Gestern lief im SWR 2 eine recht interessante Sendung zum Thema „Wirtschaftssprache“, die man hier nachhören kann.
Der Moderator Eberhard Reuß diskutiert mit Dagmar Deckstein (SZ-Wirstschaftsredakteurin), Ludwig Eichinger (Direktor des Instituts für Deutsche Sprache) und Günter Gaugler (SAP-Pressesprecher) und versucht mit aller Macht, seine Vorurteile ins Gespräch zu bringen: Wirtschaftssprache ist floskelhaft und inhaltsleer, die Manager wollen damit unser Verständnis vernebeln ohne sich auf irgendetwas festzulegen und Englisch dient dazu, alles noch weniger Verständlich zu machen.
Interessant ist das Gespräch, weil Eichinger und Gaugler ihr Bestes tun, um Reuß von diesen Platitüden weg zu einer differenzierteren Sichtweise zu bringen. Gaugler erklärt etwa die rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen Wirtschaftssprache entsteht und bestehen können muss und Eichinger zeigt unter anderem, wie ein großer Teil des vermeintlich inhaltsleeren Diskurses tatsächlich etwas mit Höflichkeitsstrategien zu tun hat.
Aber Reuß ist relativ uneinsichtig. Er wiederholt fast gebetsmühlenartig seine „Talking Points“ ohne allzusehr auf seine Interviewpartner einzugehen. Seine Kollegin von der SZ unterstützt ihn kräftig dabei und gemeinsam gelingt es ihnen am Ende auch noch, das Gespräch auf den durch das böse Internet verschuldeten Niedergang des Qualitätsjournalismus zu bringen. Es hilft nicht, dass Eichinger auf eine aktuelle Studie (ich glaube, er bezieht sich auf die hier) hinweist, die zeigt, dass Intensivnutzer des Internet typischerweise auch alle anderen Medien, inklusive der Printmedien, intensiv nutzen. Zitat Deckstein:
Ja, also ganz ungebildet würden [die Digital Natives] sich im Internet sicher auch nicht ausdrücken, ich habe das unlängst gelesen, diese Studie, dass sich eben gerade die besser gebildeten und nach wie vor die Lektüre guthaltenden Menschen auch im Internet ausdrücken. Nur wenn man sich so die Qualität mancher Twitterei oder Bloggerei anschaut — also allein vom Sprachduktus, vom rhetorisch-orthografischen — wenn das Einzug in den allgemeinen Sprachgebrauch finden sollte, dann sind wir ja heute noch allerbestens bedient. Dann möchte ich nicht wissen, welcher Nebelwerferrhetoriken wir uns in Zukunft bedienen werden.
Kann man das so zusammenfassen: „Ja, ich kenne die Fakten, aber sie passen nicht zu meinem kulturpessimistischen Standesdünkel“? Oder wäre das nicht ausreichend nebulös formuliert?
Ich habe ihn eher so verstanden: Wenn alle so schlecht schreiben würden, wie die schlechtesten Blogger und Twitterer, dann würden bald alle ganz schön schlecht schreiben.
Aber ich glaube, deine Interpretation ist auch legitim.
Muriel (#1), ja, aber dann wäre die Aussage doch fast schon tautologisch: Der Satz „Wenn alle so schlecht schreiben würden, wie der schlechteste X, dann würden bald alle ganz schön schlecht schreiben” gilt ja immer, egal, ob wir für X „Blogger“, „Printjournalisten“, „Dichter“, „Kranführer“ oder „Sprachnörgler“ einsetzen…
Anatol (#2), und dein Einwand wäre, dass du glaubst, so einen Unsinn würde Deckstein niemals behaupten?
Wenn man Seiten wie Printwuerg oder Bildblog regelmäßig verfolgt, bekommt man eine Ahnung, dass die Orthographie wohl der einzige Unterschied zwischen “Qualitäts-” und “Laienjournalismus” darstellt 😉
@ Peer: Doch, es gibt einen himmelweiten Unterschied. Der hat aber nicht so sehr mit Profi- oder Laientum zu tun, sondern mit anonymer oder nicht-anonymer Publikation. Ohne Nennung des echten Namens (wie in den Kommentarspalten der meisten Blogs üblich) schreiben auch multipel gebildete und medienkompetente Menschen wie Pottsäue.
@ Anatol: Ich vermute, das war es auch, was Deckstein meinte, und zwar ganz ohne Dünkel. Es gibt übrigens nur wenige Journalisten, auf die das Etikett “Kulturpessimist” schlechter passt als auf Dagmar Deckstein.
@Detlef Guertler: ich finde auch, dass Frau Deckstein normalerweise differenziert und wenig pessimistisch (Kultur- oder sonstwie) schreibt, und in dem verlinkten Interview kann man ihr am Anfang auch wirklich gut zuhören. Aber ich fand beim Hören auch, dass sie sich dann irgendwann auf das Gekrittel des Moderator einlässt und bei der Diskussion um die Twitterer und Blogger verfällt sie dann in die stereotype Qualitätsjournalismus-Leier. Wenn es um ihren eigenen Job geht , ist sie eben dohc Kulturpessimistin.
Detlef Gürtler (#5), ja, sehe ich so wie Frank Oswalt. Deckstein hat sich am Anfang sehr gut gegen die Verfallsrhetorik des Moderators behauptet und hat gemeinsam mit den anderen beiden Gästen recht differenzierte Aussagen über die Funktionen und Probleme der diskutieren Sprachphänomene gemacht. Aber von den „Twitterern und Bloggern“, die der Moderator dann relativ beliebig ins Gespräch gebracht hat, hat sie sich ein Bein stellen lassen: Sie kritisiert undifferenziert den Sprachduktus (hier fällt ihr, anders als in der Diskussion vorher, nicht auf, dass je nach medialem Kontext unterschiedliche Sprachstile angemessen sein können) und äußert Befürchtungen, dass dieser den allgemeinen Sprachgebrauch negativ beeinflussen könnte — das ist ganz normaler Neue-Medien-Kulturpessimismus. Ob der Moderator sie dazu verlocken konnte, in dem er sie kurz vorher als „Edelfeder“ bezeichnet hat (wäre das nicht mal ein Unwort des Jahres?) oder ob die Angst vieler (aber natürlich nicht aller) Journalisten vor der ungezähmten Konkurrenz ihr die Sicht vernebelt hat?
Peer (#4), ja, ich denke, wenn der Duden-Korrektor erstmal als Firefox-Plugin erscheint, wird dieser scheinbare Unterschied zwischen Journalisten (in deren Redaktionssystemen er läuft) und Bloggern schnell verschwinden.