Jahrzehntelang wurde in der Literatur zu Englisch in Irland darüber gestritten, ob die Varietät irische oder alte und/oder archaische englische Wurzeln hat. Das eine sind die Anhänger der Substrattheorie (substratum), letztere sind die Verfechter der Superstrattheorie bzw. der retention (superstratum). In den wenigsten Fällen einzelner Phänomene ist aber überhaupt die eine Quelle auszumachen, weshalb es in den letzten zehn Jahren spürbar eine Verschiebung hin zum “dritten Weg” gegeben hat: Rolle des Sprachkontakts an sich, des language shift (Sprachwechsel), Zweisprachigkeit, Grad des linguistischen Transfers und die Rolle sozialer Faktoren. Ein Großteil der neueren Literatur ist damit auch in einer globaleren Varietäten- und Universalienforschung englischer (Umgangs-)Sprache anzusiedeln.
Mit dem Artikelgebrauch in Irland haben sich nur zwei Autoren bisher näher befasst (und weil ich schon im Schreibmodus denke, füge ich noch hinzu to the best of my knowledge). Zwar hat irgendwie jeder, der über Syntax des irischen Englischs publiziert hat, etwas dazu geschrieben, en passant. Okay, vielleicht sind’s auch drei (Raymond Hickey).
Der erste, Markku Filppula, führt die höhere Frequenz auf Einflüsse des Gälischs zurück. Damit einhergehend ist auch die Theorie vom Keltizismus. Vereinbar sind beide, weil das schottische Englisch fast identische Gebrauchkontexte hat. Was die Theorie ganz erheblich abschwächt, ist das Vorkommen der Kontexte in vielen anderen Varietäten. Artikelgebrauch ist kein rein irisches Phänomen und deshalb ein linguistic universal in englischen (Kontakt-)Varietäten, argumentiert Andrea Sand.
Dabei ignoriert Filppula (1999) in bester Substratistenmanier die vielen Parallelen in Gebrauchskontexten des Mittel- und Frühneuenglischen und in späteren Texten auch die von Sand identifizierten Parallelen in den New Englishes. Seine Substrattheorie basiert vor allem darauf, dass die Gebrauchsfrequenzen in den Countys Kerry und Clare (Munster Province) im Südwesten Irlands höher sind, als in den östlichen Regionen Wicklow und Dublin (Leinster Province), weil Irisch in Leinster schon länger “verschwunden” ist, als in Munster. Sand (2003, 2004) ignoriert in ihrem Filppula-Bashing-Modus die Unterverwendung des Artikels in den von ihr beobachteten Varietäten. Methodologische Defizite haben beide: Sie vergleichen quasi Äpfel mit Birnen — gesprochene Sprache in Gegenwartsirland mit offizieller Korrespondenz der englischen Oberschicht im Frühneuenglischen (Filppula) -, schreiben hohe the-Frequenzen in Nordirland quasi dem Zufall zu (Sand) oder lassen wichtige Daten und Umstände außer acht, beispielsweise Sprachkontakt und ‑wechsel (beide).
As more and more data is made available… Äh, also, ich bin froh, dass ich jetzt schreibe! Und hoffentlich mache ich es mir nicht zu einfach, wenn ich sage, dass die “Lösung” eigentlich auf der Hand liegt.
Vermutlich haben beide (Un)Recht.
Filppula, Markku. 1999. The Grammar of Irish English. Language in Hibernian Style. London: Routledge.
Hickey, Raymond. 2007. Irish English: history and present-day forms. Cambridge: CUP.
Sand, Andrea. 2003. The Definite Article in Irish English and Other Contact Varieties of English. In: Tristram, Hildegard L.C. The Celtic Englishes III. Heidelberg: Winter. 413–430.
Sand, Andrea. 2004. Morpho-syntactic features in contact varieties: article use. World Englishes, 23(2). 281–298.