in meinem Dialekt die Intonation und besonders “g”-Laute norddeutsch werden. Wenn ich in Hamburg bin, hört man meine Herkunft gar nicht (bestätigt von Menschen mit Empfindlichkeit für Dialekte 🙂 ). Und bei Menschen zu Hause, die mich nicht kennen, geht Hochdeutsch wunderbar.
Oh, da fällt mir noch auf, dass die Korpuslinguistik zur Beschreibung ihrer Informanten gerne von NORM spricht. Da tun wir alles, Normen aufzubrechen, und dann sowas!
Ich gratuliere zur Abgabe und bitte nicht über die Fehler nachdenken!
Vielen Dank! 🙂 Ich gebe mir Mühe, aber leicht ist das nicht.
Das kenne ich. Ich verzweifle heute noch, wenn ich meine abgegebene Arbeit mal durchblättere.